Nur ein paar letzte Drinks

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Bo-ehd

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Oliver bestellte einen letzten Drink. Heute wollte er ein für allemal den Alkohol als einen Feind seiner Person erklären und nie mehr, außer zu begründeten Anlässen, nach Feierabend trinken. Vera, seine Frau, das Liebste, das er besaß, hatte ihm unmissverständlich erklärt, die Ehe zu beenden, wenn er nicht mit dem Saufen aufhöre. Dabei zielte ihre Drohung im Wesentlichen auf die Stunde nach Feierabend ab, in der er täglich mehrere Drinks reinkippte, während er mit Freunden und Kollegen Karten, Billard oder Darts spielte.
„Schenk mir noch einen ein, Gregor, ein letztes Mal.“
Der Wirt schenkte Cognac und Cola nach. „Das ist wirklich der Letzte. Werd deinen neuen Vorsätzen nicht untreu. Der geht aufs Haus.“
Während der letzte Tropfen Olivers Kehle hinunterrann, kamen zwei seiner besten Dartfreunde zur Tür herein. Sie nahmen neben Oliver Platz.
„Schön, dass du noch da bist. Wir haben gehört, dass du aussteigen willst. Spielen wir noch eine Abschiedsrunde? Ich geb einen aus.“
Gregor, der Wirt der Endstation, wollte nicht so recht mitziehen. Dafür mochte er Oliver viel zu sehr. Aber weil der ihm sein leeres Glas zum Nachschenken hinhielt und Gregor auch ein bisschen an seinen Umsatz denken musste, goss er nach.
Dann warfen sie ihre Pfeile, und weil es bei jeder Partie einen Verlierer gab, wurden drei weitere Runden auf Kosten der Looser eingeschenkt. Dann stand die vierte Runde an, aber Oliver lehnte ab.
„Vera macht mir die Hölle heiß. Ich hab ihr versprochen, von der Arbeit direkt nach Hause zu fahren. Jetzt bin ich schon eineinhalb Stunden hier, und ich weiß schon jetzt, dass sie stinksauer sein wird und herumgeifert. Und wenn sie meine Fahne riecht … dann Gute Nacht.“
„So schlimm wird es schon nicht sein. Schieb die Schuld auf uns.“
„Schwachsinn! Das bringt überhaupt nichts. Ich bin doch mit ihr verheiratet, also hab ich auch alles auszubaden. Ihr kennt Vera nicht.“
„Lass wenigstens ein Taxi kommen, so schräg wie du guckst, kannst du nicht fahren.“
„Nee, geht schon, sonst muss ich später extra herfahren, um die Karre zu holen. Ich fahre gemütlich heim, wird schon gutgehen.“
Er verließ das Wirtshaus und stieg in sein Cabrio. Der Benz heulte sanft auf, als er losfuhr, und nach 200 Metern legte er den dritten Gang ein und tuckelte behäbig die Landstraße entlang. Er hatte die kleine Kreisstraße bewusst gewählt, weil hier kaum Verkehr herrschte und deshalb so gut wie nie Polizeikontrollen stattfanden.
Es war wirklich weit und breit kein anderes Fahrzeug zu sehen. So schaltete er einen Gang höher und fuhr nun mit unauffälligen 90km/h durch ein Wäldchen von knapp einem Kilometer Länge. Als er wieder herausfuhr, blickte er genau in die tief stehende Sonne. In der Ferne sah er die Umrisse eines Kleinlasters, der ihm entgegenkam. Schnell bog er die Sichtblende nach unten und versuchte äußerst rechts zu fahren, um dem Laster genug Platz zu lassen. Der kam auch ungehindert vorbei, aber dann hörte er einen dumpfen Schlag. Ihm war sofort klar, dass das kein Kolbenfresser war.
Er hielt an, setzte ein Stück zurück und stieg aus. Was er dann sah, erschütterte ihn bis ins Mark. Da lag ein total verbeultes Fahrrad auf der Straße und am Rand, unmittelbar unter der Leitplanke, eine junge Frau. Der Stellung ihres Kopfes nach zu urteilen, hatte sie sich das Genick gebrochen. Er beugte sich über sie, hob den Kopf und strich die langen blonden Haare zur Seite und erschrak zu Tode. Er kannte das Opfer. Es war Rebecca, mit der er drei Jahre lang gegangen war. Sie war damals seine große Liebe und sie hatten sich fest vorgenommen, gleich nach Olivers Studienabschlusses zu heiraten. Dann aber hatte sie, die OP-Schwester, einen Arzt kennengelernt, der einfach schneller war als er. Um der Einsamkeit zu entgehen und den Verlust seiner Liebe des Lebens zu verschmerzen, hatte er Vera geheiratet. Ihre Hochzeit war ein Schnellschuss par excellence, obwohl er total in sie verknallt war, sie liebte und vor allem wegen ihres Charmes und ihres Intellektes verehrte.
Oliver überlegte, soweit es sein Alkoholspiegel erlaubte, was jetzt zu tun sei. Die Polizei zu rufen, kam wegen des Alkohols von vornherein nicht in Frage. So begann er, den Unfallort erst einmal aufzuräumen. Das, was von dem Fahrrad übrig geblieben war, flog in hohem Bogen ins Gebüsch. Dann befasste er sich mit dem Unfallopfer. Er musste es von hier fortschaffen und an einem Ort ablegen, mit dem seine Person nicht in Zusammenhang gebracht werden konnte. Aber wie sollte er sie transportieren?Er setzte sie in ihrem weißen, mit knallroten Punkten versehenen Rock auf den Beifahrersitz, aber ihre Sitzlage war außerordentlich instabil. Erst als der leblose Körper angegurtet war, saß er einigermaßen sicher in dem Schalensitz. Als größeres Problem entpuppte sich ihr Kopf. Der bereitete ihm größte Kopfzerbrechen, denn wie auch immer er ihn gegen die Nackenstütze positionierte, nach drei Sekunden fiel er zur Seite.
Herrgottnochmal, fluchte er, weil er merkte, dass er immer nervöser und immer ängstlicher wurde. Er versuchte es ein letztes Mal. Aber er war noch nicht um das Auto herumgelaufen und eingestiegen, da fiel der Kopf abermals zur Seite. So komme ich niemals an der Ampel und den drei Häusern vorbei, die direkt an der Straße liegen, mutmaßte er und entschloss sich kurzerhand, ihren Kopf zu arretieren. Ich muss erst einmal an den Häusern vorbei, dann links abbiegen zum Steinbruch.
Oliver zog sich den Gürtel aus der Hose, legte ihn wie ein Stirnband auf ihre Stirn und befestigte ihn an der Kopfstütze. Zuerst ging er sehr gefühlvoll vor, aber er merkte schnell, dass ein festerer Zug erforderlich war, damit ihr der Gürtel während der Fahrt nicht auf die Nase rutschte.
Falls er an der Ampel warten müsste, so kam es ihm, bestünde die Gefahr, dass man aus Fahrzeugen in der Spur rechts von ihm das notdürftige Arrangement bemerken könnte. Immerhin trug sie ein farbenfrohes Kleid und lange, offene blonde Haare, was jeden Fahrer, der neben ihm warten musste, zum Hinsehen verführt hätte. Deshalb legte er zur Sicherheit ihre langen Haare so, dass der Gürtel, ausgenommen die Stirn, verdeckt war. Dazu setzte er ihr seine Sonnenbrille auf. Erst jetzt fuhr er los. Aber nach wenigen Metern bemerkte er, dass ihr Mund nicht mehr geschlossen war. Er versuchte, ihn durch Anheben des Kiefers zu schließen, was für ein paar Sekunden gelang. Dann senkte er sich wieder. Ihre Lippen bedeckten dabei ihre Zähne, so dass nur noch ein schwarzes Loch zu sehen war. Oliver hielt an.
Gab es eine Möglichkeit, den Kiefer festzubinden? Kaum! Seine Anatomie ließ keine Befestigung einer Schnur oder eines anderen Gegenstandes zu. Hätte er seine Angelausrüstung im Kofferraum wie früher, bevor er Vera kennengelernt hatte, wäre das Problem schnell und sicher zu lösen gewesen. Mit einem Haken und einer kaum wahrnehmbaren Schnur wäre das eine sichere Sache gewesen. Aber ohne diese Utensilien war er nun gezwungen, die Sache händisch zu bewältigen. Er legte seinen rechten Arm auf ihre Schulter, streckte Zeige- und Mittelfinger weit nach vorn und stützte damit ihr Kinn. Es funktionierte, und Oliver atmete tief durch, obwohl er fühlte, wie sich seine Hand immer schmerzhafter verkrampfte.
Rechts vor ihm lagen die drei Wohnhäuser. Vor dem ersten spielten Kinder Fußball. Auf dem Hof des zweiten stand ein leerer Polizeiwagen, der auf den ersten Blick Oliver den Schweiß auf die Stirn trieb, im Vorgarten des dritten goß eine Frau ihre Rosen. Als Oliver extra langsam vorbeifuhr, um vor der Ampel nicht halten zu müssen, blickte sie auf und direkt zu ihm. Sie schien zu erstarren, denn das Wasser lief unentwegt aus der Kanne, bis der Strahl versiegt war. Dann sah er, wie die Ampel auf Grün schaltete. Er gab Gas und fuhr über die Kreuzung in Richtung Blenheim.
Erleichtert atmete er auf. Das war ja alles nochmal gutgegangen. Mit Besonnenheit und reichlich Abstand zu den anderen Fahrzeugen ordnete er sich in den fließenden Verkehr ein, und nach zwei Kilometern bog er rechts ein zu einem stillgelegten Steinbuch. Dort legte er Rebecca auf einem kleinen Steinplateau ab, fuhr zum Hauptbahnhof, wo er einen öffentlichen Fernsprecher benutzte, um die Polizei zu informieren. Dann fuhr er nach Hause. Er wiegte sich in Sicherheit. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das noch schiefging.

*
„Vera, Liebling, ich bin da-ah“, rief er in das Haus hinein. Aber er erhielt keine Antwort. Er suchte in Flur, Bad und Wohnzimmer nach ihr, fand sie aber nicht. Vera hatte keinerlei Spur hinterlassen. Nichts deutete auf irgendetwas hin, am wenigsten auf die Tatsache, warum sie nicht im Haus war.
Verstehe ich nicht, murmelte Oliver und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Auf dem Tisch lag ein Brief. Kopfschüttelnd hob er ihn auf und las:

Du Schuft,
du hast wieder getrunken. Ich habe bei Gregor angerufen. Und danach hast du dich mit dieser Schlampe getroffen. Die hat mir gerade noch gefehlt. Über zwei Stunden hast du dich mit ihr vergnügt. Aber glaub ja nicht, dass du so etwas mit mir machen kannst. Ich habe dich gewarnt. Was bildest du dir eigentlich ein? Schämst du dich gar nicht? Ich wohne in den nächsten Tagen bei meiner Mutter. Morgen werde ich die Scheidung einreichen. Untersteh dich, mich anzurufen.
Vera
 
Hallo Bo-ehd,

du verstehst es, am Anfang den Leser in die Geschichte hinein zu ziehen. Dann wird es in der Mitte leider ein wenig absurd. Vielleicht ist das aber auch gewollt.
Den Schluss verstehe ich nicht ganz. Woher weiß Vera etwas von der Blonden?

Sollte das:
im Vorgarten des dritten goß eine Frau ihre Rosen. Als Oliver extra langsam vorbeifuhr, um vor der Ampel nicht halten zu müssen, blickte sie auf und direkt zu ihm. Sie schien zu erstarren, denn das Wasser lief unentwegt aus der Kanne, bis der Strahl versiegt war.
darauf hindeuten? Dann hätte man besser ausführen müssen, wer diese Frau war. Sie ist doch nicht erstarrt, weil sie eine blonde Frau im Auto sieht, das ist ja nichts Besonderes. Dann schon eher, weil ihr etwas auffällt, was an ihr für eine lebendige Person nicht richtig ist. Und nichts deutet darauf hin, dass die Frau Oliver kennt. Warum sollte sie seine Frau informieren? Es steht auch nicht da, dass sie Vera kennt. Ohne weitere Erklärungen macht dieser Absatz keinen Sinn.

Der Schluss ist deswegen rgendwie nicht stimmig.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
du verstehst es, am Anfang den Leser in die Geschichte hinein zu ziehen. Dann wird es in der Mitte leider ein wenig absurd. Vielleicht ist das aber auch gewollt.
Den Schluss verstehe ich nicht ganz. Woher weiß Vera etwas von der Blonden?
Ja, das siehst du ganz richtig. Das ist so gewollt. Ich wollte mal eine Geschichte schreiben mit rabenschwarzem Humor. Die Themen für so etwas sind ja immer am Rand des guten Geschmacks, skurril oder makaber, wie in meinem Fall.
Den Schluss verstehe ich nicht ganz. Woher weiß Vera etwas von der Blonden?

Sollte das:
darauf hindeuten? Dann hätte man besser ausführen müssen, wer diese Frau war. Sie ist doch nicht erstarrt, weil sie eine blonde Frau im Auto sieht, das ist ja nichts Besonderes. Dann schon eher, weil ihr etwas auffällt, was an ihr für eine lebendige Person nicht richtig ist. Und nichts deutet darauf hin, dass die Frau Oliver kennt. Warum sollte sie seine Frau informieren? Es steht auch nicht da, dass sie Vera kennt. Ohne weitere Erklärungen macht dieser Absatz keinen Sinn.
Der Kern der Geschichte ist doch, dass er alles unternimmt, um die Tote durch den Verkehr zu bringen. Das gelingt ihm, weil er sorgfältig vorgeht. Aber dann steht da eine Frau im Garten, erkennt ihn in seinem Wagen und daneben die Verflossene im leichten Sommerkleid und offener/wehender Haarmähne. Sie erstarrt. Da wird sofort die Buschtrommel geschlagen. Sie berichtet -Motive vielfältig- ihrer Bekannten, was sie gesehen hat.
Nur die Frau im Garten kommt für die Übermittlung dieser Nachricht infrage. Eine weitere Person taucht während der Fahrt nicht auf. Hätte ich eine dem Leser unbekannte Person als ursächlich hinzugefügt, hätten wir einen Paradefall für ein Deus ex Machina. Das passiert mir Gottseidank nicht mehr. Dann wäre auch die Gärtnerin überflüssig.
Es gab verschiedene Fassungen dieser Szene. Ich habe die Version gewählt, die den Twist am besten unterstützt hat. Hätte ich die Rosengießerin als Bekannte ausgegeben, wäre nicht nur der Twist weg, sondern auch die Pointe. So bleibt es für Oliver ein Geheimnis, wer der Übermittler und wer die Frau im Garten war. Er kennt nur das Ergebnis.
Gruß Bo-ehd
 
Aber dann steht da eine Frau im Garten, erkennt ihn in seinem Wagen und daneben die Verflossene im leichten Sommerkleid und offener/wehender Haarmähne.
Nee, das funktioniert ja gerade nicht. Woher soll der Leser wissen, dass diese Frau Oliver (er-) kennt? Und wieso erst recht erkennt sie seine Verflossene, die er doch selbst sehr lange nicht gesehen hat. Was gibt es da zu buschtrommeln und bei wem? Sie müsste zumindest eine Bekannte seiner Frau sein und das erwähnt werden.

Sie berichtet -Motive vielfältig- ihrer Bekannten, was sie gesehen hat.
Nochmal: Aus welchem Grund sollte sie?

Wenn ich auf der Straße ein Auto mit seltsamen Personen sehe, interessiert mich das überhaupt nicht. Leute, die ich nicht kenne, erst recht nicht. Und wieso erstarrt sie? Nur weil sie einen Ehebruch wittert? Kein Grund zu erstarren. Ein Grund zu erstarren wäre, wenn sie gemerkt hätte, dass es sich um eine Tote handelt.
Nein, hier fehlt dem Leser der Zusammenhang.

Hätte ich eine dem Leser unbekannte Person als ursächlich hinzugefügt,
Aber genau das hast du doch gemacht.

Hier hättest du in die auktoriale Perspektive gehen müssen, ansonsten ist es einfach Rätselraten für den Leser. Oder zumindest einen klitzekleinen Satz einfügen wie: „Oliver überlegte kurz,ob er sie schon einmal irgendwo gesehen hatte und konzentrierte sich dann wieder auf den Verkehr."
Also ich fände das stimmiger.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bo-ehd

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Ich bleibe dabei. Es spielt im Grunde keine Rolle, wer Vera informiert. Wichtig ist nur, dass sie informiert wird. Bei deiner Variante gibt es keine Pointe.
Gruß Bo-ehd
 



 
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