Meine Deutschkenntnisse lagen zur damaligen Zeit genau auf jener nur vage definierten Schwelle, bei der man mir sehr gut begründen konnte, warum ich am normalen Schulunterricht vollständig teilnehmen sollte, aber ich sprachlich trotzdem hohe Schwierigkeiten hatte, sinnvoll teilzuhaben und es fiel mir sehr schwer, diese zwar schwammige aber durchaus auch überzeugende Begründung seitens der Lehrkräfte, die man offiziell »Empfehlung« nannte, abzulehnen: da saß ich dann zwischen den knapp 30 deutschen Muttersprachlern. Mühsam versuchte ich meine Zweifel und meine Nervosität zu überspielen, doch es half nicht. Nicht mehr lange sollte das Referat meines Mitschülers dauern, welcher kaum seine Notizen verwenden musste. Er präsentierte das Thema präzise; dem eigenen Satz war er zehn Schritte voraus als diskutierte er gegen sich selbst; es lösten sich die Wörter aus seinem Munde mit einer unbegreiflichen Selbstverständlichkeit, man hörte sie schon bevor sie erklungen waren. Schließlich beendete er seinen letzten Punkt und alle Blicke richteten sich wie ein Todesurteil auf mich.
Ich begann zitternd, meine drei bis vier Karteikarten zu sortieren und schlich mittels langsamen Schrittes nach vorne, während mich alle Pupillen der Klasse verfolgten. Der Raum erschien mir dabei so ungeheuerlich lang. Vorne angekommen drehte ich mich zum Publikum: ganz hinten saß Frau B. mit ihren Fischaugen, mit denen sie mich anvisierte, aus ihrer verschatteten Ecke mit ihrem Notizblock und dem spitzen Bleistift, den sie noch mit den Fingern spielerisch drehte. Vor ihr lag die große Welle an Schülern – aufmerksam. Rechts neben mir war das Fenster weit geöffnet und der Wind ergriff meine Beine; in diesem Moment wusste ich nicht, ob ich aufgrund von Kälte oder Angst zitterte. Ich senkte den Kopf und besichtigte meine Stichpunkte – jeden Buchstaben studierend. Einen Fließtext hatte ich nicht schreiben dürfen; die Lehrerin hatte die Handzettel sorgfältig begutachtet. Ein freies Vortragen wurde vorausgesetzt. Mit wackligen Knien begann ich entsprechend, aus den dahingekritzelten Viertelsätzen einen halbwegs verständlichen Vortrag zu improvisieren. Mein ganzer Körper klapperte kläglich, während ich mit dieser mickrigen Stimme – die klang, als würde ich gleich weinen – elendig versagte. Wörter verloren an Sinn, als hätten sie nie einen gehabt. Ich wusste nicht, was ich redete – nicht mal, was ich reden wollte – und trotzdem presste ich qualvoll krumme Halbphrasen aus mir heraus. Frau B. begann, heimlich ihre Notizen zu schreiben – was sie wohl dachte. Und die Zuhörer wurden deutlicher: jeder einzelne Fehler wurde mir mittelbar mitgeteilt, indem manche Schüler fast unauffällig kicherten oder flüsterten oder mich mit jenen fragenden Augen anstarrten. Zwei Jungs lachten mich lauter aus als alle anderen. Frau B.s Ecke wurde dunkler und ihr Kopf hing tiefer. Ihre Hand wanderte rasanter über den Schreibblock – beschleunigend. Sie hatte mich lange nicht mehr angesehen. Mir kam schleichend die Frage auf, was sie wohl schrieb.
Ich erinnere mich, wie ich im Anschluss alleine auf einer Bank im Pausenhof saß und die Aussage hörte: »Mustafa kann nicht sprechen«, gefolgt von dem Satz »der Junge ist dumm wie Stroh«. Man sagte es hinter meinem Rücken, aber direkt vor mir stehend; dies war mir ein kleines Indiz für meine Existenzlosigkeit.
Ich begann zitternd, meine drei bis vier Karteikarten zu sortieren und schlich mittels langsamen Schrittes nach vorne, während mich alle Pupillen der Klasse verfolgten. Der Raum erschien mir dabei so ungeheuerlich lang. Vorne angekommen drehte ich mich zum Publikum: ganz hinten saß Frau B. mit ihren Fischaugen, mit denen sie mich anvisierte, aus ihrer verschatteten Ecke mit ihrem Notizblock und dem spitzen Bleistift, den sie noch mit den Fingern spielerisch drehte. Vor ihr lag die große Welle an Schülern – aufmerksam. Rechts neben mir war das Fenster weit geöffnet und der Wind ergriff meine Beine; in diesem Moment wusste ich nicht, ob ich aufgrund von Kälte oder Angst zitterte. Ich senkte den Kopf und besichtigte meine Stichpunkte – jeden Buchstaben studierend. Einen Fließtext hatte ich nicht schreiben dürfen; die Lehrerin hatte die Handzettel sorgfältig begutachtet. Ein freies Vortragen wurde vorausgesetzt. Mit wackligen Knien begann ich entsprechend, aus den dahingekritzelten Viertelsätzen einen halbwegs verständlichen Vortrag zu improvisieren. Mein ganzer Körper klapperte kläglich, während ich mit dieser mickrigen Stimme – die klang, als würde ich gleich weinen – elendig versagte. Wörter verloren an Sinn, als hätten sie nie einen gehabt. Ich wusste nicht, was ich redete – nicht mal, was ich reden wollte – und trotzdem presste ich qualvoll krumme Halbphrasen aus mir heraus. Frau B. begann, heimlich ihre Notizen zu schreiben – was sie wohl dachte. Und die Zuhörer wurden deutlicher: jeder einzelne Fehler wurde mir mittelbar mitgeteilt, indem manche Schüler fast unauffällig kicherten oder flüsterten oder mich mit jenen fragenden Augen anstarrten. Zwei Jungs lachten mich lauter aus als alle anderen. Frau B.s Ecke wurde dunkler und ihr Kopf hing tiefer. Ihre Hand wanderte rasanter über den Schreibblock – beschleunigend. Sie hatte mich lange nicht mehr angesehen. Mir kam schleichend die Frage auf, was sie wohl schrieb.
Ich erinnere mich, wie ich im Anschluss alleine auf einer Bank im Pausenhof saß und die Aussage hörte: »Mustafa kann nicht sprechen«, gefolgt von dem Satz »der Junge ist dumm wie Stroh«. Man sagte es hinter meinem Rücken, aber direkt vor mir stehend; dies war mir ein kleines Indiz für meine Existenzlosigkeit.
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