anbas
Mitglied
Nur Geduld
Es ist mein erster Urlaubstag. In ein paar Tagen geht es los Richtung Nordsee. Mein Kühlschrank ist allerdings jetzt schon so gut wie leer. Beim Einkaufen in der letzten Woche hatte ich etwas zu knapp kalkuliert. Zwar kennen mich inzwischen die Lieferservice der Stadt recht gut, aber sich mehrmals täglich zu jeder Mahlzeit das Essen liefern zu lassen, wäre dann doch etwas übertrieben.
Daher stehe ich gerade im Supermarkt an der Kasse und hoffe, diesmal genug eingekauft zu haben. Das, was jetzt in meinem Einkaufswagen liegt, sollte nun wirklich bis zu meiner Abreise ausreichen, zumal ich durchaus auch vorhabe, meinen Bekanntheitsgrad bei den Lieferdiensten noch ein wenig weiter auszubauen.
Im Moment sind neben einer Selbstbedienungskasse, gegen die ich eine ausgeprägte Abneigung habe, noch drei weitere Kassen geöffnet. Nachdem ich mich zunächst bei Kasse drei angestellt hatte, habe ich inzwischen zur mittleren gewechselt, da dort die Schlange am kürzesten war. Wie so oft scheint dies die falsche Entscheidung gewesen zu sein. Den jungen Mann, der an der Kasse sitz, habe ich hier noch nie zuvor gesehen. Er muss neu sein, zumindest fehlt ihm die Routine. Es geht nur sehr langsam voran.
Das Warten eignet sich ausgesprochen gut für eine innere Einkehr, und ich kann mir über das eine oder andere meine Gedanken machen. Auf jeden Fall ist dies besser, als sich über das Ganze aufzuregen, immer ungeduldiger zu werden, um dann mit der miesesten aller miesen Launen den Supermarkt zu verlassen.
'Stehe ich wirklich so häufig in der falschen Schlange?', frage ich mich gerade, und registriere dabei, in welchem Tempo die Kunden an Kasse drei abgefertigt werden. Recht schnell wird mir aber klar, dass es sich hier eher um einen Fall von selektiver Wahrnehmung handelt. In der Regel stehe ich in der richtigen Schlange. Nur das registriere ich dann nicht so sehr, als wenn ich mir mal die falsche ausgesucht habe. Aber was solls: Ich habe Urlaub und niemand hetzt mich.
"Ich brauch mal den Storno!", ruft der junge Mann und reißt mich aus meinen Gedanken. Die Kolleginnen an den beiden anderen Kassen reagieren nicht.
"Den Storno, bitte!" wiederholt er, nun noch etwas lauter.
"Ja, gleich!" antwortet die Kollegin von Kasse eins. Dann steht sie auf und wirft den Schlüssel gezielt ihrem Kollegen zu. Dieser fängt ihn geschickt auf und erledigt die Stornierung.
"Ich brauch den Storno zurück!" ertönt nun die Kollegin von Kasse eins.
"Kommt gleich!" antwortet der junge Mann und beendet zunächst den Kassiervorgang. Dann steht er auf und bringt den Schlüssel persönlich zu seiner Kollegin. Vermutlich ist er wirklich neu hier und traut sich den Versand per Luftpost noch nicht zu.
Jetzt befinden sich nur noch zwei Kunden vor mir. – Die Kundin, hinter der ich mich zunächst an Kasse drei angestellt hatte, verlässt gerade den Laden.
"Bitte eine weitere Kasse aufmachen!" schallt es nun durch den Supermarkt. – Prima, die Dame an Kasse drei hat die Initiative ergriffen. Doch bevor ich mir abschließend überlegt habe, ob es Sinn machen würde, jetzt noch an Kasse vier zu wechseln, haben sich dort bereits so viele Leute versammelt, dass ich lieber bleibe, wo ich bin.
Der nächste Kunde vor mir möchte etwas von den hochprozentigen Sachen. Die Flaschen befinden sich im Kassenbereich hinter einem abgeschlossenen Plexiglasfenster. Ich stehe direkt daneben und wäre gerne behilflich, wenn ich denn das Fenster öffnen könnte. Der Schlüssel liegt aber bei Kasse drei, und mein Kassierer macht sich auf den Weg, um ihn dort abzuholen. Er muss etwas warten bis seine Kollegin bei ihrem Kunden abkassiert hat.
So langsam kriege ich nun doch ein wenig Puls. Warum zum Henker befindet sich der Schlüssel nicht an der Kasse, bei der auch das Schränkchen steht? Aber ich habe ja Zeit, ich habe Urlaub – und ich atme tief durch. Gleich bin ich an der Reihe. Warum also aufregen?
Nun scheint das Lesegerät die EC-Karte des Kunden nicht zu akzeptieren. Nach dem fünften Versuch gibt man auf und ich warte auf den Ruf nach dem Stornoschlüssel. Doch der bleibt aus, denn der Kunde hat genug Bargeld dabei.
Jetzt gibt es lediglich noch eine ältere Dame, die mich von der Kasse trennt. Sie hat nur wenige Einkäufe auf dem Warenband liegen – aber dafür das Bedürfnis, ein kleines Schwätzchen mit dem jungen Mann an der Kasse zu halten.
Ich spüre, wie sich meine Stirn in Falten legt. Nun muss ich mehrfach tief durchatmen. Bei einem kurzen Blick hinter mich stelle ich fest, dass immer mehr Leute aus meiner Schlange zu den Kassen eins, drei und vier abwandern.
Im Laufe des kleinen Smalltalks bestätigt der junge Mann, dass er hier neu angefangen hat. Außerdem weiß sie nun, dass er der Herr Stutzke ist, es sich bei dem Kassieren nur um einen Nebenjob handelt, er im benachbarten Stadtteil wohnt aber demnächst zusammen mit seiner Freundin an den Stadtrand ziehen wird. Er und auch wir in der Nähe Stehenden haben wiederum von der Dame erfahren, dass sie seit vierzig Jahren in derselben Wohnung lebt, ihr Mann vor drei Jahren nach einem Schlaganfall verstorben ist, sie dreimal in der Woche zum Sport geht und zwei Kinder sowie fünf Enkelkinder hat.
"Sechzehn Euro Dreiundneunzig", höre ich Herrn Stutzke nun sagen.
Die Dame fängt an, in ihrem Portemonnaie zu kramen.
"Hier sind schon mal zehn Euro", murmelt sie. "Sowas Dummes, ich habe meine Brille zu Hause vergessen. Passt das so?" Sie gibt dem jungen Mann ein paar Münzen in die Hand.
"Nee, das reicht noch nicht."
"Dann schauen Sie doch bitte selber nach, was Sie brauchen," antwortet sie und schüttet ihr ganzes Kleingeld auf das Warenband. – Ich bin zunehmend gespannt, wann ich hier aus dem Supermarkt herauskomme. Morgen soll das Wetter schlechter werden, und ich habe keinen Schirm dabei.
Wie sich nun herausstellt, hat Herr Stutzke den Ehrgeiz, den noch fehlenden Betrag passend aus der vor ihm liegenden Münzsammlung herauszufischen. Ein- oder Zwei-Eurostücke scheinen nicht im Angebot zu sein und auch keine 50-Cent-Münzen.
"Entschuldigung, können Sie mal jemanden an die Selbstbedienungskasse rufen – da funktioniert was nicht!" erschallt es nun hinter mir.
"Da müssen Sie sich an meine Kollegin an Kasse eins wenden. Aber warten Sie … Frau Kröger! … Hallo Frau Kröger! … Bitte einmal jemanden zur Schnellkasse bitte!"
Herr Stutzke ist diesmal so laut, dass man auf die Lautsprecheransage vermutlich hätte verzichten können. Sicherheitshalber gibt Frau Kröger trotzdem die entsprechende Ansage durch. – Und mein hilfsbereiter junger Kassierer muss leider noch einmal mit dem Kleingeldabzählen von vorne anfangen, da ihn die kleine Unterbrechung durcheinandergebracht hat.
Endlich ist es geschafft und Herr Stutzke darf sich um meinen Einkauf kümmern. Gerade wird die Kasse vier wieder geschlossen und die Schlangen an den anderen Kassen haben sich deutlich verringert. Ich hole schon mal mein Portemonnaie heraus. Es ist sehr schwer. Da scheint sich viel Kleingeld angesammelt zu haben. Vielleicht sollte Kasse vier gleich wieder geöffnet werden …
Es ist mein erster Urlaubstag. In ein paar Tagen geht es los Richtung Nordsee. Mein Kühlschrank ist allerdings jetzt schon so gut wie leer. Beim Einkaufen in der letzten Woche hatte ich etwas zu knapp kalkuliert. Zwar kennen mich inzwischen die Lieferservice der Stadt recht gut, aber sich mehrmals täglich zu jeder Mahlzeit das Essen liefern zu lassen, wäre dann doch etwas übertrieben.
Daher stehe ich gerade im Supermarkt an der Kasse und hoffe, diesmal genug eingekauft zu haben. Das, was jetzt in meinem Einkaufswagen liegt, sollte nun wirklich bis zu meiner Abreise ausreichen, zumal ich durchaus auch vorhabe, meinen Bekanntheitsgrad bei den Lieferdiensten noch ein wenig weiter auszubauen.
Im Moment sind neben einer Selbstbedienungskasse, gegen die ich eine ausgeprägte Abneigung habe, noch drei weitere Kassen geöffnet. Nachdem ich mich zunächst bei Kasse drei angestellt hatte, habe ich inzwischen zur mittleren gewechselt, da dort die Schlange am kürzesten war. Wie so oft scheint dies die falsche Entscheidung gewesen zu sein. Den jungen Mann, der an der Kasse sitz, habe ich hier noch nie zuvor gesehen. Er muss neu sein, zumindest fehlt ihm die Routine. Es geht nur sehr langsam voran.
Das Warten eignet sich ausgesprochen gut für eine innere Einkehr, und ich kann mir über das eine oder andere meine Gedanken machen. Auf jeden Fall ist dies besser, als sich über das Ganze aufzuregen, immer ungeduldiger zu werden, um dann mit der miesesten aller miesen Launen den Supermarkt zu verlassen.
'Stehe ich wirklich so häufig in der falschen Schlange?', frage ich mich gerade, und registriere dabei, in welchem Tempo die Kunden an Kasse drei abgefertigt werden. Recht schnell wird mir aber klar, dass es sich hier eher um einen Fall von selektiver Wahrnehmung handelt. In der Regel stehe ich in der richtigen Schlange. Nur das registriere ich dann nicht so sehr, als wenn ich mir mal die falsche ausgesucht habe. Aber was solls: Ich habe Urlaub und niemand hetzt mich.
"Ich brauch mal den Storno!", ruft der junge Mann und reißt mich aus meinen Gedanken. Die Kolleginnen an den beiden anderen Kassen reagieren nicht.
"Den Storno, bitte!" wiederholt er, nun noch etwas lauter.
"Ja, gleich!" antwortet die Kollegin von Kasse eins. Dann steht sie auf und wirft den Schlüssel gezielt ihrem Kollegen zu. Dieser fängt ihn geschickt auf und erledigt die Stornierung.
"Ich brauch den Storno zurück!" ertönt nun die Kollegin von Kasse eins.
"Kommt gleich!" antwortet der junge Mann und beendet zunächst den Kassiervorgang. Dann steht er auf und bringt den Schlüssel persönlich zu seiner Kollegin. Vermutlich ist er wirklich neu hier und traut sich den Versand per Luftpost noch nicht zu.
Jetzt befinden sich nur noch zwei Kunden vor mir. – Die Kundin, hinter der ich mich zunächst an Kasse drei angestellt hatte, verlässt gerade den Laden.
"Bitte eine weitere Kasse aufmachen!" schallt es nun durch den Supermarkt. – Prima, die Dame an Kasse drei hat die Initiative ergriffen. Doch bevor ich mir abschließend überlegt habe, ob es Sinn machen würde, jetzt noch an Kasse vier zu wechseln, haben sich dort bereits so viele Leute versammelt, dass ich lieber bleibe, wo ich bin.
Der nächste Kunde vor mir möchte etwas von den hochprozentigen Sachen. Die Flaschen befinden sich im Kassenbereich hinter einem abgeschlossenen Plexiglasfenster. Ich stehe direkt daneben und wäre gerne behilflich, wenn ich denn das Fenster öffnen könnte. Der Schlüssel liegt aber bei Kasse drei, und mein Kassierer macht sich auf den Weg, um ihn dort abzuholen. Er muss etwas warten bis seine Kollegin bei ihrem Kunden abkassiert hat.
So langsam kriege ich nun doch ein wenig Puls. Warum zum Henker befindet sich der Schlüssel nicht an der Kasse, bei der auch das Schränkchen steht? Aber ich habe ja Zeit, ich habe Urlaub – und ich atme tief durch. Gleich bin ich an der Reihe. Warum also aufregen?
Nun scheint das Lesegerät die EC-Karte des Kunden nicht zu akzeptieren. Nach dem fünften Versuch gibt man auf und ich warte auf den Ruf nach dem Stornoschlüssel. Doch der bleibt aus, denn der Kunde hat genug Bargeld dabei.
Jetzt gibt es lediglich noch eine ältere Dame, die mich von der Kasse trennt. Sie hat nur wenige Einkäufe auf dem Warenband liegen – aber dafür das Bedürfnis, ein kleines Schwätzchen mit dem jungen Mann an der Kasse zu halten.
Ich spüre, wie sich meine Stirn in Falten legt. Nun muss ich mehrfach tief durchatmen. Bei einem kurzen Blick hinter mich stelle ich fest, dass immer mehr Leute aus meiner Schlange zu den Kassen eins, drei und vier abwandern.
Im Laufe des kleinen Smalltalks bestätigt der junge Mann, dass er hier neu angefangen hat. Außerdem weiß sie nun, dass er der Herr Stutzke ist, es sich bei dem Kassieren nur um einen Nebenjob handelt, er im benachbarten Stadtteil wohnt aber demnächst zusammen mit seiner Freundin an den Stadtrand ziehen wird. Er und auch wir in der Nähe Stehenden haben wiederum von der Dame erfahren, dass sie seit vierzig Jahren in derselben Wohnung lebt, ihr Mann vor drei Jahren nach einem Schlaganfall verstorben ist, sie dreimal in der Woche zum Sport geht und zwei Kinder sowie fünf Enkelkinder hat.
"Sechzehn Euro Dreiundneunzig", höre ich Herrn Stutzke nun sagen.
Die Dame fängt an, in ihrem Portemonnaie zu kramen.
"Hier sind schon mal zehn Euro", murmelt sie. "Sowas Dummes, ich habe meine Brille zu Hause vergessen. Passt das so?" Sie gibt dem jungen Mann ein paar Münzen in die Hand.
"Nee, das reicht noch nicht."
"Dann schauen Sie doch bitte selber nach, was Sie brauchen," antwortet sie und schüttet ihr ganzes Kleingeld auf das Warenband. – Ich bin zunehmend gespannt, wann ich hier aus dem Supermarkt herauskomme. Morgen soll das Wetter schlechter werden, und ich habe keinen Schirm dabei.
Wie sich nun herausstellt, hat Herr Stutzke den Ehrgeiz, den noch fehlenden Betrag passend aus der vor ihm liegenden Münzsammlung herauszufischen. Ein- oder Zwei-Eurostücke scheinen nicht im Angebot zu sein und auch keine 50-Cent-Münzen.
"Entschuldigung, können Sie mal jemanden an die Selbstbedienungskasse rufen – da funktioniert was nicht!" erschallt es nun hinter mir.
"Da müssen Sie sich an meine Kollegin an Kasse eins wenden. Aber warten Sie … Frau Kröger! … Hallo Frau Kröger! … Bitte einmal jemanden zur Schnellkasse bitte!"
Herr Stutzke ist diesmal so laut, dass man auf die Lautsprecheransage vermutlich hätte verzichten können. Sicherheitshalber gibt Frau Kröger trotzdem die entsprechende Ansage durch. – Und mein hilfsbereiter junger Kassierer muss leider noch einmal mit dem Kleingeldabzählen von vorne anfangen, da ihn die kleine Unterbrechung durcheinandergebracht hat.
Endlich ist es geschafft und Herr Stutzke darf sich um meinen Einkauf kümmern. Gerade wird die Kasse vier wieder geschlossen und die Schlangen an den anderen Kassen haben sich deutlich verringert. Ich hole schon mal mein Portemonnaie heraus. Es ist sehr schwer. Da scheint sich viel Kleingeld angesammelt zu haben. Vielleicht sollte Kasse vier gleich wieder geöffnet werden …