Neues in der Walpurgisnacht ...

Pinky

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Die Höhlenwände schienen hinter dicken Hitzewolken zu wabbern und rotes, flackerndes Licht erhellte das schier endlose Innere der weitverzweigten Gänge, Räume und gigantischen Gewölbe. Gequältes Stöhnen und Heulen war zu vernehmen, und das höhnische Gelächter bösartiger Kreaturen, doch wer es auch immer vernehmen mochte, hatte sicher andere Sorgen als darauf zu achten.
Dies war die Hölle.
Und irgendwo saß der Teufel mürrisch auf seinem Thron und langweilte sich. Der Thron selbst stöhnte und ächzte in ewiger Pein, und das nicht nur unter dem Gewicht seiner gewaltigen infernalen Majestät. Er bestand aus den Seelen toter Büromöbeldesigner, die hier die Rechnung für ihr Tun präsentiert bekamen.
Irgendwo durch den Chorus aus heimgesuchten Seelen und heimsuchenden Dämonen klang etwas wie ein Klingeln, doch der Teufel seufzte nur tief und achtete nicht darauf. Stattdessen warf er einen desinteressierten Blick auf seine Klauen. Sie müssten mal wieder gestutzt werden ...
Ein Dämon kam herbei, schaffte es jedoch erst, den Teufel seiner lethargischen Selbstversunkenheit zu entreißen, als er verkündete:
„Eure Boshaftigkeit, es ist wieder einmal so weit!“
„Was?“ erwiderte Seine Boshaftigkeit ohne hochzublicken. „Weihnachten? Das Monats-Meeting? Oder etwa gar die Apokalypse?“ Er hatte schon lange seinen Glauben daran aufgegeben, denn immerhin saß er schon lange genug hier herunten, ohne dass etwas passiert wäre. Vermutlich würde der Weltuntergang nie stattfinden. Und wenn es nach ihm ginge, könnte das mit den Monats-Meetings in Zukunft auch geschehen.
Manchmal sehnte er sich doch tatsächlich nach seiner Zeit im Himmel zurück. Dort war er zwar nur ein mehr oder weniger kleines Rädchen gewesen, aber immerhin konnte man von früh bis spät frohlocken, wenn man schon sonst nichts zu tun hatte. Auf Erden gab es für ihn nicht mehr viel zu tun seit die Menschen gelernt hatten, sich gegenseitig ins Verderben zu stürzen, und das viel besser, als er es je gekonnte hätte. Und hin und wieder die eine oder andere tote Seele quälen wurde auf die Dauer auch langweilig.
„Nein, Herr!“ entgegnete der Dämon unterwürfig – und sehr vorsichtig, denn des Teufels Launen waren inzwischen allgemein bekannt. „Es ist Walpurgisnacht! Ihr werdet beschworen!“
„Walpurgisnacht?“ wiederholte der Teufel wenig begeistert und sah auf.
„Ja, Herr, Walpurgisnacht.“
„Beschworen?“
„Ja, Herr, beschworen.“
„Und warum störst du mich da? Schick jemanden von meinen Vertretern!“
„Nun, Herr, es wäre wieder an der Zeit selbst ..:“ Der Dämon stockte als er den finsteren Blick des noch weitaus finstereren Herrschers sah. „Ihr wart lange nicht mehr oben und die Sterblichen haben ein Recht ... Was würde außerdem die Gewerkschaft sagen?“
„Verdammt!“ fluchte der Fürst der Dunkelheit. Der Dämon hatte recht, es war tatsächlich schon wieder eine ganze Weile her; das letzte Mal war er bei dieser dämlichen Wette oben gewesen, und da war ... Meine Güte, wie schnell doch die Zeit vergeht, wenn man der Ewigkeit entgegenblickt.
„Na schön“, brummte der Teufel und rappelte sich von seine Thron empor. Die Büromöbeldesigner ächzten dankbar.
Durch einen schmalen Türbogen gelangte Seine infernale Majestät in eine kleine Kammer.
Es blitzte und flackerte und Rauch drang aus dem Raum als der Teufel mit einem knirschenden Kreischen nach oben verschwand.
„Der Aufzug funktioniert schon wieder nicht richtig!“ rief dem Dämon eine leiser werdende Stimme zu.
Oben auf der Erde angekommen, bot sich dem Teufel ein Anblick, der ihn erst einmal etwas verwirrte: Nicht etwa der übliche dunkle Berg mit dem hell lodernden Feuer und dem Kreis aus nackten, tanzenden Hexen, der bleiche Vollmond darüber, bot sich ihm dar, sondern ein sonnenüberfluteter, weißer Sandstrand mit angenehm flüsternder Brandung, die sich gemächlich das Ufer hochtastete, um sich gleich darauf wieder zurückzuziehen. Liegestühle und Sonnenschirme boten einen ungewohnten Kontrast zu den kargen Büschen und dunklen Steinen zwischen denen sich diese Szenerie sonst siedelte.
Der Teufel blickte zu Boden, ob er sich nicht etwa in der Örtlichkeit geirrt hatte, doch das sich ihm dort darbietende Pentagramm gab ihm sogleich wieder Gewissheit und Halt – bis er sah, woraus es gemacht war: Sonnenölflaschen, ablegte Bikinioberteile und kleine Plastikrechen und –schaufeln bildeten das zwar perfekte aber durch und durch stillose und – wie der Höllenfürst befand – erniedrigende Symbol.
„Wir beschwören dich, dunkler Fürst des Bösen! Herrscher über Schatten und Finsternis! Erhöre uns und ...“
„Schon gut, schon gut! Ich bin ja da!“ winkte der Teufel entnervt ab und sah auf seinen Beschwörer – genauer gesagt, seine Beschwörerin. Oder noch genauer gesagt: seine Beschwörerinnen. Ein halbes Dutzend mehr oder weniger junger Frauen standen im Kreis um das Pentagramm. Einige von ihnen trugen knappe Shorts, Badeanzüge oder Bikinis ohne Oberteile, doch keine zeigte Anstalten, auch noch den Rest abzulegen oder gar zu tanzen anzufangen. Satan war etwas enttäuscht.
„Wo sind wir hier?“ erkundigte er sich. „Ich dachte, es sei Walpurgisnacht!“
„Ist es auch“, sagte eine der Frauen. Sie trug einen recht konservativ wirkenden Badeanzug, was sie nicht unbedingt attraktiver machte. Aber zum Aussehen einer anständigen Hexe fehlte ihr dennoch einiges.
„Nach Nacht sieht es hier aber nicht unbedingt aus“, meinte der Teufel skeptisch und blinzelte in die Sonne.
„Wir sind hier auf einer Insel und zu Hause ist jetzt Walpurgisnacht. Mitternacht, sogar.“
„Und was machen wir dann hier?“
„Wisst Ihr, wie kalt es jetzt zu Hause ist um diese Zeit?“ sagte eine andere Hexe. „Oben auf dem Berg holt man sich schier den Tod!“
„Überhaupt wenn man nackt herumtanzt.“
„Außerdem regt sich ständig der Waldhüter auf, wenn wir ein Feuer anzünden.“
„Also haben wir beschlossen, unsere Beschwörung hierher zu verlegen!“ resümierte die Konservative im Badeanzug. „Durch die Zeitverschiebung haben wir nämlich jetzt hellen Tag und angenehme einunddreißig Grad.“
Der Teufel sah noch einmal zweifelnd in die Runde. Na schön, was sollte er machen. Die Beschwörung war korrekt abgelaufen, und von der Lokalität hatte nie jemand was in den Regeln erwähnt.
„Gut. Also, was wollt ihr?“
„Ich bitte Euch untertänigst um die neue Stelle als Marketingleiterin in meiner Firma!“ sagte die Konservative.
Der Teufel sah sie überrascht an.
„Ich wünsche mir einen guten Arzt für meine Brustoperation!“ sagte eine jener, die kein Bikinioberteil trug – vermutlich, weil der zu kleine Busen zu groß dafür war.
„Ich möchte bei meiner Scheidung das Haus, das Auto und ... ach ja, die Kinder.“
„Ich brauche einen guten Anwalt“, sagte eine mit einem hellblauen Pareo um die Hüften, einem jener Strandröcke, die wie ein bemaltes, ständig wehendes Nichts wirkten. „Ich werde wegen sexueller Belästigung belangt“, fügte sie auf die fragenden Blicke der anderen hinzu.
„Ich brauche einen Kurssturz an der Börse!“ sagte die fünfte.
„Und ich möchte Frieden und Wohlstand auf Erden! – Nein, war nur ein Scherz! Ich möchte die Rolle bei dem neuen Film bekommen – als Regisseurin.“
Schockiert sah der Teufel von einer zur anderen. Was er da hörte, konnte er beinahe nicht glauben.
„Das ist doch nicht euer Ernst?“ fragte er perplex.
„Natürlich ist das unser Ernst, Eure finstere Majestät. Warum sollte es das nicht sein?“
„Aber ... was ist aus all den anderen Wünschen geworden? Ewige Schönheit und Jugend, Reichtum, Macht über andere Menschen, ein erfülltes Liebesleben.“
„Schönheit kann man kaufen“, meinte eine.
„Und Reichtum und Macht bekommen wir auch so.“
„Und über ein unerfülltes Liebesleben kann ich nicht klagen“, sagte die Hexe, die wegen sexueller Belästigung belangt wurde.
„All das was wir wollen, sind Dinge, die man in unserer Welt nicht so einfach bekommt“, erklärte die Konservative.
„Schon gar nicht als Frau.“
„Aber das soll sich ändern, nicht wahr, Schwestern!“ rief die Hexe im hellblauen Pareo, wobei nicht ganz sicher war, ob das ‚Schwestern’ dem Hexenzirkel oder der Emanzipationsbewegung entsprang.
„Nun, Eure Bosherzigkeit, wollt Ihr uns unsere Wünsche erfüllen oder vorenthalten?“
„Ich sehe keinen Grund, warum ich sie euch nicht erfüllen sollte. Die Wahl der Wünsche ist völlig euch überlassen.“ Auch wenn sich diese Wahl in der letzten Zeit scheint’s drastisch geändert hatte. Scheinbar war er doch etwas zu lange nicht bei den Sterblichen gewesen, überlegte der Teufel. “Doch ihr kennt den Preis. Seid ihr sicher, dass ihr ihn zahlen wollt?“
„Wir würden alles dafür geben“, sagte die Konservative.
„Auch eure Seele?“ wollte der Teufel wissen.
„Erst recht unsere Seele!“
„Nun gut, dann soll es so geschehen!“ Ein theatralischer Donner kündete von der Unterzeichnung des Vertrags und der Erfüllung der Wünsche. Manche Dämonen schickten zu diesem Zwecke bereits ihre Anwälte, doch der Fürst der Finsternis selbst legte noch immer Wert auf die traditionellen Gepflogenheiten.
Die Hexen nickten dankbar, zeigten jedoch immer noch keine Anzeichen, ekstatisch zu tanzen oder sich wenigstens ehrfürchtig zu Boden zu werfen. So blieb dem Herrn der Finsternis nichts anderes übrig, als nach einer reichlich unspektakulären Entlassung den Weg zurück in sein Refugium anzutreten. Er fühlte dabei nicht mehr die gleiche Befriedigung wie damals wenn er sich eine Seele zu eigen gemacht hatte.
Vielmehr beunruhigte ihn die allgemeine Entwicklung auf der Erde. Die Wünsche zeigten deutlich, dass Frauen schon lange nicht mehr ausschließlich am Herd standen. Und dass im Zuge dessen nicht einmal mehr die Hexen die alten Werte achteten, sondern sich für die Walpurgisnacht eine sonnige Insel suchten, machte die Angelegenheit nur noch bedenklicher.
Was ihm allerdings weitaus mehr Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass dieser Trend früher oder später wohl auch den Weg in sein Reich finden würde.
Und was dann geschah, mochte nur Gott allein ahnen ...
 

jon

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Teammitglied
Beruhigt

Da bin ich ja beruhigt. Ich dachte schon, DAS BÖSE sei deshalb allgegenwärtig, weil es flexibel ist. Aber wenn es genauso steif ist wie DAS GUTE, dann wird es ihm ja bald in die Versenkung folgen. Übrig bleibt der Mensch. Aber ob das nun wieder ein Grund zur Beruhigung ist? Nach der Geschichte wohl eher nicht…

Ich fand die Idee mit der Walpurgisnacht am Strand schön. Auch die vielen kleinen Ideen im Text sind erfrischend. Die Figuren sind angedeutet und doch komplett. Sie haben Charakter – und das schon in so wenigen Zeilen. Ich zöge meinen Hut, würde ich einen tragen.

Dieser Text schreit nach einer Geschichte: Wird der alte Belzebub aus seiner Verdrossenheit erwachen und wieder Spaß am Seelenjagen finden? Oder wird er angesicht der Gegenwart den Glauben an sich verlieren und die Seiten wechseln? Wird er gar zum Menschen? Entledigt er sich so der Last, sich um etwas anderes als um sich selbst – bisher hatte er ja die Verantwortung für Hölle GmbH – zu kümmern? Fragen über Fragen…
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
deine

witzige geschichte gefällt mir gut. ich finde sie nur ein ganz klein wenig zu lang. lg
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Gelungen

Ich finde diese Geschichte wirklich gelungen und habe mich sehr über meine Rolle als Anstifter zu diesem Text gefreut. Diese Kombi aus alt und neu, gespickt mit Witz, Ironie und nicht zuletzt einer guten Portion kritischem Feminismus hat mich wirklich überzeugt.
 



 
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