Mutter ist die Beste - 1 Die Ankunft

Mutter ist die Beste

1 Die Ankunft

Die Fremde steigt wortlos in das Taxi ein. Sie reicht dem Fahrer einen Zettel, bevor dieser auch nur den Hauch einer Chance hat, die schöne Frau nach dem Fahrtziel zu fragen.

Schon bald biegt der Wagen in den weitläufigen Schlosspark ein. Majestätisch säumen hochgewachsene Platanen den Fahrweg. Ihre Wipfel wiegen sich im lauen Sommerwind, als ob sie sich vor der Fahrgästin verneigen wollten.
Vor der Freitreppe empfängt der stumme Diener Balthasar die Ankommende. Balthasar, der Unergründliche, geleitet die junge Frau zur Eingangspforte des prachtvollen Gebäudes. Ach ja, zahlen muss sie auch noch. Doch das ist schnell erledigt. Der Chauffeur entfernt sich mit seinem Fahrzeug.

Der Vater erwartet die Schöne im Vestibül, nicht weit vor der mächtigen Holztreppe stehend. Kevin, dieser Ausnahme-Ökonom, der in den 80-er Jahren mit seiner Pommes-Bude auf dem Ballermann ein unfassbares Vermögen erwirtschaftet hat, er umfängt liebevoll seine Tochter und streichelt sanft über ihr Haupthaar.

„Es ist so schön, dass du wieder da bist, mein liebe Tochter Roanoke“, haucht der Vater ihr ins Ohr. „Wie waren die Aufnahmen in Zhongguo Changchen?“, fragt er dann instant.
„Echt spitze“, antwortet Roanoke mit ihrem spitzmadlischen Lächeln. Dieses Lächeln, das sie so berühmt gemacht hat, hier erscheint es wieder auf ihren zärtlichen Gummibootlippen.
„Wir haben den Song innerhalb von nur drei Takes im Kasten gehabt“, verkündet sie stolz.
„Ich finde das Video einfach klasse“, ergänzt der sie liebende Vater sogleich. „Nur, warum haben die Jungs den Eiffelturm in die Szene mit dem Roten Frauenbataillon eingeblendet?“ will der besorgte Vater unvermittelt wissen.
„Die Chinesen haben den Eiffelturm und das Quartier Lateng neben der Großen Mauer nachgebaut, so einfach ist das“, erklärt das absolute IT-Girl ihrem Vater. „Latin“, erklärt dieser seiner Tochter. „Es heißt Latin, und nicht Lateng, mein liebes Schätzchen“, verbessert der wie immer um die Bildung bemühte Vater seine Leibesfrucht.
„Ich danke dir für deinen Hinweis“, entgegnet Roanoke nun, und dabei deutet sie eine grazile Verbeugung an. Der Vater nickt fast unmerklich; ein Zeichen, dass er den Dank entgegengenommen hat.

Auf dem Balkon zur Poolside nehmen die Beiden nun Platz an einem kleinen, ovalen Fin-de-Siecle Tisch mit beige-golden eingefassten Chippendale Stühlen. Balthasar tischt frisch gebrühten Fünf-Minuten Lung Ching Tee auf und entfernt sich leise.
„Wo ist Mom?“ fragt Roanoke plötzlich. Ein Anflug von Schrecken erscheint auf ihrem Gesicht. Ist der geliebten Mutter letztlich doch noch etwas zugestoßen? Schon mehrmals hat das Schicksal der schönen Brigitte, die in den angesagten Partykreisen nur als Bigi bekannt ist, also schon mehrmals hat das Schicksal dieser Frau herbe Schläge zugeteilt. Aber dies alles zu erzählen würde jetzt zu weit führen.
„Deine Mutter hält sich zurzeit in der Schweiz auf. Sie weilt in der Klinik des Promi-Chirurgen Merkaba“, erklärt der Vater.
Roanoke sitzt da, mit offenem Mund, unfähig, ein Wort heraus zu bringen.
Ihr Vater lächelt das fragile Wesen kurz an, dann springt er ihr mit einer weiteren Erklärung bei. „Sie lässt sich ein Leber Piercing machen.“
Jetzt ist es heraus. Brigitte, die Herrin von Plantagenett, setzt wieder den ultimativen Society Trend. „Herrlich, gorgeous“, bricht es aus Roanoke heraus. Und ihre perlweißen Zähne strahlen dabei im Sonnenlicht.
„Herrlich, herrlich“, subvokalisiert sie noch einmal ihre Gedanken.
„Mutter ist doch die Beste.“
 



 
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