Mukhtar

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schreibfuchs

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Mukhtar, ein buckliger Junge von 18 Jahren ging in dem kleinen Raum der Hütte auf und ab. Er wäre ohne seinen sichtbaren Buckelwuchs, mit seinem beherzten Auftreten, seinem hellen Verstand und seinen klaren, schwarzen Augen ein ansehnlicher junger Mann gewesen. Wie oft hatte er diesen Buckel verflucht und ihn einfach zum Scheitan gewünscht, aber er besaß ihn nun einmal und musste mit ihm leben. Die Mutter des sanftmütigen Jungen starb bei seiner Geburt. So wuchs er allein mit seinem Vater auf. Ständig war Mukhtar mit dem Geruch von Leim, Leder und Schuhwichse umgeben. Dabei mußte er Vaters Ehrfurcht vor der Obrigkeit genauso ertragen, wie sich seine einfachen Lebensweisheiten anhören. In diesem sonderbaren Gefühle-Wirr-Warr, schwang noch ein anderes Gefühl mit, nämlich das Gefühl der Freiheit, die untrennbar mit dem Hang zur Harmonie und der Abscheu zur Ungerechtigkeit verbunden war. Es war jene Ungerechtigkeit, die er oft selbst erlebt musste, denn seine Altersgenossen trieben fortwährend böse Scherze mit ihm.
Verspottet, verballhornt und verlacht verkroch er sich dann in den finstersten Winkel der Hütte, bebte vor Schmerz und Scham am ganzen Körper und wünschte sich ein großes Loch im Boden, um darin versinken zu können. Jedoch, die Anfeindungen hatten ihn nicht gebrochen, sondern gestählt! Er hatte sich nicht klein und dumm machen lassen, sich stattdessen auf seinen angeborenen Verstand besonnen, der im Laufe der Zeit immer weiter wuchs und alles um ihn herum zum Nichts schrumpfen ließ…

„Nein, Vater, Du gehst nicht!“ Die Augen des Jungen schauten bettelnd: „Du weißt doch, dass der die Leute nur belügt und betrügt!“
Mukhtar hatte seine Wanderung unterbrochen und wandte sich flehentlich an seinen Vater, einem hinfälligen und spindeldürren, alten Mann: „Vater, hast du vergessen, dass du für Hassan schon zwei Paar der feinsten Schuhe anfertigen musstest, und dass es keinen Gewinn für dich gab. Hassan hat dich schlichtweg getäuscht! Getäuscht, so, wie er das seit Jahr und Tag mit allen hier tut!“ Mukhtars Vater, der inmitten seiner Schuhmacher-Utensilien, wie ein weiteres Inventarstück saß, legte erbost seine Arbeit nieder und fixierte seinen Sohn:
„Statt hier große Volksreden zu halten, könntest du endlich lernen, wie man einen Schuh haltbar macht und ordentlich flickt. Ich bin der einzige Schuhflicker im Dorf und werde mich bald auf die lange Reise zu Allah begeben! Es wird also höchste Zeit, Sohn, dass du dieses ehrbare Handwerk erlernst!“ Seine Rede wurde, wie immer häufiger in der letzten Zeit, von einem heißeren Husten unterbrochen. Mukhtars Vater litt unter der gefürchteten Sandkrankheit, die in jedem Jahr ihren Tribut von den Alten forderte. Mukhtar wußte das, er zögerte und setzte sich neben seinen Vater nieder.
„Vater, ich weiß, dass du Recht hast! Aber findest du das jetzt fair? Ich meine, davon anzufangen, wo ich dich doch nur vor einer neuen Dummheit bewahren will!“
„Dummheit?“, die Augen des Alten hatten sich verengt: „Sprich du mir nicht von Dummheit!“ Mukhtar zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
„Vater, ich kann deine Arbeit nicht weiterführen. Die Welt ist so groß! Ich spüre, wie mich alles in diese Welt hinauszieht! Ich will meine Lebtage nicht in dieser Oase fristen. Der weise Ibrahim, du weißt doch, das ist der, der mich umsonst lesen und schreiben lehrte, und der mir viel von der weiten Welt verriet, erzählte mir auch von Maon, die Sultanstadt, und dass dort einer wie ich sein Glück bestimmt finden würde!“
„Firlefanz, das ist doch alles Firlefanz!“, erregte sich der Alte und bekam einen schlimmen Hustenanfall. Als er den endlich überstanden hatte flüsterte er mit gebrochenen Augen:
„Aber Sohn, wie kann man denn ohne seiner Hände Arbeit das Leben meistern? Du kannst nichts, hörst du niiiichts! Lesen und Schreiben, na immerhin! Aber hat man je gehört, dass so etwas einen Mann geschweige denn eine ganze Familie genährt hat?“
Der Vater zögerte. Er senkte seinen Blick und musste erneut husten. Danach sammelte er sich mühevoll und brummelte versöhnlich: „Mukhtar, mein Sohn! Ich will nicht im Streit von dir scheiden. Gehe deiner Wege! Aber lass dir gesagt sein, dass es schwer werden wird, den einmal eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen! Allah möge dich segnen und dich auf all deinen Wegen begleiten!“ Mukhtar küsste seinen Vater Stirn und Hände und rief gerührt: „Hab tausend Dank Vater. Ich laufe noch mal schnell zum alten Ibrahim und bin schnell wieder zurück…!“

„Vater, Vater, stell dir vor: Omar ist am Leben! Es geht ihm gut! Du hättest also wieder eine Wette verloren, weil du auf seinen Tod setzen wolltest!“ Mukhtar war in die kleine Hütte gestürmt, um schnell diese freudige Nachricht loszuwerden. Doch sein Vater war stumm, saß zusammengekauert auf seinem Holzschemel und atmete nicht mehr.
„Vater, Vater!“! Mukhtar schüttelte ihn. „Was ist los! So rede doch, sprich mit mir! Schimpfe mich aus, was ich nur für ein nutzloser Tagedieb bin! Oh Vater, du hattest ja so Recht! Und weil du Recht hattest, konnte ich nichts erwidern und bin davongelaufen. Ich war nicht bei Ibrahim. Ich hatte Angst vor dir und konnte deine Wahrheit einfach nicht mehr aushalten! Und nun bin ich zurück und du bist tot! Tot! Du hast gewusst, dass du sterben wirst und hast mir deinen Segen gegeben! Ach, was warst du nur für ein guter Vater! Allah, ich bitte dich: Sei meines armen Vaters Seele gnädig!“ Mukhtar rutschte in sich zusammen und weinte laut und hemmungslos…
andy
 



 
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