mit Pudding gegen Liebeskummer

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Wittelsbach

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Der Schreiber ist 16 Jahre alt, wir befinden uns in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, nichts ist politisch korrekt.
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23.08.1974
„Sag nichts, lass dich einfach nur umarmen!“ sagte meine Großmutter und presste mich an ihren wogenden Großmutter-Busen. Dabei rubbelte sie meinen Rücken bis mir die Luft wegblieb.
„Auch wenn du das jetzt nicht glaubst, es wird schon wieder. Spätestens wenn du siehst, dass es auch noch andere Mädchen gibt. Ich werde dir gleich einen Pudding kochen, der dich von allem Kummer befreit. Wir wussten ja nicht, dass du kommst. Großvater ist noch auf dem Marktplatz. Wir hatten heute Morgen Probleme mit dem Hanomag. In einer Stunde oder zwei ist er zurück.“
Schade, – also kein Begrüßungs-Bierchen. Nur Wasser aus dem Krug.
Und schon musste ich am Küchentisch Schokolade raspeln. Dann wurde eine Vanilleschote längst aufgeschnitten, um das Mark heraus zu kratzen. Roch nach altem Leder und ich hatte nun schwarze Fingernägel. Toll.
Großmutter legte ein paar kräftige Holzscheite in ihr immer währendes Ofenfeuer. Dann füllte sie einen halben Liter Milch ab und stellte den Topf auf die Feuerstelle. Meine Schokoladenraspel verquirlte Großmutter mit drei oder vier Eigelben. Eine weitere halbe Tafel Schokolade wanderte in einen zweiten Topf, den sie neben die Feuerstelle rückte. Wir befanden uns also inzwischen in einer Alchimisten-Küche. Hätte mich nicht gewundert, wenn jeden Moment der Hexenmeister hereingekommen wäre. Im gleichen Augenblick hörte ich draußen ein Treckern und ein kurzes Bellen.
Die Küchentür ging auf und Großvater kam herein. Er schnupperte in die Richtung des Herdes. „Endlich auch mal etwas Leckeres für mich!“ sagte er, als hätte er mich nicht bemerkt. Erst als ich um den Tisch herum war und seine Umarmung mich fast erdrückt hatte, während Rufus an mir hochsprang, meinte er, man hätte ihm schon von meiner Anwesenheit berichtet.
„Ich war gerade dabei, mit Klemenz und Kamila den Stand abzubauen, als Gerd meinte, eines meiner Enkelkinder wäre mit dem Zug angekommen.“
„Enkelkind?“ fragte ich entrüstet, wobei ich das Wort Kind betonte.
Großvater hüstelte verlegen. „Naja, Gerd sagte, eines meiner Mädchen wäre angekommen!“ Er nahm ein Wasserglas aus dem Regal und setzte sich an den Tisch.
„Hier in der Provinz sind wir so lange Haare nicht gewohnt!“ erklärte Großmutter, während sie ein weißes Pulver, wahrscheinlich Mehl, in die köchelnde Milch einrührte. Auch die Vanille kam jetzt hinzu.
„Und die blonden Haare hast du von deiner Großmutter geerbt. Als ich sie damals in Kiel kennenlernte, sah sie genauso aus wie deine Schwester Christiane!“
„Oh, du Ärmste!“ Ich drückte ihren Arm. „Da hast du aber eine schwere Jugend gehabt, oder?“
Großmutter schaute mich verständnislos an, während Großvater laut loslachte. „Keine Sorge, mein Junge. Veronika war das schönste Mädchen in der ganzen Stadt. Und bei jeder Fahrt war ich mir nicht so sicher, ob sie auch wieder am Kaje stehen würde!“
Großmutter schmunzelte und sah für eine Sekunde ganz jung aus. Ich konnte gestochen scharf das junge hübsche Mädchen von einst hinter ihrer Haut voller Runzeln und den zum Dutt gedrehten schneeweißen Haaren erkennen. Sie rührte noch einige Male um und schob den Topf in die kühlere Zone des Herdes.
„Ja, Christiane ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten!“ wiederholte mein Großvater.
„Aber ich trug die Haare nie so offen. Das machte man zu meinen Zeiten nicht. Höchstens mal als Affenschaukel!“
„Ich kann mich nur an deine Schnecken erinnern. Das sah von weitem aus wie Elefantenohren.“ meinte Großvater.
„Danke! – Besonders viel sah man nicht von mir. Wir trugen damals immer diese bodenlangen Wollröcke.“
„Na und? Wenn du dich bewegt hast, sah man kurz den Abdruck deines Knies. Und manchmal blitzen hell deine Knöchel auf. Und deine wunderschönen Handgelenke waren immer zu bewundern. Den Rest konnte man sich als Mann von Welt selbst zusammen reimen!“
„So, so. Mann von Welt. Gerade Seemänner haben die wenigste Ahnung von Frauen! Sind ja meistens nur unter sich.“ Sie rührte die Eigelb-Schokoladencreme unter die etwas abgekühlte Milch.
„Oh nein! Ich hatte schon ein gutes Auge für Schönheiten. Du warst damals, – wie würde man heute sagen, – eine Sexbombe!“ Großvater lehnte sich grinsend zurück, während Großmutter errötete. Im ganzen bekannten Universum gibt es keine zwei Worte, die weiter auseinander klaffen wie Großmutter und Sexbombe. Da waren Worte wie Mafia und Nächstenliebe direkt eng miteinander verwandt.
„Werner!“ sagte meine Großmutter.
„Na und!“ verteidigte sich Großvater. „Ein Mann, der zweimal um das Kap der Guten Hoffnung gesegelt ist, kann die Dinge ruhig beim Namen nennen!“
Ich räusperte mich, um wieder auf meine Anwesenheit hin zu weisen.
Großvater schaute mich tatsächlich so an, als hätte er gerade einen Zeitensprung gemacht. „Und dann wusste ich, dass Besuch da ist, weil Toga-Toga ihren Wurfspeer zu Boden gesenkt hatte. Und dann, weil...“
„Die Poritze deiner Negerin war mal wieder völlig mit Moos zugewachsen! Die habe ich heute Morgen grundgereinigt!“
„Und? – Hat dich dabei jemand gesehen?“ fragte Großvater mit ernster Miene und brach in Lachen aus.
„Das war das letzte Mal, dass ich deiner Negerin den Arsch abgewischt habe!“ Großmutter war entrüstet. „Und was ist da in dem Paket, was du mitgebracht hast?“
„Ehe ich es vergesse, als ich von unserem Besuch wusste, habe ich bei Kuhnert einen Kalbsbraten geholt.“ Er wandte sich an mich. „Es muss dir etwas Ernstes passiert sein, wenn du so ohne Anmeldung nach Wolfenbüttel kommst, oder? Macht dir die Damenwelt zu schaffen? Das hübsche Kind von neulich?“
Ich nickte.
Großmutter zog die flüssige Schokolade als kunstvolle Schlieren durch den Pudding. „Ich stelle ihn für eine Stunde in die Abstellkammer, dann können wir ihn stürzen. Was machen wir nur mit dem Kalbsbraten?“
„Braten?“ schlug Großvater vor.
„Aber was sollen wir denn dazu machen?“
„Bei uns im Garten wächst ja nichts außer Tannenbaum und grüner Rasen!“ sagte Großvater, die Frohnatur und lachte schon wieder. „Dann haben wir ja noch Zeit, nach dem Hanomag zu schauen. Heute morgen ist er nicht angesprungen.“
„Und wer schält die Zwiebeln?“ rief Großmutter uns nach, aber das hörten wir nicht mehr, wir waren schon um das Haus herum.
Erst luden wir die Reste vom Marktverkauf in den einzigen Kellerraum, dann rangierten wir den leeren Ackerwagen unter das freistehende Dach.
Daneben stand der Hanomag Diesel Radschlepper R16A. Der Lack ist interessant, je nach Sonnenstand sieht man eine dunkelgrüne oder blaugrüne Farbe. Die Radkappen vorne und die Speichenräder hinten sind allerdings knallrot lackiert. Hier könnte man mal beiarbeiten, denn der Schlamm bröckelte schon aus den Speichen hervor. Die Lampen stehen als zwei Segelohren ab. Nur auf einer Seite ist über dem Kotflügel ein Eisensitz angebracht. Interessant ist auch der Anblick der zwei Schornsteine. Einer als Auspuff, der andere, – keine Ahnung. Ich musste plötzlich an Rom denken. An den uralten Lanz-Adler-Traktor, der auf dem Circus Maximus repariert wurde.
„Zwei Pfund Blech und zwei Pfund Lack – fertig ist der Hanomag!“ Großvater versuchte mich aus meiner traurigen Stimmung zu befreien.
„Das gute alte Ackermoped!“ erwiderte ich und musste zum ersten Mal wieder grinsen. „Was fehlt ihm denn?“
„Er springt nicht an.“
„Orgelt nur und orgelt und dann nichts?“
„Nicht einmal das. Ich kann mir nicht vorstellen, wie von einem Tag zum anderen die Batterie leer ist. Heute war Markt und ich musste mir einen Traktor vom Schulzenhof ausleihen.“
„Über Nacht die Scheinwerfer angelassen?“
„Das wäre mir abends beim Hühnerfüttern aufgefallen. Schlüssel steckt.“ fügte er noch hinzu, als er sah, wie ich auf den Eisensattel kletterte.
Leerlauf war drin. Die Zapfwellen waren nicht angekoppelt. Ich schaltete die Zündung ein. Den Metallhebel rechts außen zog ich etwas heraus. Ganz langsam dimmte die Vorglühspirale auf. Ich zog den Knebelschalter bis zum Anschlag durch. Der Motor rumpelte los, einzylindrig. Mit einem Zischen war er wieder weggestorben.
„Gut, mein Junge!“ rief Großvater. „Mehr als bei mir.“
Nochmal das gleiche Prozedere (schönes Wort aus meinem Karteikasten).
Jetzt schaltete sich auch der zweite Zylinder hinzu. Eine satte Nähmaschine saß mir unterm Hintern.
Ich schob den Handgashebel wieder zurück in die Nullstellung. Der Motor röchelte ins Aus. „Der Anlasser ist also in Ordnung, im Tank ist noch Diesel, Wasser im Kühler kann man ja mal kontrollieren, die Lichtmaschine scheint die Batterie zu laden. Schade, man müsste jetzt Socke zur Hand haben!“
„Socken, kann ich dir besorgen. Wozu?“
„Socke, mein alter Kumpel. Repariert alles. Da ist wohl irgendwo Feuchtigkeit zwischen den Kontakten? Ich kann nur raten. Schauen wir mal!“
Wir fanden einen möglichen Fehler, das Massekabel zwischen Lichtmaschine und Karosserie war etwas angerostet und die Verbindung zu locker. Wir schleiften die Endschlaufe des Kabels blank, ebenso die Schraube, versahen beides mit Polfett, zogen die Schraube gut an und hofften auf Behebung des Fehlers. Dann noch etwas Regenwasser in den Kühler und schon zockelten wir gemütlich in die Felder, Großvater vorweg auf dem Traktor vom Schulzenhof und ich hinter ihm her mit dem Hanomag. Auf dem Rückweg saß ich immer noch am Steuer, während Großvater sich oben auf dem eisernen Seitensitz festklammerte.
 



 
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