Buddy Lee Doerfer
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Minus dreizehn Grad.
Eine dieser klaren, klirrenden Kälten, die bei Regen sofort Blitzeis machen. Anfang der Neunziger, als Diesel noch nach ehrlicher Arbeit roch und Motorräder noch Charakter hatten. Ich war Mitte zwanzig, hatte lange blonde Haare, 65 Kilo Lebenskraft, und zwei fahrbare Gefährten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können:
Edgar, mein weißer Daimler Strichachter, Baujahr ’68, zwei Liter Hubraum, zäh wie ein alter Ackergaul – und daneben die fast neue Honda Shadow VT 600 C, mitternachtsblau glänzend mit schönem Chrom und zuverlässig wie ein treuer Hund.
Genau an diesem Morgen sollte ich zum Vorstellungsgespräch zur AKK-Sendezentrale in Ludwigshafen. Fernsehtechnik. Sendeabwicklung. Ein Traumjob. Die Einladung lag seit Tagen bereit wie eine Eintrittskarte in eine neue Welt. Fünfzig Kilometer waren das – Bammental, Neckartal, Heidelberg, die 656, Mannheim, rüber nach Ludwigshafen. Eine Strecke zum Durchrollen.
Doch Edgar hatte andere Pläne.
Der Diesel war bei minus dreizehn Grad zu einer Art winterlichem Pudding erstarrt. Ich drehte den Schlüssel, er röchelte, hustete – und schwieg.
Gut. Zeit für Plan B.
Schneller Kleiderwechsel: olivgrüne Bundeswehr-Unterhose mit den fünf Lüftungslöchern im Schritt, Wollsocken, warme Unterwäsche, Pullover, Schnürlederhose. Meine schwarze Lederjacke, Handschuhe und Festus-Boots. Climax-Brille, Jethelm – denn Integralhelme sind nun einmal bäh – und das Palituch über der Nase. Ich sah vermutlich aus wie eine Mischung aus Rockerbraut und sibirischer Grenzgängerin, aber das war egal. Die Shadow sprang an wie ein junges Reh.
In Heidelberg, am Karlstor, stach die Kälte schon durch die Schichten. Auf der 656 suchte ich den Windschatten eines LKWs, duckte mich tief nach unten, und ließ mich von der Hoffnung tragen, dass die Finger bis zum Ziel nicht alle abfrieren würden. Die Welt ringsum war klar, still und grau-blau — als hätte der Frost die Farben eingefroren.
Und dann stand ich vor der Turmstraße in Ludwigshafen, einem Gebäude, das Fernsehen atmete: SAT.1 war hier geboren, Radiosender wie RPR und der Südwestfunk hatten hier ihre Studios. Alles roch nach Technik, nach Medien, nach Zukunft. Meiner Zukunft, hoffte ich.
Ich stieg ab, Helm unter dem Arm, Brille um den Hals, fragte an der Pforte nach dem Weg und ging den Flur entlang, die Lederhose knarzte leise bei jedem Schritt. Oben, im MAZ-Raum, saß ein Mann – bleich, verkniffen das Gesicht, eine blutige Platzwunde am Kopf. Offenbar war er bei der Boxenmontage mit der Kante Bekanntschaft eingegangen.
Niemand sonst war da.
Nur ein Erste-Hilfe-Kasten an der Wand und ich.
Also legte ich den Helm ab, holte Verbandsmaterial hervor, reinigte vorsichtig sein Gesicht, legte einen Druckverband an und redete ihm gut zu, bis Kollegen dazustießen und übernahmen. Danach nur ein kurzer Satz von mir:
„Wo finde ich Herrn Kriege?“
Mit fünfzehn Minuten Verspätung klopfte ich an die Tür des Leiters der Sendeabwicklung. Ich entschuldigte mich knapp und erklärte lediglich, dass ich wegen der Kälte mit dem Motorrad gekommen sei, weil mein Diesel den Geist aufgegeben hatte. Nichts von der Wunde, nichts vom Druckverband.
Aber irgendjemand muss es ihm später erzählt haben.
Denn ein paar Wochen später, an Weihnachten, lag ein Umschlag unter meinem Baum – mein Arbeitsvertrag.
Und als ich am ersten Arbeitstag wieder durch die Tür trat, stand der Mann mit der verheilten Platzwunde vor mir. Lächelnd. Dankbar.
Er wurde mein erster Freund dort. Er fuhr eine BMW, eine Gummikuh.
Und alles begann an diesem Morgen.
Bei minus dreizehn Grad.
Eine dieser klaren, klirrenden Kälten, die bei Regen sofort Blitzeis machen. Anfang der Neunziger, als Diesel noch nach ehrlicher Arbeit roch und Motorräder noch Charakter hatten. Ich war Mitte zwanzig, hatte lange blonde Haare, 65 Kilo Lebenskraft, und zwei fahrbare Gefährten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können:
Edgar, mein weißer Daimler Strichachter, Baujahr ’68, zwei Liter Hubraum, zäh wie ein alter Ackergaul – und daneben die fast neue Honda Shadow VT 600 C, mitternachtsblau glänzend mit schönem Chrom und zuverlässig wie ein treuer Hund.
Genau an diesem Morgen sollte ich zum Vorstellungsgespräch zur AKK-Sendezentrale in Ludwigshafen. Fernsehtechnik. Sendeabwicklung. Ein Traumjob. Die Einladung lag seit Tagen bereit wie eine Eintrittskarte in eine neue Welt. Fünfzig Kilometer waren das – Bammental, Neckartal, Heidelberg, die 656, Mannheim, rüber nach Ludwigshafen. Eine Strecke zum Durchrollen.
Doch Edgar hatte andere Pläne.
Der Diesel war bei minus dreizehn Grad zu einer Art winterlichem Pudding erstarrt. Ich drehte den Schlüssel, er röchelte, hustete – und schwieg.
Gut. Zeit für Plan B.
Schneller Kleiderwechsel: olivgrüne Bundeswehr-Unterhose mit den fünf Lüftungslöchern im Schritt, Wollsocken, warme Unterwäsche, Pullover, Schnürlederhose. Meine schwarze Lederjacke, Handschuhe und Festus-Boots. Climax-Brille, Jethelm – denn Integralhelme sind nun einmal bäh – und das Palituch über der Nase. Ich sah vermutlich aus wie eine Mischung aus Rockerbraut und sibirischer Grenzgängerin, aber das war egal. Die Shadow sprang an wie ein junges Reh.
In Heidelberg, am Karlstor, stach die Kälte schon durch die Schichten. Auf der 656 suchte ich den Windschatten eines LKWs, duckte mich tief nach unten, und ließ mich von der Hoffnung tragen, dass die Finger bis zum Ziel nicht alle abfrieren würden. Die Welt ringsum war klar, still und grau-blau — als hätte der Frost die Farben eingefroren.
Und dann stand ich vor der Turmstraße in Ludwigshafen, einem Gebäude, das Fernsehen atmete: SAT.1 war hier geboren, Radiosender wie RPR und der Südwestfunk hatten hier ihre Studios. Alles roch nach Technik, nach Medien, nach Zukunft. Meiner Zukunft, hoffte ich.
Ich stieg ab, Helm unter dem Arm, Brille um den Hals, fragte an der Pforte nach dem Weg und ging den Flur entlang, die Lederhose knarzte leise bei jedem Schritt. Oben, im MAZ-Raum, saß ein Mann – bleich, verkniffen das Gesicht, eine blutige Platzwunde am Kopf. Offenbar war er bei der Boxenmontage mit der Kante Bekanntschaft eingegangen.
Niemand sonst war da.
Nur ein Erste-Hilfe-Kasten an der Wand und ich.
Also legte ich den Helm ab, holte Verbandsmaterial hervor, reinigte vorsichtig sein Gesicht, legte einen Druckverband an und redete ihm gut zu, bis Kollegen dazustießen und übernahmen. Danach nur ein kurzer Satz von mir:
„Wo finde ich Herrn Kriege?“
Mit fünfzehn Minuten Verspätung klopfte ich an die Tür des Leiters der Sendeabwicklung. Ich entschuldigte mich knapp und erklärte lediglich, dass ich wegen der Kälte mit dem Motorrad gekommen sei, weil mein Diesel den Geist aufgegeben hatte. Nichts von der Wunde, nichts vom Druckverband.
Aber irgendjemand muss es ihm später erzählt haben.
Denn ein paar Wochen später, an Weihnachten, lag ein Umschlag unter meinem Baum – mein Arbeitsvertrag.
Und als ich am ersten Arbeitstag wieder durch die Tür trat, stand der Mann mit der verheilten Platzwunde vor mir. Lächelnd. Dankbar.
Er wurde mein erster Freund dort. Er fuhr eine BMW, eine Gummikuh.
Und alles begann an diesem Morgen.
Bei minus dreizehn Grad.