»Die Schönheit der Entdeckung
ist die Schönheit des Lebens.«
Emil Schreiber
ist die Schönheit des Lebens.«
Emil Schreiber
Fünf Tage nach meinem Sturz vom Felsen und einen Tag, nachdem ich auf der Intensivstation wieder zu blinzeln begann, begreife ich, Mona Schreiber: Das Moor, das ich als Kind jeden ersten Sonntag im Monat mit meinem Großvater Emil besucht habe, trage ich nicht nur in mir. Es trägt auch mich.
***
Zuvor.
Nach wiederholter Prüfung komme ich zur Erkenntnis, dass sich in meiner Brust eine Erdkröte aufbläst. Sie hebt und senkt ihren Bauch in einem Rhythmus, der mich seit meinen frühesten Empfindungen begleitet. Ein wundersamer Vorgang, der mich zugleich in Vertrauen wiegt, denn er erscheint mir so nah, so natürlich, so immer gewesen.
Sonnenlicht zerreißt das höhlenartige Dunkel, das mich umhüllt. Vor mir entfaltet sich eine Landschaft, deren anmutig geformte Ebenen in den Farben des Herbstes erstrahlen: Ocker, Gold, Kupfer. Dazwischen verschwimmen pastellviolette Tupfer, wie schüchterne Geheimnisse.
Ich schmecke die süße Wärme von Torf auf meiner Zunge. Und während ich darüber nachsinne, spüre ich, wie ein Saft, durchzogen von Pflanzenfasern, mich durchströmt, sich in mein Innerstes verzweigt. Hier bleibt das Moosblut, wie ich ihn nennen würde, flüssig, dort verfestigt es sich, an einigen Stellen bildet es Krusten.
Ein paar Moorbirken recken sich um mich herum gen Himmel. Ihre Schatten legen sich wie ein schützendes Tuch über mich. Vom Wind angestoßen, klappen ihre ovalen Blätter immerzu herab, als wollten sie mir etwas Ermunterndes zuflüstern. Gerührt beobachte ich diesen Tanz zwischen Zufall und Liebe.
Bogenförmige Äste umrahmen auf zähem Moosblut die sich aufblähende Kröte. Auf einem der Äste thront ein Kiebitz. Sein Gefieder ziert ein Muster ungleich hoher, steiler Wellen. Aus seinem seitlich geneigten Köpfchen entweichen klare, präzise Töne, regelmäßig wie der Takt eines Metronoms. Offenbar hat seine eindringliche Präsenz die Kröte in Anspannung versetzt. Ich erahne aus mir fernen Gründen eine schicksalhafte Verbindung zwischen ihnen, zwischen uns. Doch ich kann sie nicht beschreiben.
Nördlich der Kröte ragt ein hohles Stück verwitterter Birke aus eingetrocknetem Moosblut. Über ihm schwingen Büschel schmalblättriger Wollgräser; seidige Haare streifen zart die rissige Rinde. Ein Schauer zieht über meine Haut.
Drinnen webt eine Trichterspinne ihr Netz - ein dichtes, silbrig schimmerndes Kunstwerk. Ein Tropfen sammelt sich an der Decke, gleitet an einem der Fäden durch das Geflecht. Ein Funkeln erfasst ihn. Ein Gedanke wird geboren.
Auf der Oberfläche des Holzes haben sich zwei blaugrüne Mosaikjungfern eingefunden; sie palavern eifrig umher. Ihre aufrechte Haltung und die Synchronität ihrer Bewegungen erinnern an royale Schwestern. Ich taufe sie Iris und Aurora. War das der Gedanke? Wir betrachten eine Bernsteinschnecke, die über die Borke kriecht und eine üppige Schleimspur hinterlässt. Sarkastischer Flügelschlag-Applaus der Königskinder. Sie klatschen meine Nase trocken.
Vor dem Holzstück steigen Blasen auf, wenn ich atme. Es sprudelt, wenn ich lächle, wenn ich lächle. Meine Lunge ist verborgen im Moosblut.
Doch ich bekomme Luft.
Ich lebe.
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