MIAMI

Michael Kempa

Mitglied
Miami



Merrit war überzeugt, daß der Abstieg gut vorbereitet war, trotzdem konnte er die Angst, die ihn plagte, nicht restlos Vertreiben. Doch die Sicherheit, daß Hagan auf ihn wartete und jeden Schritt überwachte, beruhigte ihn soweit, daß er dann doch die verrostete Dachluke anhob, um den Abstieg zu beginnen.
Ein feuchter, warmer Luftschwall entwich der geöffneten Luke und ließ das Visier beschlagen. Die Sensoren warnten vor Faulgasen. Merrit war heilfroh, diese Luft nicht einatmen zu müssen, er hätte den Gestank wohl nicht ertragen können.
Unter seinem Helm rümpfte er unwillkürlich die Nase.
Die Treppe, die nun nach unten führte, war feucht und spiegelte das matte Grün der Flechten, die hier wuchsen.
Stufe für Stufe tastete sich Merrit in die Tiefe. Kabelstränge und große Trümmerstücke zwangen ihn, immer tiefer hinab vorzudringen. Erst nach einigen Etagen konnte er die ersten zugänglichen Räume finden.
Merrit schaltete die Scheinwerfer aus. Ein großes, gesplittertes Fenster ließ genügend Licht in den Raum fallen.
Auf dem Boden lagen die Reste eines Computers. Durch das zerstörte Fenster wehte der schwüle Wind und ließ eine Metallstange in unregelmäßigem Rhythmus gegen die Wand schlagen. In einer trüben Pfütze lag eine zerbeulte Schreibmaschine, in der sich das geborstene Fenster spiegelte. Die Tapeten fielen in Streifen von den Wänden.
Mitten in diesem Chaos stand ein großer Schreibtisch, dessen Oberfläche von der Feuchtigkeit wellig geworden war.
Merrits Blicken bot sich ein Bild des Verfalls und der Zerstörung.
Die Schubladen des Tisches konnte er leicht öffnen, doch mit solch einem Inhalt hatte Merrit nicht gerechnet. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, sich die Nackenhaare aufstellten und eine Gänsehaut über seinen Körper zog. Nur mit Mühe konnte er seinen Magen unter Kontrolle halten.
In der Schublade klebte ein grünlich schimmernder Schleim, in den unzählige Maden eingenistet waren. Käfer krabbelten über diesen Haufen, verschwanden rasch in Ritzen und Spalten, gruben sich in den wimmelnden Haufen.
Die fetten, faden Maden begannen über die Kante der Schublade zu kriechen und fielen mit einem widerlichen „Plopp“ zu Boden.
Merrit gab den Gedanken auf, hier noch finden zu können, wonach er suchte. Eilig verließ er den Raum und setzte seine Suche in tieferen Etagen fort.
Er entdeckte Knochenreste. Sein Verdacht wurde bestätigt, als er den abgefleischten Schädel eines Menschen fand, der flach auf dem Boden lag und ihn aus seinen leeren Augenhöhlen anstarrte.
Die hintere Schädelhälfte fehlte.
Merrit schaute sich gründlich um und entdeckte den Revolver, mit dem sich der Unglückliche einst das Leben genommen haben mußte. Nachdenklich geworden, setzte Merrit seinen Weg fort.
Diese Welt war verloren. Die einstige Kultur war nur noch verfallener, verwesender, stinkender Müll.
Miami war nur noch Denkmal einer unrettbar verlorenen Welt.
Pflanzen und Insekten machten sich unaufhaltsam daran, die Spuren einstiger Intelligenz zu vernichten.
Merrit hatte nur noch wenige Etagen bis zur Wasseroberfläche zurückzulegen, er suchte die Datenbank. Vermoderte Bücher, Akten und verrottete Antiquitäten beachtete er nicht weiter.
Endlich fand er, wonach er suchte. Eine große stählerne Tür versperrte den Zugang und mußte von Merrit gesprengt werden.
Er räumte die gut erhaltenen Datenträger in den Container, den Hagan heruntergelassen hatte. Vieles konnte er so vor dem sicheren Verfall retten.
Merrit schickte den Container wieder nach oben, nur ein altes Fotoalbum steckte er in seine Brusttasche.
Weiter führte ihn der Weg hinab zum Wasser, das die Straßen überflutet hatte.
An einem Mauervorsprung hielt Merrit an und betrachtete die unter ihm liegende, ölige Mischung.
Träge schwappte die dreckige Brühe gegen die Mauern und hinterließ bräunliche Schlieren, die langsam abliefen. Stellenweise war der Ölfilm unterbrochen und bot Raum für die Larven der Insekten.
Die Käfer waren überall zu sehen, Merrit schätzte ihre Größe auf fast zehn Zentimeter.
Die Luft war erfüllt vom Geraschel der Tiere. Eine Kakerlake arbeitete sich an seinem Stiefel hoch, Merrit schüttelte sie ab und zertrat sie voller Abscheu. Der Panzer des Tieres gab mit einem lauten Knacken nach. Ein reibendes Geräusch und ein fettiger Fleck waren das Ende der Kreatur.
Verschiedene Pflanzen rankten sich an den Ruinen hoch, trieben ihre Wurzeln immer tiefer in die Mauerreste und beschleunigten so den Verfall von Miami.
Merrit hatte genug gesehen, er wollte nur noch zurück zum Helicopter, er hatte nur noch den Wunsch, diesem verdammten Ort den Rücken zu kehren.
Hagan holte ihn mit dem Transportkorb zum Helicopter zurück und gab dabei Merrit das Gefühl, aus der Hölle befreit zu werden.
Die Trümmer schienen in der Tiefe zu verschwinden, zunehmend bedeckt vom trostlosem Nebel, der in den Tiefen der Häuserschluchten aufzog.
Auf dem Dach wartete Merrit auf die Reinigung mit dem Dampfstrahler. Erst danach durfte er in den Helicopter einsteigen.
So schaute Merrit auf die untergehende Sonne, die tief am blutroten Horizont stand.
Die Skyline von Miami wurde zunehmend in gespenstisches Licht getaucht.
Er betrachtete die Trümmer der Stadt, nahm das Fotoalbum aus der Brusttasche und begann darin zu blättern.
Er sah Bilder vergangener Zeiten. Eine Wiese auf der Kinder spielten, umgeben von blühenden Bäumen. Dann sah er das Bild von Wiesen und Obstplantagen; den Angler mit einer Forelle am Haken.
Merrit schloß das Buch und begrub all seine Träume mit dem letzten Blick auf diese verlorene Stadt. Er stieg in den Helicopter, darauf wartend, endlich seine Tränen trocknen zu können.
 



 
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