Novemberregen

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Aschenputtel

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Novemberregen


Es ist immer wieder der gleiche Traum, der mich verfolgt. Jede Nacht träume ich ihn, ich weiß nicht, ob seit Tagen, Wochen, Monaten oder seit ewigen Zeiten. Ich wache auf, friere, bin verschwitzt, kalt-klebrig; ich höre die Geräusche des Hauses; die Balken, die Dielen knarren ganz leise, ich habe Angst und kann nicht einschlafen und wenn ich es doch tue, dann träume ich wieder:

Erst ist da der Schnee, man sieht nur Schnee und Nebel, ein Bild in grau und weiß. Der Nebel ist dicht, so dicht, man kann erst kaum hindurchsehen, ein tödlicher Schleier aus Nebel, der in dichten Schwaden über dem Schnee liegt. Ich weiß nicht, wie ein Nebel tödlich sein kann, aber mir kommt es vor, als ob er es ist.

Dann kann ich langsam etwas sehen, als würde ich auf das Bild zugehen. Oder nein, das Bild kommt auf mich zu. Die Menschenmenge taucht auf. Hin und her schwankend, taumelnd, erschöpft, erfroren, manche schreiend weinend, wimmernd. Es sind viele Menschen, vielleicht hundert, vielleicht sogar mehr, die ihre Hände nach mir ausstrecken. Sie sind klein, ihre Kleidung ist zerrissen und sie sind schmutzig. Und sie tragen keine Schuhe. Das ist das schlimmste. Warum tragen sie denn keine Schuhe? Es ist so kalt, so dunkel und sie sind so klein, was machen sie denn da und wieso tragen sie alle keine Schuhe? Niemand hat Schuhe an, kein einziges der vielen Kinder trägt Schuhe. Es ist so irrational, irreal, irrsinnig. Sie sind zerrissen und schmutzig, warum tragen sie nicht wenigstens zerrissene, schmutzige Schuhe an ihren kleinen erfrorenen Füssen? Mir wird manchmal ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke.

Und dann zieht die Menschenmenge an mir vorbei, so langsam und traurig, und ich lege kleine Blaubeer-Muffins in die kalten Finger der Kinder und drücke verständnisvoll ihren Arm, obwohl ich nichts verstehe, vor allem nicht, woher auf einmal die Muffins kommen, und dann verschwinden sie klagend wieder im Nebel und ich wache auf, bin verschwitzt, kalt-klebrig und höre die Geräusche des Hauses.

„Also, hmhm, das ist ihr Textvorschlag für die Rückseite unserer neuen Verkaufsverpackungen, unserer Brötchentüten? Hm...“

Ich weiß nicht, was er noch sagt, aber Unsicherheit verbreitet sich im Raum und das Gefühl, es nicht ganz getroffen zu haben, lässt den Wunsch entstehen, ganz woanders zu sein. Ich weiß, ich sollte erklären, mich verkaufen, mich retten.

Und vielleicht sollte ich bei dem Wetter auch einfach nicht mehr arbeiten.....
 



 
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