Mit Hammer und Säge

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Nika

Mitglied
„Eine Zumutung ist dein Text“, sagen sie, „das kann man niemandem antun.
Das will so doch niemand lesen. Überhaupt muss man doch auch mal durchatmen können!“

So habe ich gesägt, gefeilt, gehobelt und mit dem Hammer drauf herumgeschlagen.
Überarbeitet, gelöscht, neu geschrieben und wieder von vorne.

Die Personen habe ich genau beschrieben, ihnen einen äußeren Anker gesetzt, damit man sie wieder erkennt und beim Lesen nicht durcheinanderkommt.
Ich habe analysiert, wann ich die Geschichte straffen und wann ich nach dem Prinzip Show-don´t-tell arbeiten muss.
Die geschichtlichen Ereignisse habe ich genau recherchiert.
Zwischen die Realität habe ich Passagen geschrieben, damit Leser*innen sich gedanklich ausruhen können.
Grammatik und Zeiten sind korrekt.
Jetzt ist der Text gefällig.

Blutleer bleiben wir zurück, der Text und ich.
Die Charaktere haben sich irgendwann davongeschlichen.
Ich und der Text haben einander verloren. Er ist nur noch Handwerk und nicht mehr Werk, schon gar nicht mein Werk.
So werde ich wieder eine Zumutung und die Leser*innen bleiben atemlos und schockiert zurück.
 

petrasmiles

Mitglied
Das sollte einem nur einmal passieren. Ein Autor ist der wichtigste, wenn nicht der einzige Verteidiger seines Textes.
Wenn man schreibt, um Geld damit zu verdienen, passt man sich an. Dagegen ist nichts zu sagen. Wenn man schreibt, um Selbstausdruck zu betreiben, kann es nur behutsame Ratgeber geben.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Nika,
als Befürworter von Regeln für das Schreibhandwerk hätte ich einige Anmerkungen zu machen.
Man muss unterscheiden: Will man für sich oder will man für andere schreiben bzw. will man, dass andere es lesen. Im ersten Fall kann man wirklich tun, was man will, weil es auf Qualität nicht ankommt.
Im zweiten soll/muss ein Text gefallen, und da sind wir bei der Qualität. Und die lässt sich nur erzielen, wenn man die Regeln des Schreibhandwerks beachtet. Mit Salz kann jeder umgehen, aber das Kochen erfordert, dass man dabei bewusst und besonnen vorgeht. Vergleichbar geht es beim Fußballspielen, Wäschewaschen und Holzhacken zu.
Meine Empfehlung wäre, zu überlegen, bevor man was schreibt. Das garantiert, dass man automatisch die erste Hälfte des Regelwerkes einhält, nämlich Handlungsablauf, Struktur, Spannungsbogen, Pointe und Schlüssigkeit. Ein Plot - in Gedanken oder schriftlich - kann da Wunder bewirken. Überbordendes Nachkorrigieren entfällt dann; es hat noch nie einen Text besser gemacht. Hammer hin oder her.
Gruß Bo-ehd
 

petrasmiles

Mitglied
Im zweiten soll/muss ein Text gefallen, und da sind wir bei der Qualität.
Ich halte diese Einschätzung für nicht besonders belastbar und eine Frechheit obendrein, die eigene - ich nenne es Beschränkheit - anderen als das Maß aller Dinge aufschwatzen zu wollen. Wenn Du wirklich glaubst, dass etwas 'Gefälliges' mit Qualität zu tun hat, erklärt mir das, warum ich Deine 'Qualitätsgeschichten' als das Uninspirierteste wahrnehme, was ich hier zu lesen bekomme.

Ich möchte mich in aller Form für diesen Kommentar entschuldigen, aber das war ein Akt der Notwehr, sonst wär mir die Hutschnur geplatzt.
Ich gelobe, demnächst um Deine Geschichten und Kommentare einen großen Bogen zu machen.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

Mitglied
Ja, mach einen großen Bogen um meine Geschichten. Dein Verständnis von Qualität lässt auch keinen anderen Schluss zu. Man muss meine Geschichten ja nicht mögen, aber wer nicht sieht, dass sie handwerklich
ordentlich gemacht sind, muss auf allen Augen blind sein, Hühneraugen inbegriffen.
Wie verbohrt bis du eigentlich, immer wieder zu unterstellen, ich wollte anderen meine These von lesbaren Texten aufzwingen. Mein Hinweis, sich vorher zu überlegen, was man wie schreiben will, ist im Grunde genommen eine These aus dem Deutschunterricht 6. Klasse Grundschule. Sie verhindert, dass man sich im Nachhinein totkorrigiert. Das ist Fakt. Der Bericht über den letzten Wandertag fängt man ja auch nicht in der Mitte an. Du bist anderer Meinung? Okay, ich akzeptiere es.
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Nika,
nach Petras Entschuldigung an deiner Stelle würde es mich wirklich interessieren, ob du meine Empfehlung, vor dem Schreiben zu überlegen, was man zu Papier bringen will, als eine Frechheit betrachtest.
Gruß Bo-ehd
 

Shallow

Mitglied
Hallo @Nika,

mich hat dein Text angesprochen, das schon mal vorweg.

In dem Satz

Das will so doch niemand lesen. Überhaupt muss man doch auch mal durchatmen können!“

Eines der beiden "doch" würde ich streichen. Kleinigkeit.

Blutleer bleiben wir zurück, der Text und ich.
Die Charaktere haben sich irgendwann davongeschlichen.


Ich finde mich da irgendwie wieder. Und wie Recht du hast, sieht man in einigen Kommentaren, die meinen, die Standards des Schreibens begriffen zu haben.
Ansonsten hast du auch meine Probleme beim Schreiben gut artikuliert. Mir gefällt das, es trifft etwas ziemlich gut, schöner Text!

Schönen Gruß

Shallow
 
He Nika,
was Du geschrieben hast, habe ich abgefeiert. Denn genauso geht es mir. Ich bekomme hier, aber mehr auf einer anderen Plattform - Wortkrieger, wo ich Frieda Kreuz bin - immer supergute Ratschläge, wie ich meine Texte umarbeiten soll. "Ständig springst du hin und her", wird mir dort vorgeworfen.
Wenn ich mich nach diesen Tipps richte, wird das ein langweiliger Text. Alles wird zwar vorhersehbarer, als bei der ursprünglichen Version, aber der Drive fehlt einfach. Man muss sich einfach treiben lassen, wenn man schreibt. Es freut mich zu hören, dass es auch Anderen so geht.
Vor zig Jahren habe ich mal ein Buch gelesen, das in der Zukunft spielt, und wo es darum ging, dass die NASA Hochbegabte in den Schulen suchte. Bei denen, die sie fanden, wurde am Anfang alles im Gedächtnis ausgelöscht, was sie vorher gelernt hatten, damit sie völlig wieder am Anfang standen.
So ähnlich verhält sich das auch, wenn man eigene Texte schreibt. Das Schulwissen muss vergessen werden. Ansonsten kommt etwas in der Art zu Stande wie: "Schreiben sie einen Bericht über den Ausflug mit der Patenbrigade." Da hatte man als Schülerin dann die ganzen "wertvollen" Regeln im Kopf, wie: keine Dopplungen usw.
Das Ergebnis war zwar perfekt aber dröge. Solche Schulweisheiten muss man vergessen. Vielleicht wird den Jugendlichen dadurch ihr Talent regelrecht ausgetrieben. Ich freue mich, dass jemand mal das Gleiche gefühlt hat, wie ich.
Gruß Friedrichshainerin
 

Nika

Mitglied
Vielen Dank fürs Lesen und die vielen Kommentare. Das Thema spricht wohl viele Schreibende an.
Ich bin immer dankbar für Anregungen und Tipps. Genau das soll es aber auch sein, Feedback ist in meinen Augen konstruktiv. Auch die Aussage, dass mich ein Text nicht anspricht, kann ja möglich sein. Die beschriebene Situation hatte mit Feedback aber leider nichts zu tun.
@Bo-ehd : Schreibregeln sind sinnvoll, das steht außerhalb jeder Diskussion. Aber wenn ich in einem bekannten Buch über die Regel: "Eine Biografie wird immer in der Vergangenheitsform geschrieben." stolpere, dann ist das für mich keine Regel, sondern eine Beschränkung.
@petrasmiles : definitiv, das passiert mir nicht noch einmal.
@Friedrichshainerin : viele große Schriftsteller*innen wurden schon einmal zerrissen. Auch wenn ich für andere schreibe, dann eben nicht für ALLE anderen. Es wird niemand gezwungen meine Texte zu lesen.
In einer Rezension habe ich mal gelesen, dass ein Buch eine "Zumutung" sei. Das kann in meinen Augen auch ein Qualitätsmerkmal sein. Ein Text kann inhaltlich und sprachlich eine Herausforderung sein.
Wenn wir im Bereich Biografie nur über Schönes und Leichtes schreiben, so bildet das nicht viele Biografien ab (siehe andere Texte von mir).
 
G

Gelöschtes Mitglied 36918

Gast
Obwohl schon viel dazu geschrieben wurde, komme ich nun doch noch „hinterher wie die alte Kirchweih“.

Ich sehe Lesen und Schreiben als Interaktionsprozesse.
Das bedeutet, dass ich mir natürlich Gedanken darüber mache, was ich schreibe – und eventuell auch für wen.
Eine Aufbauanleitung für ein IKEA-Regal würde ich sicher nicht als Gedicht verfassen.

Wenn ich mich aber dem Leben schriftlich nähern will, muss ich meine eigene Stimme finden.
Und diese wird unter Umständen nicht von allen – manchmal sogar nur von wenigen – verstanden.

Wenn ich versuche, mit einer fremden Stimme zu schreiben, besteht die Gefahr einer „kognitiv überarbeiteten Emotion“ – einer Emotion, die vielleicht korrekt klingt, aber nicht mehr fühlbar ist.

Ein Beispiel dafür ist vielleicht mein Gedicht Mai 23.
Aus Gründen der „Lesbarkeit“ habe ich mich dabei verloren – und so entfaltet sich eben keine Wirkung.


Aber ich bin ja neu hier und noch Lehrling.

Kath.
 

petrasmiles

Mitglied
Wenn ich mich aber dem Leben schriftlich nähern will, muss ich meine eigene Stimme finden.
Und diese wird unter Umständen nicht von allen – manchmal sogar nur von wenigen – verstanden.
Liebe Kath.

das ist eine ganz wesentliche Aussage, die ich vollumfänglich teile.
Da wären wir bei der Interaktion, die man nicht erzwingen kann - um so beglückender die Momente, in denen man sich verstanden fühlt.

Auf die eigene Stimme!

Liebe Grüße
Petra
 

Nika

Mitglied
Liebe Kath,
zum Lehrling: für mich sind auch wahre Meister diejenigen, die sich als Lernende sehen.
Danke für Deinen Kommentar und LG
 



 
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