!Triggerwarnung!
Diese Geschichte könnte bei manchen Personen Trigger auslösen, vor allem bei selbst erlebten Misshandlungen.
Nebel
Ich kann nicht einmal meine Hand sehen, wenn ich sie mir direkt vor die Augen halte. Dafür ist der Nebel viel zu dicht. Er ist so dicht, dass er wie eine feste Masse wirkt, durch die ich mich hindurchwühlen muss. Oder wie eine Flüssigkeit? Eine träge, alles verschlingende Flüssigkeit? So oder so, ich kann nichts sehen und auch jegliches Geräusch scheint von diesem Nebel verschluckt zu werden. Zumindest höre ich nichts, außer meiner eigenen gedämpften Schritte. Wie soll ich sie unter solchen Umständen nur finden können?
„Hallo?“, versuche ich es trotzdem.
Hier muss doch noch irgendetwas, irgendjemand sein. Rufend irre ich weiter umher. Irgendwann erreiche ich eine raue Mauer. Zumindest habe ich endlich etwas, an dem ich mich orientieren kann. Um nicht meinen Halt zu verlieren, führe ich meine linke Hand an ihr entlang, während ich weitersuche.
Plötzlich höre ich eine vertraute Stimme, die immer lauter wird, während ich mich ihr nähere. Und WIE sie lauter wird.
„Hallo?“, rufe ich zurück.
Das wutentbrannte Geschrei setzt sich ununterbrochen fort. Endlich meine ich, den Ursprung des Gebrülls ausfindig gemacht zu haben. Und tatsächlich, ich greife mit meiner Hand nach vorne und bekomme einen Arm zu fassen. Auf einmal löst sich der Nebel in meiner näheren Umgebung in Luft auf und ich erblicke eine Person, deren Wut-Ader deutlich hervortritt. Man könnte fast schon meinen, dass sie kurz davor wäre, zu platzen.
„Kann ich dir helfen?“, frage ich die Person.
Doch die Angesprochene reißt sich umgehend wieder von mir frei und schreit mir ins Gesicht: „Lasst mich in Ruhe! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Verpisst euch und lasst mir meine Ruhe!“
„Bitte, ich will doch nur helfen. Ich will dir nichts tun.“
„Das sagt ihr alle! Immer kommt ihr mir nahe und dann verletzt ihr mich! Ihr versteht mich nicht! Keiner von euch!“
Ich mache einen weiteren Schritt auf die Gestalt zu.
„Lass mich helfen.“
„Nein!“, kreischt sie und stößt mich gegen die Brust, wodurch ich das Gleichgewicht verliere und zu Boden stürze. Schmerzhaft schlage ich auf und reibe mir den Kopf. Das tat verdammt nochmal weh. Was sollte das denn? Es ist ja eine Sache, meine Hilfe nicht anzunehmen, aber gleich grob zu werden? Zugegebenermaßen bin ich auch nicht wirklich klug vorgegangen. Ich habe nur verdient, dass meine Hände nun aufgerissen sind und wie Feuer brennen. Ich blicke auf und stelle überrascht fest, dass sich der Nebel wieder um mich geschlungen hat und die tobende Person verschwunden ist. Was bleibt mir nun anderes übrig, als meinen Weg an der Mauer fortzusetzen?
Einige Zeit vergeht und schließlich treffe ich auf jemand anderes und erneut lichtet sich der Nebel. Sie steht mit verschränkten Armen und gelangweiltem Blick gegen die Wand gelehnt. Warum bekomme ich das Verlangen, es ihr gleichzutun?
„Entschuldigung?“, versuche ich vorsichtig, sie anzusprechen. Ich muss ja nicht meine vorherigen Fehler wiederholen.
Leider regt sich die Person keinen Millimeter und reagiert auch in keiner anderen Weise.
„Entschuldigung?“
Wieder nichts. Komisch. Ich stelle mich direkt vor sie und wedele mit meiner Hand vor ihren Augen. Immer noch keine Reaktion. Ich stupse sie an der Schulter. Ich weiß, eigentlich wollte ich anders vorgehen als bei der vorherigen Begegnung. Aber dann wäre die einzige andere Option, weiter blind umherzuirren. Und vielleicht weiß sie etwas und kann mir helfen.
„Tz, was denn? Geh mir nicht auf die Nerven!“
Hui! Ok, ich habe es verdient, so angefaucht zu werden.
„Entschuldigung, aber kannst du mir helfen? Ich suche jemanden.“
„Was geht mich das an? Hau ab und lass mich in Ruhe. Deine Probleme interessieren mich kein bisschen.“
„Bitte, es ist wirklich wichtig“, versuche ich sie noch umzustimmen.
„Habe ich nicht gesagt, dass es mir egal ist? Bist du taub? Befindet sich nur Luft in deinem Kopf? Jetzt mach, dass du abhaust!“
Verunsichert mache ich ein paar Schritte zurück und erneut stürzt sich der Nebel über alles. Liegt es an mir? Bin ich schuld, dass alle so aggressiv auf mich reagieren? Aber ich habe keine andere Wahl! Ich muss sie finden! Ansonsten weiß ich nicht, was passieren wird. Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? Was, wenn es für alles zu spät ist? Ich muss weiter!
Aus heiterem beziehungsweise eher nebligem Himmel, auch wenn dieser wieder blitzschnell auf Distanz geht, werde ich von hinten geschubst und erneut schlage ich auf dem Boden auf. Autsch! Ein Blick auf meine Arme zeigt, dass mir der Sturz die Haut an diesen aufgerissen hat und ein paar vereinzelte Tropfen Blut ziehen kunstvolle Verzierungen. Da höre ich, wie jemand hämisch hinter mir lacht. Die Person kommt immer näher und ich will mich umschauen, doch schon steht sie über mir und greift mir grob in die Haare.
„Schau dich nur an! Du bist doch echt jämmerlich. Ist das alles, was in dir steckt?“
„Wer bist du? Warum tust du das?“, versuche ich die Situation zu verstehen.
„Wer ich bin? Tu nicht so, als würdest du es nicht wissen! Warum ich das tue? Weil schwache Gestalten wie du zu Boden geworfen gehören. Tagein, tagaus trampelt ihr auf anderen herum, aber kaum erhebt jemand gegen euch die Hand, werdet ihr zu heulenden Waschlappen, die nur ihr eigenes Schicksal beklagen. Sag mir, wie erbärmlich kann man denn noch sein?“
Mit einem Ruck wirft die Person meinen Kopf zur Seite. Schnell versuche ich, sie in den Blick zu bekommen und beeile mich aufzustehen, aber erneut ist der Nebel erbarmungslos.
Es hat keinen Zweck. Hier an dieser Mauer werde ich nie die finden, die ich suche. Das Einzige, was ich hier bisher erfahren habe, sind Schmerzen und Unsicherheit. Voller Unbehagen starre ich in den dichten Nebel. Ich will nicht meinen einzigen Halt verlieren, aber ich habe wohl keine Wahl. Ein Schritt in das Leere und ich spüre, wie die Angst in mir aufsteigt. Ich will das nicht! Hinter diesem Nebel könnte alles sein. Es könnte noch viel gefährlicher als hier sein. Vielleicht sollte ich einfach nur hierbleiben und nichts tun? Auf irgendeiner Weise klingt das verlockend. Aber so werde ich sie nicht finden können. Ich zwinge mich, einen weiteren Schritt zu tun und meine Hand verliert die Berührung mit der Mauer und plötzlich bin ich wieder selbst verloren. Wohin soll ich gehen? Wie soll ich auch nur irgendetwas hier finden? Geplagt von solchen Gedanken dränge ich mich, weiter zu gehen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ich anfange, Gespenster zu sehen. Phantome und Schatten zeichnen sich gegen den Nebel ab und spielen ihr eigenes Spiel, doch sobald ich mich ihnen nähere, verblassen sie und lassen mich nur noch verirrter und verlorener zurück. Langsam beginne ich, meine eigene Existenz zu hinterfragen. Wie lange ist es her, dass ich mich selbst gesehen habe? Bin ich überhaupt noch oder bin ich irgendwann einfach zu einem Teil des Nebels geworden? Einzig und allein die Schmerzen an meinen Armen und Händen lassen mich noch das Gefühl haben, dass ich lebe.
Auf einmal höre ich ein platschendes Geräusch, als ich meinen Fuß zu Boden setze und seit langer Zeit weicht der Nebel mal wieder. Ich blicke zu Boden und das Blut von meinem Arm tropft hernieder und vermischt sich mit dem, das dort bereits eine Spur bildet. Ich folge ihr und stolpere fast über ein junges Mädchen, dass mit einem Messer in der Hand im Schneidersitz sitzt und an ihrem Unterarm schneidet. Die Spur führt direkt zu ihr. Unvorhersehbar spüre ich Tränen aufsteigen. Ich will dieses Mädchen in den Arm nehmen, es beschützen. Ihr sagen, dass das Messer und der ganze Schmerz ihr nicht helfen werden, doch noch bevor ich einen Schritt tun kann, ist der undurchdringbare Nebel zurück.
Kurz darauf erhalte ich aus dem Nichts einen Schlag in die Magengrube und ich gehe hustend und keuchend zu Boden. Ich bin nicht einmal in der Lage etwas zu sagen oder mich zu wehren, geschweige denn zu begreifen, was passiert, da wird mein Kopf bereits gegen den Boden geschlagen und alles wird schwarz.
Wie lange war ich bewusstlos? Spielt die Zeit hier überhaupt noch eine Rolle? Ich fasse mir an den dröhnenden Schädel und spüre, wie die Flüssigkeit an meinen Fingern kleben bleibt. Das Betasten meiner Nase erspare ich mir, ich bin mir sicher, dass sie gebrochen ist. Der Schmerz ist unermesslich. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Warum? Warum passiert mir all das hier? Warum? Warum muss ich diese Qualen, dieses Leid erfahren? Leider bringen mir diese Gedanken keine Pause, denn nun ergießt sich stinkendes Wasser über mich, während ich grausames Gelächter vernehmen kann. Warum? Was habe ich euch getan? Wieso lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Warum darf ich nicht einfach ich sein? Weitere Schläge, weitere Erniedrigungen folgen. Sie lassen mir keinen Frieden. Warum bin ich überhaupt hierher gekommen? Warum bin ich nicht einfach bei der Mauer geblieben? Nichts was mir dort zugestoßen ist, war so schlimm, wie die Hölle hier. Dort habe ich immerhin überleben können, doch hier spüre ich, wie ich immer weniger an eben diesem hänge. Was für einen Zweck hat alles denn noch, wenn es nur in Pein endet?
Nein! Das ist falsch! Ich will nicht zulassen, dass sie über mich siegen, dass sie mein Schicksal bestimmen! Das ist mein Leben und meins ganz allein! Mühsam richte ich mich auf. Fast stürze ich wieder zu Boden. Mein Gang ist alles andere als stetig, aber ich gebe mich nicht geschlagen. Ich gehe weiter! Ich werde sie finden, egal, was passieren wird und was die Folgen sein sollten!
Ohne Vorwarnung weht mir ein starker Wind ins Gesicht und ich muss die Augen bedecken. Woher kommt auf einmal dieser Wind? Jedoch vergeht dieser Gedanke genauso schnell wie die Böe. Der Nebel hat sich verzogen. Vollständig. Um mich herum befindet sich nichts. Gar nichts. Bis auf mich und eine andere Gestalt. Ungläubig gehe ich auf sie zu und strecke meine Hand aus. Sie tut dasselbe und unsere so gleichen Hände verschlingen sich ineinander. Erstaunt blicke ich in das Gesicht, das meinem so ähnelt und dieselben Spuren von Gewalt und Misshandlung zeigt.
„Endlich, endlich habe ich mich wieder gefunden“, flüstere ich so leise, dass nur ich es vernehmen kann.
Diese Geschichte könnte bei manchen Personen Trigger auslösen, vor allem bei selbst erlebten Misshandlungen.
Nebel
Ich kann nicht einmal meine Hand sehen, wenn ich sie mir direkt vor die Augen halte. Dafür ist der Nebel viel zu dicht. Er ist so dicht, dass er wie eine feste Masse wirkt, durch die ich mich hindurchwühlen muss. Oder wie eine Flüssigkeit? Eine träge, alles verschlingende Flüssigkeit? So oder so, ich kann nichts sehen und auch jegliches Geräusch scheint von diesem Nebel verschluckt zu werden. Zumindest höre ich nichts, außer meiner eigenen gedämpften Schritte. Wie soll ich sie unter solchen Umständen nur finden können?
„Hallo?“, versuche ich es trotzdem.
Hier muss doch noch irgendetwas, irgendjemand sein. Rufend irre ich weiter umher. Irgendwann erreiche ich eine raue Mauer. Zumindest habe ich endlich etwas, an dem ich mich orientieren kann. Um nicht meinen Halt zu verlieren, führe ich meine linke Hand an ihr entlang, während ich weitersuche.
Plötzlich höre ich eine vertraute Stimme, die immer lauter wird, während ich mich ihr nähere. Und WIE sie lauter wird.
„Hallo?“, rufe ich zurück.
Das wutentbrannte Geschrei setzt sich ununterbrochen fort. Endlich meine ich, den Ursprung des Gebrülls ausfindig gemacht zu haben. Und tatsächlich, ich greife mit meiner Hand nach vorne und bekomme einen Arm zu fassen. Auf einmal löst sich der Nebel in meiner näheren Umgebung in Luft auf und ich erblicke eine Person, deren Wut-Ader deutlich hervortritt. Man könnte fast schon meinen, dass sie kurz davor wäre, zu platzen.
„Kann ich dir helfen?“, frage ich die Person.
Doch die Angesprochene reißt sich umgehend wieder von mir frei und schreit mir ins Gesicht: „Lasst mich in Ruhe! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Verpisst euch und lasst mir meine Ruhe!“
„Bitte, ich will doch nur helfen. Ich will dir nichts tun.“
„Das sagt ihr alle! Immer kommt ihr mir nahe und dann verletzt ihr mich! Ihr versteht mich nicht! Keiner von euch!“
Ich mache einen weiteren Schritt auf die Gestalt zu.
„Lass mich helfen.“
„Nein!“, kreischt sie und stößt mich gegen die Brust, wodurch ich das Gleichgewicht verliere und zu Boden stürze. Schmerzhaft schlage ich auf und reibe mir den Kopf. Das tat verdammt nochmal weh. Was sollte das denn? Es ist ja eine Sache, meine Hilfe nicht anzunehmen, aber gleich grob zu werden? Zugegebenermaßen bin ich auch nicht wirklich klug vorgegangen. Ich habe nur verdient, dass meine Hände nun aufgerissen sind und wie Feuer brennen. Ich blicke auf und stelle überrascht fest, dass sich der Nebel wieder um mich geschlungen hat und die tobende Person verschwunden ist. Was bleibt mir nun anderes übrig, als meinen Weg an der Mauer fortzusetzen?
Einige Zeit vergeht und schließlich treffe ich auf jemand anderes und erneut lichtet sich der Nebel. Sie steht mit verschränkten Armen und gelangweiltem Blick gegen die Wand gelehnt. Warum bekomme ich das Verlangen, es ihr gleichzutun?
„Entschuldigung?“, versuche ich vorsichtig, sie anzusprechen. Ich muss ja nicht meine vorherigen Fehler wiederholen.
Leider regt sich die Person keinen Millimeter und reagiert auch in keiner anderen Weise.
„Entschuldigung?“
Wieder nichts. Komisch. Ich stelle mich direkt vor sie und wedele mit meiner Hand vor ihren Augen. Immer noch keine Reaktion. Ich stupse sie an der Schulter. Ich weiß, eigentlich wollte ich anders vorgehen als bei der vorherigen Begegnung. Aber dann wäre die einzige andere Option, weiter blind umherzuirren. Und vielleicht weiß sie etwas und kann mir helfen.
„Tz, was denn? Geh mir nicht auf die Nerven!“
Hui! Ok, ich habe es verdient, so angefaucht zu werden.
„Entschuldigung, aber kannst du mir helfen? Ich suche jemanden.“
„Was geht mich das an? Hau ab und lass mich in Ruhe. Deine Probleme interessieren mich kein bisschen.“
„Bitte, es ist wirklich wichtig“, versuche ich sie noch umzustimmen.
„Habe ich nicht gesagt, dass es mir egal ist? Bist du taub? Befindet sich nur Luft in deinem Kopf? Jetzt mach, dass du abhaust!“
Verunsichert mache ich ein paar Schritte zurück und erneut stürzt sich der Nebel über alles. Liegt es an mir? Bin ich schuld, dass alle so aggressiv auf mich reagieren? Aber ich habe keine andere Wahl! Ich muss sie finden! Ansonsten weiß ich nicht, was passieren wird. Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? Was, wenn es für alles zu spät ist? Ich muss weiter!
Aus heiterem beziehungsweise eher nebligem Himmel, auch wenn dieser wieder blitzschnell auf Distanz geht, werde ich von hinten geschubst und erneut schlage ich auf dem Boden auf. Autsch! Ein Blick auf meine Arme zeigt, dass mir der Sturz die Haut an diesen aufgerissen hat und ein paar vereinzelte Tropfen Blut ziehen kunstvolle Verzierungen. Da höre ich, wie jemand hämisch hinter mir lacht. Die Person kommt immer näher und ich will mich umschauen, doch schon steht sie über mir und greift mir grob in die Haare.
„Schau dich nur an! Du bist doch echt jämmerlich. Ist das alles, was in dir steckt?“
„Wer bist du? Warum tust du das?“, versuche ich die Situation zu verstehen.
„Wer ich bin? Tu nicht so, als würdest du es nicht wissen! Warum ich das tue? Weil schwache Gestalten wie du zu Boden geworfen gehören. Tagein, tagaus trampelt ihr auf anderen herum, aber kaum erhebt jemand gegen euch die Hand, werdet ihr zu heulenden Waschlappen, die nur ihr eigenes Schicksal beklagen. Sag mir, wie erbärmlich kann man denn noch sein?“
Mit einem Ruck wirft die Person meinen Kopf zur Seite. Schnell versuche ich, sie in den Blick zu bekommen und beeile mich aufzustehen, aber erneut ist der Nebel erbarmungslos.
Es hat keinen Zweck. Hier an dieser Mauer werde ich nie die finden, die ich suche. Das Einzige, was ich hier bisher erfahren habe, sind Schmerzen und Unsicherheit. Voller Unbehagen starre ich in den dichten Nebel. Ich will nicht meinen einzigen Halt verlieren, aber ich habe wohl keine Wahl. Ein Schritt in das Leere und ich spüre, wie die Angst in mir aufsteigt. Ich will das nicht! Hinter diesem Nebel könnte alles sein. Es könnte noch viel gefährlicher als hier sein. Vielleicht sollte ich einfach nur hierbleiben und nichts tun? Auf irgendeiner Weise klingt das verlockend. Aber so werde ich sie nicht finden können. Ich zwinge mich, einen weiteren Schritt zu tun und meine Hand verliert die Berührung mit der Mauer und plötzlich bin ich wieder selbst verloren. Wohin soll ich gehen? Wie soll ich auch nur irgendetwas hier finden? Geplagt von solchen Gedanken dränge ich mich, weiter zu gehen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ich anfange, Gespenster zu sehen. Phantome und Schatten zeichnen sich gegen den Nebel ab und spielen ihr eigenes Spiel, doch sobald ich mich ihnen nähere, verblassen sie und lassen mich nur noch verirrter und verlorener zurück. Langsam beginne ich, meine eigene Existenz zu hinterfragen. Wie lange ist es her, dass ich mich selbst gesehen habe? Bin ich überhaupt noch oder bin ich irgendwann einfach zu einem Teil des Nebels geworden? Einzig und allein die Schmerzen an meinen Armen und Händen lassen mich noch das Gefühl haben, dass ich lebe.
Auf einmal höre ich ein platschendes Geräusch, als ich meinen Fuß zu Boden setze und seit langer Zeit weicht der Nebel mal wieder. Ich blicke zu Boden und das Blut von meinem Arm tropft hernieder und vermischt sich mit dem, das dort bereits eine Spur bildet. Ich folge ihr und stolpere fast über ein junges Mädchen, dass mit einem Messer in der Hand im Schneidersitz sitzt und an ihrem Unterarm schneidet. Die Spur führt direkt zu ihr. Unvorhersehbar spüre ich Tränen aufsteigen. Ich will dieses Mädchen in den Arm nehmen, es beschützen. Ihr sagen, dass das Messer und der ganze Schmerz ihr nicht helfen werden, doch noch bevor ich einen Schritt tun kann, ist der undurchdringbare Nebel zurück.
Kurz darauf erhalte ich aus dem Nichts einen Schlag in die Magengrube und ich gehe hustend und keuchend zu Boden. Ich bin nicht einmal in der Lage etwas zu sagen oder mich zu wehren, geschweige denn zu begreifen, was passiert, da wird mein Kopf bereits gegen den Boden geschlagen und alles wird schwarz.
Wie lange war ich bewusstlos? Spielt die Zeit hier überhaupt noch eine Rolle? Ich fasse mir an den dröhnenden Schädel und spüre, wie die Flüssigkeit an meinen Fingern kleben bleibt. Das Betasten meiner Nase erspare ich mir, ich bin mir sicher, dass sie gebrochen ist. Der Schmerz ist unermesslich. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Warum? Warum passiert mir all das hier? Warum? Warum muss ich diese Qualen, dieses Leid erfahren? Leider bringen mir diese Gedanken keine Pause, denn nun ergießt sich stinkendes Wasser über mich, während ich grausames Gelächter vernehmen kann. Warum? Was habe ich euch getan? Wieso lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Warum darf ich nicht einfach ich sein? Weitere Schläge, weitere Erniedrigungen folgen. Sie lassen mir keinen Frieden. Warum bin ich überhaupt hierher gekommen? Warum bin ich nicht einfach bei der Mauer geblieben? Nichts was mir dort zugestoßen ist, war so schlimm, wie die Hölle hier. Dort habe ich immerhin überleben können, doch hier spüre ich, wie ich immer weniger an eben diesem hänge. Was für einen Zweck hat alles denn noch, wenn es nur in Pein endet?
Nein! Das ist falsch! Ich will nicht zulassen, dass sie über mich siegen, dass sie mein Schicksal bestimmen! Das ist mein Leben und meins ganz allein! Mühsam richte ich mich auf. Fast stürze ich wieder zu Boden. Mein Gang ist alles andere als stetig, aber ich gebe mich nicht geschlagen. Ich gehe weiter! Ich werde sie finden, egal, was passieren wird und was die Folgen sein sollten!
Ohne Vorwarnung weht mir ein starker Wind ins Gesicht und ich muss die Augen bedecken. Woher kommt auf einmal dieser Wind? Jedoch vergeht dieser Gedanke genauso schnell wie die Böe. Der Nebel hat sich verzogen. Vollständig. Um mich herum befindet sich nichts. Gar nichts. Bis auf mich und eine andere Gestalt. Ungläubig gehe ich auf sie zu und strecke meine Hand aus. Sie tut dasselbe und unsere so gleichen Hände verschlingen sich ineinander. Erstaunt blicke ich in das Gesicht, das meinem so ähnelt und dieselben Spuren von Gewalt und Misshandlung zeigt.
„Endlich, endlich habe ich mich wieder gefunden“, flüstere ich so leise, dass nur ich es vernehmen kann.