Mit dem Auto unterwegs

molly

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4. Mit dem Auto unterwegs

Auf dem Bahnsteig war es laut und es wimmelte von Menschen. Wie sollte da sein Vater ihn finden? Ein Frau sprach ihn an: „Du bist doch Christian. Dein Papa hat mich gebeten, dich auf dem Bahnsteig abzuholen.“ Die Frau trug eine blaue Weste mit der Aufschrift:“ Bahnhofsmission“. Ein rotes Kreuz darauf konnte Christian noch erkennen.
„Wo muss ich warten?“, fragte er.
„Nicht weit von hier, auf Gleis 1 ist die Station.“ Die Frau nahm Christians Koffer in die eine Hand, mit der anderen hielt sie Christian. Wenn schon nicht die Oma bei ihm sein konnte, so wünschte er sich nun doch Tante Lioba an seine Seite, und nicht die fremde Frau. Sie beugte sich zu ihm und sagte: „man nennt uns auch die „blauen Engel“ Nun lachte Christian. Das musste er der Oma erzählen!
Die Bahnhofsmission war ein Raum mit einer Theke und ein paar Tischen. Es roch gut nach frischem Kaffee. Aber Christian setzte sich nicht hin, er blieb an der offenen Tür stehen.
Durch Lautsprecher wurden Züge angekündigt, Gepäckwagen surrten auf dem Bahnsteig hin und her, Menschen riefen sich etwas zu und Christian hörte die Trillerpfeifen der Schaffner. Auf einmal vernahm er einen vertrauten Pfiff. Ganz in der Nähe musste sein Vater sein! Christian stellte sich auf die Zehenspitzen, winkte und rief: „Papa, hier bin ich!“
Schon eilte sein Vater mit großen Schritten auf ihn zu. Er rief: "Herzbub, Herzbub!"
Christian rannte in die ausgebreiteten Arme seines Vaters. Der wirbelte ihn ein paar Mal im Kreis herum, bevor er Christian wieder auf den Boden stellte. Zunächst bedankte er sich bei den Damen in der Bahnhofsmission, leget 50 DM auf die Theke und verabschiedete sich. Auch Christian winkte ihnen zu. Er hüpfte von einem Bein auf das andere, boxte den Vater leicht auf den Arm und sagte: „Mensch, Papa, bin ich froh, dass du mich gefunden hast!“
Der Vater sagte lachend: „Ich auch, komm, wir gehen zu meinem Wagen!“
Hand in Hand verließen sie den Bahnhof. Der Vater verstaute Christians Gepäck im Kofferraum und sagte: „Steig ein, Bub!"
Christian setzte sich hinter seinen Vater und umschlang ihn mit beiden Armen. „Du brauchst mich nicht zum fremden Großvater bringen, ich bleibe bei dir!“ So sanft wie möglich löste der Vater Christians Arme vom Hals und drehte sich um. Er lächelte ihn an und sagte: „Gris, es muss sein. Ich habe dir doch von der Brücke erzählt, die ich in Indien baue. In fünf Tagen fliege ich hin und dort habe ich niemand, der auf dich aufpassen kann. Außerdem wird es wirklich höchste Zeit, dass du deinen Großvater kennen lernst.“
Christian fragte: „Warum hast du mir nie etwas von ihm erzählt?“
„Ja, das war ein großer Fehler", gestand der Vater. „Aber weißt du, deine Mutter war sein einziges Kind und nachdem sie gestorben war, wollte er nichts mit kleinen Kindern zu tun haben. Er hatte sich sehr verändert.“ Christian verzog sein Gesicht und brummt: "Ich will auch nichts mit ihm zu tun haben!" „Aber Gris!" antwortete der Vater und lächelte ihn an.
An seinem Ton erkannte Christian, dass keine Ausrede ihm helfen würde. Der Vater war fest entschlossen, ihn beim fremden Großvater abzuliefern. Er streichelte Christians blasses Gesicht und meinte: „Er ist gar nicht so übel, der alte Herr. Du wirst schon sehen! Schnall dich bitte an, wir fahren los.“
Zuerst schaute Christian interessiert aus dem Fenster, doch bald wurde er müde. Er lehnte den Kopf in das Polster und schlief ein.
*
Als Christian wieder aufwachte, regnete es in Strömen und die Scheibenwischer surrten unablässig. Frierend kauerte er sich in die Ecke.
„Verflixt, wir sind spät dran", sagte der Vater, „aber bei diesem Sauwetter komme ich einfach nicht schneller vorwärts!"
Christian erkundigte sich: „Ist es noch weit?"
"Vielleicht noch eine Stunde, wir sind schon hinter Hannover!" Sie hatten die Autobahn verlassen und fuhren nun durch kleine Ortschaften. Christian stellte fest, dass es in dieser Gegend keine Berge gab. Der Vater lachte und meinte, sie seien jetzt auf dem flachen Land, aber Bäume und Sträucher gäbe es auch hier genug. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto mehr wollte Christian über den Großvater wissen. Sein Vater dagegen wurde immer einsilbiger. Auf alle Fragen antwortete er: „Wirst schon sehen“, oder „Abwarten“, oder „Vielleicht“, oder „Kann sein.“
So schaute Christian nur noch aus dem Fenster und ließ den Vater in Ruhe. Schnurgerade lag die Straße vor ihnen, und die Bäume links und rechts neben der Fahrbahn begleiteten sie mit ihrem langen Schatten. Es dämmerte bereits, als Christian weit vorne eine Windmühle entdeckt. Kurz davor aber bog der Vater in eine Seitenstraße. Christian wäre viel lieber an der Mühle vorbei gefahren, doch schon brausten sie zwischen hohen Eichenbäumen auf ein großes Haus zu.
„Wir sind da!", sagte der Vater und hielt an.
Den ganzen Tag über hatte sich Christian vor diesem Augenblick gefürchtet. Jetzt freute er sich, dass die lange Fahrt vorbei war. Er öffnete schwungvoll die Wagentür und stieg aus. Auch hier hatte es geregnet und so landete er mit beiden Füßen in einer großen Pfütze. Der Vater hatte inzwischen schon das Auto abgeschlossen und rief. „Beeil dich, Gris, der Großvater wartet sicher schon!“
Christian rannte hinter seinem Vater her und bei jedem Schritt quietschte das Wasser in seinen Schuhen. Vor dem Eingang blieb der Vater stehen. Über der Tür hing ein beleuchtetes Schild und Christian buchstabierte:
K U T S C H E R S T U B E
Das also war das Gasthaus seines Großvaters. Der Vater legte Christian die Hände auf die Schulter und sagte: „Bringen wir die Begrüßung hinter uns, nur Mut und Kopf hoch.“
"Ja, Papa, du auch", sagte Christian. Der Vater grinste breit und griff nach der Klinke.
*
 



 
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