schreibfuchs
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Der große Sandsturm hatte sich gelegt und die Sonne schien wieder mit ihrer vollen, gnadenlosen Kraft auf das kleine Dorf inmitten der Oase. Die kleine Siedlung war über und über mit einer zentimeterdicken Sandschicht bedeckt und glich der Miniaturlandschaft in einer wassergefüllten Schneekugeln, bei deren Schütteln ein heftiger Flockenwirbel ausgelöst wird. Nur die Tatsache, dass diese Ansiedlung nicht im Schnee, sondern im feinen, weißgelblichen Sand versunken war und auch keine Riesenhand zum Schütteln am Himmel schwebte, ließ diesen Vergleich etwas hinken. Egal, in jedem Fall schien das gewohnte Bild irgendwie gespenstisch, fremd und anders zu sein. Und noch etwas schien anders, als gewohnt, denn gleich neben dem alten Brunnen lag ein spindelförmiger, geschlossener Korb aus dickem Weidengeflecht, der dort nicht hingehörte…
Endlich wagte es einer nach diesem schrecklichen Sandsturm aus einem der Hüttlein herauszukommen. Er war wohl der neugierigste aller Bewohner, nämlich Mukhtar, der draußen nach dem Rechten sah und dabei über diesen seltsamen und fremden Korb stolperte. Mukhtar staunte, er richtete den Korb auf und mühte sich redlich seinen Deckel zu öffnen. Jedoch, so sehr er sich auch anstrengte, der Korb ließ sich nicht öffnen!
„Was mag nur in diesem seltsamen Korb stecken“, murmelte er und wollte gerade nach geeigneten Hilfsmitteln Ausschau halten, um dem Korb Gewalt anzutun, da ertönte von Fern eine leise aber befehlende Stimme: „Lass den Deckel zu, hörst du, versuche ihn nicht zu öffnen! Komm mir lieber zur Hilfe, hörst du, hilf mir hier heraus!“
Mukhtar stutzte! Seine Augen forschten nach der Herkunft der Stimme! Und wirklich, nur wenige Meter von der Oase entfernt, dort, wo sonst eine mächtige Düne ihren Anfang genommen hatte, stecken ein menschlicher Kopf mit einem Turban in einem Sandtrichter, und er sah die dazugehörigen Arme, die verzweifelt herumfuchtelten.
Da schossen ihm vergangene Erlebnisse und Erfahrungen durch den Kopf und er zählte eins und eins zusammen: „Sand, Sandsturm, Treibsand? Natürlich, da steckt ein Mann im Treibsand fest, der braucht jetzt meine Hilfe!“
Mukhtar schrie: „Halte noch einen Augenblick durch, ich hole schnell Hilfe!“
Der Mann im Sand konnte nicht mehr fuchteln. Man sah nur noch zwei erstorbene Hände aus dem Sand ragen. Jetzt, das wusste der beherzte Bursche, war höchste Eile geboten. Er rief zwei gleichaltrige Jungen, die gerade des Weges kamen, zu: „Arif, Achmed, fragt nicht, schnappt euch ein Seil, da braucht jemand dringend unsere Hilfe“!
Die Jungen begriffen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Sie hatten schnell ein Seil bei der Hand und folgten Mukhtar. Mukhtar hatte sich das Seil fest um den Bauch gebunden, auf den Bauch geworfen und schrie zu den beiden Jungen, indem er eine Hand des Verunglückten fasste: „Los zieht, zieht, als wenn es um euer Leben ginge!“
Arif und Achmed zogen mit Leibeskräften und hatten bald, gemeinsam mit Mukhtar, den Mann aus der tödlichen Falle gerettet! Der Mann, ein Typ von beachtlicher Körpergröße und einem assyrischen Backenbart, war über und über mit Sand bedeckt! Er atmete stoßweise, keuchend und kam schließlich zu sich. Er prustete jede Menge Sand aus dem Mund, hustete heftig und musste fortwährend niesen. Dabei schoss ihn das Wasser aus den Augen und bildete zwei kleine Sturzbäche, die über die Wangen kullerten, um kurz darauf im Sand zu versiegen. Er wischte sich die Augen aus, schüttelte, klopfte und nestelte an sich herum, erblickte seine Befreier und lachte endlich: „So sehen also meine Retter aus? Ohne euch wäre ich jetzt schon bei Allah!“ Sie lachten gemeinsam laut und befreiend und die Jungen begriffen, dass sie eben ein Menschenleben gerettet hatten. Mukhtar rief spitzbübisch: „Bei Allah soll es doch auch nicht schlecht sein; schließlich wohnt der im Paradies und dort ist es allemal besser, als in der Wüste!“ Arif und Achmed schauten ihren Altersgenossen kritisch von der Seite an, aber der Fremde hatte verstanden und erklärte: „Da wirst du wohl recht haben mein buckliger Freund, aber meine Zeit fürs Paradies scheint noch nicht erfüllt zu sein!“, er lachte erneut und fuhr fort: „Aber lasst mich euch erst einmal vorstellen ich bin Mustafa, der Schlangenbeschwörer, dort drüben steht mein Korb, gefüllt mit den giftigsten Schlangen der Wüste und hier in meinem Gürtel steckt meine magische Schlangenflöte. Sie ist zwar noch etwas mit Sand gefüllt, aber ich will ihr die richtigen Flötentöne schon wieder beibringen.“
„Pah, da hatte ich ja richtig Glück, dass sich dein Schlangenkorb nicht öffnen ließ!“ erschreckte sich Mukhtar.
„Vielleicht war es auch die Vorsehung? Aber jetzt mal im Ernst: Mein Schlangenkorb besitzt einen geheimen Mechanismus, denen keiner außer mir öffnen kann.“
Er lachte erneut, wurde aber schnell wieder ernst und schlug den Jungen auf die Schulter:
"Habt tausend Dank! Ihr habt mir das Leben gerettet und ich werde nun ewig in eurer Schuld stehen!“
Er unterstrich seine Worte mit einer tiefen Verbeugung. Doch dann plapperte er weiter und munter drauf los.
„Was glaubt ihr wie schnell das ging? Von einem Kameltritt zum nächsten…buffffundweg! Nur meine Schlangen und ich konnten sich gerade so retten, mein Kamel versank unter mir, wie im Gelben Meer!"
Er deutete auf den kaum noch sichtbaren Sandtrichter hinter sich und fuhr fort: “In diesem Krater da steckt es, mein Kamel und Reisegefährte, es war ein gutes Mittelklassekamel mit hohen Reisequalitäten und günstigem Verbrauch! Aber, Allah sei Dank, war es gut versichert. Die Leute von „RENT A CAMEL“ passen da schon auf, dass nicht eines ihrer Tiere an Leib oder Leben beschädigt wird. Und was da nicht alles versichert wird, ihr glaubt es nicht: Die Typen sprachen bei Diebstahl, Wildbiss, höhere Gewalt, Entbehrungsunfällen (sprich: Nahrungsmangel, der aber nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen sein darf)) und etwaige ungewollte Trächtigkeiten, die auf Unachtsamkeit anderer Kamelbesitzer zurückzuführen sind (hier liegt der Pächter leider in der vollen Beweispflicht) von vollem Versicherungsschutz, bei Null Selbstbeteiligung! Oder auch im Umkehrschluss, also wenn dem Kamel zur Last gelegt wird, eine andere Stute, gegen den Willen ihres Besitzers… Na, ihr wisst schon was ich meine! Das ist dann auch mitversichert!“ Er nickte zur Bekräftigung seiner Worte, das der Sand nur so aus dem Turban rieselte und fuhr redselig fort: „Ich schätze Mal, diese Treibsandfalle hier, wird wohl ein Fall von höherer Gewalt werden und außerdem habe ich euch als Zeugen, wenn es hart auf hart kommt."
Mustafa kratzte sich den Kopf und plapperte weiter:
"Aber, wir reden hier über den schnöden Mammon und das arme Tier wird wohl schon im Kamelhimmel sein, so es einen gibt! So schnell kann es gehen? Aber meine Schlangen, die natürlich auch versichert sind, sind glücklicherweise gerettet, Allah und euch sei dank!“
Mustafa erzählte mit allem, was er besaß mit Händen, Füßen und seinen kugelrunden, leuchtenden Augen, eben mit allem, was man am menschlichen Körper so bewegen, verstellen oder verändern kann und natürlich auch mit dem Mund, aus dem es sprudelte, wie aus einem der Brunnen in der Oase:
„Eigentlich war ich auf dem Weg zum Sultanpalast, um den Sultan dort meine Schlangenkünste vorzuführen. Dieser verwunschene Sandsturm brachte mich vom rechten Weg ab und führte mich, mein Kamel und meine Schlangen direkt in diese Treibsandfalle. Allah möge ihn mit Wasser strafen, diesen abscheulichen Sandsturm! Aber das kommt mir nicht noch einmal unter. Beim nächsten Sandsturm, bewege ich mich nicht vom Fleck! Bei Allah, das ist eine Lektion, die ich gelernt habe. Ach, ich bin ja so froh, dass ihr mich gerettet habt und ich diese Falle überlebt habe. Zur Belohnung, werde ich euch und den Bewohnern eures Dorfes heute Abend ein kleines Schlangensondergastspiel geben…"
Achmed hatte als erster das Wettbüro errichtet! „Endlich kann ich auch mal das große Geld machen!“, freute er sich und die Dorfbewohner stauten sich bereits vor seinem Schalter, als Hassan, der Dorfälteste erschien!
"Seit wann darf denn ein Kind oder Jugendlicher das Wettbüro leiten? Das ist doch erst ab dem 18. Lebensjahr gestattet! " Er schnaufte wie ein wütender Stier und bedeutete dem Jungen ungehalten und ungeduldig diesen Platz zu räumen.
„Aber im Reglement steht keine Alterbegrenzung, von wegen ab 18 Jahren! Jedenfalls ist mir da nichts bekannt! Und außerdem habe ich Mustafa das Leben gerettet! Ich war der erste!“, versuchte Achmed zaghaft dem Dorfältesten zu widersprechen.
Hassan schien jedes Mittel Recht, Achmed von diesem Platz, von dem er, der Dorfälteste ahnte, dass er zur Goldgrube werden könnte, zu vertreiben. So griff er zu dem letzten Mittel, das ihm zur Verfügung stand und rief mit zorngerötetem Gesicht: „Ha, ha, Leben gerettet! Nun gut, jetzt empfehle ich dir aber dein eigenes Leben zu retten!“ Er zückte seine neunschwänzige Katze und peitschte den Jungen, der unter Schmerzen laut aufschrie, aus dem Wettbüro, dann nahm er selbst, mit dem freundlichsten Gesicht der Welt, ganz so, als sei überhaupt nichts geschehen oder vorgefallen, den Platz hinter dem Wettschalter ein. Der Dorfälteste wusste, dass die Wetten so günstig, wie noch nie standen, denn die Bewohner des Dorfes kannten noch keinen Schlangenbeschwörer! Sie hatten so einen fragwürdigen Menschen noch nie im Leben zu Augen bekommen. Sie wussten zwar um die Gefährlichkeit der Reptilien, aber sie kannten weder die Tricks noch die Kniffe eines Schlangenbeschwörers und schon gar nicht die magische Flöte, mit der so ein Schlangenbeschwörer die Schlangen im Zaume hält. Aber er, Hassan, der kluge Dorfälteste kannte diese Tricks. Er kannte sie alle. Er lächelte still in sich hinein. Er würde als einziger auf Mustafa als Sieger setzen, da war er sich sicher. Er hatte nämlich sehr schnell, klug und knallhart kalkuliert. Wenn Mustafa, wider seine Erwartungen, dennoch gebissen werden würde, so müsste zwingend eine neue Wette geschlossen werden! Nämlich dieses Mal nicht eine Wette auf Leben oder Tod eines Zuschauers, sondern des Schlangenbändigers! So würden unter Umständen gleich zwei Wettverhältnisse entstehen, die ihn, Hassan, den Dorfältesten, in jedem Fall begünstigen und reich machen würden. Er würde gewinnen, in jedem Fall gewinnen. Dieser Gedanke wärmte ihm das Herz, so dass er vor lauter Freude fast wie ein Lausebengel herum gehüpft wäre. Die Menschen im Dorf wähnte er dumm und einfältig. Denn diese Menschen waren ehrlich! Sie besaßen nicht seinen Scharfsinn, seine Schläue oder gar seine Hinterlist. Sie glaubten nur das, was sie sahen oder wussten, und dass wähnte er als sein Kapital!
Achmed rieb sich seine schmerzenden Gliedmaßen sagte aber trotzdem träumerisch: „Ach, es wäre doch zu schön gewesen, aber der Dorfälteste…“, seine Stirn verfinsterte sich, er ballte die Faust und schaute hasserfüllt in Richtung des Wettbüros: "…wird seine Strafe auch noch bekommen!“ Dann drehte er sich brüsk ab und erklärte gleichmütig: „Wisst ihr was, ich habe keinen Bock mehr auf Schlangen und schon gar nicht auf Wetten! Aber, was könnten wir stattdessen nur anfangen?"
In diesem Augenblick ging ein lautes Raunen durch die Menge. Hassan hatte eben seinen letzten Wettkandidaten bedient, sein Wettbüro verschlossen und das Zeichen zum Beginn der Vorstellung gegeben. Mustafa stand vor seinem Schlangenkorb, hob beschwörend beide Arme, ließ dann schnell einen Arm sinken, der streifte nur den Deckel und dieser sprang, wie durch Zauberhand auf.
Asad, der gleich neben Achmed stand und für jeden Streich zu haben war, flüstere ihm ins Ohr:
"Wir könnten doch heimlich die Schlangen vom Schlangenbeschwörer freilassen!" Plötzlich erklang eine unbekannte, anrührende und wehmütige Melodie, die gleichermaßen alle erfasste und verstummen ließ. Die Melodie entfloh Mustafas magischer Flöte und eine Königskobra, derer man jetzt ansichtig wurde, ließ allen den Atem stocken. Die Schlange, die sofort nach ihrem Erscheinen ihre typische Drohhaltung des gespreizten Halsschildes zeigte, die Schlange, die Mustafa im Schneidersitz vor seinem Korb hockend mit dieser bezaubernden Melodie entzückte, diese Schlange wand und wog sich immer weiter aus dem Korb empor. Das sah wie ein betörender Tanz aus. Die gesamte Zuschauerschar, die dieses Schauspiel andächtig verfolgte, wog sich plötzlich genau wie die Schlange und ihr Bändiger, wie in einer vorübergehenden Bewusstseinstrübung, nach den Klängen der sonderbaren Melodie! Sie schienen alle gebannt von den Künsten Mustafas und schaute mit geweiteten, sensationslüsternen Augen dem geschmeidigen Tanz der Schlange zu. Wann würde sie zustoßen und dem Schauspiel ein jähes Ende bereiten? Gäbe es ein Opfer? Wenn ja: Würde es den Schlangenbiss überleben? Doch die Schlange, die sich wie im Rausch bewegte, dachte nicht an Angriff, sondern nur an Tanz, den sie von den rhythmischen Bewegungen ihres Herrn und Meisters kopierte.
Mustafa hatte zu Beginn der Veranstaltung erklärt, dass die Schlangen durch den Sandsturm und die Wärme etwas gereizt seien und es keine lauten Geräusche Seitens des Publikums oder sonst wo her geben dürfte, da er sonst für nichts garantieren könne. Jedoch Hassan, der Dorfälteste hatte sich, ungeachtet der Gefahr und um auch besser sehen zu können, ganz nach vorn in die erste Reihe gedrängt. Alle sahen nur das Spiel der Schlange und keiner den falschen Glanz in den Augen des Dorfältesten und keiner seine Hände, die sich geschäftstüchtig gegeneinander rieben, weil er wusste, dass Mustafa ein erfahrener Schlangenbeschwörer ist. Solche Fakire und Lebenskünstler, hatte er, während eines Einkaufbummels mit seinem Weib, schon mehrmals in den gläsernen Kolonnaden des Sultans erlebt. Nie taten die Schlangen etwas anderes, als ihnen der Schlangenbändiger befahl. Mit diesem Wissen schaute Hassan dem schaurig schönen Tanz des giftigen Reptils mit glitzernden Augen weiter zu.
Arif, dem die Aufregung der vormittäglichen Rettungsaktion Mustafas noch in den Knochen gesteckt hatte rief, gleichsam zu sich gekommen, erbost aus:
"Schlangen befreien? Bist Du blöd? Ich habe keine Lust von einer Schlange gebissen zu werden, um dann für alle ein jämmerliches Schauspiel und Grund für eine weitere Wette zu geben! "
Alle schauten auf Achmed, der Arifs Einwand gar nicht so unbegründet fand. Doch plötzlich begannen Achmeds Augen zu leuchten:
„Bei den Giftzähnen aller Schlangen Arif hat Recht! Aber, dort steht Mukhtar. Passt mal auf, da ist mir doch in diesem Augenblick etwas eingefallen! Gleich gibt es was zum Lachen!“
Und ohne eine Antwort von seinen Freunden abzuwarten, begann er sich an den buckligen Jungen heranzuschleichen.
Arif rief noch leise und warnend:
„Mit Mukhtar ist nicht gut Kirschen essen. Ich kenne da eine Geschichte...!“
Asad, der von dem Unmut Achmeds angesteckt schien erklärte so gleichmütig wie Achmed:
„Bleib mir ja mit deinen Geschichten vom Leibe! Alles ist besser, als dieser Schlangentanz hier!“ Dabei verdrehte Asad gekonnt die Augen, wog sich in den Hüften und spielte die Bewegung Mustafas nach, warf sich in den Sand und ließ ihn durch die Finger rinnen: „Es ist sooo stinklangweilig, los Achmed, du hast doch immer die besten Ideen, trau dich!“
Achmed, der von allen unbemerkt seinen Schleichgang zu Mukhtar begonnen hatte, schaute Asad entgeistert an und flüsterte: „Was glaubst du, was ich hier mache? Hä! Wonach sieht es denn aus?“
Kopfschüttelnd erreicht Achmed Mukhtar, der wie gebannt dem Spiel mit der Schlange zusah, von hinten. Langsam richtete sich Achmed auf, spannte sich wie eine Schlange vorm Zustoßen, sprang Mukhtar auf den Rücken und schrie laut:
„He, Du König aller Maulwürfe und Wanderratten, ich will auf dir reiten.
Bleib einfach wie du bist, wir werden beide einen kleinen Ausritt zum Sultan unternehmen.“
Was nun folgte, geschah im Bruchteil einer Sekunde, es währte so lange, wie ein Augenaufschlag! Achmeds hinterhältiger Anschlag und Mukhtars erschrockener Aufschrei erfolgte gerade in jenem Augenblick, als sich die tanzende Schlange auf Augenhöhe und im Blickkontakt zu Hassan, dem Dorfältesten befand. Mustafa stand dem Geschehen vollkommen ohnmächtig gegenüber: Er konnte die Schlange weder packen, noch von ihrer Schockreaktion abhalten. Es geschah, wie durch Allahs Fügung. Die Schreie der Jungen, ihr innehalten im Tanz und ihr zustoßen auf das Opfer, schienen in ihrer logischen Abfolge, wie aus einem Guss. Die Schlange hatte ihre langen Giftzähne pfeilschnell durch die Halsschlagader von Hassan, dem Dorfältesten geschlagen und sich eben so schnell wieder zurückgezogen. Hassan griff sich reflexartig mit beiden Händen an den Hals, sein Gesicht lief blau an, die Augen traten aus ihren Höhlen! Er sank auf die Knie und fiel bäuchlings in den Sand, wo er am ganzen Leib zuckend und laut röchelnd liegen blieb, um sich nur nach wenigen Minuten überhaupt nicht mehr zu bewegen. Mustafa hatte seine Schlangen geistesgegenwärtig und schnell im Korb verstaut und schaute fassungslos auf den leblosen Körper des Dorfältesten. Die Zuschauer waren, nachdem sie ihren ersten Schock verwunden hatten, laut schreiend, wie ein, vom Habicht bedrohter, Hühnerhaufen auseinander gestoben. Das junge Weib des Dorfältesten stand zuerst wie zu einer Salzsäule erstarrt, kniete gleich darauf laut jammernd vor ihrem toten Mann nieder, warf sich immer wieder Sand aufs Haupt, verdrehte schrecklich die Augen und stieß laute Gebetsformeln in den Himmel. Die beteiligten Jungs standen noch wie ein steinernes Denkmal an der Stelle ihrer Untat: Achmed auf Mukhtars Rücken sowie Arif und Arad daneben, fast zu Tode erschrocken und schweigend…
Endlich wagte es einer nach diesem schrecklichen Sandsturm aus einem der Hüttlein herauszukommen. Er war wohl der neugierigste aller Bewohner, nämlich Mukhtar, der draußen nach dem Rechten sah und dabei über diesen seltsamen und fremden Korb stolperte. Mukhtar staunte, er richtete den Korb auf und mühte sich redlich seinen Deckel zu öffnen. Jedoch, so sehr er sich auch anstrengte, der Korb ließ sich nicht öffnen!
„Was mag nur in diesem seltsamen Korb stecken“, murmelte er und wollte gerade nach geeigneten Hilfsmitteln Ausschau halten, um dem Korb Gewalt anzutun, da ertönte von Fern eine leise aber befehlende Stimme: „Lass den Deckel zu, hörst du, versuche ihn nicht zu öffnen! Komm mir lieber zur Hilfe, hörst du, hilf mir hier heraus!“
Mukhtar stutzte! Seine Augen forschten nach der Herkunft der Stimme! Und wirklich, nur wenige Meter von der Oase entfernt, dort, wo sonst eine mächtige Düne ihren Anfang genommen hatte, stecken ein menschlicher Kopf mit einem Turban in einem Sandtrichter, und er sah die dazugehörigen Arme, die verzweifelt herumfuchtelten.
Da schossen ihm vergangene Erlebnisse und Erfahrungen durch den Kopf und er zählte eins und eins zusammen: „Sand, Sandsturm, Treibsand? Natürlich, da steckt ein Mann im Treibsand fest, der braucht jetzt meine Hilfe!“
Mukhtar schrie: „Halte noch einen Augenblick durch, ich hole schnell Hilfe!“
Der Mann im Sand konnte nicht mehr fuchteln. Man sah nur noch zwei erstorbene Hände aus dem Sand ragen. Jetzt, das wusste der beherzte Bursche, war höchste Eile geboten. Er rief zwei gleichaltrige Jungen, die gerade des Weges kamen, zu: „Arif, Achmed, fragt nicht, schnappt euch ein Seil, da braucht jemand dringend unsere Hilfe“!
Die Jungen begriffen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Sie hatten schnell ein Seil bei der Hand und folgten Mukhtar. Mukhtar hatte sich das Seil fest um den Bauch gebunden, auf den Bauch geworfen und schrie zu den beiden Jungen, indem er eine Hand des Verunglückten fasste: „Los zieht, zieht, als wenn es um euer Leben ginge!“
Arif und Achmed zogen mit Leibeskräften und hatten bald, gemeinsam mit Mukhtar, den Mann aus der tödlichen Falle gerettet! Der Mann, ein Typ von beachtlicher Körpergröße und einem assyrischen Backenbart, war über und über mit Sand bedeckt! Er atmete stoßweise, keuchend und kam schließlich zu sich. Er prustete jede Menge Sand aus dem Mund, hustete heftig und musste fortwährend niesen. Dabei schoss ihn das Wasser aus den Augen und bildete zwei kleine Sturzbäche, die über die Wangen kullerten, um kurz darauf im Sand zu versiegen. Er wischte sich die Augen aus, schüttelte, klopfte und nestelte an sich herum, erblickte seine Befreier und lachte endlich: „So sehen also meine Retter aus? Ohne euch wäre ich jetzt schon bei Allah!“ Sie lachten gemeinsam laut und befreiend und die Jungen begriffen, dass sie eben ein Menschenleben gerettet hatten. Mukhtar rief spitzbübisch: „Bei Allah soll es doch auch nicht schlecht sein; schließlich wohnt der im Paradies und dort ist es allemal besser, als in der Wüste!“ Arif und Achmed schauten ihren Altersgenossen kritisch von der Seite an, aber der Fremde hatte verstanden und erklärte: „Da wirst du wohl recht haben mein buckliger Freund, aber meine Zeit fürs Paradies scheint noch nicht erfüllt zu sein!“, er lachte erneut und fuhr fort: „Aber lasst mich euch erst einmal vorstellen ich bin Mustafa, der Schlangenbeschwörer, dort drüben steht mein Korb, gefüllt mit den giftigsten Schlangen der Wüste und hier in meinem Gürtel steckt meine magische Schlangenflöte. Sie ist zwar noch etwas mit Sand gefüllt, aber ich will ihr die richtigen Flötentöne schon wieder beibringen.“
„Pah, da hatte ich ja richtig Glück, dass sich dein Schlangenkorb nicht öffnen ließ!“ erschreckte sich Mukhtar.
„Vielleicht war es auch die Vorsehung? Aber jetzt mal im Ernst: Mein Schlangenkorb besitzt einen geheimen Mechanismus, denen keiner außer mir öffnen kann.“
Er lachte erneut, wurde aber schnell wieder ernst und schlug den Jungen auf die Schulter:
"Habt tausend Dank! Ihr habt mir das Leben gerettet und ich werde nun ewig in eurer Schuld stehen!“
Er unterstrich seine Worte mit einer tiefen Verbeugung. Doch dann plapperte er weiter und munter drauf los.
„Was glaubt ihr wie schnell das ging? Von einem Kameltritt zum nächsten…buffffundweg! Nur meine Schlangen und ich konnten sich gerade so retten, mein Kamel versank unter mir, wie im Gelben Meer!"
Er deutete auf den kaum noch sichtbaren Sandtrichter hinter sich und fuhr fort: “In diesem Krater da steckt es, mein Kamel und Reisegefährte, es war ein gutes Mittelklassekamel mit hohen Reisequalitäten und günstigem Verbrauch! Aber, Allah sei Dank, war es gut versichert. Die Leute von „RENT A CAMEL“ passen da schon auf, dass nicht eines ihrer Tiere an Leib oder Leben beschädigt wird. Und was da nicht alles versichert wird, ihr glaubt es nicht: Die Typen sprachen bei Diebstahl, Wildbiss, höhere Gewalt, Entbehrungsunfällen (sprich: Nahrungsmangel, der aber nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen sein darf)) und etwaige ungewollte Trächtigkeiten, die auf Unachtsamkeit anderer Kamelbesitzer zurückzuführen sind (hier liegt der Pächter leider in der vollen Beweispflicht) von vollem Versicherungsschutz, bei Null Selbstbeteiligung! Oder auch im Umkehrschluss, also wenn dem Kamel zur Last gelegt wird, eine andere Stute, gegen den Willen ihres Besitzers… Na, ihr wisst schon was ich meine! Das ist dann auch mitversichert!“ Er nickte zur Bekräftigung seiner Worte, das der Sand nur so aus dem Turban rieselte und fuhr redselig fort: „Ich schätze Mal, diese Treibsandfalle hier, wird wohl ein Fall von höherer Gewalt werden und außerdem habe ich euch als Zeugen, wenn es hart auf hart kommt."
Mustafa kratzte sich den Kopf und plapperte weiter:
"Aber, wir reden hier über den schnöden Mammon und das arme Tier wird wohl schon im Kamelhimmel sein, so es einen gibt! So schnell kann es gehen? Aber meine Schlangen, die natürlich auch versichert sind, sind glücklicherweise gerettet, Allah und euch sei dank!“
Mustafa erzählte mit allem, was er besaß mit Händen, Füßen und seinen kugelrunden, leuchtenden Augen, eben mit allem, was man am menschlichen Körper so bewegen, verstellen oder verändern kann und natürlich auch mit dem Mund, aus dem es sprudelte, wie aus einem der Brunnen in der Oase:
„Eigentlich war ich auf dem Weg zum Sultanpalast, um den Sultan dort meine Schlangenkünste vorzuführen. Dieser verwunschene Sandsturm brachte mich vom rechten Weg ab und führte mich, mein Kamel und meine Schlangen direkt in diese Treibsandfalle. Allah möge ihn mit Wasser strafen, diesen abscheulichen Sandsturm! Aber das kommt mir nicht noch einmal unter. Beim nächsten Sandsturm, bewege ich mich nicht vom Fleck! Bei Allah, das ist eine Lektion, die ich gelernt habe. Ach, ich bin ja so froh, dass ihr mich gerettet habt und ich diese Falle überlebt habe. Zur Belohnung, werde ich euch und den Bewohnern eures Dorfes heute Abend ein kleines Schlangensondergastspiel geben…"
Achmed hatte als erster das Wettbüro errichtet! „Endlich kann ich auch mal das große Geld machen!“, freute er sich und die Dorfbewohner stauten sich bereits vor seinem Schalter, als Hassan, der Dorfälteste erschien!
"Seit wann darf denn ein Kind oder Jugendlicher das Wettbüro leiten? Das ist doch erst ab dem 18. Lebensjahr gestattet! " Er schnaufte wie ein wütender Stier und bedeutete dem Jungen ungehalten und ungeduldig diesen Platz zu räumen.
„Aber im Reglement steht keine Alterbegrenzung, von wegen ab 18 Jahren! Jedenfalls ist mir da nichts bekannt! Und außerdem habe ich Mustafa das Leben gerettet! Ich war der erste!“, versuchte Achmed zaghaft dem Dorfältesten zu widersprechen.
Hassan schien jedes Mittel Recht, Achmed von diesem Platz, von dem er, der Dorfälteste ahnte, dass er zur Goldgrube werden könnte, zu vertreiben. So griff er zu dem letzten Mittel, das ihm zur Verfügung stand und rief mit zorngerötetem Gesicht: „Ha, ha, Leben gerettet! Nun gut, jetzt empfehle ich dir aber dein eigenes Leben zu retten!“ Er zückte seine neunschwänzige Katze und peitschte den Jungen, der unter Schmerzen laut aufschrie, aus dem Wettbüro, dann nahm er selbst, mit dem freundlichsten Gesicht der Welt, ganz so, als sei überhaupt nichts geschehen oder vorgefallen, den Platz hinter dem Wettschalter ein. Der Dorfälteste wusste, dass die Wetten so günstig, wie noch nie standen, denn die Bewohner des Dorfes kannten noch keinen Schlangenbeschwörer! Sie hatten so einen fragwürdigen Menschen noch nie im Leben zu Augen bekommen. Sie wussten zwar um die Gefährlichkeit der Reptilien, aber sie kannten weder die Tricks noch die Kniffe eines Schlangenbeschwörers und schon gar nicht die magische Flöte, mit der so ein Schlangenbeschwörer die Schlangen im Zaume hält. Aber er, Hassan, der kluge Dorfälteste kannte diese Tricks. Er kannte sie alle. Er lächelte still in sich hinein. Er würde als einziger auf Mustafa als Sieger setzen, da war er sich sicher. Er hatte nämlich sehr schnell, klug und knallhart kalkuliert. Wenn Mustafa, wider seine Erwartungen, dennoch gebissen werden würde, so müsste zwingend eine neue Wette geschlossen werden! Nämlich dieses Mal nicht eine Wette auf Leben oder Tod eines Zuschauers, sondern des Schlangenbändigers! So würden unter Umständen gleich zwei Wettverhältnisse entstehen, die ihn, Hassan, den Dorfältesten, in jedem Fall begünstigen und reich machen würden. Er würde gewinnen, in jedem Fall gewinnen. Dieser Gedanke wärmte ihm das Herz, so dass er vor lauter Freude fast wie ein Lausebengel herum gehüpft wäre. Die Menschen im Dorf wähnte er dumm und einfältig. Denn diese Menschen waren ehrlich! Sie besaßen nicht seinen Scharfsinn, seine Schläue oder gar seine Hinterlist. Sie glaubten nur das, was sie sahen oder wussten, und dass wähnte er als sein Kapital!
Achmed rieb sich seine schmerzenden Gliedmaßen sagte aber trotzdem träumerisch: „Ach, es wäre doch zu schön gewesen, aber der Dorfälteste…“, seine Stirn verfinsterte sich, er ballte die Faust und schaute hasserfüllt in Richtung des Wettbüros: "…wird seine Strafe auch noch bekommen!“ Dann drehte er sich brüsk ab und erklärte gleichmütig: „Wisst ihr was, ich habe keinen Bock mehr auf Schlangen und schon gar nicht auf Wetten! Aber, was könnten wir stattdessen nur anfangen?"
In diesem Augenblick ging ein lautes Raunen durch die Menge. Hassan hatte eben seinen letzten Wettkandidaten bedient, sein Wettbüro verschlossen und das Zeichen zum Beginn der Vorstellung gegeben. Mustafa stand vor seinem Schlangenkorb, hob beschwörend beide Arme, ließ dann schnell einen Arm sinken, der streifte nur den Deckel und dieser sprang, wie durch Zauberhand auf.
Asad, der gleich neben Achmed stand und für jeden Streich zu haben war, flüstere ihm ins Ohr:
"Wir könnten doch heimlich die Schlangen vom Schlangenbeschwörer freilassen!" Plötzlich erklang eine unbekannte, anrührende und wehmütige Melodie, die gleichermaßen alle erfasste und verstummen ließ. Die Melodie entfloh Mustafas magischer Flöte und eine Königskobra, derer man jetzt ansichtig wurde, ließ allen den Atem stocken. Die Schlange, die sofort nach ihrem Erscheinen ihre typische Drohhaltung des gespreizten Halsschildes zeigte, die Schlange, die Mustafa im Schneidersitz vor seinem Korb hockend mit dieser bezaubernden Melodie entzückte, diese Schlange wand und wog sich immer weiter aus dem Korb empor. Das sah wie ein betörender Tanz aus. Die gesamte Zuschauerschar, die dieses Schauspiel andächtig verfolgte, wog sich plötzlich genau wie die Schlange und ihr Bändiger, wie in einer vorübergehenden Bewusstseinstrübung, nach den Klängen der sonderbaren Melodie! Sie schienen alle gebannt von den Künsten Mustafas und schaute mit geweiteten, sensationslüsternen Augen dem geschmeidigen Tanz der Schlange zu. Wann würde sie zustoßen und dem Schauspiel ein jähes Ende bereiten? Gäbe es ein Opfer? Wenn ja: Würde es den Schlangenbiss überleben? Doch die Schlange, die sich wie im Rausch bewegte, dachte nicht an Angriff, sondern nur an Tanz, den sie von den rhythmischen Bewegungen ihres Herrn und Meisters kopierte.
Mustafa hatte zu Beginn der Veranstaltung erklärt, dass die Schlangen durch den Sandsturm und die Wärme etwas gereizt seien und es keine lauten Geräusche Seitens des Publikums oder sonst wo her geben dürfte, da er sonst für nichts garantieren könne. Jedoch Hassan, der Dorfälteste hatte sich, ungeachtet der Gefahr und um auch besser sehen zu können, ganz nach vorn in die erste Reihe gedrängt. Alle sahen nur das Spiel der Schlange und keiner den falschen Glanz in den Augen des Dorfältesten und keiner seine Hände, die sich geschäftstüchtig gegeneinander rieben, weil er wusste, dass Mustafa ein erfahrener Schlangenbeschwörer ist. Solche Fakire und Lebenskünstler, hatte er, während eines Einkaufbummels mit seinem Weib, schon mehrmals in den gläsernen Kolonnaden des Sultans erlebt. Nie taten die Schlangen etwas anderes, als ihnen der Schlangenbändiger befahl. Mit diesem Wissen schaute Hassan dem schaurig schönen Tanz des giftigen Reptils mit glitzernden Augen weiter zu.
Arif, dem die Aufregung der vormittäglichen Rettungsaktion Mustafas noch in den Knochen gesteckt hatte rief, gleichsam zu sich gekommen, erbost aus:
"Schlangen befreien? Bist Du blöd? Ich habe keine Lust von einer Schlange gebissen zu werden, um dann für alle ein jämmerliches Schauspiel und Grund für eine weitere Wette zu geben! "
Alle schauten auf Achmed, der Arifs Einwand gar nicht so unbegründet fand. Doch plötzlich begannen Achmeds Augen zu leuchten:
„Bei den Giftzähnen aller Schlangen Arif hat Recht! Aber, dort steht Mukhtar. Passt mal auf, da ist mir doch in diesem Augenblick etwas eingefallen! Gleich gibt es was zum Lachen!“
Und ohne eine Antwort von seinen Freunden abzuwarten, begann er sich an den buckligen Jungen heranzuschleichen.
Arif rief noch leise und warnend:
„Mit Mukhtar ist nicht gut Kirschen essen. Ich kenne da eine Geschichte...!“
Asad, der von dem Unmut Achmeds angesteckt schien erklärte so gleichmütig wie Achmed:
„Bleib mir ja mit deinen Geschichten vom Leibe! Alles ist besser, als dieser Schlangentanz hier!“ Dabei verdrehte Asad gekonnt die Augen, wog sich in den Hüften und spielte die Bewegung Mustafas nach, warf sich in den Sand und ließ ihn durch die Finger rinnen: „Es ist sooo stinklangweilig, los Achmed, du hast doch immer die besten Ideen, trau dich!“
Achmed, der von allen unbemerkt seinen Schleichgang zu Mukhtar begonnen hatte, schaute Asad entgeistert an und flüsterte: „Was glaubst du, was ich hier mache? Hä! Wonach sieht es denn aus?“
Kopfschüttelnd erreicht Achmed Mukhtar, der wie gebannt dem Spiel mit der Schlange zusah, von hinten. Langsam richtete sich Achmed auf, spannte sich wie eine Schlange vorm Zustoßen, sprang Mukhtar auf den Rücken und schrie laut:
„He, Du König aller Maulwürfe und Wanderratten, ich will auf dir reiten.
Bleib einfach wie du bist, wir werden beide einen kleinen Ausritt zum Sultan unternehmen.“
Was nun folgte, geschah im Bruchteil einer Sekunde, es währte so lange, wie ein Augenaufschlag! Achmeds hinterhältiger Anschlag und Mukhtars erschrockener Aufschrei erfolgte gerade in jenem Augenblick, als sich die tanzende Schlange auf Augenhöhe und im Blickkontakt zu Hassan, dem Dorfältesten befand. Mustafa stand dem Geschehen vollkommen ohnmächtig gegenüber: Er konnte die Schlange weder packen, noch von ihrer Schockreaktion abhalten. Es geschah, wie durch Allahs Fügung. Die Schreie der Jungen, ihr innehalten im Tanz und ihr zustoßen auf das Opfer, schienen in ihrer logischen Abfolge, wie aus einem Guss. Die Schlange hatte ihre langen Giftzähne pfeilschnell durch die Halsschlagader von Hassan, dem Dorfältesten geschlagen und sich eben so schnell wieder zurückgezogen. Hassan griff sich reflexartig mit beiden Händen an den Hals, sein Gesicht lief blau an, die Augen traten aus ihren Höhlen! Er sank auf die Knie und fiel bäuchlings in den Sand, wo er am ganzen Leib zuckend und laut röchelnd liegen blieb, um sich nur nach wenigen Minuten überhaupt nicht mehr zu bewegen. Mustafa hatte seine Schlangen geistesgegenwärtig und schnell im Korb verstaut und schaute fassungslos auf den leblosen Körper des Dorfältesten. Die Zuschauer waren, nachdem sie ihren ersten Schock verwunden hatten, laut schreiend, wie ein, vom Habicht bedrohter, Hühnerhaufen auseinander gestoben. Das junge Weib des Dorfältesten stand zuerst wie zu einer Salzsäule erstarrt, kniete gleich darauf laut jammernd vor ihrem toten Mann nieder, warf sich immer wieder Sand aufs Haupt, verdrehte schrecklich die Augen und stieß laute Gebetsformeln in den Himmel. Die beteiligten Jungs standen noch wie ein steinernes Denkmal an der Stelle ihrer Untat: Achmed auf Mukhtars Rücken sowie Arif und Arad daneben, fast zu Tode erschrocken und schweigend…