Morgen-Blues

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anbas

Mitglied
Morgen-Blues

Verschlafen öffne ich meine Augen
schaue zum schweigenden Wecker.
Achtuhrdreißig – viel zu früh für den ersten Urlaubstag.
Verdammt, warum musste ich gerade jetzt aufwachen?
Hatte eben noch ein vielversprechendes Date
mit einer jungen attraktiven Brünetten.
Gehe zum Fenster.
Eine dicke Schneedecke auf der Straße und den parkenden Autos.
Nicht nur zu früh
sondern auch zu kalt, um aufzustehen –
Vor allem am ersten Urlaubstag.
Schließe das Fenster und lege mich wieder hin.
Döse ein wenig und hoffe,
die Brünette wiederzutreffen.
Kann aber nicht einschlafen.
Schaue irgendwann erneut auf den Wecker.
Jetzt ist es elfuhrvierzig.
Muss doch noch mal eingeschlafen sein.
Gehe zum Fenster.
Es ist offen.
Ein warmer Frühlingstag, kein Schnee weit und breit.
Gedankennebel der sich langsam lichtet.
Ein Traum im Traum.
Nur der erste Urlaubstag ist real –
würde ihn gerne gegen diese schöne Frau eintauschen.
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Andreas,
mir gefällt die Schneekomponente:)
Fenster schließen sich und öffnen sich.
Gernstens gelesen und liebe Grüße an dich!
 
Hallo Anbas,

ein hübsches Gedicht, das den Leser mit in die Welt des LI zieht, die gerade nur aus Urlaub und Träumen besteht.
Wunderbar unbeschwert, liest man selten.

LG SilberneDelfine
 

anbas

Mitglied
Liebe Anita,
manchmal liefert das Leben die besten Komponenten für ein Gedicht. "Morgen-Blues" hat mehrere davon :cool:.
Vielen Dank für Deine Rückmeldung.


Hallo SilberneDelfine,
Ich freue mich, dass ir die Zeilen gefallen und ich Dich ein Stück mitnehmen konnte.
Vielen Dank auch für Deine Antwort.


Und Euch beiden ebenfalls vielen Dank für Eure Wertungen :).


Liebe Grüße

Andreas
 

sufnus

Mitglied
Hey anbas!
Das ist bestimmt der Text, auf den Du bei der Diskussion zu evermores Nachtgedicht bereits verwiesen hast und bei dem man über die Zuordnung zu Lyrik oder Prosa debattieren könne.
In selbigem Nachtgedicht-Thread haben wir ja bereits unsere Perspektiven auf die Frage "Was ist Lyrik?" ausgetauscht und ich habe mitgenommen, dass für Dich "Verdichtung" ein wesentliches Element von Lyrik ist (was ich persönlich für nicht so wesentlich halte), während sich für mich Lyrik vor allem dadurch auszeichnet, dass sie, Versuch einer annähernden Formulierung:, "der Sprache Sprachunterricht erteilt".
Es ist tatsächlich gar nicht so einfach in Worte zu fassen, was ich damit genau meine (vielleicht ließe es sich besser in Form eines Gedichts ausdrücken ;) ). Letztlich geht es darum, dass sich die Lyrik darin versucht, Ausdrucksmöglichkeiten für Gedanken und Gefühle zu finden, die im nicht-lyrischen Reden unzureichend abbildbar sind.
Um den Rahmen dieses Threads nicht zu sprengen, werd ich versuchen, dass an anderer Stelle zu vertiefen.
Der Punkt ist aber - ausgehend von meiner vermutlich noch nicht so ganz nachvollziehbar rübergebrachten Lyrikdefinition -, dass mir dieser Text hier nicht besonders lyrisch vorkommt und ich ihn tatsächlich eher für einen Prosatext im Zeilenumbruchkostüm halte.
Was dem Text für mein Liking fehlt, um ihn zu einem Gedicht zu machen, ist eine Offenheit für Gedanken/Gefühle/Denkinhalte, die "sich nicht klar sagen lassen" (um den Herrn Wittgenstein mal etwas gegen dessen eigenen Strich gebürstet ins Feld zu führen). In diesem Sinne, dieser fehlenden Offenheit für das "unklar Sagbare" ist der Text für mich geheimnislos und deshalb "unlyrisch" (oder positiv gesagt: der Prosa zugehörig).
Diese Definition von mir soll dabei weder die Prosa im Allgemeinen noch diesen Text im Besonderen abwerten: Es geht mir darum, dass etwas, was in der einen Literaturgattung eine Stärke darstellt (Vereinfacht gesagt: "Klarheit" im weitesten Sinn) in der andere Literaturgattung zur Schwäche wird, weil eben m. E. die Zielrichtung der beiden Gattungen tendenziell unterschiedlich ist.
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Hey SD! :)
Aus zwei Gründen habe ich das hier eingebracht:
Erstens, weil anbas selbst in einem anderen Thread (oben erwähnt) die Frage nach der Unterscheidung von Lyrik und Prosa aufgeworfen hat und der hier eingestellte Morgen-Blues, sich m. E. sehr gut dazu eignet, diese Unterscheidung noch einmal abzugleichen (ich will niemanden von meiner "Definition" überzeugen).
Zweitens, weil ich glaube, dass solche allgemeinen Überlegungen, wie die oben von mir angestellten, dabei helfen können zu verstehen, warum uns manche Texte ansprechen und andere nicht so sehr. Das gilt explizit auch für jeden, der sich von meinem begrifflichen Trenngang distanziert und ggf. vielleicht sogar in der Antithese zu meinen Überlegungen zu einer Lyrikdefinition gelangt. :)
Und übrigens gibt es natürlich Ausnahmen in meiner Begriffswelt, also Texte, die ich als völlig lyrisch empfinde, obwohl sie sich durch große sprachliche Eineindeutigkeit (sic!) auszeichnen (sic!). Lessings Lied aus dem Spanischen könnte ich hier zum Beispiel aufführen. Aber das ist eben die Genie-Ebene (die glücklicherweise auch Nicht-Genies zur Verfügung steht, wenn ihnen ein Glückstreffer gelingt, weshalb sich das Schreiben von Gedichten auch für Nicht-Lessings in jedem Fall lohnt ;) ).
LG!
S.
 

klausKuckuck

Mitglied
Verschlafen öffne ich meine Augen schaue zum schweigenden Wecker. Achtuhrdreißig – viel zu früh für den ersten Urlaubstag. Verdammt, warum musste ich gerade jetzt aufwachen? Hatte eben noch ein vielversprechendes Date mit einer jungen attraktiven Brünetten. Gehe zum Fenster. Eine dicke Schneedecke auf der Straße und den parkenden Autos. Nicht nur zu früh, sondern auch zu kalt, um aufzustehen. Vor allem am ersten Urlaubstag. Schließe das Fenster und lege mich wieder hin. Döse ein wenig und hoffe, die Brünette wiederzutreffen. Kann aber nicht einschlafen. Schaue irgendwann erneut auf den Wecker. Jetzt ist es elfuhrvierzig. Muss doch noch mal eingeschlafen sein. Gehe zum Fenster. Es ist offen. Ein warmer Frühlingstag, kein Schnee weit und breit. Gedankennebel der sich langsam lichtet. Ein Traum im Traum. Nur der erste Urlaubstag ist real – würde ihn gerne gegen diese schöne Frau eintauschen.
 

sufnus

Mitglied
Hey KK!
In "Deiner" Fassung kommt der Text m. E. tatsächlich viel besser zur Geltung. Das zeilenabgehackte lyrische Tarngewand erzeugt in der OV aufgrund der "durch-erzählten" Texthaltung eher eine gewisse asthmatische Kurzatmigkeit, wohingegen bei einem "richtigen" Gedicht die Pausensetzung durch die Zeilenumbrüche (wenn es gut läuft) sogar einen paradoxen Legato-Effekt erzeugen kann. Schwer zu beschreiben. Man "hört" dabei die Zeilenumbrüche selbst dann, wenn sie durch ein "über den Zeilenwechsel drüberlesen" eigentlich (fast) unhörbar gemacht werden. Eine verrückte Sache. :)
LG!
S.
 

anbas

Mitglied
Hallo sufnus, hallo in die Runde ;),

so unterschieldich kann der Geschmack sein ... Die Version von klauskuckuck hatte ich mir auch erstellt - und sie sagte mir in der Form nicht zu. Möglicherweise ist hier oder da an dem einen oder anderen Zeilenumbruch noch zu feilen, ansonsten passt es für mich mit dieser Form.

Doch Deine Gedanken und Anmerkungen zum Thema "Prosalyrik" haben mich mal im www etwas herumschauen lassen. Ich war dann sehr beruhigt zu erfahren, dass man sich bis heute in der Literaturwissenschaft nicht auf eine konkrete Definition einigen konnte. Besonders interssant hierzu ist ein Beitag im Deutschlandfunk (Prosagedicht: Grenzüberschreiter der Literatur).
Hierüber kann man sicherlich noch weiter diskutieren, doch das sollte dann in einem anderen Thread geschehen (z.B. im Lupanum). Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich selber kein großer Freund solcher Grundsatzdiskussionen bin, wenngleich ich bei manchen auch gerne mal Zaungast bin ;).

Ich ziehe für mich jedenfalls daraus den Schluss, dass ich künftig mit meiner Beurteilung, ob Prosa oder Prosalyrik, vorsichtiger bzw. zurückhaltender bin.

Liebe Grüße und einen wirklich ernstgemeinten Dank für Deine Anmerkungen, ohne die ich mich sicherlich nicht so (für meine Verhältnisse) intensiv mit dem Thema beschäftigt hätte.

Andreas
 

sufnus

Mitglied
Hey Andreas! :)
Da Du ein latentes Stoppschild zu der Metadiskussion aufgestellt hast, will ich in diesem Faden nicht mehr allzuviel Ergänzendes zur Diskussion stellen.

Aber einem möglichen terminologischen Missverständnis will ich doch vorbeugen: Du erwähnst in Deinem letzten Beitrag das "Prosagedicht" und schreibst, die Literaturwissenschaft könne sich nicht ganz auf eine Definition dieses Begriffs einigen; dies trifft aber nur insoweit zu, als etwas umstritten ist, ob ein Prosagedicht zur Prosa oder zur Lyrik zu zählen sei (bzw. Lamping hält die formale Definition des Prosagedichts für Selbstwidersprüchlich).

Unstrittig ist hingegen (auch für Lamping), wie ein Prosagedicht ganz formal definiert wird (L. hält diese Def. halt nur für unsinnig): Ein Prosagedicht sieht demnach definitionsgemäß aus wie ein normaler Prosatext, ist also ein Text ohne Strophen-Unterteilung und ohne "künstliche" Zeilenumbrüche.

Insofern mag Dein Morgen-Blues in der von Dir präferierten Form ein Gedicht sein oder auch nicht, aber ein Prosagedicht ist es definitionsgemäß auf keinen Fall (das könnte höchstens die Fassung von klausKuckuck sein).

LG!

S.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Letztlich geht es darum, dass sich die Lyrik darin versucht, Ausdrucksmöglichkeiten für Gedanken und Gefühle zu finden, die im nicht-lyrischen Reden unzureichend abbildbar sind.
Lieber Sufnus, das ist ein klassisches Beispiel einer tautologischen Definition. ;)

Aber ich sehe auch das Dilemma: Ähnlich wie alle Kunst erfuhr auch die Lyrik im Laufe der Zeit so viele Erweiterungen, dass sich heute eine definierende Gemeinsamkeit kaum mehr finden lässt.

Grüße
JB
 



 
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