Planetenkonferenz

Bo-ehd

Mitglied
Planetenkonferenz

Jupiter, der oberste der Planeten, strich sein graues Haar zurück und gab allen Anwesenden mit einem Handzeichen zu verstehen, ihre angestammten Plätze einzunehmen. An der linken Seite des runden Tisches saßen, gleich neben ihm, Venus, daneben Merkur, neben ihm Saturn, gefolgt vom Aszendenten sowie einem der Häuser. Zur anderen Seite Sonne und Mondin, obwohl keine Planeten, gefolgt von Erde, Pluto, Uranus und Neptun. Den Schluss bildete der Vertreter des medium coeli (MC), der Herrscher über die Himmelsmitte.
„Was liegt heute an, Merkur“, wollte Jupiter wissen und tat so, als hätte er es eilig.
„Gemach, gemach, Chef!“ Merkur, der Planer der Runde, nahm einen Schluck Wasser. „Ein paar Beratungstermine, sonst nichts. Den ersten Termin hat eine Frau von der Erde. Soll ich sie hereinrufen?“
„Nun mach schon, vertrödel keine Zeit. Was will sie denn?“
„Das wird sie dir schon sagen“, mischte sich Venus ein. „Eine Frau …“
In diesem Moment ging die Tür auf, und eine Frau mittleren Alters schritt entschlossen auf den Tisch zu. Jupiter musterte sie und fand, dass sie ein wenig abgearbeitet aussah. Vielleicht waren es auch die Sorgen, die ihrer Schönheit arg zugesetzt hatten.
„Wenn Sie sich vorstellen könnten und dann erzählen, wo ihnen der Schuh drückt“, meldete sich nun Saturn zu Wort und nickte ihr freundlich zu.
„Mein Name ist …, oh Gott nein, der tut nichts zur Sache!“ Sie klang ein wenig hysterisch. „Nennen Sie mich einfach Anna. Ich möchte anonym bleiben, wenn Sie gestatten; die Sache, die mich bedrückt, ist nämlich ziemlich … unangenehm. Mein Zuhause ist auf der Erde, wie Sie sicherlich schon wissen.“ Ihr Auftritt begann ihr mit jeder Sekunde peinlicher zu werden, und sie befürchtete schon, sich vor einer solch edlen Herrscherrunde zu blamieren. Da wurde sie von Mars, ausgerechnet von diesem Grobian, höflich gebeten, ihr Problem zu schildern.

*

Anna atmete tief, um ihre Unsicherheit loszuwerden, und fand dann endlich den Mut, ihre Situation zu schildern. „Ich bin Mutter zweier Söhne, die mir sehr große Sorgen bereiten. Um genau zu sein: Ich habe Angst vor Ihnen. Nicht dass sie mir etwas antun würden, nein, das glaube ich wirklich nicht, aber ihre Haltung und Einstellung anderen gegenüber, die ist alles andere als normal. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich befürchte, da könnte etwas ganz Schlimmes auf mich zukommen, dem ich nicht gewachsen bin. Was sollen denn die Leute denken, wie ich meine Kinder erzogen habe! Ich bin nicht nur tief besorgt; ich habe Angst vor meinem eigenen Fleisch und Blut. Wenn die Umstände bei uns zu Hause nicht besser werden, könnte sich etwas Katastrophales entwickeln. Ich kann das nicht begründen; als Mutter fühlt man so etwas.“
„Das hört sich nicht gerade wie ein alltäglicher Fall an, aber wir sehen, wie wir Ihnen helfen können. Lassen Sie uns ein persönliches Geburtshoroskop erstellen. Das wird uns mit Sicherheit ein Stück weiterbringen, und Sie könnten in der Vorahnung, wie sich die Dinge entwickeln könnten, prophylaktisch gegensteuern.“ Jupiter wirkte geradezu väterlich.
„Ja, so habe ich mir das vorgestellt.“ Anna machte eine kleine Verbeugung als Zeichen, dass sie schon jetzt die Mühe zu schätzen wisse.
„Dann geben Sie uns erst einmal die Geburtsdaten: Tag, Jahr, Uhrzeit und Geburtsort.
Darauf war Anna vorbereitet und übergab einen Zettel, auf dem alles Notwendige notiert war.
„Gut“, sagte Jupiter. „Geben Sie uns eine Stunde Zeit. Bitte warten Sie draußen. Wir rufen Sie herein.“
Saturn, der sich bisher unauffällig verhalten hatte, begann sofort, eine Radix zu erstellen, eine graphische Darstellung aller für ein Horoskop erforderlichen Daten: Die Position der Planeten am Himmelsgewölbe, ihre Zuordnung zu den Sternzeichen, die positiven wie negativen Wirkungen auf- und gegeneinander. Dazu die Position des Aszendenten und der Häuser mit ihrer Aussage in Bezug auf die persönlichen Eigenschaften etc. Unermüdlich murmelte er die gesamte Sternenkonstellation vor sich her. Sonne im Stier, 0°48‘, Mondin im Steinbock 6°37‘, Merkur im Widder 25°40‘, Venus 16°41‘ … Aszendent in der Waage 26° 43‘ … Mondknoten in den Zwillingen 16°03‘ …
Sodann folgten die ersten Interpretationen der Planeten. Als sie ihre Einschätzungen vorgetragen hatten, ergriff der Aszendent das Wort. „Die Waage ist bekannt dafür, dass sie Aufgaben schätzt, die gut durchdacht und zielgerichtet sind und denen die richtige Einschätzung der Lage vorangegangen ist … lassen Sie mich das im Einzelnen erläutern.“
Als die Deutung für den jüngeren der Brüder abgeschlossen war, erfolgte die Erfassung der Daten für das Horoskop des älteren, und nach deren Deutung näherte sich die Sitzung ihrem Ende. Die Stunde war ohnehin herum.
„Pluto, du hast noch gar nichts gesagt heute. Beweg mal deinen Hintern und hol die Frau rein“, kicherte Jupiter. Pluto meuterte nicht; er war neben Neptun und Uranus eine regelrechte Randerscheinung – sehr weit entfernt von der Erde und deshalb extrem langsam im Jahreslauf. In den Horoskopen spielte er nur eine geringe Rolle.
Er hielt der Frau die Tür auf, und schon beim Betreten des Raumes konnten die Anwesenden die Angst in Annas Gesicht erkennen. Ihre Haut war fahl, fast grau, die Lippen schmal und blutlos, und die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Ihre Hände zitterten unmerklich.
Jupiter versuchte sofort sie zu beruhigen. „Kommen Sie, Anna! Da ist noch ein Stuhl frei; Sie können sich gern setzen. Und haben Sie keine Angst, Ihnen passiert ja nichts.“ Er lächelte sie väterlich an, um ihr möglichst viel von ihrer Angst und Beklommenheit zu nehmen.
„Ich bin in diesen Dingen sehr sensibel, wissen Sie“, erwiderte sie mit belegter Stimme. „Das legt sich aber gleich. Ich will Ihnen nicht zu viel Zeit rauben. Bitte erklären Sie mir, was ich von meinen beiden Söhnen zu erwarten habe.“
„Zeit rauben?“ Jupiter lachte laut auf. „Gute Frau, wir berechnen unsere Zeit in Millionen von Jahren. Monate und Stunden kennen wir nur noch aus den Horoskopen. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass uns die Zeit knapp wird.“
Seine Worte wirkten beruhigend auf Anna, und die Farbe kehrte wenigstens ein bisschen in ihr Gesicht zurück.
Jupiter zeigte auf die Dame zu seiner Linken und nickte ihr in einer Art zu, die keinen Widerspruch duldete. Dann wandte er sich wieder an Anna. „Venus wird Ihnen erzählen, was wir aus dem Horoskop Ihrer Söhne herausgelesen haben. Von Frau zu Frau sozusagen.“ Er glaubte, mit diesen Worten humorvoll zu wirken. “Sie dürfen auch gern Fragen stellen, wenn Ihnen etwas unklar ist.“

„Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen“, begann Venus. „Um die Zusammenhänge zu verstehen, wäre Fachwissen nötig, was Sie als Laie aber nicht haben können. Deshalb will ich unser Ergebnis auch allgemeinverständlich darstellen: Ich beginne mit dem Jüngeren.
Das Vermögen, strategisch vorzugehen, ist für ihn typisch, Zögern und Unentschlossenheit sind seiner Person fremd, Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen hingegen sind auffallend stark ausgebildet. Hm, da habe ich noch untertrieben, denn seine Durchsetzungsfähigkeit ist eher als extrem, vielleicht sogar krankhaft einzuschätzen. Er ist einer, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Er ist sehr eigenwillig und ausgesprochen intolerant. Personen, die seiner Meinung sind und ihm zuarbeiten, schätzt er hoch. Sind sie jedoch anderer Meinung, kämpft er gegen sie wie ein Löwe und scheut auch vor äußerster Gewalt nicht zurück, um sich durchzusetzen. Das ist der Kern dessen, was wir herausgefunden haben.
Das dürfte Ihre Frage beantworten, Anna. Sie müssen jetzt um ihn nicht gleich Angst haben. Dieses Horoskop zeichnet ja nur die Ausgangslage nach seiner Geburt, und wie Sie wissen, ist es das Leben, das ihn endgültig formt. Seine gesellschaftliche Umgebung, also Familie, Arbeitsstelle und seine Mitmenschen sind die Elemente für seine eigentliche Prägung.“
Anna fiel aus allen Wolken, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er ist ja erst sechzehn, aber manchmal ist mir unheimlich zumute. Er streitet nämlich viel. Vor allem mit seinem Vater.“
„Was ist mit seinem Vater?“
„Ach, das ist mir jetzt peinlich, darüber zu sprechen.“ Anna geriet sichtbar in Verlegenheit.
„Sie müssen sich nicht scheuen.“ Venus versuchte sie zu beruhigen. „Heraus mit der Sprache! Sie wollen doch Klarheit haben, oder?“
„Sein Vater ist ein Trinker, den der Junge kaum nüchtern erlebt hat, und rastet häufig aus. Dann schlägt er um sich, und dabei kommt es regelmäßig zum Generationenkonflikt. Jeder der beiden will die Oberhand behalten, und der Junge kämpft solange, bis er meinen Mann körperlich und moralisch am Boden hat. Er ist gewalttätig, das wollte ich damit sagen.“
„Wenn das so ist, sollten Sie sich Hilfe holen.“
Anna nickte betroffen. Ihre Befürchtungen hatten sich bestätigt.
„Brauchen Sie eine Pause oder soll ich mit dem zweiten Horoskop fortfahren?“
Anna schüttelte den Kopf. „Nein, ich will es nicht hören. Das halte ich nicht durch. Das eine Horoskop ist furchtbar genug. Ich möchte jetzt gehen.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl, rückte ihn an den Tisch und ging die paar Schritte zum Ausgang. Als sie schon in der Tür stand, rief ihr Jupiter zu.
„Anna?!“
Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm.
„Wollen Sie uns nicht verraten, wer Sie und ihre Söhne wirklich sind?“
Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Mein Name ist Europa, und meine Söhne heißen Adolf und Josef.“











































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































Planetenkonferenz

Jupiter, der oberste der Planeten, strich sein graues Haar zurück und gab allen Anwesenden mit einem Handzeichen zu verstehen, ihre angestammten Plätze einzunehmen. An der linken Seite des runden Tisches saßen, gleich neben ihm, Venus, daneben Merkur, neben ihm Saturn, gefolgt vom Aszendenten sowie einem der Häuser. Zur anderen Seite Sonne und Mondin, obwohl keine Planeten, gefolgt von Erde, Pluto, Uranus und Neptun. Den Schluss bildete der Vertreter des medium coeli (MC), der Herrscher über die Himmelsmitte.

„Was liegt heute an, Merkur“, wollte Jupiter wissen und tat so, als hätte er es eilig.

„Gemach, gemach, Chef!“ Merkur, der Planer der Runde, nahm einen Schluck Wasser. „Ein paar Beratungstermine, sonst nichts. Den ersten Termin hat eine Frau von der Erde. Soll ich sie hereinrufen?“

„Nun mach schon, vertrödel keine Zeit. Was will sie denn?“

„Das wird sie dir schon sagen“, mischte sich Venus ein. „Eine Frau …“

In diesem Moment ging die Tür auf, und eine Frau mittleren Alters schritt entschlossen auf den Tisch zu. Jupiter musterte sie und fand, dass sie ein wenig abgearbeitet aussah. Vielleicht waren es auch die Sorgen, die ihrer Schönheit arg zugesetzt hatten.

„Wenn Sie sich vorstellen könnten und dann erzählen, wo ihnen der Schuh drückt“, meldete sich nun Saturn zu Wort und nickte ihr freundlich zu.

„Mein Name ist …, oh Gott nein, der tut nichts zur Sache!“ Sie klang ein wenig hysterisch. „Nennen Sie mich einfach Anna. Ich möchte anonym bleiben, wenn Sie gestatten; die Sache, die mich bedrückt, ist nämlich ziemlich … unangenehm. Mein Zuhause ist auf der Erde, wie Sie sicherlich schon wissen.“ Ihr Auftritt begann ihr mit jeder Sekunde peinlicher zu werden, und sie befürchtete schon, sich vor einer solch edlen Herrscherrunde zu blamieren. Da wurde sie von Mars, ausgerechnet von diesem Grobian, höflich gebeten, ihr Problem zu schildern.



*

Anna atmete tief, um ihre Unsicherheit loszuwerden, und fand dann endlich den Mut, ihre Situation zu schildern. „Ich bin Mutter zweier Söhne, die mir sehr große Sorgen bereiten. Um genau zu sein: Ich habe Angst vor Ihnen. Nicht dass sie mir etwas antun würden, nein, das glaube ich wirklich nicht, aber ihre Haltung und Einstellung anderen gegenüber, die ist alles andere als normal. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich befürchte, da könnte etwas ganz Schlimmes auf mich zukommen, dem ich nicht gewachsen bin. Was sollen denn die Leute denken, wie ich meine Kinder erzogen habe! Ich bin nicht nur tief besorgt; ich habe Angst vor meinem eigenen Fleisch und Blut. Wenn die Umstände bei uns zu Hause nicht besser werden, könnte sich etwas Katastrophales entwickeln. Ich kann das nicht begründen; als Mutter fühlt man so etwas.“

„Das hört sich nicht gerade wie ein alltäglicher Fall an, aber wir sehen, wie wir Ihnen helfen können. Lassen Sie uns ein persönliches Geburtshoroskop erstellen. Das wird uns mit Sicherheit ein Stück weiterbringen, und Sie könnten in der Vorahnung, wie sich die Dinge entwickeln könnten, prophylaktisch gegensteuern.“ Jupiter wirkte geradezu väterlich.

„Ja, so habe ich mir das vorgestellt.“ Anna machte eine kleine Verbeugung als Zeichen, dass sie schon jetzt die Mühe zu schätzen wisse.

„Dann geben Sie uns erst einmal die Geburtsdaten: Tag, Jahr, Uhrzeit und Geburtsort.

Darauf war Anna vorbereitet und übergab einen Zettel, auf dem alles Notwendige notiert war.

„Gut“, sagte Jupiter. „Geben Sie uns eine Stunde Zeit. Bitte warten Sie draußen. Wir rufen Sie herein.“

Saturn, der sich bisher unauffällig verhalten hatte, begann sofort, eine Radix zu erstellen, eine graphische Darstellung aller für ein Horoskop erforderlichen Daten: Die Position der Planeten am Himmelsgewölbe, ihre Zuordnung zu den Sternzeichen, die positiven wie negativen Wirkungen auf- und gegeneinander. Dazu die Position des Aszendenten und der Häuser mit ihrer Aussage in Bezug auf die persönlichen Eigenschaften etc. Unermüdlich murmelte er die gesamte Sternenkonstellation vor sich her. Sonne im Stier, 0°48‘, Mondin im Steinbock 6°37‘, Merkur im Widder 25°40‘, Venus 16°41‘ … Aszendent in der Waage 26° 43‘ … Mondknoten in den Zwillingen 16°03‘ …

Sodann folgten die ersten Interpretationen der Planeten. Als sie ihre Einschätzungen vorgetragen hatten, ergriff der Aszendent das Wort. „Die Waage ist bekannt dafür, dass sie Aufgaben schätzt, die gut durchdacht und zielgerichtet sind und denen die richtige Einschätzung der Lage vorangegangen ist … lassen Sie mich das im Einzelnen erläutern.“



Als die Deutung für den jüngeren der Brüder abgeschlossen war, erfolgte die Erfassung der Daten für das Horoskop des älteren, und nach deren Deutung näherte sich die Sitzung ihrem Ende. Die Stunde war ohnehin herum.

„Pluto, du hast noch gar nichts gesagt heute. Beweg mal deinen Hintern und hol die Frau rein“, kicherte Jupiter. Pluto meuterte nicht; er war neben Neptun und Uranus eine regelrechte Randerscheinung – sehr weit entfernt von der Erde und deshalb extrem langsam im Jahreslauf. In den Horoskopen spielte er nur eine geringe Rolle.

Er hielt der Frau die Tür auf, und schon beim Betreten des Raumes konnten die Anwesenden die Angst in Annas Gesicht erkennen. Ihre Haut war fahl, fast grau, die Lippen schmal und blutlos, und die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Ihre Hände zitterten unmerklich.

Jupiter versuchte sofort sie zu beruhigen. „Kommen Sie, Anna! Da ist noch ein Stuhl frei; Sie können sich gern setzen. Und haben Sie keine Angst, Ihnen passiert ja nichts.“ Er lächelte sie väterlich an, um ihr möglichst viel von ihrer Angst und Beklommenheit zu nehmen.

„Ich bin in diesen Dingen sehr sensibel, wissen Sie“, erwiderte sie mit belegter Stimme. „Das legt sich aber gleich. Ich will Ihnen nicht zu viel Zeit rauben. Bitte erklären Sie mir, was ich von meinen beiden Söhnen zu erwarten habe.“

„Zeit rauben?“ Jupiter lachte laut auf. „Gute Frau, wir berechnen unsere Zeit in Millionen von Jahren. Monate und Stunden kennen wir nur noch aus den Horoskopen. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass uns die Zeit knapp wird.“

Seine Worte wirkten beruhigend auf Anna, und die Farbe kehrte wenigstens ein bisschen in ihr Gesicht zurück.

Jupiter zeigte auf die Dame zu seiner Linken und nickte ihr in einer Art zu, die keinen Widerspruch duldete. Dann wandte er sich wieder an Anna. „Venus wird Ihnen erzählen, was wir aus dem Horoskop Ihrer Söhne herausgelesen haben. Von Frau zu Frau sozusagen.“ Er glaubte, mit diesen Worten humorvoll zu wirken. “Sie dürfen auch gern Fragen stellen, wenn Ihnen etwas unklar ist.“





„Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen“, begann Venus. „Um die Zusammenhänge zu verstehen, wäre Fachwissen nötig, was Sie als Laie aber nicht haben können. Deshalb will ich unser Ergebnis auch allgemeinverständlich darstellen: Ich beginne mit dem Jüngeren.

Das Vermögen, strategisch vorzugehen, ist für ihn typisch, Zögern und Unentschlossenheit sind seiner Person fremd, Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen hingegen sind auffallend stark ausgebildet. Hm, da habe ich noch untertrieben, denn seine Durchsetzungsfähigkeit ist eher als extrem, vielleicht sogar krankhaft einzuschätzen. Er ist einer, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Er ist sehr eigenwillig und ausgesprochen intolerant. Personen, die seiner Meinung sind und ihm zuarbeiten, schätzt er hoch. Sind sie jedoch anderer Meinung, kämpft er gegen sie wie ein Löwe und scheut auch vor äußerster Gewalt nicht zurück, um sich durchzusetzen. Das ist der Kern dessen, was wir herausgefunden haben.

Das dürfte Ihre Frage beantworten, Anna. Sie müssen jetzt um ihn nicht gleich Angst haben. Dieses Horoskop zeichnet ja nur die Ausgangslage nach seiner Geburt, und wie Sie wissen, ist es das Leben, das ihn endgültig formt. Seine gesellschaftliche Umgebung, also Familie, Arbeitsstelle und seine Mitmenschen sind die Elemente für seine eigentliche Prägung.“

Anna fiel aus allen Wolken, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er ist ja erst sechzehn, aber manchmal ist mir unheimlich zumute. Er streitet nämlich viel. Vor allem mit seinem Vater.“

„Was ist mit seinem Vater?“
„Ach, das ist mir jetzt peinlich, darüber zu sprechen.“ Anna geriet sichtbar in Verlegenheit.

„Sie müssen sich nicht scheuen.“ Venus versuchte sie zu beruhigen. „Heraus mit der Sprache! Sie wollen doch Klarheit haben, oder?“

„Sein Vater ist ein Trinker, den der Junge kaum nüchtern erlebt hat, und rastet häufig aus. Dann schlägt er um sich, und dabei kommt es regelmäßig zum Generationenkonflikt. Jeder der beiden will die Oberhand behalten, und der Junge kämpft solange, bis er meinen Mann körperlich und moralisch am Boden hat. Er ist gewalttätig, das wollte ich damit sagen.“

„Wenn das so ist, sollten Sie sich Hilfe holen.“

Anna nickte betroffen. Ihre Befürchtungen hatten sich bestätigt.

„Brauchen Sie eine Pause oder soll ich mit dem zweiten Horoskop fortfahren?“

Anna schüttelte den Kopf. „Nein, ich will es nicht hören. Das halte ich nicht durch. Das eine Horoskop ist furchtbar genug. Ich möchte jetzt gehen.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl, rückte ihn an den Tisch und ging die paar Schritte zum Ausgang. Als sie schon in der Tür stand, rief ihr Jupiter zu.

„Anna?!“

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm.

„Wollen Sie uns nicht verraten, wer Sie und ihre Söhne wirklich sind?“

Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Mein Name ist Europa, und meine Söhne heißen Adolf und Josef.“



































































































































































































































































































































































































Planetenkonferenz

Jupiter, der oberste der Planeten, strich sein graues Haar zurück und gab allen Anwesenden mit einem Handzeichen zu verstehen, ihre angestammten Plätze einzunehmen. An der linken Seite des runden Tisches saßen, gleich neben ihm, Venus, daneben Merkur, neben ihm Saturn, gefolgt vom Aszendenten sowie einem der Häuser. Zur anderen Seite Sonne und Mondin, obwohl keine Planeten, gefolgt von Erde, Pluto, Uranus und Neptun. Den Schluss bildete der Vertreter des medium coeli (MC), der Herrscher über die Himmelsmitte.

„Was liegt heute an, Merkur“, wollte Jupiter wissen und tat so, als hätte er es eilig.

„Gemach, gemach, Chef!“ Merkur, der Planer der Runde, nahm einen Schluck Wasser. „Ein paar Beratungstermine, sonst nichts. Den ersten Termin hat eine Frau von der Erde. Soll ich sie hereinrufen?“

„Nun mach schon, vertrödel keine Zeit. Was will sie denn?“

„Das wird sie dir schon sagen“, mischte sich Venus ein. „Eine Frau …“

In diesem Moment ging die Tür auf, und eine Frau mittleren Alters schritt entschlossen auf den Tisch zu. Jupiter musterte sie und fand, dass sie ein wenig abgearbeitet aussah. Vielleicht waren es auch die Sorgen, die ihrer Schönheit arg zugesetzt hatten.

„Wenn Sie sich vorstellen könnten und dann erzählen, wo ihnen der Schuh drückt“, meldete sich nun Saturn zu Wort und nickte ihr freundlich zu.

„Mein Name ist …, oh Gott nein, der tut nichts zur Sache!“ Sie klang ein wenig hysterisch. „Nennen Sie mich einfach Anna. Ich möchte anonym bleiben, wenn Sie gestatten; die Sache, die mich bedrückt, ist nämlich ziemlich … unangenehm. Mein Zuhause ist auf der Erde, wie Sie sicherlich schon wissen.“ Ihr Auftritt begann ihr mit jeder Sekunde peinlicher zu werden, und sie befürchtete schon, sich vor einer solch edlen Herrscherrunde zu blamieren. Da wurde sie von Mars, ausgerechnet von diesem Grobian, höflich gebeten, ihr Problem zu schildern.



*

Anna atmete tief, um ihre Unsicherheit loszuwerden, und fand dann endlich den Mut, ihre Situation zu schildern. „Ich bin Mutter zweier Söhne, die mir sehr große Sorgen bereiten. Um genau zu sein: Ich habe Angst vor Ihnen. Nicht dass sie mir etwas antun würden, nein, das glaube ich wirklich nicht, aber ihre Haltung und Einstellung anderen gegenüber, die ist alles andere als normal. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich befürchte, da könnte etwas ganz Schlimmes auf mich zukommen, dem ich nicht gewachsen bin. Was sollen denn die Leute denken, wie ich meine Kinder erzogen habe! Ich bin nicht nur tief besorgt; ich habe Angst vor meinem eigenen Fleisch und Blut. Wenn die Umstände bei uns zu Hause nicht besser werden, könnte sich etwas Katastrophales entwickeln. Ich kann das nicht begründen; als Mutter fühlt man so etwas.“

„Das hört sich nicht gerade wie ein alltäglicher Fall an, aber wir sehen, wie wir Ihnen helfen können. Lassen Sie uns ein persönliches Geburtshoroskop erstellen. Das wird uns mit Sicherheit ein Stück weiterbringen, und Sie könnten in der Vorahnung, wie sich die Dinge entwickeln könnten, prophylaktisch gegensteuern.“ Jupiter wirkte geradezu väterlich.

„Ja, so habe ich mir das vorgestellt.“ Anna machte eine kleine Verbeugung als Zeichen, dass sie schon jetzt die Mühe zu schätzen wisse.

„Dann geben Sie uns erst einmal die Geburtsdaten: Tag, Jahr, Uhrzeit und Geburtsort.

Darauf war Anna vorbereitet und übergab einen Zettel, auf dem alles Notwendige notiert war.

„Gut“, sagte Jupiter. „Geben Sie uns eine Stunde Zeit. Bitte warten Sie draußen. Wir rufen Sie herein.“

Saturn, der sich bisher unauffällig verhalten hatte, begann sofort, eine Radix zu erstellen, eine graphische Darstellung aller für ein Horoskop erforderlichen Daten: Die Position der Planeten am Himmelsgewölbe, ihre Zuordnung zu den Sternzeichen, die positiven wie negativen Wirkungen auf- und gegeneinander. Dazu die Position des Aszendenten und der Häuser mit ihrer Aussage in Bezug auf die persönlichen Eigenschaften etc. Unermüdlich murmelte er die gesamte Sternenkonstellation vor sich her. Sonne im Stier, 0°48‘, Mondin im Steinbock 6°37‘, Merkur im Widder 25°40‘, Venus 16°41‘ … Aszendent in der Waage 26° 43‘ … Mondknoten in den Zwillingen 16°03‘ …

Sodann folgten die ersten Interpretationen der Planeten. Als sie ihre Einschätzungen vorgetragen hatten, ergriff der Aszendent das Wort. „Die Waage ist bekannt dafür, dass sie Aufgaben schätzt, die gut durchdacht und zielgerichtet sind und denen die richtige Einschätzung der Lage vorangegangen ist … lassen Sie mich das im Einzelnen erläutern.“



Als die Deutung für den jüngeren der Brüder abgeschlossen war, erfolgte die Erfassung der Daten für das Horoskop des älteren, und nach deren Deutung näherte sich die Sitzung ihrem Ende. Die Stunde war ohnehin herum.

„Pluto, du hast noch gar nichts gesagt heute. Beweg mal deinen Hintern und hol die Frau rein“, kicherte Jupiter. Pluto meuterte nicht; er war neben Neptun und Uranus eine regelrechte Randerscheinung – sehr weit entfernt von der Erde und deshalb extrem langsam im Jahreslauf. In den Horoskopen spielte er nur eine geringe Rolle.

Er hielt der Frau die Tür auf, und schon beim Betreten des Raumes konnten die Anwesenden die Angst in Annas Gesicht erkennen. Ihre Haut war fahl, fast grau, die Lippen schmal und blutlos, und die Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen. Ihre Hände zitterten unmerklich.

Jupiter versuchte sofort sie zu beruhigen. „Kommen Sie, Anna! Da ist noch ein Stuhl frei; Sie können sich gern setzen. Und haben Sie keine Angst, Ihnen passiert ja nichts.“ Er lächelte sie väterlich an, um ihr möglichst viel von ihrer Angst und Beklommenheit zu nehmen.

„Ich bin in diesen Dingen sehr sensibel, wissen Sie“, erwiderte sie mit belegter Stimme. „Das legt sich aber gleich. Ich will Ihnen nicht zu viel Zeit rauben. Bitte erklären Sie mir, was ich von meinen beiden Söhnen zu erwarten habe.“

„Zeit rauben?“ Jupiter lachte laut auf. „Gute Frau, wir berechnen unsere Zeit in Millionen von Jahren. Monate und Stunden kennen wir nur noch aus den Horoskopen. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass uns die Zeit knapp wird.“

Seine Worte wirkten beruhigend auf Anna, und die Farbe kehrte wenigstens ein bisschen in ihr Gesicht zurück.

Jupiter zeigte auf die Dame zu seiner Linken und nickte ihr in einer Art zu, die keinen Widerspruch duldete. Dann wandte er sich wieder an Anna. „Venus wird Ihnen erzählen, was wir aus dem Horoskop Ihrer Söhne herausgelesen haben. Von Frau zu Frau sozusagen.“ Er glaubte, mit diesen Worten humorvoll zu wirken. “Sie dürfen auch gern Fragen stellen, wenn Ihnen etwas unklar ist.“





„Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen“, begann Venus. „Um die Zusammenhänge zu verstehen, wäre Fachwissen nötig, was Sie als Laie aber nicht haben können. Deshalb will ich unser Ergebnis auch allgemeinverständlich darstellen: Ich beginne mit dem Jüngeren.

Das Vermögen, strategisch vorzugehen, ist für ihn typisch, Zögern und Unentschlossenheit sind seiner Person fremd, Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen hingegen sind auffallend stark ausgebildet. Hm, da habe ich noch untertrieben, denn seine Durchsetzungsfähigkeit ist eher als extrem, vielleicht sogar krankhaft einzuschätzen. Er ist einer, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Er ist sehr eigenwillig und ausgesprochen intolerant. Personen, die seiner Meinung sind und ihm zuarbeiten, schätzt er hoch. Sind sie jedoch anderer Meinung, kämpft er gegen sie wie ein Löwe und scheut auch vor äußerster Gewalt nicht zurück, um sich durchzusetzen. Das ist der Kern dessen, was wir herausgefunden haben.

Das dürfte Ihre Frage beantworten, Anna. Sie müssen jetzt um ihn nicht gleich Angst haben. Dieses Horoskop zeichnet ja nur die Ausgangslage nach seiner Geburt, und wie Sie wissen, ist es das Leben, das ihn endgültig formt. Seine gesellschaftliche Umgebung, also Familie, Arbeitsstelle und seine Mitmenschen sind die Elemente für seine eigentliche Prägung.“

Anna fiel aus allen Wolken, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er ist ja erst sechzehn, aber manchmal ist mir unheimlich zumute. Er streitet nämlich viel. Vor allem mit seinem Vater.“

„Was ist mit seinem Vater?“
„Ach, das ist mir jetzt peinlich, darüber zu sprechen.“ Anna geriet sichtbar in Verlegenheit.

„Sie müssen sich nicht scheuen.“ Venus versuchte sie zu beruhigen. „Heraus mit der Sprache! Sie wollen doch Klarheit haben, oder?“

„Sein Vater ist ein Trinker, den der Junge kaum nüchtern erlebt hat, und rastet häufig aus. Dann schlägt er um sich, und dabei kommt es regelmäßig zum Generationenkonflikt. Jeder der beiden will die Oberhand behalten, und der Junge kämpft solange, bis er meinen Mann körperlich und moralisch am Boden hat. Er ist gewalttätig, das wollte ich damit sagen.“

„Wenn das so ist, sollten Sie sich Hilfe holen.“

Anna nickte betroffen. Ihre Befürchtungen hatten sich bestätigt.

„Brauchen Sie eine Pause oder soll ich mit dem zweiten Horoskop fortfahren?“

Anna schüttelte den Kopf. „Nein, ich will es nicht hören. Das halte ich nicht durch. Das eine Horoskop ist furchtbar genug. Ich möchte jetzt gehen.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl, rückte ihn an den Tisch und ging die paar Schritte zum Ausgang. Als sie schon in der Tür stand, rief ihr Jupiter zu.

„Anna?!“

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm.

„Wollen Sie uns nicht verraten, wer Sie und ihre Söhne wirklich sind?“

Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Mein Name ist Europa, und meine Söhne heißen Adolf und Josef.“
 



 
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