Piano Bar

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lietzensee

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Piano Bar​

Der Mann am Klavier bedankte sich für den leisen Applaus. Sein Mikrofon knackte. Er nahm einen Schluck Bier und begann, das nächste Lied zu spielen. Unter der Decke hingen verblichene Lampions und Zigarettenrauch.
"Kennst du das Lied?", fragte Schneider.
Kowalski schüttelte den Kopf.
"Ist ein gutes Lied." Schneider aschte mit seiner Zigarette auf den Tresen. "Oder es wäre ein gutes Lied, wenn der Kerl es nur spielen könnte."
Nun nickte Kowalski. Es war nicht klar, ob es Schneider oder der Musik galt.
Schneider hob seine Stimme, um die Musik zu übertönen. "Ich konnte das Lied spielen."
"Echt?", fragte Kowalski.
"Na klar, richtig gut sogar!"
"Ok."
"Und wie ich das spielen konnte. Ich hatte ja mehr Talent als dieser Typ da am Klavier, viel mehr Talent. Aber die anderen waren neidisch, haben mich zurückgehalten, die Schweine."
"Ok."
"Nicht Ok!" Schneider trank von seinem Bier und schüttelte sich bei dem Geschmack. "Du weißt, dass das hier die Hölle ist, oder? Ich meine, die tatsächliche Hölle. Wir sind alle tot und unsere Strafe ist diese schreckliche Kellerbar." Er trat gegen den fleckigen Tresen. "Ich hätte diesen Idioten auf der Toilette nicht abstechen sollen."
"Hm."
"Aber er hatte es verdient, das Schwein. Er wollte sich einen Auftritt schnappen, der für mich reserviert war. Dafür hättest du ihn auch kalt gemacht. " Schneider betrachtete den Anderen von oben bis unten. "Was hast du denn getan?"
Kowalski zuckte mit den Schultern. "Nichts Besonderes, ich habe im Büro gearbeitet."
"Und Kunden beschissen?"
"Nein."
"Geld unterschlagen?"
"Nein, nur viel gearbeitet, zwölf Stunden und mehr pro Tag."
"Ach komm schon, was hast du gemacht? In die Hölle kommt niemand ohne Anlass!"
Kowalski zündete sich eine Zigarette an. "Bei der Arbeit habe ich immer davon geträumt, faul in irgendeiner Bar zu sitzen. Für mich ist das hier der Himmel."
"Ok", konnte Schneider darauf nur antworten. Sein Gesicht wirkte noch gequälter. Kowalski wandte sich wieder dem Mann am Klavier zu. Seine Finger klopften den Takt auf der klebrigen Theke.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo lietzensee,

hat mir echt gut gefallen.

Der Mann am Klavier bedankte sich für den leisen Applaus. Sein Mikrofon knackte.
Kleinlich von mir, aber: Knackte das Mikrofon erst, nachdem er sich bedankt hatte?

Er nahm einen Schluck Bier
einen Schluck Bier
Würde beim zweiten Mal variieren.

"Ist ein gutes Lied", Schneider aschte
... Lied." Schneider (Neuer Satz, da es ja kein Einschub innerhalb einer wörtlichen Rede ist.)

Nachtrag: Sehe gerade, dass das öfter in deinen Texten vorkommt. Kenne da eine gute Seite zum Nachschlagen: www.woertlicherede.de

Ich hatte ja mehr Talent
Gut gemacht. Das "hatte" wird ja erst später klar. Geschickt eingebaut.

als dieser Typ da am Mikrofon
am Klavier (oder?)

Du weißt, dass das hier die Hölle ist, oder? Ich meine, die tatsächliche Hölle.
Das klingt hier so dahergesagt. Gut!

"Aber er hatte es verdient, das Schwein, er hatte sich einen Auftritt geschnappt, der eigentlich mir zugestanden hätte. Du hättest das auch so gemacht."
hatte, hatte, hätte, hättest, Fahrradkette
Vorschlag:
"Aber er hatte es verdient, das Schwein, er schnappte sich einen Auftritt, der eigentlich mir zustand. Du hättest das auch so gemacht."

Gute Steigerung im Text. Klasse.

Schönen Tag und
LG, Franklyn
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Franklyn,
vielen Dank für die positive Einschätzung und deine ausführliche Antwort! Du hast immer auch die Details im Auge.

Knackte das Mikrofon erst, nachdem er sich bedankt hatte?
In meiner Erinnerung enden Ansagen durch schlechte Mikros durchaus in einem Knacken. Vor allem will ich aber im Einstieg die einfachen Hauptsätze beibehalten. Klarstellungen wie "während" und "gleichzeitig" würden sie verkomplizieren. Hier sehe ich keinen Nutzen, der diesen Preis wert wäre.

Würde beim zweiten Mal variieren.
stimmt

dass das öfter in deinen Texten vorkommt.
Das kann gut sein ;-) Denk Link werd ich mir abspeichern.

am Klavier (oder?)
stimmt

hatte, hatte, hätte, hättest, Fahrradkette
Ja, mit der Passage hatte ich eine Weile gekämpft und wohl zu früh aufgegeben.

Ich habe den Text noch mal leicht überarbeitet

Viele Grüße
lietzensee
 
Hallo lietzensee,

danke für deine Rückmeldung und schön, dass du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen konntest.

Die Überarbeitung hat sich gelohnt.

In meiner Erinnerung enden Ansagen durch schlechte Mikros durchaus in einem Knacken. Vor allem will ich aber im Einstieg die einfachen Hauptsätze beibehalten. Klarstellungen wie "während" und "gleichzeitig" würden sie verkomplizieren. Hier sehe ich keinen Nutzen, der diesen Preis wert wäre.
Hast völlig recht.

Ja, mit der Passage hatte ich eine Weile gekämpft und wohl zu früh aufgegeben.
Kenne ich. Dann ist man es irgendwann leid und lässt es so ;-)

Mir ist beim Lesen noch folgendes aufgefallen:
Er nahm einen Schluck Bier und begann, das nächste Lied zu spielen. Unter der Decke hingen verblichene Lampions und Zigarettenrauch.
"Kennst du das Lied?", fragte Schneider.
Kowalski schüttelte den Kopf.
"Ist ein gutes Lied." Schneider aschte mit seiner Zigarette auf den Tresen. "Oder es wäre ein gutes Lied, wenn der Kerl es nur spielen könnte."
Nun nickte Kowalski. Es war nicht klar, ob es Schneider oder der Musik galt.
Schneider hob seine Stimme, um die Musik zu übertönen. "Ich konnte das Lied spielen."
5x "Lied" in 8 Zeilen.
Man könnte eines der beiden letzten z.B. durch "Stück" ersetzen oder auch "Ist ein gutes Lied." durch "Es gefällt mir."

auch kalt gemacht. "
Da ist ein Leerzeichen zu viel.

LG, Franklyn
 

r1d3

Mitglied
Richtig gut - heaven and hell, in Einem.

Besonders gut gefällt mir der Schluss - taktklopfende Finger auf klebriger Theke - der auch so einen Ewigkeitsmoment enthält.
 



 
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