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Die Hausgemeinschaft des Altbauhauses Nummer 13 in der Schlenkerstraße war voller Spannung. Ein neuer Mieter war eingezogen. Alle, besonders die Kinder, waren neugierig und gespannt, was der neue Mitbewohner denn für ein Typ sei. In der Wohnung im Erdgeschoss hatten bisher die beiden Eheleute Biedermann gewohnt, zwei nette und immer freundliche Rentner. Frau Biedermann hatte oft die Kinder zu sich gerufen und ihnen leckere Fruchtbonbons geschenkt. Herr Biedermann hatte für alle Kleinen im Haus Drachen gebastelt und dann als Schiedsrichter am Wettfliegen teilgenommen.
Nun wohnten die beiden in einer betreuten Wohnanlage und der Neue war ... aufgetaucht.

Ulrike, die elfjährige Schwester von Thorsten, kam nach Hause. Sie legte ihren Ranzen ab und kam in die Küche geschlendert, wo ihr älterer Bruder dabei war, das Mittagessen zuzubereiten. Mama und Papa arbeiteten beide voll, sodass sich die Kinder in die häuslichen Pflichten teilten.
"Du", begann Ulrike, "Der Neue, der ist voll doof. Ich bin gerade gleichzeitig mit dem nach Hause gekommen, hab den gegrüßt, da hat der mit keiner Wimper gezuckt und ist ins Haus rein gerast. 'ZONG!' - knallt der die Haustür zu. DIREKT VOR MEINER NASE! So ein Spinner!"

Thorsten nickte. Auch er war dem Herrn schon begegnet.
"Der ist voll schräg drauf", bestätigte er. "Ich kam gestern mit dem Fahrrad heim, huckte das Ding die Treppe rauf und der kam aus dem Keller und raunzte mich an: 'Füße sauber machen! Ich putze hier nicht umsonst!'
Ich hab dem gesagt, dass die Reinigungsfrau hier putzt. Da kam der angesprungen, ich dachte, der will mich fressen. Hat mir was von Achtung vor älteren Leuten und Höflichkeit und dergleichen erzählt. So ein Fatzke! Ich hab nicht weiter mit dem diskutiert, sondern mein Rad weggesperrt und bin hoch gegangen. Es ist sooo schade, dass die Biedermänner weg sind. Wenigstens hätte ja jemand vernünftiges nachkommen können. Der wohnt hier seit einer Woche und hat schon das halbe Haus angepflaumt ..."

Das stimmte. Der Neue, der noch nicht einmal ein Namensschild an Tür und Briefkasten angebracht hatte, war schon mit fast allen anderen Hausbewohnern aneinander geraten. Hier passte ihm der Kinderwagen nicht, der seit Jahren im unteren Flur abgestellt wurde, da war zu bemängeln, dass die Kellertür nicht geschlossen war, ...
Alle hatten bereits erkannt, dass mit dem neuen Herrn nicht gut Kirschenessen war - und dass er der freundlichen Mitbewohnerschaft offenbar keinerlei Wert beimaß. Wenn man ihn traf, wirkte er mürrisch, zänkisch, misanthropisch. Lachen fand bei dem Mann garantiert nicht einmal im Keller statt.

Eine Woche später gab es im Hausflur, in der dritten Etage, eine angeregte Unterhaltung der anwesenden Mieter. Gelächter hallte und die Konversation erklang ziemlich laut. Im Erdgeschoss wurde eine Wohnungstür aufgerissen und eine bekannte Stimme brüllte: "Kann hier gefälligst mal Ruhe gehalten werden? Sonst rufe ich die Polizei!"
Das verfehlte seine Wirkung vollständig, rief einen weiteren Sturm von Gelächter hervor.

Bernd Willers, der Ingenieur aus der ersten Etage, kam nach Hause und stieg erstaunt nach oben. Im dritten Stock stand die Mieterschaft beieinander und kicherte.
"Was ist denn hier für eine Belustigung ausgebrochen?", wunderte sich der Ankömmling.
Gerda Hinrichs, die Omi aus dem Dachgeschoss, prustete gleich wieder los.
Thorsten wischte sich eine Träne aus dem Blick und setzte zu einer Antwort an.
"Der Neue ..." Es gelang ihm nicht, weiterzusprechen ...
Ulrike nahm das Wort. Sie schluckte heftig, atmete zweimal tief und sagte dann: "Der hat sein Namensschild angebracht!"
Bernd verstand nicht. "Und? Heißt der 'Bärbeiß' oder so?"
"VIEL BESSER!", Gerda wischte ebenfalls über ihr Gesicht. "Geh doch mal nachschauen!"

Das ließ sich Bernd nicht zweimal sagen. Er spurtete hinunter und öffnete die Haustür. Mit dem Fuß hielt er sie offen und beugte sich hinaus, zu den Briefkästen ...

Einige Passanten schauten verwundert herüber, zu dem Mann, der, in die Haustür geklemmt da hing und Tränen lachte. Ab und zu warf der Verrückte einen Blick auf ein Namensschild und lachte dann wieder lauter.

"Kann ich Ihnen helfen?", fragte eine besorgte Omi.
Bernd hielt kurz inne und musterte die Dame verdattert. Dann riss er sich zusammen und erklärte: "Nein, danke. Es ist einfach so, dass wir einen neuen Mieter im Haus haben. Das ist ein Sauertopf, wie er im Buche steht. Er hat sich in der ersten Woche schon mit allen Bewohnern gestritten. Und heute", Er deutete auf das sauber beschriftete Schild, "hat er sein Namensschild angebracht!"

Die Omi schaute, nickte und lachte ebenfalls. - Nur nicht so laut.
Die Klingel der rechten Wohnung im Hochparterre war beschriftet mit:
"J. FRÖHLICH".
 

Aufschreiber

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Ich war mir nicht ganz sicher, ob es für eine Kurzgeschichte lang genug ist. Bitte gegebenenfalls in "Kurzprosa" verschieben! - Vielen Dank!
 



 
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