Musiktagebuch: „Brothers in arms“

Es ist ein ungewohnt stilles, elegisches Lied der Rockgruppe Dire Straits aus dem Jahr 1985.
Der Titel lässt sich übersetzen mit „Waffenbrüder“ oder: „Brüder, welche Waffen tragen“. Bewaffnete Brüder eben, die mit- oder gegeneinander kämpfen, wobei das „mit“ und „gegen“ am Ende keinen Unterschied machen soll.
Selbstredend um Krieg geht es, gegen den Krieg an sich wird gesungen und so wird der Titel auch als Antikriegslied bezeichnet.

Der Text fängt an mit der Beschreibung nebelverhangener Berge aus der Sicht eines Soldaten, der mittendrin im Gefecht sich befindet. Er träumt von seinem wahren, seinem richtigen Zuhause; von einem Zuhause, das der Krieg nicht bieten kann.
Bereits in der ersten Strophe prophezeit der Soldat seinen kämpfenden Brüdern: Eines Tages werdet ihr zurückkehren in dieses Zuhause, in eure Täler, und werdet nicht länger dafür brennen, Waffenbrüder zu sein.

[Strophe 1]
„These mist covered mountains
Are a home now for me
But my home is the lowlands
And always will be
Some day you'll return to
Your valleys and your farms
And you'll no longer burn
To be brothers in arms…“


In Strophe 2 offenbart sich die zerstörerische Kraft des Krieges.
Von vernichteten Feldern und von Feuertaufen ist die Rede, vom Leiden der waffentragenden Brüder, welches sie ereilte, als die Schlacht hochkochte.
Der Soldat rechnet es seinen Waffenbrüdern hoch an, dass sie ihn trotz des allgemeinen Chaos und der Angst nicht zurückließen, als er selbst im Kampf schwer verwundet wurde.

[Strophe 2]
„Through these fields of destruction
Baptisms of fire
I've witnessed your suffering
As the battle raged higher
And though they did hurt me so bad
In the fear and alarm
You did not desert me
My brothers in arms…“


Auch wenn wir in verschiedenen Welten leben, haben wir am Ende nur eine einzige, gemeinsame, heißt es philosophisch in der Überleitung:

[Bridge]
„There's so many different worlds
So many different suns
And we have just one world
But we live in different ones…“


Strophe 3 erzählt schließlich vom leisen Sterben des Soldaten.
Die Sonne ist „zur Hölle gefahren“, der Mond steht hoch.
Der Soldat formuliert seine letzten Worte:
„Erlaubt mir, Lebwohl zu sagen.
Jeder Mann (Mensch) muss sterben.
Aber es steht im Licht der Sterne geschrieben
Und in jeder Linie eurer Handfläche:
Wir sind Narren, Krieg zu machen
Gegen unsere Brüder, gegen Brothers in arms…“

[Strophe 3]
„Now the sun's gone to hell
And the moon riding high
Let me bid you farewell
Every man has to die
But it's written in the starlight
And every line in your palm
We're fools to make war
On our brothers in arms…“


Am Ende löst sich also die unsichtbare Trennlinie auf, die die Waffenbrüder als feindliche Truppen voneinander abgrenzt. Doch nur Worte und Befehle sind es, die diese Trennlinie ausmachen.
Am Ende ist der Soldat nur noch müde und traurig, ehe er stirbt.
Aber er erkennt:
Wenn du auch eine Waffe gegen mich richtest, wir sind ja doch allesamt Brüder, die man bloß fallweise zum Töten abkommandiert hat.
Es macht am Ende keinen Unterschied, ob Brüder mit- oder gegeneinander kämpfen. Auf welcher Seite sie auch stehen, welche Farbe ihre Uniform haben mag, welche Fahne sie auch schwenken: Brüder sind und bleiben sie, ob sie nun kriegerische Befehle einer Obrigkeit ausführen oder ob sie ihre Waffen irgendwann ablegen und wieder Mensch sein dürfen.
Es ist ein Meisterwerk, inhaltlich wie musikalisch.
Der Gesang von Mark Knoepfler klingt gefasst und desillusioniert; ganz so, wie es einem sterbenden Soldaten entspricht. Klagend hebt die E-Gitarre zu getragenen, glasklaren Tönen an. Das Intro ist ein unheilvoll anschwellender Laut, unterbrochen von fernen Donnergeräuschen, die an Detonationen und Kriegsgeschosse denken lassen.

Ich hatte dieses Lied vor Jahren einmal laufen, als gerade Handwerker im Haus waren.
Einer der Arbeiter zeigte sich von der Musik sehr berührt. Der Mann stammte dem Akzent nach aus dem ehemaligen Jugoslawien und war auch im richtigen Alter, um die Kriege in seiner Heimat miterlebt zu haben; so mutmaßte ich im Stillen, dass er vielleicht von daher eine sensible Ader für eine Anti-Kriegs-Hymne haben könnte. Es hat mich jedenfalls sehr gefreut, dass der Mann Interesse an meiner Musik gezeigt und extra nach dem Titel gefragt hat.

In Wirklichkeit geht es in diesem Lied natürlich nicht um die Jugoslawien-Kriege der 1990-er Jahre, dafür ist das Stück um Jahre zu alt.
Um den Kalten Krieg geht es auch nicht, wenngleich der Entstehungszeitraum um 1985 die Vermutung nahelegt.
Nein, konkreter Anlass für dieses Musikstück war der damalige sogenannte Falklandkrieg: Ein schwelender Konflikt zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich um die Falklandinseln, um koloniale Ansprüche, um Zugehörigkeiten. Es ging um Geld, Einfluss, Macht – wie nun mal in jedem Krieg.
Nur dieser Krieg um die Falklandinseln ist in der allgemeinen Wahrnehmung schon einigermaßen vergessen und kaum noch denkt jemand an diesen Konflikt, in dem zahlreiche Menschen ihr Leben lassen mussten.
Auch das zeigt auf, wie sinnentleert und gehaltlos der Krieg sein kann, derweil der Kriegstod in jedem Fall alles oder nichts bedeutet.
Sowieso passt der Titel Brothers in arms auf jeden beliebigen Krieg, will ich meinen.

Brüder, die aufeinander schießen, das haben und hatten wir doch noch in jedem Krieg.
Bedenkt man, dass wir in der großen Menschheitsfamilie allesamt Geschwister sind, sind es doch immer Brüder und Schwestern, die im Krieg mit Waffen aufeinander losgehen.
Die Grenzziehungen zwischen dieser und jener Nation oder Einheit oder Truppe ist stets nur vorübergehend, oft gar willkürlich und löst sich auf, wenn wir dann doch wieder erkennen: Nicht Feinde, sondern Menschen sind mein Gegenüber, die bluten genauso wie ich.
Doch nur sture Machtinteressen, mangelhafte Friedenspolitik und eine schlecht organisierte Welt zwingen uns hin zu den kriegerischen Waffen und ins Feinddenken hinein.
Wo sture Machtinteressen aufeinandertreffen, dort ist Krieg und die Menschlichkeit, Brüderlichkeit ist vergessen – aber das sollten wir, das dürfen wir nicht vergessen.

Alles das höre ich aus diesem wunderbar melancholischen, klugen Lied heraus.
In der Stunde seines Todes erkennt der Soldat die Sinnlosigkeit des Krieges und er beschwört uns, ihm zuzuhören. Es ist ein Geschenk, dass er seine Erkenntnis mit uns teilt. Er selbst steht symbolisch für unendlich viele Männer, Frauen, Kinder, denen im Krieg, in unendlich vielen Kriegen, die Todesstunde schlug.
Ich möchte dieses Geschenk, dieses Lied und diese Erkenntnis annehmen.
Ich möchte Brothers in arms auf den derzeitigen Krieg in der Ukraine (oder auf jenen in Nahost) übertragen:
Einmal mehr sehe ich Waffenbrüder, die auf Waffenbrüder; Menschen, die auf Menschen schießen.
Kaum jemand tut das gern, jeder nur auf Geheiß von oben. Bloß das Geheiß unterscheidet sich, nur dieses Geheiß trennt die Menschenbrüder.
Was sie eint, ist so viel mehr.
Vermutlich ein jeder Soldat, der im Krieg feststeckt, denkt sehnsüchtig an sein Zuhause. An geliebte Menschen, zu denen er zurückkehren und wieder richtig, friedlich leben möchte – ohne Waffen zu tragen.
Gewiss träumen auch heute die meisten Russen und die meisten Ukrainer von jenem Tag, an dem entschieden wird, dass Brüder wieder Brüder sind.
Dies ist die alles entscheidende Entscheidung.
Eine Entscheidung, die bedauerlicherweise zurzeit niemand fällen mag.
Zu sehr hat man sich verstrickt in „wir Waffenbrüder hier“ und „die anderen da drüben“, sodass es undenkbar scheint, ukrainische und russische (oder israelische und palästinensische…) Brüder könnten jemals wieder nachbarschaftlich nebeneinander wohnen, sich friedlich und unbewaffnet begegnen.
Der Tag, an dem die Machtinteressen sich dereinst arrangiert haben werden – das tun sie am Ende doch immer- scheint schmerzlich fern.
Hart prallen die sturen Machtinteressen aufeinander, hart und härter, ohne dass jemand groß was dagegen tut, im Gegenteil. Man füttert den Krieg mit Parolen: Hier die Bösen, hier der Feind.
In der schlecht organisierten Welt hat Friedenspolitik ein schlechtes Standing.

Noch nicht mal neue Antikriegslieder hört man.
Weswegen man wohl auf die alten zurückgreifen muss, die aber ohnehin alles sagen.
Muss man nur hinhören, wenn die Instrumentalisierung von Brothers in arms kühl und bedächtig anklingt.
Hinhören auf die Worte eines sterbenden Soldaten, der es am besten weiß, was Krieg für ein tödlicher Unsinn ist.
Es klingt so wohltuend anders als die hitzigen Losungen, wie sie uns heute ausgegeben werden.



https://www.youtube.com/watch?v=jhdFe3evXpk
 



 
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