Moncada

„Außerdem will ich nicht meine ganze verfluchte Autobiographie oder etwas
Ähnliches schreiben. Ich will nur die verrückten Sachen erzählen, die sich letzte Weihnachten abspielten...“*

las ich in dem einsamen Büchlein, mehr ein Fragment, ohne Einband und Deckblatt, eigentlich mehr eine Sammlung fliegender Blätter, deren Bindung in Auflösung begriffen war, und das ich in dem leeren Zimmer gefunden hatte. Warum hatten es die, die vorher hier wohnten, im Studentenwohnheim zurückgelassen? Warum wollte es keiner mehr haben?

Dabei war es gar keine Weihnachten, sondern September. Ich liebte die Stimmung, die zu der Zeit, nach dem Ende der Semesterferien, über der Stadt lag. Bloß diesmal war es anders. Mir ging es damals so wie der Hauptperson in dem zerfledderten Roman. Auch er gerade von einer Schule geflogen und traut sich nicht nach Hause. Irrt stattdessen in New York rum an Weihnachten.
So ähnlich wie ich muss er sich auch gefühlt haben. Irgendwie vogelfrei. Bloß, dass er siebzehn war und ich einundzwanzig. Er natürlich echter New Yorker, während ich aus einem kleinen Dorf in MeckPom war.

Aber in meinen Träumen kam ich aus New York. Begriffe wie Long Island, Harlem, Qeens weckten schon immer Heimatgefühle in mir, obwohl ich bis heute noch nicht dort gewesen bin. In meiner Fantasie bin ich in der dreiundvierzigsten Straße aufgewachsen und habe im Central Park gespielt.
Überhaupt diese durchnummerierten Straßen. Wenn sie mir in Büchern begegnen, ist das, wie alte Bekannte treffen, obwohl ich noch nie in einer Stadt war, wo die Straßen nach Nummern hießen.
In New York habe ich harte Winter mitgemacht und Sommer, bei denen der Asphalt schmolz. Mein erstes Erlebnis hatte ich in der 96.Straße. Natürlich alles nur auf dem Papier. Meine ganzen Lieblingsschriftsteller waren Amis.

Bei einem Bewerbungstraining in den Zweitausendern entdeckte ich google street view. "Was machen sie denn da?", fragte mich die Dozentin, als sie mir über die Schulter schaute. Wir sollten uns auf dem Arbeitsmarkt umkucken. Stattdessen war ich in den Straßen von New York unterwegs. In dem Moment, als sie mich ansprach, spazierte ich gerade fröhlich über die Brooklyn-Bridge, anstatt nach Sachbearbeiter-Stellen Ausschau zu halten.

Und dann faszinierten mich an dieser Stadt die rostigen Feuertreppen. Solche wie die, auf denen Holly Golightly in das Fenster von ihrem Nachbarn in "Frühstück bei Tiffany" geklettert ist. Und auf denen die Mörder immer ein- und ausgehen. Den Beweis, dass es sie wirklich gibt und nicht nur in Filmen mit Audrey Hepburn, lieferte mir auch google street. Zu unserer Chefin sagte ich: "Ich will mich in New York bei der Mercedes-Dependance als Sekretärin bewerben und suche schon nach einer Wohnung mit Blick auf den Hudson River." Sie lachte.


Eigentlich hatte das Bändchen, dass ich im Wohnheim gefunden hatte, ja ursprünglich einen Einband, wo Moncada draufstand. Ich freute mich über den Fund. Vielleicht übertrug sich etwas von dem Kampfgeist der bärtigen Männern, die Batista stürzen wollten, ja auch auf mich. Den brauchte ich jetzt, denn ich war die, die dieser Stadt am meisten im Arsch war.

Als ich Lehrling war, sah ich es mal bei jemandem von uns die Biografie von Che. „Borgst du`s mir?“, fragte ich. „Na klar“, war die Antwort. Aber nichts kam. Auf meine nochmalige bescheidene Bitte wieder ein, „Natürlich“. Das war es dann. Ich begriff, dass er mir das Buch nicht geben wollte.
So erfuhr ich nichts über die kubanische Revolution. Später hab ich mal ein Bild von Che in Bolivien gesehen, da hatten sie ihn schon ins Jenseits befördert. Kennt bestimmt jeder! Er, der von den Bauern verraten worden war, bestand nur noch aus Haut und Knochen. Noch nie hatte ich einen so schönen Mann gesehen. So muss der Nazarener ausgesehen haben, als sie ihn vom Kreuz genommen haben. War er eigentlich bei der Moncada dabei? Ich glaube, er ist beim zweiten Putschversuch dazugestoßen.


Aber als ich das Buch, welches Moncada hieß, der Autor war Robert Merle, neugierig in die Hand nahm, stellte sich raus, dass es sozusagen entkernt worden war, Anfangs-und Endkapitel waren aber noch vorhanden und nur als Schutzumschlag diente, und sich zwischen den Buchdeckeln ein ganz anderes Werk befand, dessen Einband und Deckblatt jedoch fehlten. Ich wusste zwar nicht, wie es hieß, und wer der Verfasser war, war aber sicher, dass er aus Amerika kam. Amerikanische Autoren las ich am liebsten, da das, was sie schrieben, viel mehr mit meinem Leben zu tun hatte, als die Sachen von einheimischen Schriftstellern. In der Bibliothek griff ich deshalb automatisch nach jedem englischklingenden Namen.

Mir wurde klar, dass es sich um das Buch handeln musste, von dem mir eine Mitschülerin, mit der ich Abi gemacht hatte, mal begeistert vorgeschwärmt hatte, und das ich schon immer mal lesen wollte. Ich konnte es aber nicht bekommen, da es im Buchladen nicht zu haben war und nur von Hand zu Hand weitergegeben wurde.
Leider verschwammen mir die Buchstaben bald vor den Augen. Für einen Kreislaufkollaps war ich noch zu jung. Was war geschehen? Das Problem war: ich hatte überhaupt kein Geld mehr. Nicht mal mehr zehn Pfennig für zwei Brötchen. „Dann geh doch zur Tafel“, dieser gutgemeinte Ratschlag wird heute Hungrigen erteilt.

So was gab bei uns nicht. Wir schreiben die Achtziger und befinden uns in der Hauptstadt der DDR. Und außerdem hatten wir Sozialismus, und da gab es keine Leute, die Hunger hatten. Natürlich ein Quatsch. Wenn es bei uns früher die Tafeln gegeben hätte, würde die Menschenschlange sich drei Mal um dem Block gewickelt haben.
Ein Massenauflauf, über den das Westfernsehen bestimmt auch berichtet hätte. Der Grund dafür: bei uns gab es keine sozialen Absicherungsmechanismen für Leute, die in existentiellen Schwierigkeiten stecken. Immer, wenn ich lese, dass sich angeblich bei uns keiner Gedanken machen musste, da umfassend für alle gesorgt war, rollen sich mir die Zehnägel hoch. Ich frage mich: „In welchem utopischen Land haben Leute, die so etwas behaupten, denn gelebt? Jedenfalls nicht in meinem.“

Dann haben sie sich im Schwarzen Kanal immer darüber lustig gemacht, dass im Westen Menschen vor Suppenküchen stehen. Wenn es sowas bei uns gegeben hätte, hätten sie Polizeischutz gebraucht, weil sie gestürmt worden wären. Die ganzen alleinerziehenden Mütter, die Knackis im Prenzlauer Berg, die armen Rentner und last but not least die Studenten, die mit zweihundert Mark Stip durchkommen mussten, was gerade fürs Essen reichte. Obwohl wir Sozialismus hießen, wurde das Soziale bei uns klein geschrieben.

In Berlin wurde schon immer ganz schön Kohldampf geschoben, da lag ich auf der Linie. Auch zu Kaiser´s Zeiten oder in der Weimarer Republik. Kein Wunder, bei den ganzen Gestrandeten hier aus ganz Deutschland. Dazu, zu dem Thema Berlin und Hunger, habe ich in den Erinnerungen von Leonhard Frank gelesen, dass er erst richtig was zwischen die Kiemen bekam, als seine „Räuberbande“ ein Erfolg wurde. Vorher war bei ihm und seiner Frau Schmalhans Küchenmeister. „Links, wo das Herz ist“ heißt das Buch, dass ich im Bücherschrank meiner Mutter fand. Wie es da wohl reingeraten war. Meine Mutter hatte ich noch nie dabei gesehen, wie sie ein Buch liest.

Im Studentenwohnheim in der Storkower Straße befindet sich eine einsame Studentin in einem Viermannzimmer. Die Anderen aus meiner Seminargruppe sind für ein halbes Jahre im großen Praktikum in Betrieben unweit ihrer Heimatorte. Warum bin ich nicht auch da, sondern in Berlin?

Der erste Grund dafür, dass ich hier war, war, dass ich mein Praktikum sowieso in einem Betrieb am Ostbahnhof machen sollte. Er war in der Holzmarktstraße, die gegenüber der Speicherstadt an der Spree lag, in der damals noch Schiffe entladen wurden.
Der zweite: ich wurde vor kurzem gefeuert. Ich hatte es geahnt. Als dann der Brief mit der Einladung zum Gespräch mit dem Studiendirektor in den Semesterferien in meinem Dorf eintraf, wunderte ich mich nicht. „Sie schmeißen mich bestimmt raus“, dachte ich hellsichtig.

Schuldlos war ich nicht, war ich doch im letzten Jahr ziemlich ins Bummeln gekommen. Ich hoffte, die Prüfungen nachzuholen, denn ich hatte Null Plan. Und ich hatte Recht mit meiner Befürchtung. „Man könnte ja noch ein Auge zudrücken, aber in meiner gesamten Laufbahn hier an der Uni habe ich noch nie erlebt, dass eine Seminargruppe den Antrag gestellt hat, dass ein Student exmatrikuliert wird“, sagte der Leiter der Abteilung Studienangelegenheiten, oder was weiß ich, wie er sich schimpfte, zu mir.

Ich wusste, wem ich das zu verdanken hatte. Unsere FDJ-Sekretärin, eine geborene Denunziantin, hasste mich, seit ich meiner Freundin von ihrem One-Night-Stand mit einem Typen aus unserer Seminargruppe, der in festen Händen war, erzählt hatte. Ich war nachts von ihren Lustschreien aufgewacht. Das war ihr wohl zu Ohren gekommen.
Natürlich hatte er sie hängen lassen, und sie musste so tun, als wenn ihr das nichts ausmacht. In Wahrheit hatte sie sich in ihn, ein gutaussehender, witziger Mann mit großen braunen Augen und schwarzen Locken, verliebt. Ich glaub, irgendwie wollte sie sich für ihren verletzten Stolz an irgend jemand rächen.

"Nimm dich vor ihr in Acht", hatte mich meine Freundin schon gleich am Anfang des ersten Studienjahres gewarnt. Sie war schon an ihrer Penne in Leipzig die FDJ-Vorsitzende von der ganzen Schule gewesen. Diese Leute waren mit Vorsicht zu genießen. Wahrscheinlich hatte sie schon beim Abi Mitschüler denunziert. Nach der Wende wird ihr erst mal für eine Weile die Muffe gegangen sein. Jetzt ist sie bestimmt schon lange wieder oben auf. Diese Leute können sich einschmeicheln.

Sie hatte ein Pamphlet verfasst und den Anderen vorgelesen, worin sie vorschlug, dass ich wegen meiner schlechten Disziplin gefeuert werden soll. Wer dagegen war, sollte die Hand heben. Das tat keiner. Auch die Leute, die ich für meine Freunde hielt, nicht. Ich hielt mich eigentlich für beliebt. So reichte sie, von der sich nach der Wende rausstellte, dass sie bei der Stasi war, die Schmähschrift an die Leitung des Fachbereichs weiter.
Oft benutzten IMs ihre Tätigkeit, um Leute, die sie nicht leiden konnten, anzuschwärzen. Vielen haben sie die Zukunft versaut. Das hatte mit Politik gar nichts zu tun, sondern rein persönliche Gründe. Zum Glück sind wir nach dem Fall der Mauer sowohl die Stasi als auch die FDJ losgeworden. Die Letztere, die Freie Deutsche Jugend, sonst ein Papiertiger, war an der Uni richtig gefährlich.

Sechs Wochen durfte ich noch im Studentenwohnheim wohnen und bekam auch noch dreihundert Mark Stipendium für diese Zeit. Auf dieses Geld hatte ich gebaut. Die fünfzig Mark, mit denen ich angereist war, waren längst aufgebraucht. Also sammelte ich Stempel und Unterschriften auf einer Pappkarte, die man mir in einem Büro im Hauptgebäude Unter den Linden gab und ging hoffnungsvoll und mit knurrendem Magen, da ich dachte ich bekomme mein Stipendium ausgezahlt, wieder zur Humboldtuni. „In vierzehn Tagen können sie wiederkommen“, hörte ich.
Und ich hatte keinen Pfennig mehr, so dass die ganze Sorge um meine Zukunft erst mal der Sorge wich, diese vierzehn Tage zu überleben, denn nach Hause wollte ich auf keinen Fall.


Die aus meinem Studienjahr waren wie gesagt alle beim Praktikum. Außerdem hätten sie mir sowieso nichts gegeben. Das war bei uns nicht üblich. Nur meine Freundin hätte mir geholfen. Die war aber weit weg. In einem anderen Zimmer fand ich eine Tüte Zucker. Damit wollte ich vierzehn Tage überleben.

In meiner Lehrlingszeit, die ich auch in einem Viermannzimmer verbrachte, hatten wir abends im Bett mal über Hungerstreiks geredet. „Wie überleben eigentlich die IRA-Gefangenen?“, fragte ich die Anderen. „Die saufen“, war die lakonische Antwort von Derjenigen, die unter uns die Weltläufigste war. Das lag daran, dass Biggi eine Schwester hatte, die in der Hauptstadt studierte und mal in einer Band gesungen hatte. Außerdem besaß sie noch eine berühmte Tante, die Produzentin beim Rundfunk war und mit den ganzen Bands von uns auf Du und Du war. Man stelle sich mal vor, sogar Renft, die Band, die sie später verboten haben, ist von ihr entdeckt worden.
Biggi war es auch, die mir von dem Buch über den Siebzehnjährigen, der von der Schule geflogen ist, erzählt hatte. „Musst mal lesen“, sagte sie. „Wenn du es irgendwann mal in die Finger bekommst. Ich kann es dir auch nicht besorgen“.

„Was meinst du mit saufen?“, fragte ich Biggi. „Na, die trinken Wasser“, antwortete sie. „Nur mit nichts anderem als Wasser kannst du einen Monat durchkommen.“

Ihre Worte fielen mir jetzt wieder ein. Und Wasser hatte ich ja genug. So hielt ich in ein Glas, halb gefüllt mit Zucker, im Bad unter den Hahn. Es entstand eine Art Sirup. Während ich las, wie der Held des Buches versuchte, sein erstes Erlebnis zu haben, nahm ich öfter mal einen Schluck davon.
Als eine andere Studentin, die im Nebenzimmer wohnte, Blumenkohl kochte, stahl ich heimlich ein paar halbgare Röschen. Ein Labsal für meinen leeren Magen. Von ihr was zu borgen, war keine Option. Wir waren alle brave Mädchen, da konnte sowas nicht vorkommen, dass einer kein Geld hatte. Wir hatten schließlich Sozialismus, und da war alles in Ordnung.

Ne Weile hatte ich sogar mal die Idee, meiner Mutter einfach nichts zu sagen, und so zu tun, als wenn ich immer noch studierte. Das hatte in unserem Dorf mal einer fünf Jahre praktiziert, der aus seinem Schiffbauingenieurstudium in Rostock rausgeflogen war. Er traute sich nicht, das seinem Vater zu beichten. Eigentlich war sein Vater einfacher Buchhalter im Gemeindebüro. Trotzdem war es für ihn eine Schande.

Das Problem war das Dorf. Die Leute redeten. So führte er denn er Scheinstudentenleben in Rostock. Wovon hat er bloß gelebt? Natürlich kam alles raus, und er musste zur Bewährung, wegen asozialer Lebensweise, auf der LPG arbeiten. So sollte es mir nicht gehen. Also schrieb ich meiner Mutter.
Unsere Beziehung war desolat, und die Sache mit dem verpatzten Studium gab ihr noch den Rest. Aber irgendwie tat mir meine Mutter leid. Sie musste sich irgendwas für ihre Kollegen und Nachbarn ausdenken. Nie sind mir die beengten sozialen Verhältnisse, aus denen ich stamme, so bewusst geworden, wie damals im Studentenwohnheim.

Wo war ich stehengeblieben. Ach ja. New York und Zuckerwasser. Ich beschloss, noch ein bisschen in der Stadt umherzufahren.
Vor dem Wohnheim begegnete mir eine aus meinem Studienjahr. Tina. Sie schob ihr Kind im Wägelchen und machte wegen ihrem Sohn das Praktikum in Berlin. Außerdem haben wir beide noch drei Jahre mit zwei anderen in einem Viermannzimmer im Lehrlingswohnheim in einem Dorf in Mecklenburg gewohnt und zusammen Berufsausbildung mit Abi in der Landwirtschaft gemacht. Ich nannte sie bei mir insgeheim immer "Die Verlobte". Nach dem genialen DDR-Film.
Denn seit sie 15 war, war Tina verlobt. Gleich am ersten Tag im Lehrlingswohnheim nahm sie, die an der Hand einen Ring trug, eine große Schachtel mit Anti-Baby-Pillen aus ihrem Koffer, den ihr Verlobter die Treppen hinaufgeschleppt hatte und stellte sie in ihr Regalfach. Jetzt hatte sie die Pille weggelassen, mit dem erwünschten Ergebnis und den Verlobungsring mit dem Ehering vertauscht.

Ich weiß noch, wie ich mal einen Liebesbrief von ihr gelesen habe. Jeden Tag bekam sie einen. Der konnte schon mal vierzig Seiten lang sein. Die Post legte sie immer in ihr Regal, gleich neben die Pillenschachtel. An einem Wochenende war ich allein im Lehrlingswohnheim, weil ich arbeiten musste.
Ich dachte neugierig: „Was schreibt man sich eigentlich so, wenn man sich jeden Tag vierzigseitige Briefe schreibt?“ Kurz entschlossen griff ich zu dem Obersten auf dem Stapel. Ich weiß, dass mich jetzt alle dafür verurteilen werden, dass Briefgeheimnis verletzt zu haben.

Es ging um einen verschwundenen Wurstzipfel, dessen Diebstahl aus dem Kühlschrank ihr Freund seine Schwester und deren Typen bezichtigte. Nachdem ich gelesen hatte, wie er auf drei Seiten Anklagepunkte gegen die Beiden aufführte und Zeugenaussagen zitierte, legte ich die Lektüre beiseite. Er schien jeden Quatsch aufzuschreiben, der ihm im Kopf rumspukte.

So wie sie sollte ich auch sein, wünschte sich meine Mutter. Immer, wenn sie begeistert von Mädchen in meinem Alter redete, und ich spürte, wie sie dachte: "Warum kann meine Tochter nicht genauso sein?", bekam ich Bock sie zu erschlagen.

Ich bin not amused, meine ehemalige Mitschülerin zu treffen. Sie hat schon von meinem Pech gehört. Ich spüre, dass ich ihr leid tue. Peinlich. „Wir werden uns wohl nie wieder sehen“, denke ich. Jemand, der das liest, wundert sich bestimmt, warum ich sie nicht um Hilfe gebeten habe, so gut wie wir uns gekannt haben. Meine Antwort darauf: "Nicht in meinen ärgsten Träumen wäre ich auf diese Idee gekommen.
Wir haben uns immer gut verstanden, aber sie war sehr konservativ. Sie hätte mir nicht geholfen, aber den Anderen aus meiner Lehrlingszeit erzählt, dass ich total im Untergang bin." Das Kapitel, wo Tina mit reingehörte, war für mich abgeschlossen. Sie rief mir etwas nach.

"... aber ich konnte es nicht verstehen. Ich bin ziemlich sicher, daß ... mir «Viel Glück!» nachschrie. Hoffentlich nicht. Hoffentlich täusche ich mich. Ich würde nie jemandem «Viel Glück!» nachschreien. Es klingt fürchterlich, wenn man richtig darüber nachdenkt. *


In der Nähe vom Wohnheim hielt der Dreißiger-Bus. Damit konnte man ohne Geld durch die ganze Stadt tingeln. Der öffentliche Nahverkehr war praktisch kostenlos. Es wurde so gut wie gar nicht kontrolliert.

An der nächsten Haltestelle, auch sie gehörte noch in den Einzugsbereich von unserem Wohnheim - eine riesige Scheibe, die aussah wie ein langgezogener Riegel - stieg jemand zu, den ich vom Sehen kannte. Er studierte Physik. Ich traf ihn öfter auf dem Institutsgelände in der Invalidenstraße, wo seine Fachrichtung, neben der unseren und der Landwirtschaft, ihren Sitz hatte.

Er war mir aufgefallen, weil er seine Haare lang trug, das strahlte Vorurteilslosigkeit aus, und außerdem hatten sie dort, wie in allen technischen Richtungen, einen Männerüberschuss. Bei uns dagegen herrschte Frauenüberschuss. Als ich einmal in der Mensa hinter ihm und seinen Leuten stand, vernahm ich seinen Dialekt. Er war Sachse.
In diesem Landstrich gab es eine starke Bluesszene. Jeder, der zu der Zeit in Dresden oder Freital auf die Penne ging, kam wohl automatisch damit in Berührung.

In Thüringen war das genau so. Eine, mit der ich im Dreimannzimmer zusammenwohnte, sie war aber aus einer anderen Seminargruppe, stammte aus Weimar. Natürlich war auch sie angefixt durch die Hippiebewegung, deren Zentrum ihre Heimatstadt war.
Sie hörte ihre einzige Joan Baez Kassette hoch und runter. Jeden Tag. "Eine tolle Frau". sagte sie. Mir sagte die Musik gar nichts, und der hohe Gesang nervte mich. Davon erzählte ich ihr natürlich nichts. Sie, die total in Ordnung war, versuchte sich auch selber wie ihr Vorbild auf der Gitarre, mit zweifelhaftem Erfolg.

Wenn man im Süden unserer Republik auf die Erweiterte Oberschule ging, musste man sich ja regelrecht, nur um mitreden zu können, lange Haare wachsen lassen. Sie gehörten dort zum guten Ton, mussten also nicht unbedingt auf einen aufrührerischen Geist hinweisen. Wahrscheinlich hätte er auch nicht widersprochen, als unsere FDJ-Sekretärin abstimmen ließ über meinen Rauswurf. Er war von derselben Sorte wie die Anderen aus meiner Seminargruppe.

Er gefiel mir, sah aber immer geflissentlich an mir vorbei.

Heute das ganze Gegenteil. Hier war jemand auf Angriff aus. Irgendwie irrt man sich doch nicht so sehr. Meine Chance schien gekommen. Ständig drehte er unruhig seinen Kopf in meine Richtung. Ich weiß nicht, ob er erste Absichten hatte, oder ob er mich bloß flachlegen wollte. Vielleicht hatte eine gewisse Durchsichtigkeit, die mich umwabberte, mich sexy gemacht. Ich fühlte mich ja richtig schwerelos vor lauter Hunger. Hört sich jetzt ziemlich abgeklärt an, aber mit Anfang Zwanzig ist einem schon einiges an Illusionen verlorengegangen.
Mir war aber auch klar, dass die Sache gegessen war.

Wenn er erfuhr, dass ich gerade gefeuert wurde und obdachlos und arbeitslos war, hätte sich das Thema erledigt für ihn, dafür waren wir alle viel zu bürgerlich erzogen. Den Tiefgang, den ich bei ihm finden wollte, hatte er bestimmt gar nicht. Bei solchen Männern, denken wir Frauen immer, dass wir uns nicht so verbiegen müssen, sondern sein können, wie wir sind.
Vielleicht war ja in Wirklichkeit ich selber so ein Freigeist, wie ich ihn immer in anderen vermutete. Einen der so geartet war, falls sie denn wirklich existierten, brauchte ich jetzt dringend. Hört sich natürlich ganz schön selbstgefällig an.

Und außerdem bemerkte ich, dass er sich seine langen Haare abgeschnitten hatte. Statt seines üblichen Parkas trug er eine merkwürdige Strickjacke. Hatte er mit seiner interessanten Phase abgeschlossen? Schon komisch. Bei mir fing die Opposition gerade an. Er sah enttäuscht aus, als er irgendwann aus dem Bus stieg.
Außerdem hatte meine Libido schwer gelitten durch die schlechte Ernährungslage. Und jedes Kind weiß ja schon, dass sich sowieso keiner in einen verliebt, wenn bei einem die Kacke total am Dampfen ist.

Ein bisschen mit dem Bus in der Stadt rumgetingelt, beim Laufen wurde mir durch den Nahrungsmittelentzug schon etwas blümerant und wieder zurück zu Zuckerwasser und Penn Station, das ist die berühmte Bahnstation in New York, die in dem Buch, das ich im Studentenwohnheim gefunden hatte, vorkam. Mein Gehirn begann langsamer zu funktionieren. So wie es eben bei Hungerstreikenden ist, ungeachtet der Tatsache, dass ich das unfreiwillig tat.

Ein Brief von meiner Mutter traf ein. Ich hatte es geahnt. Von Schande der Familie war die Rede. Dabei bestand unsere Familie doch bloß auf mir und ihr. Mein Großvater interessierte sich nicht für mich und erst Recht nicht für meine Studien. Ihn hätte das noch nicht mal irritiert, wenn ich auf den Strich gegangen wär.
Ich beschloss mit meiner Mutter zu brechen. Ich würde mich einfach nicht mehr melden. Natürlich bekam sie später meine neue Adresse raus, indem sie meiner Freundin schrieb, die wusste, wo ich stecke. Ich war nicht begeistert, als sie auftauchte. Ein bisschen zu oft hatte ich von ihr: "Womit habe ich verdient, dass ich deine Mutter bin?", gehört.

Wenn meine Mutter mich in den Jahren danach in Berlin besuchte, lief das immer so ab. Tür auf und ihre Taschen in meine Wohnung gestellt. Vorwürfe: "Wenn die aus unserem Dorf wüssten, wie du hier so haust. Wo ist übrigens der von letztens. Ist ja kein Wunder, bei so einer Schlampe wie dir bleiben die Männer nicht lange."
Dann folgte der gegenseitige Austausch von Freundlichkeiten, auch meinen Vater betreffend, der sich ja noch nie bei mir blicken gelassen hatte. So geht es ab bei den Alleinerziehenden. Spätestens, wenn der Begriff Nutte fiel, stellte ich ihre Taschen wieder vor die Tür und machte ebendiese vor ihrer Nase zu. Natürlich öffnete ich sie auch bald wieder. Ich war ja meist völlig pleite.

Man muss aber meiner Mutter zugute halten, dass sie sich schon nach kurzer Zeit in Berlin mit meiner Kumpelclique, die ständig bei mir ein- und ausging, arrangierte. Vielleicht ist der Apfel doch nicht so weit vom Stamm gefallen. Einmal, als ich gerade meine Wohnung in der Neuen Bahnhofstraße besetzt hatte, schlief sie sogar mit mir zusammen auf den blanken Dielenbrettern.
Als wir beide noch ständig aneinandergerieten, waren wir eigentlich ganz gut drauf. Das hielt uns frisch. Nachdem sie verstorben war, sagte mein Freund mal zu mir: "Ja, und du bist mitgestorben."

Ich glaub, meine Mutter war irgendwann mal ein begabtes Mädchen, dass in einer engen, extrem kleinbürgerlich geprägten Umgebung aufgewachsen ist. Wenn sie andere Leute getroffen
hätte, wäre vielleicht noch sonst was aus ihr geworden.
Einmal erzählte ich ihr von dem Film "leolo". Mein Lieblingsfilm. Warnung davor: Kann süchtig machen. Noch nie hat mich ein Film so tief - ich wollte gerade erschüttert schreibe, aber das ist Quatsch - schreibe ich stattdessen lieber: überwältigt.
"Von einem Buch erwarte ich, dass es mir über das Leben erzählt, dass ich mir nehmen werde und mich so an die Dringlichkeit zu handeln erinnert." Ist einer der genialen Sätze aus dem Film.
Dort findet ein kleiner Junge ein Buch, dass jemand unter ein Bein eines Tisches gelegt hatte, weil er kippelte. Er fängt an zu lesen. Das ist ist das einzige Buch in der Familie. Zitat aus dem Film "leolo": "Bei uns zu Hause sah ich nie jemand, der las oder schrieb." Meine Mutter, die aus einer Arbeiterfamilie in Malchin stammt, darauf traurig: "Wir hatten auch kein einziges Buch". Sie, die zwar das Gymnasium besuchte, kommt aus einer sogenannten bildungsfernen Familie. Merkwürdigerweise hat sie die Gewohnheiten aus ihrer Herkunft später beibehalten.

Die ganzen Geschehnisse um den geexten Schüler in New York begann ich bald durcheinanderzubringen in meinem aufgeweichten Hirn. Ich war ja wie unter Drogen. Die Gedanken an die Zukunft hatte ich schon völlig aufgegeben. Ich merkte schon nach kurzer Zeit, wie mein Körper abmagerte.

Als ich an dem Morgen, an dem ich Termin an der Kasse der Humboldt-Uni hatte, in den Spiegel sah, stellte ich fest, dass mein Gesicht schneeweiß war. Die drei Hundertmarkscheine, die die Frau an der Kasse mir gab, bedeuteten für mich Leben. Ich kam mir vor wie ein Krösus. So muss sich Rockefeller gefühlt haben, als er seine erste Million gemacht hat.
Nicht weit von der Humboldt, gab es eine Selbstbedienungsgaststätte. Sehr teuer, aber auch sehr gut, und heut wollte ich leben.

Berliner, die vor 89 auf der anderen Seite der Mauer lebten, beklagten sich immer sehr, darüber, dass sie damals bei Besuchen bei uns mit ihrem Ostgeld nichts anzufangen wussten.
In Vorwendezeiten hätte ich da einen guten Tipp für sie parat gehabt. Ich, an ihrer Stelle, wäre mit der DDR Mark, die sie umtauschen mussten, schnurstracks in die Selbstbedienungsgaststätte unten im Palasthotel, das sich gegenüber dem Alex befand, marschiert.

Man aß dort wie Herrgott in Frankreich. Es standen zwar immer ein paar Leute vor der Tür, aber da sich in einer Selbstbedienungsgaststätte keiner lange aufhielt, hatte man bald einen Platz und versank wohlig in den weichen Ledersitzen. Das Ambiente war sehr gepflegt. Alles war schön: die Möbel, das Geschirr, das Besteck. Das Essen, das man sich an einem Büfett selber holte, war nicht billig, aber traumhaft.

Dort wurde auf deutsche Küche gesetzt. Das Angebot war nicht umfangreich, aber hatte es in sich. Der Rinder- und der Schweineschmorbraten schmeckte wie bei meiner Oma, und es gab auch immer ein Eintopfgericht.

Die Schüsseln mit Beilagen musste man sich gesondert auswählen. Am teuersten war die Champignonsoße, aber bei uns waren Champignons ja auch Mangelware.

Über jedes Schüsselchen mit Pellkartoffeln strich ein Mitarbeiter extra noch etwas Öl mit einem Pinsel. Das werde ich nie vergessen. Esskultur auf hohem Niveau. So was sah ich das erste mal. Und endlich mal waren auch andere Säfte im Angebot als immer nur der vermaledeite Apfelsaft. Besonders liebte ich den Ananassaft, den man sonst nirgendwo bekam.
In einem Glasschrank standen herrliche Cremes, leider sehr teuer, die im Osten niemand kannte.

Selbst in finanziell schlechten Zeiten leistete ich mir dort ab und zu mal, wenn meine Lebensgeister der Aufmunterung bedurften, ein Mittagessen.

Als ich kurz nach der Wende einmal am Palasthotel vorbeiging, bemerkte ich erstaunt, dass die Selbstbedienungsgaststätte, die immer proppenvoll gewesen war, nicht mehr existierte. Stattdessen war dort eine Bankfiliale.

Ich haute einen halben Hunderter auf den Kopf. Einfach in die Kaufhalle gehen, ein paar Eier kaufen, einen Beutel Kartoffeln, einen Würfel Sonja, fünf Schrippen und Zwiebelleberwurst, bei uns die billigste Wurst, wo hundert Gramm bloß fünfzig Pfennig kosteten, die Standards für arme Studenten, darauf hatte ich jetzt keinen Bock. Machte ich hinterher aber natürlich trotzdem noch.

Jetzt, wo ich wieder Geld habe, gehe ich ins Museum. Zwar nicht ins Museum of National History, wie Hauptfigur aus dem Buch, sondern in ein anderes. Im „Märkischen“ war ich noch nie. Auf der Leipziger Straße gehe ich über die Brücke und dann eine Treppe runter zur Fischerinsel. Es ist idyllisch, aber meine verfahrene Situation trübt heute meinen Blick auf die Schönheiten der Stadt. Eher steigert das schöne Wetter meine Melancholie noch. Jetzt wäre mir mehr nach einem wolkenverhangenen Tag gewesen.

Im Museum haben sie in der untersten Etage nachgebaut, wie wir Berliner zu Neandertalerzeiten mit einem Fell um die Schultern am Lagerfeuer Fische grillten. Eine Treppe höher sind wir schon in der Gründerzeit. Ich schaue verblüfft das Gemälde an, dass eine jüdische Fabrikantenfamilie zeigt. Fotografie war noch nicht erfunden. Sieht doch das eine junge Mädchen auf dem Bild genauso aus, wie eine mit der ich im Lehrlingswohnheim zusammengewohnt habe. Übrigens, sie war es, die mir den „Fänger“ ans Herz gelegt hat. Könnte es sein, dass auch sie vom Auserwählten Volk abstammte?

Biggi studierte auch in Berlin, wohnte aber nicht im Wohnheim, sondern hatte über ihre Tante eine Wohnung bekommen. Tina, die auch mit mir zusammen in der Lehre auf dem Dorf in MeckPom war, stand vor der Tür von unserer Wohnung im Studentenwohnheim. „Du kommst mit. Keine Widerrede. Ich habe schon einen Kerzenhalter gekauft.“ Es ging darum, dass ich zum Geburtstag von Biggi mitkommen sollte.

Es war Winter, und wir beide, sie in einen riesigen Schal gewickelt, aus dem bloß die Nasenspitze raussah - mir fiel ein, wie sie in unserer Lehrlingszeit jahrelang an ihm strickte. Ein Monster. Der wurde und wurde nicht fertig. Blau, mit weißen Streifen. In jeder freien Minute nahm sie ihr Strickzeug raus. Nie sah ich sie Buch lesen, außer der Pflichtlektüre. Endlich, im dritten Jahr war ihr Werk vollendet - stiefelten von der S-Bahn Prenzlauer Allee bis zum Wasserturm. Das ungewöhnlichste Domizil in der ganzen Stadt. Dort wohnte Biggi. Zu ebener Erde. Sie hatte sogar eine eigene Eingangstür. Ich bestaunte ihre Toilette.
Ein schlauchartiger Raum, am Ende ein Podest mit Stufen auf dem ein hölzernes Klo stand. Wahrscheinlich noch von vor dem Krieg.

Außer mir und Tina, waren noch zwei Kommilitonen von Biggi da und außerdem einer aus unserer ehemaligen Berufsschule, der Theologie studierte. Er war schon während unser gemeinsamen Lehre ein guter Freund von Biggi gewesen. Bei dem einen Studienkollegen von Biggi ergriff mich ein komisches Gefühl. Er war mir sofort unsympathisch.
Ausgerechnet er schob seinen Stuhl neben meinen und begann auf mich einzureden, wobei er immer näher rückte. Ich reagierte abweisend, was ihn aber nicht störte. Er goss mein Weinglas immer sofort wieder voll, wenn es leer wurde. Langsam, auch durch den ungewohnten Alkohol, begann es mir hier zu gefallen. So nah waren Tina, Biggi, ich und der andere aus unser Lehre, der Pastor werden wollte, uns noch nie gewesen.

Das lag daran, dass wir vier füreinander ein Stück Heimat darstellten in der großen Stadt. Eine Vertrautheit verband uns, und eine Freundschaft deutete sich an.

Um uns herum die quirlige, nicht zu fassen zu kriegende Großstadt.

Vorher, in dem Dorf bei Stralsund, wo wir unsere Lehre machten, waren wir bloß Mitschüler gewesen, die es zufällig an die selbe Bildungsstätte verschlagen hat. Wir verabredeten gleich die nächst Fete.

Ich fragte Biggi nach ihrem Freund und wunderte mich, dass sie eigenartig ausweichend antwortete. Sie alberte mit dem zukünftigen Theologen rum.

Das Radio spielte Zappa. Mein Nachbar hielt mir gleich einen Vortrag über ihn. Von Musik schien er Ahnung zu haben. Solche Leute bewunderte ich immer, da ich selber trotz großen Interesses überhaupt keinen Zugang dazu hatte. Bei uns gab es die Alben mit der Musik, nach der sich mein Begehr richtete, nicht im Laden zu kaufen. Die einzige Möglichkeit da ranzukommen war, da man dazu, so wie er, zu den Kreisen der Bluesszene gehören musste, wo die raren Platten zirkulierten, die aus dem Westen eingeschmuggelt worden waren. Von den Leuten kannte ich aber niemand.

Die Gastgeberin sah immer wieder eigenartig unruhig zu uns beiden rüber. Was war nur mit Biggi los? Das sollte sich bald aufklären. Die Zigaretten waren alle, und die anderen gingen los, um neue zu besorgen. Nur der Musikexperte und ich blieben da.

Sowas, was jetzt passierte, passiert immer ausgerechnet in dem Moment, in dem man glaubt, dass alles in Ordnung ist.

Es war schon nach Mitternacht. Er hatte schon einiges an Alkohol intus. Mit einmal sah er mich an, küßte mich, klemmte meine Hände zwischen seine Knie, und was dann kam, checkte ich in meinem betrunkenen Kopf erst später. „Ich bin ein gemeiner Schweinehund. Ich bin mit Biggi zusammen“, sagte er zu mir. Mir war unerklärlich, warum er sich als Schweinehund bezeichnete. Inzwischen waren die Anderen zurück.

Verblüfft sah ich, dass er mit Biggi zusammen eng umschlungen auf ein Lager fiel. Die Stimmung war plötzlich gekippt. Eben noch waren wir alle ein Herz und eine Seele gewesen.
So betrunken ich auch war, war mich doch klar, dass ich hier völlig überflüssig war. Mit unsicheren Schritten ging ich zur S-Bahn Prenzlauer Allee. Die Anderen übernachteten im Wasserturm. Erst viel später wurde mir klar, dass man das, dem ich aufgesessen war, einen Fake nennt. "Wer liebt, liebt keinen Anderen", hatte ich mal bei Proust gelesen.

Er hatte mich benutzt, um seine Freundin, meine ehemalige Mitschülerin Biggi, eifersüchtig zu machen. Die beiden waren seit kurzem ein Paar. Ich sollte jetzt angeblich die sein, die den Liebenden im Weg steht. Noch nie hatte ich jemanden kennengelernt, der so gemein war. Ich traf die Beiden noch oft zusammen. Besonders dem Freund von Biggi war das sichtlich peinlich. Das war ja fast so, als wenn wir mal was zusammen gehabt hätten. Wir grüßten uns förmlich. Nostalgische Gefühle, die Lehrlingszeit betreffend, hielten sich seitdem bei mir in Grenzen. Ich war nie wieder bei Biggi.


Sie um Hilfe zu bitten in meiner Misere, bei ihr im Wasserturm an die Tür klopfen, wäre also auch keine Option gewesen.


Zwei Jahre nach meinem Rauswurf aus der Uni, ich wohnte in der Käthe-Niederkirchner im Bötzowviertel, war ich wieder in der Gegend von dem Museum, Fischerinsel genannt, diesmal in der Alten Münze. Abends, in unserer Blueskneipe, hatte mich ein Kumpel überredet noch zu ihm mitzukommen. Er war ein intelligenter, netter Kerl, der eine lange Heim-und Knastkarriere hinter sich hatte.
Ein Kumpel aus seinem Kinderheim war bei ihm, zusammen mit seiner Freundin, ein Mädel, der man ihre Erlebnisse mit übergriffigen Stiefvätern und in den Jugendwerkhöfe ansah.
Sie blickte mich misstrauisch an, so, als wollte sie sagen: „Was machst du eigentlich hier?“ Das nahm ich ihr nicht übel. Ahnte ich doch, dass ich da nicht reinpasste. Mein Kumpel, ein uriger Kundentyp, sah das nicht so. Er verstand mich. Aber was die drei verband, da konnte ich nicht mitreden. Ich war nie im Heim oder im Werkhof, hatte keinen Vater, der Alkoholiker war.

Ich übernachtete bei meinem Kumpel. Es gab nicht allzu viele wie ihn unter uns, die Frauen als gleichberechtigte Kumpels und nicht als Sexobjekt sahen. Auf der einen Seite des Ehebettes, er war geschieden, schliefen er und ich und auf der anderen seine beiden Freunde. Morgens fuhren wir vier mit der S-Bahn zur Alten Münze. Sie wollten einen goldenen Ring verkaufen. Ich wartete auf einer Bank vor dem Gebäude.

Als sie wiederkamen, liefen wir vier unter den Brücken durch und eine riesengroße Treppe hoch. Wir gingen zum Frühstück in eine geniale Kneipe, wo es trotz der frühen Stunde schon proppendicke voll war. Berlin pur. Dort saßen an einem Tisch hundert Jahre Knast. So was gibt es heute gar nicht mehr. Hier sollte das Bier besonders billig sein. Ich ließ mir noch eine Bockwurst und ein paar Biere spendieren. Denn ich war mal wieder pleite.

Dann wurde mir klar, dass ich gehen musste. Die drei verstanden sich. Da war ich ein Störfaktor. Ich verabschiedete mich von dem Trio und bedankte mich für die Einladung. Das wenige, was sie besaßen, hatten sie noch mit mir geteilt.
Das Mädel war froh, dass ich ging. Dieser regnerische Tag und der lange Spaziergang unter den Brücken, das geniale Gefühl, wie es ist auf nüchternen Magen ein Bier zu trinken, ist mir im Gedächtnis geblieben. Mein Kumpel hat sich leider kurz nach der Wende das Leben genommen. Ihm fehlte das weiche Kumpelpolster, das wegfiel, als sich nach Mauerfall unsere Szene aufzulösen begann. Die schwarze Pädagogik im Arbeiter-und Bauernstaat hatte ihm nichts anhaben können, aber die Wende hatte er nicht verkraftet.

Es tat mir besonders leid für seine Tochter. Ich konnte seine Tat nicht verstehen, besonders da ich wusste, wie sehr er an ihr hing.


Nach dem kurzen Schwenk in die Zukunft wieder zu der geschassten Studentin. Beim Märkischen Museum gab es einen kleinen Bärenzwinger in dem Park davor. Die beiden braunen Burschen hatten wirklich wenig Platz. Eigentlich hätte ich ja jetzt so wie der Ich-Erzähler aus dem Buch das ich gefunden hatte, mit der Frage: «Kennen Sie die Enten in dem See beim Central Park South?» … «In dem kleinen See? Wissen Sie zufällig, wo die
Enten hinkommen, wenn der See zugefroren ist?»*
meinerseits die Taxifahrer mit der Frage nerven müssen: „Wissen Sie zufällig, wo die Bären hinkommen, wenn Frost ist?“ Aber ich fuhr erstens gar nicht mit dem Taxi sondern in der S-Bahn.
Und zweitens hatten die beiden Gesellen so einen dicken Pelz, dass man sich um sie keine Sorgen machen musste. Die waren aus Alaska anderes gewohnt.
Das Problem war bloß, wo sollte ich hin. Von der Heimleiterin im Studentenwohnheim ließ ich mir ein Telefonbuch geben. Eine Kaderleiterin vom Backwarenkombinat in Marzahn sagte mir: "Kommen sie morgen vorbei".

Vorher hatte ich es noch woanders probiert. „Gehen sie zu ihrem Praktikumsbetrieb in die Holzmarktstraße, und fragen sie, ob sie da anfangen können“, hatte mir die Frau von der Abteilung Studienangelegenheiten geraten. Das machte ich jetzt auch. Zuerst traf ich einen freundlichen Betriebsleiter in seinem Büro an. Er, der dieselbe Fachrichtung wie ich studiert hatte, zeigt Verständnis. „Vielleicht können wir sie in einem Monteurzimmer unterbringen?“, sagte er, ein junger Mann Anfang Dreißig, zu mir.
Ein Hoffnungsschimmer. Aber nicht für lange.

Denn dann kam seine Sekretärin ins Zimmer rein. Als ich sie erblickte, fühlte ich meine Felle wegschwimmen.
Ein knochige Frau in der Vierzigern. Ein gefährliches Alter. Ich spürte sofort, dass sie mich hasste. Man muss dazu sagen, dass ich damals mit Anfang Zwanzig in punkto Aussehen nicht klagen konnte.

Die Männer auf der Straße bekamen immer einen bestimmten Blick in den Augen, wenn sie mich ansahen. Heute nicht mehr so. Aber damals. Ich spürte sofort, dass die Sekretärin, die älter war als er, Macht über ihren Chef hatte.

Er schien mir ein schwacher Mann zu sein. Hier hatte sie das Sagen. Und sie wollte verhindern, dass ich eingestellt wurde. Was ihr auch gelang. Was war eigentlich der Grund dafür? Meine Freundin, die später nach dem Studium in diesem Betrieb anfing zu arbeiten, erzählt mir, dass die Sekretärin einen Freund hatte, der fünfundzwanzig Jahre jünger war als sie. „Sie hasst jede junge Frau.“ Schon merkwürdig, dass das Sexuelle in alle Bereiche des Lebens mit reinspielt. Alles schien sich gegen mich zu kehren. Sogar mein Aussehen und meine Jugend schadeten mir. Komisch.

Sie sagte: „Ich habe ihre beiden Kommilitonen, die hier auch Praktikum machen, nach ihnen gefragt“. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich gerade exmatrikuliert worden war.
Es stellte sich raus, dass die Beiden aus meiner Seminargruppe in meiner Abwesenheit über mich hergezogen waren. Ich war enttäuscht von ihnen, die beide, weil sie drei Jahre Armee gemacht hatten, schon Mitte Zwanzig waren. Der Ältere sogar schon 27. Sein Äußeres täuschte. Er sah nach Anarchie aus, trug eine Latzhose aus Kord und eine Thälmannjacke. Die Haare raspelkurz geschoren.

Aber in jedem Marxismus-Leninismus-Seminar riss er das Wort an sich und schimpfte über den Westen und über den Kapitalismus. Bei der Armee war er Politoffizier gewesen. Einmal war ich bei ihm zu Hause im Prenzlauer Berg, weil wir eine Gruppenarbeit zusammen erledigen mussten. Ich staunte, als ich sein Zimmer sah. Er hatte nämlich lauter Photos an der Wand, auf denen nur er selber zu sehen war.
Er wechselte in meiner Gegenwart das T-shirt und warf einen Seitenblick auf mich, um sich zu vergewissern, dass ich seines durchtrainierten Oberkörpers ansichtig wurde. Er war Kraftsportler und außerdem noch Marathonläufer.

Ich traf ihn in den Neunzigern mal im Prenzlauer Berg wieder, in der Nähe der Wohnung seiner Eltern. Er, mit dem ich mich immer gut verstanden hatte während des Studiums, freute sich und dachte ernsthaft, dass ich stehenbleibe und mit ihm über alte Zeiten rede. Stattdessen ging ich schnellen Schrittes und ohne Gruß an ihm vorbei. Ich wunderte mich, dass er so naiv war, dass er dachte, dass ich ihm nichts übel nehme. Er hatte mich sogar zwei Mal verraten. Die passendere Bezeichnung dafür wäre: in den Arsch getreten.

Das erste Mal, als nicht gegen meinen Rauswurf stimmte und danach, als er die Leute vom Praktikumsbetrieb gegen mich aufhetzte, womit er mir nicht unerheblich schadete. Er bildete sich wohl ein, dass ich nicht nachtragend war. Da irrte er sich.

Man muss sich die Leute aus unserer Seminargruppe an der Humboldt in den Achtzigern jetzt nicht vorstellen wie linke TU-Studenten in Westberlin zu Rudi Dutschkes Zeiten. Da lagen Welten dazwischen. Bei uns durften nur die Abi machen, die nicht auffielen und mit dem Strom schwammen. Ich machte da keine Ausnahme.

Die Beiden waren aber keine Jugendlichen mehr. Ihnen hätte klar sein müssen, was sie anrichteten, wenn sie mir so in den Rücken fielen. Bei dem Jüngeren hatte ich immer das Gefühl, dass er in mich verliebt war. Das sah ich an seinen Blicken. Aber er merkte wohl, dass ich nichts von ihm will. Wollte er sich an mir rächen?

Alle schienen sich gegen mich verschworen zu haben. Ich war zwar im dritten Studienjahr ein bisschen ins Bummeln geraten, aber ich hatte keinen umgebracht.

Das vorher so freundliche Gesicht des Betriebsleiters verfinsterte sich. Mir war klar, dass er machte, was seine Sekretärin, die älter war als er, sagte. Und sie wollte nicht, dass ich hier anfing. „Es ist gut, dass sie mir das erzählen. Das ändert die Sachlage völlig“, sagte er zu seiner Sekretärin. Und zu mir: „Es tut mir leid, aber wir können sie nicht einstellen. Auf Wiedersehen.“ Er hat sich bestimmt richtig gut gefühlt hinterher. Einem Feind der Arbeiterklasse war das Handwerk gelegt worden.

Anfang der Neunziger, die Mauer war schon gefallen, war ich mal auf einem Punkkonzert in der Holzmarktstraße. Ich suchte die Hausnummer und war verblüfft. Es fand ausgerechnet im Keller des Gebäudes statt, das vorher den kleinen Betrieb beherbergte. Der war, wie mir meine Freundin erzählte, die dort nach dem Studium angefangen hatte, sofort nach der Wende abgewickelt worden.


Ein paar Wochen später zog ich mit zwei Tüten aus dem Studentenwohnheim aus und in ein Arbeiterwohnheim im Prenzlauer Berg ein. Es gehörte dem Backwarenkombinat. Das hatte ich mir aus dem Telefonbuch rausgesucht. Auf in die Produktion.
Auch die dreihundert Mark vom Stipendium waren bald wieder futschikatus. Aber ein Mädel, das dort arbeitete, borgte mir einen Fuffi. Ungefragt bot sie es mir an. Dort habe ich dann nicht ganz zwei Jahre gearbeitet. Wenigstens konnte ich in Berlin bleiben. Auf Schleichwegen kam ich zu einer Wohnung.
Ich gewöhnte es mir aber vielleicht ein bisschen sehr an, von der Hand in den Mund zu leben. Mein „süßes Abenteuer“ hat mich zwar nicht umgebracht aber kräftig demoralisiert. Ein Gefühl von Vogelfreiheit hatte sich wohl zu tief in mir eingegraben.

Und wie das mit der Moncada ausgegangen ist, wissen wir ja alle. Erst mal sind Fidel und die Anderen in den Knast gekommen und hinterher mit der „Granma“ angelandet. Der Rest ist Geschichte.


Der Mann, der vor dem Geschäft sitzt, schaut mir vorwurfsvoll hinterher und murmelt etwas von Hunger. Schuldbewusst kehre ich um, und werfe das Ein-Euro-Stück, das ich eigentlich für den Wagen brauche, in seinen Hut. Gute Taten werden belohnt. Bei Lidl finde ich einen einzelnen Wagen, abseits der anderen, die zusammengekettet und ineinandergeschoben in einer Reihe dastehen.


Und das ich die Idee von dem Roman mit dem fehlenden Einband von Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W" habe, gebe ich ehrlich zu.

*J.D.Salinger Der Fänger im Roggen
 
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marcm200

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Eine sehr trübe, melancholische Geschichte, stellenweise aber im Kontrast recht flapsig geschrieben. Innere Aufgabe der Protagonistin? Ein Lebensabschnitt aus der Vergangenheit? Eine fiktive Geschichte, die noch weitergeht? Gab es ein Happy-End im Leben der Protagonistin?


Stilistisch:

- "Sie, natürlich ich - nervt mich irgendwie, in der dritten Person zu schreiben - freute sich"
Ich finde den "-"-Einschub ohne Subjekt unschön. Ich würde "es" ergänzen. Außerdem, da es davor einen ","-Einschub gibt ("natürlich ich"), müsstest du m.E. nach dem schließenden "-" ebenfalls ein Komma setzen, um den gesamten Einschub abzuschließen.

- Zeitenwechselsprünge gefallen mir persönlich nicht.
"bei uns GAB es keine sozialen Absicherungsmechanismen für Leute, die in existentiellen Schwierigkeiten STECKEN."
"So was GAB bei uns nicht. Wir SCHREIBEN die Achtziger und befinden"
und danach geht es in der Vergangenheitsform weiter. War das Absicht?

- "Ne Weile hatte ich sogar mal die Idee,"
Wenn es wirklich so flapsig gewollt ist, würde ich "'ne" schreiben, um anzudeuten, dass es eine Verkürzung ist.


Schreibfehler: Ich würde empfehlen, die Geschichte nochmal per
Rechtschreibkorrektur zu überprüfen. Hier ein paar, die mir aufgefallen sind:
- "der bärtigen Männer N"
- "So was gab ES bei uns nicht."
- "noch ein E Tante, die Produzentin"
- "und da war alles in Ord N ung."

- "Männerüberschu ß" - schreibst du gemäß den Rechtschreibregeln
der 1980er, passend zur beschriebenen Zeit im Text?
 
Hallo marcm200,
bitte nicht als Rührstory lesen. Das soll keine melancholische Geschichte sein. Ganz im Gegenteil. Der Ich-Erzählerin wird klar, dass sie nur auf sich selber bauen kann. Sie hungert sich durch bis zum Termin, auch so eine Art Selbsterfahrungstrip, das sie vor lauter Hunger irgendwie abhebt, geht dabei körperlich an ihre Grenzen und besorgt sich einen Job, wo sie im Arbeiterwohnheim bleiben kann. Mit ihrem Heimatdorf hat sie abgeschlossen. Sie wird endgültig Berlinerin.

Was heißt, flapsig geschrieben? Nur die Einstellung: "Fickt mich", hilft ihr doch durchzukommen. Sozusagen eine Flucht nach vorn.
Gibt es noch ein Happy-End? Wir sind hier nicht bei Hedwig-Courths Mahler. Vielleicht schreibe ich darüber noch eine Trilogie? Vielleicht kriegen sie und der Student sich ja doch noch?

Im Prinzip geht es um eine sehr junge Frau, die total in Schwierigkeiten steckt und völlig auf sich allein angewiesen ist und sich irgendwie durchbeißen muss. Die Erstürmer der Moncada, an denen sie sich festhält, waren ja auch nicht auf Rosen gebettet. Das kommt nun mal vor. Öfter, als man denkt. Die Rettung aus dem Übel durch einen Mann, den Physikstudenten, ist auch keine Lösung. Ich habe mal mit vierzehn den Roman "Eine Frau allein" gelesen. Da wurde mir schon irgendwie klar, dass ich mich allein durchbeißen muss.
Gruß Friedrichshainerin
 

E.L. Tankred

Mitglied
Das ist mein Lieblingssatz in der ganzen Geschichte:

Obwohl wir Sozialismus hießen, wurde das Soziale bei uns klein geschrieben.
Vielleicht, weil er in mir die Hoffnung weckt, dass er die Sozialismusromantiker aus dem Westen zum Nachdenken bringt.

Ansonsten hatte ich beim Lesen dieser Geschichte den Eindruck, dass sie im Zusammenhang mit einer anderen Geschichte von Dir steht. Habe leider den Namen vergessen. Autobiografisch? Oder erdacht? Egal. Auch Moncada fängt den Osten gut ein.
 
Hallo E.L. Tankred,
natürlich war der Osten meine Jugend. Wenn ich aber höre, dass für die Einwohner dort umfänglich gesorgt worden war, und sich keiner ´nen Kopp machen musste, wundere ich mich, wie solche Einschätzungen zu Stande gekommen sind. Soziales Elend wurde einfach verdrängt. Stattdessen hörten wir immer, wie gut wir es haben, und dass im Westen alle vor der Suppenküche anstehen müssen. Besonders im Prenzlauer Berg, wo ich lange zu Ostzeiten gewohnt habe, gab es schon viel Armut. Dort wohnten die sozial Schwächsten. Und ausgerechnet der Prenzelberg ist Nobelviertel für betuchte Wessis. Die Leute, die damals dort gewohnt haben, könnten sich die Mieten dort gar nicht mehr leisten. Oder sich vielleicht noch eine Eigentumswohnung kaufen.
Gruß aus Friedrichshain
 

E.L. Tankred

Mitglied
Hey Friedrichshainerin,

Wenn ich aber höre, dass für die Einwohner dort umfänglich gesorgt worden war, und sich keiner ´nen Kopp machen musste, wundere ich mich, wie solche Einschätzungen zu Stande gekommen sind.
Ich habe ein paar Bekannte, die mir unwissentlich den Eindruck vermitteln, dass der Osten reines Zuckerschlecken gewesen wäre. Da ich auch in der DDR aufgewachsen bin, weiß ich auch um seine Schattenseiten. Romantisieren kann ich sie nicht. Deine Geschichte(n) fängt das gut ein.

LG
E.L. Tankred
 



 
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