Nur ein Wort

Black Pearl

Mitglied
IV. Nur ein Wort

Nur ein Wort drang an ihr Ohr
Nur ein Wort – ein Leben verlor
In dunkler Stunde
Nur ein Wort rief sie herbei
Nur ein Wort – ein Herz brach entzwei
In dunkler Sekunde
Nur ein Wort begann den Gesang
Nur ein Wort – ein blutiger Klang
In dunkler Nacht
Nur ein Wort stillte die Gier
In dunkler Macht
Nur ein Wort brachte die Wende
Nur ein Wort – und blutige Hände
In dunkler Hedonie
Nur ein Wort
- tropfendes Rot an dunklem Ort -
Und nur der Tod bereut es nie.



In dunklen, verlaufenen Lettern prangte es an der Zimmerwand. Melloy konnte nicht umhin, eine gewisse Bewunderung dafür zu empfinden. Er hatte schon viele Markenzeichen von Serienmördern gesehen, eine scheinbar nie veraltende Masche, seiner Tat einen unverwechselbaren, individuellen Stempel aufzudrücken.
Oft auch zwanghaft geboren aus dem unterschwelligen Wunsch, sich zu offenbaren und fangen zu lassen oder dem Katz und Maus Spiel mit der Polizei eine intellektuellere Ebene hinzuzufügen.
Doch dieses Markenzeichen war so ergreifend schlicht und doch treffend, so banal und doch effektiv – es war effektiv, weil es banal war, sich in seiner Banalität so wahr ausdrückte.

Es war schön. Es tat ihm fast weh, zu sehen, wie die Leute von der Spurensicherung daran herumkratzten. Er hoffte, dass die Proben, die sie nahmen, vielleicht wirklich zur Ergreifung des Serienmörders führten. Doch er konnte sich nicht vorstellen, dass der Täter so dumm war. Entweder war es nicht sein Blut, oder es war gar kein Blut, oder der Mörder war sich sehr sicher, in keiner DNA-Datei zu stehen.
Oder er gehörte zu denen, die erwischt werden wollten. Wäre dem so, gäbe das seinem Markenzeichen eine Doppeldeutigkeit, die erst recht nur zu bewundern wäre.
Fotos wurden geschossen. Auch die Schrift könnte zur Ergreifung führen, der Computer, der mit den Bildern und Daten gefüttert werden würde, hielt wahrscheinlich eher einen Schriftzug des Mörders in seinem riesigen Datenwust verborgen als zutreffende DNA-Merkmale.

„Wohl’n Chcherzkekssss, hmmm?“ zischte es rechts neben seinem Ohr.
Er fuhr zusammen und drehte sich ärgerlich um.

„Verdammt Arthur, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich nicht so anschleichen sollst??“
Arthur verdrehte die Augen und zuckte die Schultern.

„Und wieso Scherzkeks?“
„Nacha, Chchef...“, Arthur starrte mit zusammen gekniffenen Augen auf die roten Lettern.
„EN-DE“, intonierte er bedächtig, „der Killer chcheint dasss ganzzze für nen coolen Horrorfilm zzzu halten, hmmm? Dabei fängt für unsss der Horror chetzzzt erssst an, nichch? Harrrrksssshihihihichichichi“, kicherte Arthur.

Melloy spürte, wie der Kaffee, den er während der Autofahrt getrunken hatte, unangenehm in seinem sich zusammen ziehenden Magen gluckerte.
Er mochte Arthur nicht, nein, er mochte Arthur wirklich nicht. Vor allem wünschte er sich, Arthur würde seinen S-Fehler endlich behandeln lassen oder seine überdimensionale Zahnlücke – oder einfach die Klappe halten.
Und trotzdem war er jedes mal froh, wenn ihm Arthur zugeteilt wurde – denn so verrückt Arthur ihm auch vorkam, sein verdammt gutes Gespür für Serienkiller hatte er schnell zu schätzen gelernt.
Manchmal glaubte er, wenn Arthur nicht zu beschäftigt damit wäre, als Kriminalspsychologe Serienkiller zu jagen, würde er vielleicht eines Tages selbst zu einem Psychopathen werden, so gut, wie Arthur sich in sie nicht nur hineindenken, sondern auch hinein fühlen konnte. Als er Arthur damals zum ersten Mal zugeteilt bekommen hatte, hatte er eine zeitlang vermutet, dass die Kriminalpsychologie nur eine Tarnung für Arthurs noch nicht entdecktes Psychopathenleben war –
doch inzwischen vertraute er Arthur mehr als jedem anderen, denn Arthur hatte sich immer loyal erwiesen, hatte die Gesetze nie mehr gedehnt als alle anderen auch – und ihm vor allem schon einige Male den Arsch gerettet, obwohl er dabei seinen eigenen Hals hatte riskieren müssen.
Doch er wollte sich trotzdem nicht vorstellen, was Arthur wohl ohne seinen Job mit seiner Zeit anfangen würde...

„Chchef?“
„Hm ja... also – hast du schon nen Blick in die Akte werfen können?“
„Akte? Harrrkssssssss-“
„Arthur, bitte!“

Artur verstummte sofort und drehte sich mit beleidigtem Augenrollen weg.
Doch Arthur konnte nie gut lange den Beleidigten mimen, also wartetet er einfach ab.

„Chchef, esss gibt einen ganzzzen Karton voll Akten...“, murrte Arthur endlich und wendete sich wieder zu ihm um.

„Bitte??? Und wieso holt man uns dann erst jetzt?!“, schimpfte Melloy.
„Nun Chchef“, Artur beugte sich verschwörerisch zu ihm hinüber und bot Melloy einen viel zu genauen Eindruck seiner spitzen, gelben, mit Lakritze verklebten Zähne, die Arthur ständig kaute, „in Dark Town bleibt man gern unter sssichch, wisssssen Sssie...?“

Melloy stieg der Geruch von Fäulnis vermischt mit Lakritze in die Nase, was ihm augenblicklich den Magen umdrehte.
„Aha. Na toll”, würgte er und trat etwas von Arthur zurück.

Wenigstens hatte er Arthur beibringen können, das Zeug nicht in seiner Gegenwart zu kauen, doch das half nicht viel gegen den widerlichen Geruch. Und sicher hatte Arthur sein Lakritz erst kurz vor seiner Ankunft ausgespuckt, wie die dunklen Reste zwischen den Zähnen vermuten ließen.

„Und was hat sie bewogen, uns nun doch einzuschalten?” fragte er, nachdem sein Magen sich etwas beruhigt hatte.

„Ichch glaub, die habensss nach nem Chahr voller Leichen endlichch mal sssatt – und irgendwie haben die Chissss vor Halloween...“
„Was??“

„Die erssssten Leichen der Ssserie tauchten letzzztesss Chahr zzzu Halloween auf, und dann gabsss chede Woche ne neue...“
„Jede Woche???“

„Cha, Chchef.“
Melloy wurde erst blass, dann fuchsrot.

„Jetzt - sag - bloß, wir haben es mit einer Serie von – äh - 48 - Leichen - zu tun...??“, blaffte er.
„Ganzzz genau 48, Chchef, gut gerechchnet, Chchef - aber auch noch ein paar mehr als Kollateralchaden“, grinste Arthur und begann wieder zu kichern.

Melloy spürte, wie ihm der Kaffee langsam wieder die Speiseröhre hoch kroch und starrte Arthur geschockt an, dessen braun durchsetztes geblecktes Gebiss und irres Gegacker den Kaffee noch etwas schneller in die Höhe trieb...
Melloy schluckte angestrengt.

„Hör auf zu kichern!“, schrie er, als er den Kaffee wieder merklich tiefer gedrückt hatte.

Die anderen Polizisten hielten in ihrer Arbeit inne und drehten sich überrascht zu den beiden um.
Melloy winkte ab und bedeutete ihnen gestikulierend, weiterzumachen. Dann zündete er sich eine Zigarillo an, in der Hoffnung, ihr mildwürzige Duft würde beruhigend auf seinen Magen wirken.

Arthurs Mund war derweil wieder zu geklappt, er starrte ihn aus seinen glasigen dunklen Augen verwirrt an.
„Aber Chchef...“

„Schon gut, schon gut“, murmelte er paffend, mit Arthur über seine Art von Humor zu diskutieren hatte noch nie etwas gebracht, „schon gut – also, ca. 48 Leichen, gut, gut – und alle durch das Markenzeichen zu verbinden?“
„Ja, Chchef.“

„Und was soll das mit Halloween? Was soll da besonderes passieren - außer eben noch ne Leiche -, das begründet, das sie uns doch endlich mal gerufen haben?“
„Ichch weisss nichch, Chchef.“

„Und wie kommst du dann darauf, dass sie uns wegen Halloween gerufen haben?“
„In Dark Town issst man sssehr abergläubichch, glaub ichch, Chchef... und mit Halloween fing doch allesss an... sssie haben noch keine bestimmte Theorie, wasss an Halloween passssssieren könnte, sssind aber sssicher, dassssss irgendwassss Chchlimmesss passsssssiern wird....“

„Die Apokalypse, oder was?“ schnaubte er verächtlich.
„Durchausssss möglichch, Chchef...“
„Oh Mann. Wir jagen also einen Irren in einer Stadt voller Irrer.“

Arthur wollte schon wieder loskichern, doch Melloys scharfer Blick hieß ihn sich zusammen reißen.
„Okay, also – was ist mit den Morden selbst, irgendein Muster erkennbar?“
„Ja und nein, Chchef.“

„Was heißt das?“
„Nun – die Todesssursssache war meissstensss unterchchiedlichch, manchche sssahen anfangsss auch nach Ssselbssstmord ausss – aber esss gibt ein paar Parallelen. Zzzunäkssst dasss Markenzzzzeichchen...“

„Schon klar“, winkte Melloy ungeduldig ab, „was noch?“
„Einchtichchlöcher.“

„Oh, Drogentote?“
„Chchwer zzzu sssagen...“

„Wieso, hast du die Protokolle der Blutuntersuchungen noch nicht gecheckt?“
„Doch, natüüürlichch!“, erwiderte Arthur beleidigt.

„Also?“
„Nun, Chchef... ähm... alsssso – die ergeben alle dasss Gleichche...“

Arthur verstummte, zog die buschigen Augenbrauen hoch und klemmte die fleischige, braungefärbte Zunge grüblerisch zwischen die spitzen Hauer.

„Ja nun – was denn?“ hakte Melloy ungeduldig nach und zog etwas heftiger an seiner Zigarillo.

„Dasss wird ihnen nichch gefallen Chchef – alssso – sssie hatten alle nichtsss im Blut, im Gegenteil – esss wurde ihnen genommen – alssso dasss Blu-ut...“
„Oh nein, nicht so einer... aber das macht den Halloween-Tick etwas erklärlicher...“

Arthur blinzelte ihn fragend an.
„Noch nie The Crow gesehen?“ Arthur zuckte die Schultern.

„Na egal. Jedenfalls haben wirs also wahrscheinlich mit so nem Vampirspinner zu tun, der dann stilecht auch noch Blut abzapft?“
„Chcheint ssso, Chchef...“

„Post mortem?“
„Unterchiedlichch. Bei manchchen cheint dasss auch die Todesssursssache gewesssen zzzu sssein...“

„Okay, es gab schon Verrückteres... gut, ich nehme dann mal an, dass das Blut für das Markenzeichen immer das der Opfer war?“
„Nein, Chchef...“, murmelte Arthur leise, als wäre ihm gerade selbst etwas Seltsames aufgefallen, fummelte einen zerfledderten Block aus der Hosentasche, einen angekauten Bleistift aus der Jackentasche und begann zu kritzeln.

„Also Tierblut – oder menschliches Blut? Vielleicht seins oder das früherer Opfer?“
„Menchlichesss Blut... wahcheinlichch ssseinsss – esss issst immer dasss gleiche Blut gewesssen...“
„Oh, dann gibt’s doch sicher bereits ne DNA-Analyse?“

„Keine Ahnung, Chchef...“ murmelte Arthur mit auf seinen Block gesenktem Blick und zog die Schultern schuldbewusst zusammen.
„Wie?? Hast du den Blutbericht über das Markenzeichen etwa noch nicht gelesen??? Du bist doch sonst immer so genau!“, staunte Melloy.

„Ähm, Chchef... ichch äh – bin noch nichch lang da – und dasss war ein ganzzzer Karton voller Akten... und alssso – mir issst auch grad erssst aufgefallen, dasss der Bericht über dasss Blut nichch dabei war...“, stammelte er und hob demonstrativ seinen Block hoch.

„Und warum denkst du dann, dass es sein Blut war?“
„Dasss chtand in den meisssten Abchchlussssssberichchten der einzelnen Fälle mit drin...“

„Na, dann stand da doch auch sicher was über die DNA-Analyse?“
„Nein, Chchef... Eine DNA-Analyssse wurde in keinem der Berichte erwähnt“, murmelte er stirnrunzelnd und unterstrich etwas auf seinem Block.

„Nun gut, da haken wir als erstes nach. Was gibt’s bisher sonst für Erkenntnisse über den Mörder?“

„Nichch viel, Chchef...“, Arthur blätterte in seinem Block herum, „alssso – keine Finger- oder Fußabdrücke oder sssonstige Indizzzien wie Chchtofffasssern, Haare oder ssso – arbeitet sssehr sssauber... verwendet fürsss Blutabzzzapfen wahrchcheinlichch ne Chpritzzze mit unterchiedlichch dicken Nadeln, manche Einchtichchlöcher sssind sssehr grosss, andere klein, manche mit gleichem Abchtand zzzu einander, manche nichch, esss gibt auch verchieden bevorzzzugte Chtellen, mal am Halsss, mal am Handgelenk oder Arm, Hand, Fussssss, Oberkörper, Brussst, allesss dabei...“

„Gut, gut“, unterbrach Melloy ihn, da er das Gezischel nicht länger ertrug, „tipp es mir ab und gib es mir nachher zu lesen. "Wie sieht’s mit nem groben Profil aus?“
„Wahrcheinlichch um die dreisssichch, weissss, sssehr kräftichch, Gechlecht chchwer zzzu sssagen, keine ssseksssuelle Motivation -“

„Was, Geschlecht unklar? Ich glaub ja kaum, dass ne Frau -“
„Der ersste Fall, Chchef“, unterbrach ihn Arthur eifrig, „und bei einigen Folgenden waren die Opfer Missssbrauchsssopfer oder Vergewaltigte, die aber nichch er oder sssie ssseksssuell angerührt hat...“

„Das passt aber nicht gut zu einer Lynchjustiz-Theorie, da wären doch die Täter, nicht die Opfer...“

„Nein, Chchef, hören Sssie doch erssstmal fertig zzzu – alsssso, im ersssten Fall gabssss zzzwei Opfer, ein Mädchen, von dem man erssst glaubte, dasss sssie ihren Vater getötet hat, der sssie kurz vorher missssbraucht hatte, und dann sssichch ssselbsssst –
aber dann gabsss da die Einchtichchlöcher bei dem Mädchen, beim Vater nichch, dem wurde die Kehle aufgechlitzzzt – und: dasss Mädchchen chtarb laut Untersssuchung zum Todessszzzeitpunkt vor dem Vater!“

„Oh – ja, gut beobachtet, Arthur... nun, dann kommt eine Frau durchaus in Frage, vor allem, wenn es mehrere Fälle dieser Art gab...?“ Arthur nickte bestätigend.

„Wie lauten die Gründe für die anderen Vermutungen?“

„Nun, sssie oder er – denn esss gab auch Fälle, zzzu denen Lynchchussstizzz nichch so ganzzz passssssen würde – ist eher weissssss, sssie wisssssen cha, laut Chtatistik werden sadistisch oder perversss motivierte Morde fast nur von Weisssssen verbrochen, Vampirisssmusss-Wahn cheint mir auch eher ne weisssse Macke zu ssssein. Die Opfer sssind durchch die Bank total verchieden in Alter, Rasssse, Gechlecht und ssso, darausss läßßßt sichch nichtsssss chliessssssen...“

„Okay“, unterbrach Melloy, „und wieso das Alter und wieso kräftig?“
„Esss gibt auffallend viele Opfer in diesssem Alter oder mindessstensss diesssen Altersss und ein ssssehr durchtrainierter Körper sssind für manchche Todesssarten nötig gewesssen – dasss könnte aber wiederum auch auf einen Mann hinweissssen...“

„Welche Todesarten zum Beispiel?“
„Allein im ersssten Fall – dem Mädchchen wurde erssst Blut abgezzzapft, dann wurde ihr dasss Genick gebrochen und dann ersssst hat man ihr die Pulssssadern aufgechlitzzzzt – obwohl da auch wasss komichch war...“ Arthur sah ihn auffordernd an.
Melloy starrte ihn an und spürte wieder seinen Magen sich unangenehm zusammen ziehen.
Er fand die Schilderung schon schrecklich genug... er zündete sich eine neue Zigarillo an und zwang sich dabei „Was war komisch?“ zu murmeln.

„Nun, Chchef... ancheinend wollte sssich dassss Mädchchen tatsssächchlichch erssst ssselbssst umbringen, hatsss aber falchch gemacht, harrrksssshi-“

„Arthur, bitte!“
Arthur verstummte sofort.

„Wieso falsch?“, fragte Melloy schließlich widerstrebend.
„Nun – sssie hat erssst nichch chräg, sssondern quer gechnitten, dann kam der Genickbruch, dann wurde chräg gechnitten...“
Melloy runzelte die Stirn.

„Aber, wieso... ich versteh das nicht – okay, sagen wir, der Vampirspinner kam, hat sie beim Selbstmordversuch überrascht – sah das Blut, und konnte deshalb nicht widerstehen, sie aus zu wählen anstatt des Vaters – dann Genickbruch,
vielleicht, damit sie aufhört zu zappeln und zu schreien, hatte vielleicht grad nichts zum Fesseln parat, ging noch nicht gut geplant vor – aber wieso schlitzt er ihr nachher noch die Arme auf?
Ich mein, dass man erst falsch und dann richtig schneidet, okay, wenn er’s wie Selbstmord hatte aussehen lassen wollen – aber er muss schon dumm sein – oder sie – wenn ihm oder ihr nicht klar war, dass der Genickbruch als Todesursache festgestellt werden würde...
und wer sonst so sauber arbeitet, ist selten dumm... oder gabs im ersten Fall doch ein paar Indizien und nur in späteren keine mehr?“

„Nein, Chchef, genaussso sssauber, wie bei allen anderen – aber auch die folgenden Morde wirken chlechcht geplant...“

„Und trotzdem wurde er noch nicht gefasst?? Wenns noch mehr Fehler gab? Und das bei 48 Leichen???“
„Ich weissss nichch, Chchef... essss gab viele Fehler... aber trotzzzdem kein klareres Profil oder eingegrenzzzzt Verdächtige oder ssso...“

„Nehmen wir allein die Lynchjustiz-Theorie“, ereiferte sich Melloy, „beim ersten Fall sind es oft Opfer, die der Täter kannte und irgendwoher muss der Täter, damit die Theorie stimmt, ja vom Missbrauch gewusst haben oder den Vater inflagranti erwischt haben, aber dann hätte er ihn zuerst getötet, anscheinend hat er aber erst das Mädchen beim Selbstmordversuch erwischt und sie zuerst getötet,
und die hatte sicher weder Zeit noch Lust, ihm dabei vom Missbrauch zu erzählen –
woher hätte er oder sie das also wissen können – es sei denn, er kannte das Mädchen oder den Vater? Gab es eigentlich im ersten Fall Einbruchspuren?“

„Nein. Dasss bechtätigt ihre Theorie – dassss Fenster, durchch dasss er rein gekommen isss, kann aber auch chon offen gewesssen sssein – und noch wasss, Chchef, man nimmt an, dasss dem Mädchchen erssst die Pulsssadern chräg aufgechlitzzzt wurden, nachdem der Vater ermordet worden war – vielleichcht hat ersss dem Täter erzzzählen müssssssen? Weil der Täter ihn aussssgequetchcht hat, warum ssseine Tochter sssichch umbringen wollte?“

„Hmm, möglich... wie ist der eigentlich ins Spiel gekommen? Hat er den Täter beim Blutzapfen gestört, oder wie?“
„Äh“, in Arthurs Gesicht zuckte es merklich, „ähm, alssso – er chchtarb im Bett... wurde wahrcheinlichch im Chlaf überrachcht...“

„Und weiter?“, hakte Melloy nach, den es wunderte, das Arthur schon verstummte.
„Äh...“, Arthurs Gesicht verkrampfte sich angeekelt, „also, wie ich chon sagte – ihm wurde die Kehle aufgechlitzzzt –
und, nacha, dann die Augen ausgechchtochen und in den Mund gechtopft – und – und ähmm – den Rest lesssen Sssie bessssser chpäter sssselbsssst nach, Chchef...“

Nun zuckte es in Melloys Gesicht. Er wollte es am liebsten gar nicht mehr wissen. Wenn Arthur etwas nicht über die Lippen brachte, musste es schon mit Verstümmelung unter der Gürtellinie oder ähnlichem zu tun haben, das war der einzige Themenbereich, den selbst der sonst so abgebrühte Psychopath Arthur Nakes nur unter Zwang in den Mund nahm, denn es verletzte seine Männlichkeit – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Gut, gut...“, murmelte er, „kommen wir also noch mal zur Theorie... haut es denn zeitlich hin, dass aus dem Vater was rausgepresst wurde?“
„Eigentlichch nichch, Chchef – allessss gechah sssehr chnell hintereinander...“

„Wurde denn das Umfeld ausreichend nach Verdächtigen abgesucht? – Denn das bestätigt doch eher, dass der Täter schon vom Missbrauch gewusst haben muss – oder es war keine Lynchjustiz...“
„Die erssste Theorie war auch, dasss der Täter vielleichcht wenigssstensss einess der Opfer kannte, nachdem klar war, dasss es doch kein Ssselbssstmord war... doch alle in Frage kommenden hatten ein Alibi oder kamen ausss anderen Gründen nichch in Frage...“

„Nun, den ersten Fall und den aktuellen nehmen wir uns als erstes und am genauesten vor, dann erstellen wir ne grobe Übersicht über die anderen. Danach untersuchen wir alle einzeln noch einmal genau... jetzt brauch ich aber erst mal nen Drink – wies aussieht, ist der Rest jetzt auch soweit durch... wo wohnen wir eigentlich?“
„Im Cruzzzified King Hotel, Chchef.”

“Romantisch.”
“Klang im Vergleichch zzzum Ressst noch am optimissstichchsssten, Chchef – und liegt sssehr zzzzentral...“

„Na denn... sag den anderen doch Bescheid, dass sie ihre Berichte dahin schicken sollen, ich funk eben den hiesigen Sheriff an und mach mit ihm ein Date aus – denn der ist schon weg.“

Arthur nickte und trabte zu den anderen rüber.

Komischer Typ, der Sheriff, dachte Melloy. Sehr verschwiegen. Hatte nur das Nötigste zum aktuellen Fall berichtet – zwei Leichen, Vater und Tochter, beide durchs Fenster gestürzt, ob Selbstmord oder Mord in beiden Fällen noch fraglich, passe aber alles in das Muster eines gesuchten Serienkillers aufgrund des Markenzeichens - und ihn für alles weitere bloß auf die Akten und noch folgenden Berichte zum aktuellen Fall verwiesen, wenn dann noch Fragen offen seien... und weg war er gewesen.
Gut, die meisten Sheriffs ließen sich ungern von Außenstehenden ins Handwerk pfuschen, erst recht nicht von FBI-Leuten, aber soviel eisige Kälte war ihm noch nie entgegen geschlagen.
Und zu seinen Detectives und den Leuten von der Spuren- sicherung war der anscheinend auch nicht kollegialer – normalerweise blieb der Sheriff am Tatort, bis alle fertig waren, falls schon etwas Interessantes bei der ersten Untersuchung herauskommen sollte...
Aber vielleicht war der nach 48 Leichen und immer noch keiner Spur zum Serienmörder auch einfach zu frustriert, um noch Engagement zu zeigen. Oder es lag am deprimierenden Dark Town-Ambiente.

Er wusste zwar nicht viel über Dark Town, aber doch soviel, dass es ein ziemlich zwielichtiger Ort sein sollte, der ständig in dreckigem Regen ersoff – eine Art Venedig-Vegas, nur, dass die Gülle nicht von unten nach oben stieg, sondern wie eine Gottesstrafe vom Himmel gekippt wurde. Es schien immer noch unklar, was für giftiges Zeug da eigentlich immer wieder herab regnete – oder es war so gefährlich, dass man nichts durch die Presse sickern ließ. Von so einem Ort der Sheriff zu sein, fraß sicher irgendwann dunkle Furchen ins Gemüt.

Nun, er würde erst mal das Gespräch mit ihm abwarten und dann Arthurs Bericht. Zumindest wusste er schon, an welcher Stelle er dem Sheriff als erstes auf den Zahn fühlen musste. Wieso gab es keine DNA-Analyse? Beziehungsweise: wo war sie abgeblieben?
Und nach dem Date ins Leichenschauhaus, die Leichen waren leider schon abtransportiert worden, bevor er am Tatort eingetroffen war – und dementsprechend war natürlich auch der Gerichtsmediziner schon weg gewesen.
Erst einmal freute er sich aber auf einen guten Whiskey – in einer Stadt solch finsteren Rufes dürfte es an Bars mit gutem Fusel wohl kaum mangeln. Also griff er schnell zum Funkgerät, denn Arthur war schon wieder auf dem Rückweg.

Er starrte auf das schlichte Holzkreuz über seinem Bett. Er hatte nicht viel für Religion übrig, aber in einer solchen Stadt wirkte es irgendwie beruhigend auf ihn. Er hatte sich auf dem Weg zum Hotel interessiert umgeschaut, und was er sah, ließ ihn durchaus ein wenig gruseln -
die Stadt wirkte wie aus einem alten Horrorstreifen entsprungen, dunkles Kopfsteinpflaster überall, mehr Gaslaternen als elektrische, runtergekommene Pubs und Motels, alle Häuserfassaden und Dächer dunkel gefärbt von grau bis tiefschwarz, die meisten Fenster mit dunklen Rollos verbarrikadiert, kaum Menschen auf der Strasse, und die wenigen, die einen zumindest verstohlenen Blick auf seinen vorbeifahrenden Buick warfen, wirkten entweder finster oder verängstigt, ausnahmslos dunkel gekleidet bargen sie ihre Köpfe im Schatten ihrer Kapuzen oder breitkrempigen Hüte, so dass nur ihre Augen hell im Scheinwerferlicht aufblitzten.

Immerhin, sein Bett war weiß bezogen. Andererseits war dies das einzige Hotel direkt neben der Dark Town Church, wer weiß, wie es in den anderen Hotels und Motels der Stadt aussah. Das Treffen mit dem Sheriff war erst in zwei Stunden, also beschloss er, sich nach einem Drink für eine Stunde aufs Ohr zu hauen.
Er hörte Arthur nebenan an seinem Bericht tippen und grinste, es passte zu Arthur, dass er sich bis heute weigerte, an einem PC zu arbeiten. Und er mochte das klackernde Geräusch der alten Schreibmaschine. Nachdem er ein Glas besten Whiskeys aus der Zimmerbar getrunken hatte, warf er sich aufs Bett, schob seine Hand mitsamt seiner aus dem Holster gezogenen Smith & Wesson unters Kopfkissen und schloss die Augen.

Ein eiskalter Schauer ließ ihn hochschrecken, er riss die Waffe hoch, sprang vom Bett und drehte sich mit der Waffe im Anschlag hektisch einmal um sich selbst, doch das Zimmer war leer. Er sah unter dem Bett nach, aber auch dort war nichts. Leise huschte er zum Badezimmer, da nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, er fuhr herum und richtete seine Waffe auf das Fenster, das einen schönen, wenn auch düsteren Ausblick über Dark Town bot. Z
wei rot funkelnde Augen starrten ihn an, nach einem Blinzeln waren sie fort.
Er sprang zum Fenster, riss es – wobei er möglichst in Deckung blieb - auf und suchte die äußere Häuserwand und anliegenden Dächer vorsichtig mit Blicken ab, immer noch die Waffe in der verkrampften Hand. Doch da war nichts.

Die Sonne ging ruhig und in grauen Schlieren am rasch dunkelnden Himmel unter, die Strassen waren leer und still. Das Schweigen der Stadt war fast greifbar, es waberte in der Luft wie ein dicker, schmutziger Schleier, der etwas verhüllte, das nicht dazu verleitete, den Schleier zu lüpfen, sondern nur noch fester auf das sich wiegende Medusenhaupt der Stadt zu drücken.

Vielleicht waren es nur die roten Lichter eines Flugzeugs gewesen. Timothy, Timothy, mahnte er sich kopfschüttelnd, die Stadt fängt an ihre Fühler nach dir auszustrecken, lass dich nicht einwickeln... Er griff sich das leere Glas auf dem Nachttisch und goss es sich noch einmal halb voll mit Whiskey. Für ein christliches Hotel war die Zimmerbar verdammt gut ausgestattet, er schmatzte genüsslich und leckte sich die Lippen, als er das Glas in einem Zug hinunter gestürzt hatte. Doch schlafen konnte er nun nicht mehr, und da er Arthur nicht mehr tippen hörte, beschloss er, sich für das Treffen mit dem Sheriff von Arthur auf den best möglichen Informationsstand bringen zu lassen.

Er ließ sein Holster aufgeknöpft, als er das Zimmer verließ.

~~~
 

Black Pearl

Mitglied
Kapitel 4

hier nun wieder eine Fortsetzung (Kap. 4)von Black Pearl - Königin der Nacht. Leider vergessen, im Titel darzustellen...

Bissige Freude beim Lesen... Kap. 1+2 leicht verbessert, auch das dritte wird noch überarbeitet...

Charmante Grüße und carpe noctem,

Black Pearl
 

Fastrada

Mitglied
Hi Black Pearl,

ich bin auch dafür, dass Arthur sich endlich mal die Zähne richten lässt ... vielleicht sollten wir bei der LL eine Spendensammlung organisieren? :D

Aber jetzt ganz im Ernst: Das ständige Gelispel nervt beim Lesen ganz gewaltig und verdirbt ein bisschen den Spaß an der durchaus interessanten Story.
Ich denke es reicht völlig, den Sprachfehler am Anfang ein oder zweimal anzudeuten und danach zugunsten der besseren Lesbarkeit in der Schriftform darauf zu verzichten.

Ich mache mich jetzt aber trotzdem auf die Suche nach den restlichen Teilen deiner Geschichte.

Carpe Diem!

Fastrada
 

Black Pearl

Mitglied
IV. Nur ein Wort

Nur ein Wort drang an ihr Ohr
Nur ein Wort – ein Leben verlor
In dunkler Stunde
Nur ein Wort rief sie herbei
Nur ein Wort – ein Herz brach entzwei
In dunkler Sekunde
Nur ein Wort begann den Gesang
Nur ein Wort – ein blutiger Klang
In dunkler Nacht
Nur ein Wort stillte die Gier
In dunkler Macht
Nur ein Wort brachte die Wende
Nur ein Wort – und blutige Hände
In dunkler Hedonie
Nur ein Wort
- tropfendes Rot an dunklem Ort -
Und nur der Tod bereut es nie.



In dunklen, verlaufenen Lettern prangte es an der Zimmerwand. Melloy konnte nicht umhin, eine gewisse Bewunderung dafür zu empfinden. Er hatte schon viele Markenzeichen von Serienmördern gesehen, eine scheinbar nie veraltende Masche, seiner Tat einen unverwechselbaren, individuellen Stempel aufzudrücken.
Oft auch zwanghaft geboren aus dem unterschwelligen Wunsch, sich zu offenbaren und fangen zu lassen oder dem Katz und Maus Spiel mit der Polizei eine intellektuellere Ebene hinzuzufügen.
Doch dieses Markenzeichen war so ergreifend schlicht und doch treffend, so banal und doch effektiv – es war effektiv, weil es banal war, sich in seiner Banalität so wahr ausdrückte.

Es war schön. Es tat ihm fast weh, zu sehen, wie die Leute von der Spurensicherung daran herumkratzten. Er hoffte, dass die Proben, die sie nahmen, vielleicht wirklich zur Ergreifung des Serienmörders führten. Doch er konnte sich nicht vorstellen, dass der Täter so dumm war. Entweder war es nicht sein Blut, oder es war gar kein Blut, oder der Mörder war sich sehr sicher, in keiner DNA-Datei zu stehen.
Oder er gehörte zu denen, die erwischt werden wollten. Wäre dem so, gäbe das seinem Markenzeichen eine Doppeldeutigkeit, die erst recht nur zu bewundern wäre.
Fotos wurden geschossen. Auch die Schrift könnte zur Ergreifung führen, der Computer, der mit den Bildern und Daten gefüttert werden würde, hielt wahrscheinlich eher einen Schriftzug des Mörders in seinem riesigen Datenwust verborgen als zutreffende DNA-Merkmale.

„Wohl’n Chcherzkekssss, hmmm?“ zischte es rechts neben seinem Ohr.
Er fuhr zusammen und drehte sich ärgerlich um.

„Verdammt Arthur, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich nicht so anschleichen sollst??“
Arthur verdrehte die Augen und zuckte die Schultern.

„Und wieso Scherzkeks?“
„Nacha, Chchef...“, Arthur starrte mit zusammen gekniffenen Augen auf die roten Lettern.
„EN-DE“, intonierte er bedächtig, „der Killer scheint das ganzzze für nen coolen Horrorfilm zu halten, hmmm? Dabei fängt für uns der Horror jetzt erst an, nich? Harrrrksssshihihihichichichi“, kicherte Arthur.

Melloy spürte, wie der Kaffee, den er während der Autofahrt getrunken hatte, unangenehm in seinem sich zusammen ziehenden Magen gluckerte.
Er mochte Arthur nicht, nein, er mochte Arthur wirklich nicht. Vor allem wünschte er sich, Arthur würde seinen S-Fehler endlich behandeln lassen oder seine überdimensionale Zahnlücke – oder einfach die Klappe halten.
Und trotzdem war er jedes mal froh, wenn ihm Arthur zugeteilt wurde – denn so verrückt Arthur ihm auch vorkam, sein verdammt gutes Gespür für Serienkiller hatte er schnell zu schätzen gelernt.
Manchmal glaubte er, wenn Arthur nicht zu beschäftigt damit wäre, als Kriminalpsychologe Serienkiller zu jagen, würde er vielleicht eines Tages selbst zu einem Psychopathen werden, so gut, wie Arthur sich in sie nicht nur hineindenken, sondern auch hinein fühlen konnte. Als er Arthur damals zum ersten Mal zugeteilt bekommen hatte, hatte er eine Zei tlang vermutet, dass die Kriminalpsychologie nur eine Tarnung für Arthurs noch nicht entdecktes Psychopathenleben war –
doch inzwischen vertraute er Arthur mehr als jedem anderen, denn Arthur hatte sich immer loyal erwiesen, hatte die Gesetze nie mehr gedehnt als alle anderen auch – und ihm vor allem schon einige Male den Arsch gerettet, obwohl er dabei seinen eigenen Hals hatte riskieren müssen.
Doch er wollte sich trotzdem nicht vorstellen, was Arthur wohl ohne seinen Job mit seiner Zeit anfangen würde...

„Chchef?“
„Hm ja... also – hast du schon nen Blick in die Akte werfen können?“
„Akte? Harrrkssssssss-“
„Arthur, bitte!“

Artur verstummte sofort und drehte sich mit beleidigtem Augenrollen weg.
Doch Arthur konnte nie gut lange den Beleidigten mimen, also wartetet er einfach ab.

„Chchef, es gibt einen ganzen Karton voll Akten...“, murrte Arthur endlich und wendete sich wieder zu ihm um.

„Bitte??? Und wieso holt man uns dann erst jetzt?!“, schimpfte Melloy.
„Nun Chchef“, Artur beugte sich verschwörerisch zu ihm hinüber und bot Melloy einen viel zu genauen Eindruck seiner spitzen, gelben, mit Lakritze verklebten Zähne, die Arthur ständig kaute, „in Dark Town bleibt man gern unter sich, wissen Sssie...?“

Melloy stieg der Geruch von Fäulnis vermischt mit Lakritze in die Nase, was ihm augenblicklich den Magen umdrehte.
„Aha. Na toll”, würgte er und trat etwas von Arthur zurück.

Wenigstens hatte er Arthur beibringen können, das Zeug nicht in seiner Gegenwart zu kauen, doch das half nicht viel gegen den widerlichen Geruch. Und sicher hatte Arthur sein Lakritz erst kurz vor seiner Ankunft ausgespuckt, wie die dunklen Reste zwischen den Zähnen vermuten ließen.

„Und was hat sie bewogen, uns nun doch einzuschalten?” fragte er, nachdem sein Magen sich etwas beruhigt hatte.

„Ich glaub, die habens nach nem Jahr voller Leichen endlich mal satt – und irgendwie haben die Schissss vor Halloween...“
„Was??“

„Die ersten Leichen der Serie tauchten letztes Jahr zu Halloween auf, und dann gabs jede Woche ne neue...“
„Jede Woche???“

„Ja, Chchef.“
Melloy wurde erst blass, dann fuchsrot.

„Jetzt - sag - bloß, wir haben es mit einer Serie von – äh - 48 - Leichen - zu tun...??“, blaffte er.
„Ganzzz genau 48, Chchef, gut gerechnet, Chef - aber auch noch ein paar mehr als Kollateralschaden“, grinste Arthur und begann wieder zu kichern.

Melloy spürte, wie ihm der Kaffee langsam wieder die Speiseröhre hoch kroch und starrte Arthur geschockt an, dessen braun durchsetztes geblecktes Gebiss und irres Gegacker den Kaffee noch etwas schneller in die Höhe trieb...
Melloy schluckte angestrengt.

„Hör auf zu kichern!“, schrie er, als er den Kaffee wieder merklich tiefer gedrückt hatte.

Die anderen Polizisten hielten in ihrer Arbeit inne und drehten sich überrascht zu den beiden um.
Melloy winkte ab und bedeutete ihnen gestikulierend, weiterzumachen. Dann zündete er sich eine Zigarillo an, in der Hoffnung, ihr mild würzige Duft würde beruhigend auf seinen Magen wirken.

Arthurs Mund war derweil wieder zu geklappt, er starrte ihn aus seinen glasigen dunklen Augen verwirrt an.
„Aber Chchef...“

„Schon gut, schon gut“, murmelte er paffend, mit Arthur über seine Art von Humor zu diskutieren hatte noch nie etwas gebracht, „schon gut – also, ca. 48 Leichen, gut, gut – und alle durch das Markenzeichen zu verbinden?“
„Ja, Chef.“

„Und was soll das mit Halloween? Was soll da besonderes passieren - außer eben noch ne Leiche -, das begründet, das sie uns doch endlich mal gerufen haben?“
„Ich weisss nich, Chef.“

„Und wie kommst du dann darauf, dass sie uns wegen Halloween gerufen haben?“
„In Dark Town ist man sehr abergläubisch, glaub ich, Chchef... und mit Halloween fing doch allesss an... sie haben noch keine bestimmte Theorie, was an Halloween passieren könnte, sind aber sicher, dass irgendwas Schlimmesss passiern wird....“

„Die Apokalypse, oder was?“ schnaubte er verächtlich.
„Durchaus möglich, Chchef...“
„Oh Mann. Wir jagen also einen Irren in einer Stadt voller Irrer.“

Arthur wollte schon wieder loskichern, doch Melloys scharfer Blick hieß ihn sich zusammen reißen.
„Okay, also – was ist mit den Morden selbst, irgendein Muster erkennbar?“
„Ja und nein, Chef.“

„Was heißt das?“
„Nun – die Todesursache war meistensss unterschiedlich, manche sahen anfangsss auch nach Selbstmord aus – aber es gibt ein paar Parallelen. Zunächst das Markenzeichen...“

„Schon klar“, winkte Melloy ungeduldig ab, „was noch?“
„Einchtichlöcher.“

„Oh, Drogentote?“
„Schwer zu sagen...“

„Wieso, hast du die Protokolle der Blutuntersuchungen noch nicht gecheckt?“
„Doch, natüüürlich!“, erwiderte Arthur beleidigt.

„Also?“
„Nun, Chef... ähm... alsssso – die ergeben alle das Gleiche...“

Arthur verstummte, zog die buschigen Augenbrauen hoch und klemmte die fleischige, braun gefärbte Zunge grüblerisch zwischen die spitzen Hauer.

„Ja nun – was denn?“ hakte Melloy ungeduldig nach und zog etwas heftiger an seiner Zigarillo.

„Das wird ihnen nich gefallen Chef – alssso – sie hatten alle nichts im Blut, im Gegenteil – es wurde ihnen genommen – also das Blu-ut...“
„Oh nein, nicht so einer... aber das macht den Halloween-Tick etwas erklärlicher...“

Arthur blinzelte ihn fragend an.
„Noch nie The Crow gesehen?“ Arthur zuckte die Schultern.

„Na egal. Jedenfalls haben wirs also wahrscheinlich mit so nem Vampirspinner zu tun, der dann stilecht auch noch Blut abzapft?“
„Scheint so, Chchef...“

„Post mortem?“
„Unterschiedlich. Bei manchen scheint das auch die Todesursache gewesen zu sein...“

„Okay, es gab schon Verrückteres... gut, ich nehme dann mal an, dass das Blut für das Markenzeichen immer das der Opfer war?“
„Nein, Chef...“, murmelte Arthur leise, als wäre ihm gerade selbst etwas Seltsames aufgefallen, fummelte einen zerfledderten Block aus der Hosentasche, einen angekauten Bleistift aus der Jackentasche und begann zu kritzeln.

„Also Tierblut – oder menschliches Blut? Vielleicht seins oder das früherer Opfer?“
„Menschliches Blut... wahrscheinlich seins – es ist immer das gleiche Blut gewesen...“
„Oh, dann gibt’s doch sicher bereits ne DNA-Analyse?“

„Keine Ahnung, Chef...“ murmelte Arthur mit auf seinen Block gesenktem Blick und zog die Schultern schuldbewusst zusammen.
„Wie?? Hast du den Blutbericht über das Markenzeichen etwa noch nicht gelesen??? Du bist doch sonst immer so genau!“, staunte Melloy.

„Ähm, Chchef... ich äh – bin noch nich lang da – und das war ein ganzer Karton voller Akten... und alssso – mir ist auch grad erst aufgefallen, dass der Bericht über das Blut nich dabei war...“, stammelte er und hob demonstrativ seinen Block hoch.

„Und warum denkst du dann, dass es sein Blut war?“
„Das stand in den meisten Abchchlussberichten der einzelnen Fälle mit drin...“

„Na, dann stand da doch auch sicher was über die DNA-Analyse?“
„Nein, Chchef... Eine DNA-Analyse wurde in keinem der Berichte erwähnt“, murmelte er stirnrunzelnd und unterstrich etwas auf seinem Block.

„Nun gut, da haken wir als erstes nach. Was gibt’s bisher sonst für Erkenntnisse über den Mörder?“

„Nich viel, Chef...“, Arthur blätterte in seinem Block herum, „alssso – keine Finger- oder Fußabdrücke oder sonstige Indizien wie Stofffasern, Haare oder so – arbeitet sssehr sauber... verwendet fürs Blutabzapfen wahrschcheinlich ne Spritzzze mit unterschiedlich dicken Nadeln, manche Einstichlöcher sind sssehr gross, andere klein, manche mit gleichem Abstand zu einander, manche nich, es gibt auch verschieden bevorzugte Stellen, mal am Hals, mal am Handgelenk oder Arm, Hand, Fuss, Oberkörper, Brust, alles dabei...“

„Gut, gut“, unterbrach Melloy ihn, da er das Gezischel nicht länger ertrug, „tipp es mir ab und gib es mir nachher zu lesen. "Wie sieht’s mit nem groben Profil aus?“
„Wahrcheinlich um die dreißig, weiss, sssehr kräftig, Geschlecht schwer zu sagen, keine sssexuelle Motivation -“

„Was, Geschlecht unklar? Ich glaub ja kaum, dass ne Frau -“
„Der erste Fall, Chef“, unterbrach ihn Arthur eifrig, „und bei einigen Folgenden waren die Opfer Missbrauchopfer oder Vergewaltigte, die aber nich er oder sie sssexuell angerührt hat...“

„Das passt aber nicht gut zu einer Lynchjustiz-Theorie, da wären doch die Täter, nicht die Opfer...“

„Nein, Chef, hören Sie doch erstmal fertig zu – alssso, im ersten Fall gabs zwei Opfer, ein Mädchen, von dem man erst glaubte, dass sie ihren Vater getötet hat, der sie kurz vorher missbraucht hatte, und dann sich selbst –
aber dann gabs da die Einstichlöcher bei dem Mädchen, beim Vater nich, dem wurde die Kehle aufgechlitzzzt – und: das Mädchen starb laut Untersuchung zum Todeszeitpunkt vor dem Vater!“

„Oh – ja, gut beobachtet, Arthur... nun, dann kommt eine Frau durchaus in Frage, vor allem, wenn es mehrere Fälle dieser Art gab...?“ Arthur nickte bestätigend.

„Wie lauten die Gründe für die anderen Vermutungen?“

„Nun, sie oder er – denn es gab auch Fälle, zu denen Lynchjustiz nich so ganzzz passen würde – ist eher weiss, sie wissen ja, laut Statistik werden sadistisch oder perversss motivierte Morde fast nur von Weissen verbrochen, Vampirismus-Wahn scheint mir auch eher ne weisse Macke zu sein. Die Opfer sind durch die Bank total verschieden in Alter, Rasse, Geschlecht und so, daraus lässt sich nichts schließen...“

„Okay“, unterbrach Melloy, „und wieso das Alter und wieso kräftig?“
„Es gibt auffallend viele Opfer in diesem Alter oder mindestens diesen Alters und ein sssehr durchtrainierter Körper sind für manche Todesarten nötig gewesen – das könnte aber wiederum auch auf einen Mann hinweisen...“

„Welche Todesarten zum Beispiel?“
„Allein im ersten Fall – dem Mädchen wurde erst Blut abgezapft, dann wurde ihr das Genick gebrochen und dann erst hat man ihr die Pulsadern aufgeschlitzzzt – obwohl da auch was komisch war...“ Arthur sah ihn auffordernd an.
Melloy starrte ihn an und spürte wieder seinen Magen sich unangenehm zusammen ziehen.
Er fand die Schilderung schon schrecklich genug... er zündete sich eine neue Zigarillo an und zwang sich dabei „Was war komisch?“ zu murmeln.

„Nun, Chchef... anscheinend wollte sich das Mädchen tatsächchlich erst selbst umbringen, hatsss aber falsch gemacht, harrrksssshi-“

„Arthur, bitte!“
Arthur verstummte sofort.

„Wieso falsch?“, fragte Melloy schließlich widerstrebend.
„Nun – sie hat erst nich schräg, sondern quer geschnitten, dann kam der Genickbruch, dann wurde schräg geschnitten...“
Melloy runzelte die Stirn.

„Aber, wieso... ich versteh das nicht – okay, sagen wir, der Vampirspinner kam, hat sie beim Selbstmordversuch überrascht – sah das Blut, und konnte deshalb nicht widerstehen, sie aus zu wählen anstatt des Vaters – dann Genickbruch,
vielleicht, damit sie aufhört zu zappeln und zu schreien, hatte vielleicht grad nichts zum Fesseln parat, ging noch nicht gut geplant vor – aber wieso schlitzt er ihr nachher noch die Arme auf?
Ich mein, dass man erst falsch und dann richtig schneidet, okay, wenn er’s wie Selbstmord hatte aussehen lassen wollen – aber er muss schon dumm sein – oder sie – wenn ihm oder ihr nicht klar war, dass der Genickbruch als Todesursache festgestellt werden würde...
und wer sonst so sauber arbeitet, ist selten dumm... oder gabs im ersten Fall doch ein paar Indizien und nur in späteren keine mehr?“

„Nein, Chchef, genauso sauber, wie bei allen anderen – aber auch die folgenden Morde wirken schlecht geplant...“

„Und trotzdem wurde er noch nicht gefasst?? Wenns noch mehr Fehler gab? Und das bei 48 Leichen???“
„Ich weiß nich, Chchef... es gab viele Fehler... aber trotzdem kein klareres Profil oder eingegrenzt Verdächtige oder so...“

„Nehmen wir allein die Lynchjustiz-Theorie“, ereiferte sich Melloy, „beim ersten Fall sind es oft Opfer, die der Täter kannte und irgendwoher muss der Täter, damit die Theorie stimmt, ja vom Missbrauch gewusst haben oder den Vater inflagranti erwischt haben, aber dann hätte er ihn zuerst getötet, anscheinend hat er aber erst das Mädchen beim Selbstmordversuch erwischt und sie zuerst getötet,
und die hatte sicher weder Zeit noch Lust, ihm dabei vom Missbrauch zu erzählen –
woher hätte er oder sie das also wissen können – es sei denn, er kannte das Mädchen oder den Vater? Gab es eigentlich im ersten Fall Einbruchspuren?“

„Nein. Das bestätigt ihre Theorie – das Fenster, durch das er rein gekommen is, kann aber auch schon offen gewesen sein – und noch was, Chef, man nimmt an, dass dem Mädchen erst die Pulsadern schräg aufgeschlitzzzt wurden, nachdem der Vater ermordet worden war – vielleicht hat ers dem Täter erzählen müssen? Weil der Täter ihn ausssgequetscht hat, warum seine Tochter sich umbringen wollte?“

„Hmm, möglich... wie ist der eigentlich ins Spiel gekommen? Hat er den Täter beim Blutzapfen gestört, oder wie?“
„Äh“, in Arthurs Gesicht zuckte es merklich, „ähm, alssso – er chchtarb im Bett... wurde wahrcheinlichch im Chlaf überrachcht...“

„Und weiter?“, hakte Melloy nach, den es wunderte, das Arthur schon verstummte.
„Äh...“, Arthurs Gesicht verkrampfte sich angeekelt, „also, wie ich schon sagte – ihm wurde die Kehle aufgeschlitzzzt –
und, naja, dann die Augen ausgestochen und in den Mund gestopft – und – und ähmm – den Rest lesen Sie besser später selbst nach, Chchef...“

Nun zuckte es in Melloys Gesicht. Er wollte es am liebsten gar nicht mehr wissen. Wenn Arthur etwas nicht über die Lippen brachte, musste es schon mit Verstümmelung unter der Gürtellinie oder ähnlichem zu tun haben, das war der einzige Themenbereich, den selbst der sonst so abgebrühte Psychopath Arthur Nakes nur unter Zwang in den Mund nahm, denn es verletzte seine Männlichkeit – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Gut, gut...“, murmelte er, „kommen wir also noch mal zur Theorie... haut es denn zeitlich hin, dass aus dem Vater was rausgepresst wurde?“
„Eigentlich nich, Chef – allesss geschah sehr schnell hintereinander...“

„Wurde denn das Umfeld ausreichend nach Verdächtigen abgesucht? – Denn das bestätigt doch eher, dass der Täter schon vom Missbrauch gewusst haben muss – oder es war keine Lynchjustiz...“
„Die erste Theorie war auch, dass der Täter vielleicht wenigstens eines der Opfer kannte, nachdem klar war, dass es doch kein Selbstmord war... doch alle in Frage kommenden hatten ein Alibi oder kamen aus anderen Gründen nich in Frage...“

„Nun, den ersten Fall und den aktuellen nehmen wir uns als erstes und am genauesten vor, dann erstellen wir ne grobe Übersicht über die anderen. Danach untersuchen wir alle einzeln noch einmal genau... jetzt brauch ich aber erst mal nen Drink – wies aussieht, ist der Rest jetzt auch soweit durch... wo wohnen wir eigentlich?“
„Im Cruzzzified King Hotel, Chchef.”

“Romantisch.”
“Klang im Vergleichch zum Rest noch am optimistihchsten, Chef – und liegt sssehr zentral...“

„Na denn... sag den anderen doch Bescheid, dass sie ihre Berichte dahin schicken sollen, ich funk eben den hiesigen Sheriff an und mach mit ihm ein Date aus – denn der ist schon weg.“

Arthur nickte und trabte zu den anderen rüber.

Komischer Typ, der Sheriff, dachte Melloy. Sehr verschwiegen. Hatte nur das Nötigste zum aktuellen Fall berichtet – zwei Leichen, Vater und Tochter, beide durchs Fenster gestürzt, ob Selbstmord oder Mord in beiden Fällen noch fraglich, passe aber alles in das Muster eines gesuchten Serienkillers aufgrund des Markenzeichens - und ihn für alles weitere bloß auf die Akten und noch folgenden Berichte zum aktuellen Fall verwiesen, wenn dann noch Fragen offen seien... und weg war er gewesen.
Gut, die meisten Sheriffs ließen sich ungern von Außenstehenden ins Handwerk pfuschen, erst recht nicht von FBI-Leuten, aber soviel eisige Kälte war ihm noch nie entgegen geschlagen.
Und zu seinen Detectives und den Leuten von der Spuren- sicherung war der anscheinend auch nicht kollegialer – normalerweise blieb der Sheriff am Tatort, bis alle fertig waren, falls schon etwas Interessantes bei der ersten Untersuchung herauskommen sollte...
Aber vielleicht war der nach 48 Leichen und immer noch keiner Spur zum Serienmörder auch einfach zu frustriert, um noch Engagement zu zeigen. Oder es lag am deprimierenden Dark Town-Ambiente.

Er wusste zwar nicht viel über Dark Town, aber doch soviel, dass es ein ziemlich zwielichtiger Ort sein sollte, der ständig in dreckigem Regen ersoff – eine Art Venedig-Vegas, nur, dass die Gülle nicht von unten nach oben stieg, sondern wie eine Gottesstrafe vom Himmel gekippt wurde. Es schien immer noch unklar, was für giftiges Zeug da eigentlich immer wieder herab regnete – oder es war so gefährlich, dass man nichts durch die Presse sickern ließ. Von so einem Ort der Sheriff zu sein, fraß sicher irgendwann dunkle Furchen ins Gemüt.

Nun, er würde erst mal das Gespräch mit ihm abwarten und dann Arthurs Bericht. Zumindest wusste er schon, an welcher Stelle er dem Sheriff als erstes auf den Zahn fühlen musste. Wieso gab es keine DNA-Analyse? Beziehungsweise: wo war sie abgeblieben?
Und nach dem Date ins Leichenschauhaus, die Leichen waren leider schon abtransportiert worden, bevor er am Tatort eingetroffen war – und dementsprechend war natürlich auch der Gerichtsmediziner schon weg gewesen.
Erst einmal freute er sich aber auf einen guten Whiskey – in einer Stadt solch finsteren Rufes dürfte es an Bars mit gutem Fusel wohl kaum mangeln. Also griff er schnell zum Funkgerät, denn Arthur war schon wieder auf dem Rückweg.

Er starrte auf das schlichte Holzkreuz über seinem Bett. Er hatte nicht viel für Religion übrig, aber in einer solchen Stadt wirkte es irgendwie beruhigend auf ihn. Er hatte sich auf dem Weg zum Hotel interessiert umgeschaut, und was er sah, ließ ihn durchaus ein wenig gruseln -
die Stadt wirkte wie aus einem alten Horrorstreifen entsprungen, dunkles Kopfsteinpflaster überall, mehr Gaslaternen als elektrische, runtergekommene Pubs und Motels, alle Häuserfassaden und Dächer dunkel gefärbt von grau bis tiefschwarz, die meisten Fenster mit dunklen Rollos verbarrikadiert, kaum Menschen auf der Strasse, und die wenigen, die einen zumindest verstohlenen Blick auf seinen vorbeifahrenden Buick warfen, wirkten entweder finster oder verängstigt, ausnahmslos dunkel gekleidet bargen sie ihre Köpfe im Schatten ihrer Kapuzen oder breitkrempigen Hüte, so dass nur ihre Augen hell im Scheinwerferlicht aufblitzten.

Immerhin, sein Bett war weiß bezogen. Andererseits war dies das einzige Hotel direkt neben der Dark Town Church, wer weiß, wie es in den anderen Hotels und Motels der Stadt aussah. Das Treffen mit dem Sheriff war erst in zwei Stunden, also beschloss er, sich nach einem Drink für eine Stunde aufs Ohr zu hauen.
Er hörte Arthur nebenan an seinem Bericht tippen und grinste, es passte zu Arthur, dass er sich bis heute weigerte, an einem PC zu arbeiten. Und er mochte das klackernde Geräusch der alten Schreibmaschine. Nachdem er ein Glas besten Whiskeys aus der Zimmerbar getrunken hatte, warf er sich aufs Bett, schob seine Hand mitsamt seiner aus dem Holster gezogenen Smith & Wesson unters Kopfkissen und schloss die Augen.

Ein eiskalter Schauer ließ ihn hochschrecken, er riss die Waffe hoch, sprang vom Bett und drehte sich mit der Waffe im Anschlag hektisch einmal um sich selbst, doch das Zimmer war leer. Er sah unter dem Bett nach, aber auch dort war nichts. Leise huschte er zum Badezimmer, da nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, er fuhr herum und richtete seine Waffe auf das Fenster, das einen schönen, wenn auch düsteren Ausblick über Dark Town bot. Z
wei rot funkelnde Augen starrten ihn an, nach einem Blinzeln waren sie fort.
Er sprang zum Fenster, riss es – wobei er möglichst in Deckung blieb - auf und suchte die äußere Häuserwand und anliegenden Dächer vorsichtig mit Blicken ab, immer noch die Waffe in der verkrampften Hand. Doch da war nichts.

Die Sonne ging ruhig und in grauen Schlieren am rasch dunkelnden Himmel unter, die Strassen waren leer und still. Das Schweigen der Stadt war fast greifbar, es waberte in der Luft wie ein dicker, schmutziger Schleier, der etwas verhüllte, das nicht dazu verleitete, den Schleier zu lüpfen, sondern nur noch fester auf das sich wiegende Medusenhaupt der Stadt zu drücken.

Vielleicht waren es nur die roten Lichter eines Flugzeugs gewesen. Timothy, Timothy, mahnte er sich kopfschüttelnd, die Stadt fängt an ihre Fühler nach dir auszustrecken, lass dich nicht einwickeln... Er griff sich das leere Glas auf dem Nachttisch und goss es sich noch einmal halb voll mit Whiskey. Für ein christliches Hotel war die Zimmerbar verdammt gut ausgestattet, er schmatzte genüsslich und leckte sich die Lippen, als er das Glas in einem Zug hinunter gestürzt hatte. Doch schlafen konnte er nun nicht mehr, und da er Arthur nicht mehr tippen hörte, beschloss er, sich für das Treffen mit dem Sheriff von Arthur auf den best möglichen Informationsstand bringen zu lassen.

Er ließ sein Holster aufgeknöpft, als er das Zimmer verließ.

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