München

Steven Omen

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Taubenkot klatschte direkt auf Ludgers Kopf. Das musste derzeit ein besonderer Wettbewerb unter den Münchner Tauben sein. Man kann natürlich seine Überzeugung darauf ausrichten, dass es Glück bringt, von einer Taube verschmutzt zu werden. Dann ist die Wahrnehmung viel mehr auf etwas fokussiert, was für einen positiv ist als auf ein negatives Ereignis. Wenn man sich vor Augen führt, wie eng unser Filter ist und nur 0,002% aller Reize, die wir wahrnehmen, zu uns vordringen können, dann würde man seinen engen Filter unbedingt so ausrichten, dass er eines der unzähligen, nicht wahrgenommenen glücklichen Ereignisse durchließe. Nachdem sich Ludger notdürftig gesäubert hatte, ging er weiter. Es war ein schöner Spätsommerabend und die Sonne würde bald untergehen. Er ging die Treppe zum Bahnsteig Donnersberger Brücke hinunter, als ihn eine Frau ansprach: „Entschuldigen Sie, geht es hier in die Innenstadt?“ Ihre Stimme klang angenehm in seinen Ohren.. Sie sah jünger aus als er, er schätzte sie auf Anfang Vierzig, sie trug ein elegantes rotes, knielanges Kleid und Stöckelschuhe. „ Ja“, antwortete er und roch Prada. Sofort stiegen in ihm Erinnerungen hoch. Eine seiner früheren Bekanntschaften hatte auch gerne dieses Parfüm benutzt und rote Kleider getragen. Es lag schon über zehn Jahre zurück. Eine verrückte Geschichte, die nur wenige Wochen hielt. Er konnte sich noch erinnern, dass sie immer rote Spitzenunterwäsche getragen hatte. Er blickte in blaue Augen und lächelte die Frau an. Ob er dies wegen der Erinnerung oder wegen ihr tat, wusste er in diesem Moment nicht. Die S2 nach Erding fuhr ein. „In diese S-Bahn können Sie einsteigen, wenn Sie in die Stadtmitte möchten.“ Sie lächelte ihn an, drehte sich um und stieg ein. „Wieder eine Chance im Leben vertan. Ich hätte sie ansprechen sollen, ob sie mit mir noch einen Cocktail oder sonst etwas trinken will.“ Lange schaute er der fahrenden S-Bahn nach. Dann stieg er selbst in die nächste ein und fuhr ziellos weiter. Wie Schatten huschten die Fassaden der Häuser an ihm vorbei. Dabei erinnerte er sich an die verlorene Zeit mit seiner Geliebten damals. „Es war von Anfang an hoffnungslos. Sie war zwar wunderschön, aber sie wollte nur spielen. Und ich Tölpel dachte, es sei mehr. Zum Glück ging es schnell vorbei. Wie überhaupt?“ Die Durchsage der Haltestellen kam nicht automatisch vom Band, sondern wurde heute in Bayerisch vom Fahrer durchgesagt. Er konnte diesen Dialekt immer noch kaum verstehen, obwohl er schon seit mehr als fünf-zehn Jahren in München wohnte. Ursprünglich kam er aus Dresden. Er betrachtete sein Gesicht in der Fensterscheibe, als die Bahn durch einen Tunnel fuhr: kurzes braunes Haar, spitze Nase, lustige grüne Augen, die Stirn bereits mit Falten durchzogen, der Jüngste war er mit fünfzig Jahren auch vom Aussehen her nicht mehr. „ Ja, die Zeit, wie sie rast, kaum hat man sich berappelt, wird man älter und älter; kaum macht es ein wenig Spaß, geht auch schon die Sonne langsam wieder unter.“ Durch das Spielen konnte er die Zeit vergessen. Dass es schon eine Sucht geworden war, wollte er sich nicht eingestehen. „Ich wette ja nur“, sagte er oft. Dabei war es eine Sucht wie jede andere auch. Stärker werdend, bis hin zur Zerstörung der eigenen Existenz. Stundenlang konnte er einschlägige Magazine und Webseiten studieren, um den scheinbar „perfekten“ Tipp für ein Fußballspiel zu finden. Auf die Gerüchte in den Wettlokalen gab er wenig. „Die anderen wollen einen nur verarschen, da verlasse ich mich lieber auf mich selbst. “Er stieg am Marienplatz aus und fuhr mit der Rolltreppe hinauf. Beim Hochfahren fiel sein Blick unabsichtlich auf Werbeplakate. Viele kannte er, weil er sich hier häufig aufhielt. Ein neues Plakat warb für ein Wettlokal. „Prima, da gehe ich gleich mal hin!“, dachte er sich und ging im Kopf die Quoten für die kommenden Spiele durch. Er hatte noch nicht zu Abend gegessen, Kaffee musste reichen. Am liebsten mochte er Latte macchiato mit drei Stück Süßstoff. Schon morgens machte er sich den einen oder anderen, über den Tag verteilt trank er fünf Tassen mindestens. Sein Smartphone vibrierte. Eine WhatsApp seines Chefs. Er sollte am Montag eine Präsentation halten. „Prima, dass ich das am Samstagabend erfahre.“ Er arbeitete bei einer Versicherung als Webmaster. „Darum kümmere ich mich am Montag, die Wetten sind wichtiger.“ Als er am Marienplatz ankam, empfing ihn die Kühle der Nacht. Das Rat-haus leuchtete hell und nur wenige Touristen und Nachtschwärmer waren auf dem zentralen Platz Münchens unterwegs. Er schlenderte die Weinstraße Richtung Odeonsplatz hinunter und wunderte sich, warum heute Nacht der Mond so groß und deutlich zu sehen war. München gefiel ihn sehr als Stadt, nicht zu groß und unübersichtlich, gerade noch erträglich. Zwar eine Millionenstadt, aber unterteilt in viele Stadtteile, die manche Bewohner nur selten verließen. Das Zentrum gehörte den Kaufwütigen, Partygängern und natürlich den vielen Touristen aus der ganzen Welt. Er wohnte in Haidhausen. Gepflegter Altbau in der Wörthstraße, in direkter Nähe zum Ostbahnhof, einem der begehrtesten Stadtteile in München. Dort gab es eine gelungene Mischung aus Wohnkultur, Kneipenszene, Kultureinrichtungen und Kleingewerbe, also noch ein richtiges „Milieu“. Seine drei Zimmer hatte er sich geschmackvoll nur mit alten Holzmöbeln eingerichtet, die er sich gebraucht gekauft hatte. Gegen Ikea und sonstige Möbelhäuser war er allergisch. Zum Thema Liebe fiel ihm wenig ein. Ja, hier und da gab es mal eine amouröse Bekanntschaft, aber insgesamt nichts festes. Er liebte die Unabhängigkeit.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Steven,

Da las ich mich gerade so richtig gemütlich ein - und plötzlich war Schluss. Für mich war die Erzählung interessant: Die Begegnung mit dieser Frau im roten Kleid, Die Sucht des Spielens, Der Spaziergang am Marienplatz - und dann war Ende.
Schade.
Ist dies eine abgeschlossene Erzählung? Oder geht es noch weiter?
Ein Paar Abstände täten dem Text gut um ihn übersichtlicher lesen zu können.
Bin gespannt!
Mit Gruss, Ji
 



 
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