Phil Trepal
Mitglied
Von weit her taucht der Sundowner den Bug des Cruiseships auf der aufgewühlten See in außergewöhnliches Orange, hebt den Schriftzug des Giganten hervor, lässt längsseits das Metall glänzen. Es wäre so sinnvoll, darauf zu achten und der freien Zeit ihren Lauf zu lassen, aber ich habe nur Augen für das abgegriffene Metall an der Reling, an das ich mich festklammere und für die abweisende, schwarze Silhouette, die vor der Abendsonne steht und die orange Scheibe in der Mitte teilt.
Es ist, als würde sich die Gischt unter die alte Lackfarbe stemmen, um sie dann auszuhebeln und sie endgültig vom Ganzen abzusprengen. So, dass keiner mehr die Farbpartikel zusammenführen kann.
So ist die Situation.
Genau so ist der dritte Tag an Bord, so ohne jede Kontrolle. Und genauso ist sie. Hier in diesen Sekunden. Ihr Schatten mit einem Mal mir entgegengerichtet.
Gestern noch eine so innige Berührung. Ich hatte mich ganz hingegeben. So nah hatte sie sich angeschmiegt - mehr als je zuvor. Heute platzt es ab, es springt einfach weg. Und ich hatte so sehr gehofft, dass sie es nie erfährt…
Sie lässt mich los.
Sie steht da, nachtschwarz das Haar im Ostwind in Strähnen um ihr mondähnliches Gesicht. Ich habe zu oft versucht, es in Gedanken anzupassen, weil es mir manchmal zu rund und voll erschien. Und die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Polster im Profil zur Schau stellt, ist mir hier und da aufgestoßen. Es war nur ein kleines bisschen zu viel des Guten. Nur ein 10 Prozent.
Aber es war sie.
Und dann habe ich begonnen, ihre Eigentümlichkeiten zu schätzen und ihre Besonderheiten ganz für mich einzunehmen. Ihre neugierigen Augen immer abzufangen, denn sie haben mir so manchen Tag gerettet. So oft bin ich bei ihr auf Neues gestoßen und habe jedes Upgrade losgelassen.
Ich habe begonnen, sie auf ganz eigentümliche, tiefe Weise zu lieben. Wie niemanden zuvor. Denn sie trägt ein spezielles, lunares Leuchten um ihr Gesicht. Proportionen - fast ägyptisch - die wie mit je einer Birnenhälfte die Wangen markant hervorheben und die Nase so winzig erscheinen lassen.
Und sie hat ein kühles Gemüt, das zur Nacht passt und fast ihre Essenz bildet.
Genau so kann ich es ausdrücken - es sind Enigmen um sie herum – so kann ich es spezifizieren. Dann, wenn mich jemand spontan nach ihr fragen würde. Wenn ich es herunterbrechen müsste auf einen Satz. Es ist für mich nicht übertrieben. Gar nicht! Es ist Schwärmerei. Und ich tue es leidenschaftlich. Und es gab Zeiten, da lehnte sich dieses Nachtgeschöpf an mich und hat mir vertraut.
Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es ganz sicher nicht. Es ist nur das Salz, das sich unter meinen Lidern konzentriert.
Ich spüre die raue Beschaffenheit der Reling. Ich brauche einen Fixpunkt, um mich von ihrer adversen Aura zu lösen, die sie mir regelrecht um die Ohren peitscht. Die sie aufgerichtet hat, indem sie nichts mehr sagt, mich messerscharf ignoriert. Mit einem Mal bildet sie ein abweisendes Gerüst um sie herum und es ist kalt und es lässt mich nicht hindurch.
Ich muss etwas fühlen, in der Hand haben - egal was. Um mich zu stützen, denn jetzt ist sie so fremd und verändert – innerhalb von Sekunden – dass ich sie verloren habe.
Denn ich weiß: wenn sie eine Entscheidung trifft - in sich - ist das in jedem Fall eine absolute Pattsituation. Und nichts geht mehr. Dann steht es in den Sternen und die erreiche ich nicht. Aber es ist in den Sternen - ganz nah bei ihr. Es rinnt mir durch die Finger.
Nein, ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es ganz sicher nicht. Es ist nur ein Sandkorn, das ich mir an der Küste eingefangen habe. Oder auch zwei oder drei.
„Was hast du getan!“ So hallt es in meinem Kopf und ich weiß nicht, ob ich es tatsächlich akustisch gehört habe oder ob es der Gewissenkonflikt in mir ist, der mich ganz einnimmt. Ob sie es jetzt gesagt hat oder früher oder gar nicht. Ich kriege es nicht heraus.
Ihr Blick konzentriert sich in der Weite, bewusst abgewandt von mir. Aber sie kontrastiert ihre Hüften, setzt sich in Pose um mich zu reizen. Die Birnenhälften jetzt vom Schatten einer letzten Wolke hervorgehoben - ich liebe sie und es wird Abend. Purpur vermischt mit Reue in mir.
Ja, ich habe sie betrogen, und ja, sie wusste es. Und jetzt manifestiert sich ihre Retaliation. Strategisch schlägt sie zu.
Und Ich antworte ihr nicht, ich kann es nicht. Ich habe ihr Vertrauen seziert, mir das Beste herausgenommen und dann mit klammen, feucht-ranzigen Fetzen wieder eingefügt. So würde ich es ausdrücken, wenn ich es beichten müsste. Aber ich bin zu stolz. Deshalb presse ich meinen Fuß gegen die Abgrenzung. Ich bohre meine Zehen hinein in die Schuhsohle damit etwas wehtut, damit es sich entzündet. Ja, damit es die Entzündung im Blut transportiert und dann zielstrebig mein Herz in allen Kranzgefäßen trifft. Denn so sehr will ich sie halten. Das ist meine Einsicht. Es wäre heftig, was ich für sie tun würde, um sie bei mir zu haben.
Ich will nicht, dass sie denkt, dass sich eine Sorgenfalte niederschlägt. Es passiert ganz sicher nicht. Es ist nur ein Lackpartikel, den ich mir von der Reling ins Auge gerieben habe. Deshalb kräusle ich die Stirn und es tränt.
Sie trägt ein Tuch mit Pailletten um den Hals, gewebt mit Ausläufern, die sich entlang ihrer Hüfte raffen - konkurrierend mit dem Sundowner, löst ihn ab für ein paar Sekunden - um dann doch vorher noch von links her einen letzten, flinken Schatten zu schenken, damit ich ihren Umriss speichern kann, während ich die vertrauten Birnenhälften im Blick habe und in Gedanken nachzeichne und darüber streiche. Weil ich weiß, sie wird gehen.
Und plötzlich, tut mir weh, dass ich sie überhaupt jemals upgraden wollte. Dass ich gekittet, gestrafft und improvisiert hätte. Dass ich materiell so einiges rausgeschnitten hätte - vom Jochbein her - um reduzierte Ebenheit zu schaffen um nachts über eine flachere Linie zu streichen.
Ich schäme mich und ich habe keinen Zugang mehr zu ihr, so schnell hat der Perspektivwechsel gegriffen. Ich bin ein Mann, der oberflächlich ist, aber der sich dessen gewahr wird. Es war eine Entscheidung von ihr.
Nein, Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es auch nicht. Ganz sicher! Es sind nur die Tabakbrösel, die mir im Wind in die Augen getrieben wurden. Beidseitig mit einer heftigen Bö. Und liegt noch auf meiner Zunge bis es im Rachen hängenbleibt, bitter auf den Schleimhäuten.
Sie hält den Anhänger an der silbernen Kette über die Reling, mit zwei Fingern lässt sie sie hin und her schaukeln und schaut mich entwaffnend an. Solange habe ich daran gearbeitet mit ausdauernder Energie und ich hatte es ihr nie gesagt. Nichts in meinem Leben war so nervenstrapazierend, wie tausend Ösen zu verknüpfen und miteinander zu verschmelzen. Die Lötpistole und die Stichflamme haben nicht nur einmal meine Finger versengt.
Jetzt hängt mein Werk über dem Abgrund.
Sie nimmt sich Zeit. Ich kenne jedes einzelne Element des Colliers. Habe es in den Fingern gedreht. So wichtig ist es mir. Es ist nicht akustisch wahrnehmbar, kein 100stel Dezibel erzeugt das Klirren und die stimmgabelähnliche Vibration vom Metall. Aber ich spüre es mit jeder Faser und allem Saft, der überkocht im Eifer, wenn ich ihre Mondhaftigkeit genauer ansehe und in ihre Richtung strebe. Dann die Windungen meines Verstandes, die mir sagen, es ist besser, sie nicht anzurühren. Mich nicht zu verbrennen. Zu viel meiner Seele darin.
Sie wählt ein retardierendes Moment.
Sie fordert mich heraus. Fixiert mich. Jetzt nur noch ein Zentimeter am ausgestreckten Finger. Sie lässt die Kette immer weiter abrutschen, bis sie ihre glänzenden Nägel erreicht. Ihr Blick hält mich fest und er ist kriegerisch. Sie geht damit um als wäre er ein Ding des Alltags. Jede Sekunde ist Strategie. Der Moment soll betäuben um mich danach umso heftiger treffen - pointiert im Faserkern zu stechen und einen Widerhaken in die Membran zu verankern, damit ich es auch wirklich spüre. Denn dann schenkt sie ein so passioniertes, freundliches Lächeln - 3 Sekunden - dass in mir Hoffnung aufflammt um dann in absolutes Eis überzugehen. Das ist, was sie tut. Mit Kalkül. Und es kommt aus der Nacht, es kommt aus der Kühle in ihr - die ich liebe und die mir entrinnt.
Das ist Retaliation.
Und sie greift. Ja, es tut mir weh aber ich sage es ihr nicht. Ich will nicht, dass sie denkt, ich würde auch nur eine Träne vergießen. Ich tue es auch nicht. Nein, Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich bin stolz. Ganz sicher. Es ist nur die Reflektion eines Metallhuts oben beim Sonnendeck, der mein Sichtfeld reizt und mit der Sonne ein Partikel hinüberwirft, dass sich in meinen Blickwinkel frisst. Deshalb wische ich mir ordentlich was aus dem Gesicht, deshalb tropft es vor sich hin. Und es tropft.
„Sag mir! Was hast du getan! Sag es mir!“
Jetzt hält nur noch ein blinkender Nagel die Kette und in Millisekunden rutscht es ab. in Richtung Tiefe und dann ist es verschwunden.
Das ist der Moment, in dem man verliert. Alles, was man wollte. Indem es fällt. Mit einem Mal dahin.
Und ich will nicht, dass sie denkt, dass sich meine Zunge verkrampft hat und ich nicht mehr schlucken kann - und kaum noch Luft bekomme.
Es ist doch nur der Niesanfall, der mich spontan schüttelt. Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich schluchzen würde. Es ist nur die Gischt, die ich eingeatmet habe, und der Schluckauf - wegen meines leeren Magens, denn ich kann nichts essen. Mehr nicht. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt.
In ihren Augen sehe ich, dass sie abgeschlossen hat mit einer solchen Bestimmtheit, dass mich festhalten muss.
Als sie sich schweigend abwendet ist es für sie erledigt, abgehakt. Überraschend schnell. Ich warte, bis ihr schwarzer Strich in die Dunkelheit übergegangen ist, die sie im Zeitraffer einwickelt und aufnimmt und in sich im Schattenflächen auflöst. Habe ihren Umriss im Sinn. Dann gebe ich sie frei in ihre Materie. Es sitzt. Es hat mich getroffen! Ich habe es verstanden.
Ich lehne mich an, presse die ganze Luft heraus. Es spült die Sandkörner und Tabakpartikel aus - mit aller der Lüge darin. Mit Härte kommt ein Schluchzer, dann schlucke ich ihn runter. Gerade so, dass meine Zunge sich verkeilt und knödelt und ich kurz richtig Panik bekomme.
Sie ist Geschichte. Ihre Nacht windet sich zurück in einen Morgen, den ich nicht sehen will, aber er steigt am Himmel auf. Kontinuierlich uns unaufhörlich. Und ich stemme mich gegen das frische Licht. Das Schlimme daran ist: ich bin ein Mann und habe mich so aufweichen lassen.
Ich sitze noch lange an der Reling, mein Fuß gepresst und pocht, der Arm in einen Rettungsring gelehnt, Blasen an den Fingern vom Collier.
Ich hätte sie ihr zeigen sollen.
Der Mond blass, ich kenne ihn, ganz anders als die anderen auf dieser Welt. Immerhin habe ich einen Referenzpunkt von ihr, denke ich - auch wenn ich nicht darankomme. Aber ich kann ihn sehen.
Die Nacht ist warm und ich befinde mich in einem Zustand, den ich nicht beschreiben kann. Meine Augen hängen am Mond bis ich mich nicht mehr kkonzentrieren kann und unter seinem runden, vollem Schein döse. Das Licht des Trabanten ist kalt geworden und konkurriert mit der tropischen Nachtwärme und kreiert einen Strudel der meinen Kreislauf schwindeln lässt. Mit einem flauen Magen trete ich hinüber und ich übergebe mich im Schwall auf das Deck. Ich starre auf die Pfütze, bis ich einschlafe und es ist nur Galle. Ich kann ja nichts essen.
Am Morgen ist sie fort. Keine Spur von ihr, nichts in der Kajüte, kein Anzeichen, dass sie jemals da war. Ich frage mich, ob ich geträumt habe. So hat es mich mitgenommen. Ich torkele zum Heck, aber sie ist nicht da. Ich sehe nirgends irgendeinen Hinweis, der ihre Existenz untermauert.
Am Nachmittag stehe ich an der Reling. Der Metallhut sticht mich wieder von oben. Irgendeine Art Metall reflektiert besonders gleißend.
Aber er lässt meine Augen nicht tränen und da ist auch kein Wind, der mir irgendwas irgendwohin weht.
Das Schiff ist leise. Ich plane die nächsten Tage, will vergessen, wie schön es mit ihr war. Noch immer weiß ich nicht, ob alles ein Traum war, ob es mir den Verstand zerrissen hat. Aber nach allem habe ich einen Referenzpunkt von ihr, jeden Abend taucht er auf auch wenn nun Ewigkeiten entfernt, gehalten von der Dunkelheit. Von der Nacht die ich liebe. Die Nacht, die mir eigen war mit allen Enigmen.
Es ist, als würde sich die Gischt unter die alte Lackfarbe stemmen, um sie dann auszuhebeln und sie endgültig vom Ganzen abzusprengen. So, dass keiner mehr die Farbpartikel zusammenführen kann.
So ist die Situation.
Genau so ist der dritte Tag an Bord, so ohne jede Kontrolle. Und genauso ist sie. Hier in diesen Sekunden. Ihr Schatten mit einem Mal mir entgegengerichtet.
Gestern noch eine so innige Berührung. Ich hatte mich ganz hingegeben. So nah hatte sie sich angeschmiegt - mehr als je zuvor. Heute platzt es ab, es springt einfach weg. Und ich hatte so sehr gehofft, dass sie es nie erfährt…
Sie lässt mich los.
Sie steht da, nachtschwarz das Haar im Ostwind in Strähnen um ihr mondähnliches Gesicht. Ich habe zu oft versucht, es in Gedanken anzupassen, weil es mir manchmal zu rund und voll erschien. Und die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Polster im Profil zur Schau stellt, ist mir hier und da aufgestoßen. Es war nur ein kleines bisschen zu viel des Guten. Nur ein 10 Prozent.
Aber es war sie.
Und dann habe ich begonnen, ihre Eigentümlichkeiten zu schätzen und ihre Besonderheiten ganz für mich einzunehmen. Ihre neugierigen Augen immer abzufangen, denn sie haben mir so manchen Tag gerettet. So oft bin ich bei ihr auf Neues gestoßen und habe jedes Upgrade losgelassen.
Ich habe begonnen, sie auf ganz eigentümliche, tiefe Weise zu lieben. Wie niemanden zuvor. Denn sie trägt ein spezielles, lunares Leuchten um ihr Gesicht. Proportionen - fast ägyptisch - die wie mit je einer Birnenhälfte die Wangen markant hervorheben und die Nase so winzig erscheinen lassen.
Und sie hat ein kühles Gemüt, das zur Nacht passt und fast ihre Essenz bildet.
Genau so kann ich es ausdrücken - es sind Enigmen um sie herum – so kann ich es spezifizieren. Dann, wenn mich jemand spontan nach ihr fragen würde. Wenn ich es herunterbrechen müsste auf einen Satz. Es ist für mich nicht übertrieben. Gar nicht! Es ist Schwärmerei. Und ich tue es leidenschaftlich. Und es gab Zeiten, da lehnte sich dieses Nachtgeschöpf an mich und hat mir vertraut.
Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es ganz sicher nicht. Es ist nur das Salz, das sich unter meinen Lidern konzentriert.
Ich spüre die raue Beschaffenheit der Reling. Ich brauche einen Fixpunkt, um mich von ihrer adversen Aura zu lösen, die sie mir regelrecht um die Ohren peitscht. Die sie aufgerichtet hat, indem sie nichts mehr sagt, mich messerscharf ignoriert. Mit einem Mal bildet sie ein abweisendes Gerüst um sie herum und es ist kalt und es lässt mich nicht hindurch.
Ich muss etwas fühlen, in der Hand haben - egal was. Um mich zu stützen, denn jetzt ist sie so fremd und verändert – innerhalb von Sekunden – dass ich sie verloren habe.
Denn ich weiß: wenn sie eine Entscheidung trifft - in sich - ist das in jedem Fall eine absolute Pattsituation. Und nichts geht mehr. Dann steht es in den Sternen und die erreiche ich nicht. Aber es ist in den Sternen - ganz nah bei ihr. Es rinnt mir durch die Finger.
Nein, ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es ganz sicher nicht. Es ist nur ein Sandkorn, das ich mir an der Küste eingefangen habe. Oder auch zwei oder drei.
„Was hast du getan!“ So hallt es in meinem Kopf und ich weiß nicht, ob ich es tatsächlich akustisch gehört habe oder ob es der Gewissenkonflikt in mir ist, der mich ganz einnimmt. Ob sie es jetzt gesagt hat oder früher oder gar nicht. Ich kriege es nicht heraus.
Ihr Blick konzentriert sich in der Weite, bewusst abgewandt von mir. Aber sie kontrastiert ihre Hüften, setzt sich in Pose um mich zu reizen. Die Birnenhälften jetzt vom Schatten einer letzten Wolke hervorgehoben - ich liebe sie und es wird Abend. Purpur vermischt mit Reue in mir.
Ja, ich habe sie betrogen, und ja, sie wusste es. Und jetzt manifestiert sich ihre Retaliation. Strategisch schlägt sie zu.
Und Ich antworte ihr nicht, ich kann es nicht. Ich habe ihr Vertrauen seziert, mir das Beste herausgenommen und dann mit klammen, feucht-ranzigen Fetzen wieder eingefügt. So würde ich es ausdrücken, wenn ich es beichten müsste. Aber ich bin zu stolz. Deshalb presse ich meinen Fuß gegen die Abgrenzung. Ich bohre meine Zehen hinein in die Schuhsohle damit etwas wehtut, damit es sich entzündet. Ja, damit es die Entzündung im Blut transportiert und dann zielstrebig mein Herz in allen Kranzgefäßen trifft. Denn so sehr will ich sie halten. Das ist meine Einsicht. Es wäre heftig, was ich für sie tun würde, um sie bei mir zu haben.
Ich will nicht, dass sie denkt, dass sich eine Sorgenfalte niederschlägt. Es passiert ganz sicher nicht. Es ist nur ein Lackpartikel, den ich mir von der Reling ins Auge gerieben habe. Deshalb kräusle ich die Stirn und es tränt.
Sie trägt ein Tuch mit Pailletten um den Hals, gewebt mit Ausläufern, die sich entlang ihrer Hüfte raffen - konkurrierend mit dem Sundowner, löst ihn ab für ein paar Sekunden - um dann doch vorher noch von links her einen letzten, flinken Schatten zu schenken, damit ich ihren Umriss speichern kann, während ich die vertrauten Birnenhälften im Blick habe und in Gedanken nachzeichne und darüber streiche. Weil ich weiß, sie wird gehen.
Und plötzlich, tut mir weh, dass ich sie überhaupt jemals upgraden wollte. Dass ich gekittet, gestrafft und improvisiert hätte. Dass ich materiell so einiges rausgeschnitten hätte - vom Jochbein her - um reduzierte Ebenheit zu schaffen um nachts über eine flachere Linie zu streichen.
Ich schäme mich und ich habe keinen Zugang mehr zu ihr, so schnell hat der Perspektivwechsel gegriffen. Ich bin ein Mann, der oberflächlich ist, aber der sich dessen gewahr wird. Es war eine Entscheidung von ihr.
Nein, Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich tue es auch nicht. Ganz sicher! Es sind nur die Tabakbrösel, die mir im Wind in die Augen getrieben wurden. Beidseitig mit einer heftigen Bö. Und liegt noch auf meiner Zunge bis es im Rachen hängenbleibt, bitter auf den Schleimhäuten.
Sie hält den Anhänger an der silbernen Kette über die Reling, mit zwei Fingern lässt sie sie hin und her schaukeln und schaut mich entwaffnend an. Solange habe ich daran gearbeitet mit ausdauernder Energie und ich hatte es ihr nie gesagt. Nichts in meinem Leben war so nervenstrapazierend, wie tausend Ösen zu verknüpfen und miteinander zu verschmelzen. Die Lötpistole und die Stichflamme haben nicht nur einmal meine Finger versengt.
Jetzt hängt mein Werk über dem Abgrund.
Sie nimmt sich Zeit. Ich kenne jedes einzelne Element des Colliers. Habe es in den Fingern gedreht. So wichtig ist es mir. Es ist nicht akustisch wahrnehmbar, kein 100stel Dezibel erzeugt das Klirren und die stimmgabelähnliche Vibration vom Metall. Aber ich spüre es mit jeder Faser und allem Saft, der überkocht im Eifer, wenn ich ihre Mondhaftigkeit genauer ansehe und in ihre Richtung strebe. Dann die Windungen meines Verstandes, die mir sagen, es ist besser, sie nicht anzurühren. Mich nicht zu verbrennen. Zu viel meiner Seele darin.
Sie wählt ein retardierendes Moment.
Sie fordert mich heraus. Fixiert mich. Jetzt nur noch ein Zentimeter am ausgestreckten Finger. Sie lässt die Kette immer weiter abrutschen, bis sie ihre glänzenden Nägel erreicht. Ihr Blick hält mich fest und er ist kriegerisch. Sie geht damit um als wäre er ein Ding des Alltags. Jede Sekunde ist Strategie. Der Moment soll betäuben um mich danach umso heftiger treffen - pointiert im Faserkern zu stechen und einen Widerhaken in die Membran zu verankern, damit ich es auch wirklich spüre. Denn dann schenkt sie ein so passioniertes, freundliches Lächeln - 3 Sekunden - dass in mir Hoffnung aufflammt um dann in absolutes Eis überzugehen. Das ist, was sie tut. Mit Kalkül. Und es kommt aus der Nacht, es kommt aus der Kühle in ihr - die ich liebe und die mir entrinnt.
Das ist Retaliation.
Und sie greift. Ja, es tut mir weh aber ich sage es ihr nicht. Ich will nicht, dass sie denkt, ich würde auch nur eine Träne vergießen. Ich tue es auch nicht. Nein, Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich heule. Ich bin stolz. Ganz sicher. Es ist nur die Reflektion eines Metallhuts oben beim Sonnendeck, der mein Sichtfeld reizt und mit der Sonne ein Partikel hinüberwirft, dass sich in meinen Blickwinkel frisst. Deshalb wische ich mir ordentlich was aus dem Gesicht, deshalb tropft es vor sich hin. Und es tropft.
„Sag mir! Was hast du getan! Sag es mir!“
Jetzt hält nur noch ein blinkender Nagel die Kette und in Millisekunden rutscht es ab. in Richtung Tiefe und dann ist es verschwunden.
Das ist der Moment, in dem man verliert. Alles, was man wollte. Indem es fällt. Mit einem Mal dahin.
Und ich will nicht, dass sie denkt, dass sich meine Zunge verkrampft hat und ich nicht mehr schlucken kann - und kaum noch Luft bekomme.
Es ist doch nur der Niesanfall, der mich spontan schüttelt. Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich schluchzen würde. Es ist nur die Gischt, die ich eingeatmet habe, und der Schluckauf - wegen meines leeren Magens, denn ich kann nichts essen. Mehr nicht. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt.
In ihren Augen sehe ich, dass sie abgeschlossen hat mit einer solchen Bestimmtheit, dass mich festhalten muss.
Als sie sich schweigend abwendet ist es für sie erledigt, abgehakt. Überraschend schnell. Ich warte, bis ihr schwarzer Strich in die Dunkelheit übergegangen ist, die sie im Zeitraffer einwickelt und aufnimmt und in sich im Schattenflächen auflöst. Habe ihren Umriss im Sinn. Dann gebe ich sie frei in ihre Materie. Es sitzt. Es hat mich getroffen! Ich habe es verstanden.
Ich lehne mich an, presse die ganze Luft heraus. Es spült die Sandkörner und Tabakpartikel aus - mit aller der Lüge darin. Mit Härte kommt ein Schluchzer, dann schlucke ich ihn runter. Gerade so, dass meine Zunge sich verkeilt und knödelt und ich kurz richtig Panik bekomme.
Sie ist Geschichte. Ihre Nacht windet sich zurück in einen Morgen, den ich nicht sehen will, aber er steigt am Himmel auf. Kontinuierlich uns unaufhörlich. Und ich stemme mich gegen das frische Licht. Das Schlimme daran ist: ich bin ein Mann und habe mich so aufweichen lassen.
Ich sitze noch lange an der Reling, mein Fuß gepresst und pocht, der Arm in einen Rettungsring gelehnt, Blasen an den Fingern vom Collier.
Ich hätte sie ihr zeigen sollen.
Der Mond blass, ich kenne ihn, ganz anders als die anderen auf dieser Welt. Immerhin habe ich einen Referenzpunkt von ihr, denke ich - auch wenn ich nicht darankomme. Aber ich kann ihn sehen.
Die Nacht ist warm und ich befinde mich in einem Zustand, den ich nicht beschreiben kann. Meine Augen hängen am Mond bis ich mich nicht mehr kkonzentrieren kann und unter seinem runden, vollem Schein döse. Das Licht des Trabanten ist kalt geworden und konkurriert mit der tropischen Nachtwärme und kreiert einen Strudel der meinen Kreislauf schwindeln lässt. Mit einem flauen Magen trete ich hinüber und ich übergebe mich im Schwall auf das Deck. Ich starre auf die Pfütze, bis ich einschlafe und es ist nur Galle. Ich kann ja nichts essen.
Am Morgen ist sie fort. Keine Spur von ihr, nichts in der Kajüte, kein Anzeichen, dass sie jemals da war. Ich frage mich, ob ich geträumt habe. So hat es mich mitgenommen. Ich torkele zum Heck, aber sie ist nicht da. Ich sehe nirgends irgendeinen Hinweis, der ihre Existenz untermauert.
Am Nachmittag stehe ich an der Reling. Der Metallhut sticht mich wieder von oben. Irgendeine Art Metall reflektiert besonders gleißend.
Aber er lässt meine Augen nicht tränen und da ist auch kein Wind, der mir irgendwas irgendwohin weht.
Das Schiff ist leise. Ich plane die nächsten Tage, will vergessen, wie schön es mit ihr war. Noch immer weiß ich nicht, ob alles ein Traum war, ob es mir den Verstand zerrissen hat. Aber nach allem habe ich einen Referenzpunkt von ihr, jeden Abend taucht er auf auch wenn nun Ewigkeiten entfernt, gehalten von der Dunkelheit. Von der Nacht die ich liebe. Die Nacht, die mir eigen war mit allen Enigmen.