Plaste

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AS Spin

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PLASTE


Steini saß schon an der Theke. Ich hatte ihn gar nicht hereinkommen sehen. Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy. 23:43 Uhr. Heute war er ungewöhnlich spät dran. Trotzdem ein gutes Timing, denn sein Stammplatz war gerade erst frei geworden, das Pärchen, das drei Stunden lang jede Region der Mundhöhle des jeweils anderen mit der Zunge erforscht hatte, hatte sich endlich verzogen.

Erst, nachdem Steini sein übliches Ritual beendet hatte - er stand dann noch einmal auf, rückte sich den Hocker zurecht, drapierte seine Jacke, diese immer gleiche stumpfgrüne dünne Windjacke, die er sommers wie winters trug, kunstvoll auf der Lehne, rückte sich den Aschenbecher zurecht und sicherte sich ein Glas Salzstangen, das er ganz nah an den Aschenbecher schob, damit auch ja niemand auf die Idee käme, sich daran zu bedienen -, drückte er seinen Rücken durch, schaute sich kurz um, nickte mir dann zu und hob seine Handfläche bis zur Höhe seiner Nasenspitze.

Ich zapfte ihm also ein großes Bier. Er trank jeden Abend zwei große und ein kleines Bier, niemals mehr, niemals weniger. Die einzige Frage war, ob er mit einem großen oder mit einem kleinen startete. Bei einem kleinen wäre seine Handfläche nicht viel weiter als zehn Zentimeter über der Theke ins Stocken gekommen.

Er nahm einen tiefen Schluck und entzündete seine erste Zigarette. Er rauchte drei Zigaretten pro Bier. Ich musste sie nicht zählen, mir würde auf den ersten Blick auffallen, wenn mehr oder weniger als neun Stummel in seinem Aschenbecher liegen würden.

Er war der Einzige hier, bei dem ich mir hundertprozentig sicher sein konnte, dass er kein Alien war. Jeder Außerirdische hätte Probleme, diese Rituale überzeugend nachzuspielen. Wobei, wer weiß? Vielleicht hatte man ihn länger beobachtet und eingehend analysiert. Aber wozu?

Auf jeden Fall schwitzte er wie ein Schwein, und das umso mehr, als er sich standhaft weigerte, etwas anderes als ein blau gestreiftes Hemd und einen dunkelblauen Pullunder zu tragen. Ich hingegen trug ein weit ausgeschnittenes Muskelshirt, das dermaßen an meiner Haut klebte, dass ich es am liebsten auch noch ausgezogen hätte. Ich weiß, es sieht nicht mehr richtig gut aus - in den letzten Jahren hatte sich mein Bauch bedenklich nach vorne gewölbt -, aber das war mir wurscht, schließlich herrschten in dem Laden 42 Grad Celsius.

Alle schwitzten, alle anderen waren leicht gekleidet, allen stieg der Alkohol schnell zu Kopf und fast alle rauchten. Aliens rauchen nicht, das war die gängige Auffassung und deswegen wurden die wenigen Nichtraucher misstrauisch beäugt. Manche rückten sogar demonstrativ von ihnen ab. Viele plädierten auch für die Aufhebung des Rauchverbots in Restaurants. Mir egal. Eigentlich war mir alles egal. Ich wollte nur diese Schicht überstehen.

Dommi war noch nervöser als sonst. Nervös war er immer. Ihm gehörte der Laden. Obwohl es meistens eigentlich ganz gut lief, befürchtete er jeden Abend aufs Neue, dass nicht genug Leute kommen könnten. Die meiste Zeit saß er herum und quatschte mit irgendwelchen Stammgästen, aber wenn es besonders voll war, raffte er sich ab und zu auf und polierte einige Gläser. Heute hatte er dabei aber schon so viel Chaos angerichtet, dass ich erleichtert war, als er sich endlich wieder hinsetzte und sich wieder seinem Lieblingsthema der letzten Zeit widmen konnte. Nämlich, wie teuer die zusätzlichen Heizstrahler gewesen waren.

Es war nämlich gar nicht so einfach, diesen zugigen Schuppen auf diese Temperatur zu bringen. Mit den normalen Heizkörpern war das nicht zu schaffen, im Winter war ich mir sonst nie ganz sicher, ob sie überhaupt liefen oder nicht. Also hatte Dommi in den sauren Apfel beißen und sich sechs von diesen Heizpilzen besorgen müssen. Die meisten Gäste liefen alle zehn Minuten nach draußen, um sich etwas abzukühlen - es war ein ungewöhnlich kühler April -, aber das war mir nicht vergönnt, ich war gefangen hinter der Theke.

Aber es war ein Ende abzusehen. Es dünnte sich merklich aus. Immer mehr Gäste zahlten und machten sich schwankend auf den Nachhauseweg. Morgen war schließlich auch noch ein Tag, und die meisten mussten arbeiten.

Endlich ging auch Dommi, nicht ohne die Heizstrahler ein wenig herunterzudrehen. Dabei zwinkerte er mir zu und bedeutete mir mit Gesten, dass ich ja nicht vergessen sollte, sie nach Feierabend auszustellen. Als ob ich das vergessen könnte. Stundenlang hatte er mir vorgerechnet, wieviel Strom diese Teile fressen.

Dann war er weg. Der gemütliche Teil des Abends konnte beginnen. Als Erstes änderte ich die Musik. Dieses Mainstream-Gedudel ging mir immer kolossaler auf die Nerven. Dann zapfte ich mir ein wunderschönes Bier, schnappte mir einen Barhocker und setzte mich zu Steini.

Der sprach seine ersten Worte des Abends.

"Kommt ein Dachdecker in die Kneipe. Sagt der Wirt..."

"Der geht aufs Haus!"

"Ach, den kanntest du schon?"

Ich nickte. Ich möchte jetzt keinen falschen Eindruck von Steini vermitteln. Irgendwie war er eine arme Wurst, zweifellos, aber er war keine dumme arme Wurst. Ich unterhielt mich gerne mit ihm. Er startete immer mit einem schlechten Witz, den er ohne auch nur die leiseste Andeutung eines Lächelns erzählte, das stimmt schon, aber danach ging es. Nur in der letzten Zeit ging er mir oft auf die Nerven.

Ich schaute mich um. Bis auf das Pärchen, das jeden Abend kam, Weißwein bestellte, sich in eine Ecke hockte und leise unterhielt, war der Laden mittlerweile leer. Etwas musste ich noch ausharren, Steini war erst bei seinem zweitem Bier.

"Ich kann Dommi gut verstehen", sagte Steini, "ist schon ärgerlich mit diesen Heizstrahlern. Hat er wenigstens staatliche Förderung bekommen?"

"Doch, doch", sagte ich, "aber er behauptet, das deckt kaum die Stromkosten."

"So ein Schwachsinn. Völlig sinnlos das Ganze."

"Na ja", ich sprang auf, zapfte mir mein zweites Bier und - nach einem Nicken von ihm - sein drittes. "Vielleicht bringt das ja was."

"Was soll das bringen?"

Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust mehr, über dieses Alien-Thema zu sprechen. Gab es denn überhaupt nichts anderes mehr? In letzter Zeit anscheinend nicht. Selbst Steini, mit dem ich früher oft über Politik und Geschichte gesprochen hatte, hatte nur noch dieses Thema drauf. Es hing mir zum Hals raus und es führte zu nichts.

"Hast du heute den Podcast von Sikorski gesehen?", fragte ich Steini. "Die haben dieses Zeug nochmals untersucht, sie können sich keinen andern Verwendungszweck für diese Plaste vorstellen."

"Sikorski", brummte er, "ich kann diesen Namen nicht mehr hören. Und vor allen Dingen kann ich seine Fresse nicht mehr sehen. Jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte, sitzt dort Sikorski in irgendeiner Talkshow und lässt seinen Sermon ab."

Sikorski hatte sich mittlerweile zum führenden Astrobiologen aufgeschwungen und zum anscheinend einzigen Berater der Regierung.

"Na ja, er scheint sich da ja irgendwie mit der Materie auszukennen."

"Ja, weil die Astrobiologie ja auch so eine exakte Wissenschaft ist", sagte er leicht angesäuselt. "Bis vor Kurzem wussten die doch gar nicht, ob ihr Forschungsgebiet überhaupt existiert. Die haben doch alle keine Ahnung."

Ich strich mir die schweißnassen Haare nach hinten.

"Ich weiß es auch nicht. Ich schau mir nur die Fakten an. Es gibt diese Plaste und es gibt diese Raumschiffe. Oder willst du das auch bestreiten?"

Die Raumschiffe. Damit fing alles an. Niemand hatte sie kommen sehen, sie waren einfach plötzlich da.

Wann hatte man das erste entdeckt? Vor drei Monaten. Manchmal kam es mir vor wie drei Jahre.

Mittlerweile hatte man acht gefunden, scheinbar völlig willkürlich über den Globus verteilt. Manche vermuten, es gebe noch viel mehr, manche bestreiten ihre bloße Existenz.

Sie waren vollgestopft mit einer Technik, die niemand bisher nachvollziehen konnte, sie waren von unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Ausstattung, aber sie hatten zwei Dinge gemeinsam, sie waren unbemannt und enthielten Töpfe mit einer hautfarbenen Plaste. Es war Sikorski, der als Erster vermutete, dass die Aliens sie benutzt hatten, um ihren höchstwahrscheinlich fremdartigen Körper menschenähnlich zu modellieren und sich unter die Bevölkerung zu mischen. Erste Tests hatten ergeben, dass sich die Plaste bei ungefähr 42 Grad ablöst.

Steini redete weiter. Redete sich in Rage. Aber ich hörte kaum noch hin, nickte nur ab und zu an den richtigen Stellen, sackte nieder auf meinen Hocker und trank mein Bier.

Steini hatte sich zu einem Alienleugner entwickelt. Er brütete keine wilden Verschwörungstheorien aus, das hätte ich nicht ertragen, aber er vermutete eine konzertierte Verschwörung der Regierungen. Er wusste bloß noch nicht, zu welchem Zweck.

"Ich glaube, die Energieunternehmen stecken dahinter. Mittlerweile wird doch jedes öffentliche Gebäude aufgeheizt. Einer von diesen Ost-Ministerpräsidenten hat doch eine Frau, die in einer Firma arbeitet, die auch Heizstrahler herstellen. Zufall?"

"Nein, natürlich nicht", sagte ich. "Dieser Ministerpräsident steckt natürlich mit sämtlichen Regierungen der Erde unter einer Decke, und die kuschen alle, wenn seine Frau mit den Fingern schnippt."

"Die stecken alle unter einer Decke", sagte Steini, "das kannst du mir glauben. Aber vielleicht hast du recht, ist doch etwas unwahrscheinlich."

"Etwas."

"Aber komisch ist doch auch, dass man diese angeblichen Raumschiffe nicht vernünftig untersuchen kann. Das passt denen doch ganz gut in den Kram. Da müssen sie sich nicht allzu viel aus den Fingern saugen."

"Die sind halt in sehr abgelegenen Gebieten gelandet. In Waldgebieten und Sümpfen, weit ab vom Schuss. Das macht aber durchaus Sinn, wenn man nicht sofort entdeckt werden will. Außerdem sind sie sehr schwer und aus einer unzerstörbaren Metalllegierung. Da kann man nicht mal eine Probe nehmen."

"Ja, genau. Genau dasselbe hätte ich mir auch ausgedacht."

Ich war müde. Die Diskussion hatte ihren toten Punkt erreicht. Dieses Thema nervte mich wirklich. Am Schlimmsten fand ich aber dieses Klima des Misstrauens. Jeder verdächtigte jeden. Überall wird man misstrauisch beäugt. Jedes ungewöhnliche Verhalten ist verdächtig.



Mittlerweile waren die Heizstrahler so weit abgekühlt, dass sich die Temperatur im Laden um die 25 Grad eingependelt hatte. So ließ es sich aushalten.

Gerade, als das Pärchen aufstand, mir zunickte und den Laden verlassen wollte - sie hatten das Geld, wie üblich, auf dem Tisch liegen lassen - kam sie.

Ich war mir sicher, dass ich sie nie zuvor hier gesehen hatte, sie wäre mir sicher im Gedächtnis geblieben. Ihre langen schwarzen Haare, mit einem Pony, der ihr tief ins Gesicht hing, waren so tiefschwarz, dass sie das Licht in der Umgebung völlig aufsaugten und ihre Haut fast leuchten ließen. Ihre Lippen waren hellrot und fast unnatürlich groß. Auch ihre Brüste unter ihrem dunkelgrauen, enganliegenden Oberteil waren einen Tick größer als zu ihrer Figur gepasst hätte. Sie sah nicht schlecht aus, aber doch sehr aufgedonnert für meinen Geschmack und irgendwie künstlich.

Ohne zu zögern, setzte sie sich direkt zu Steini. Ich traute meinen Augen nicht. Seit ich hier arbeitete, seit fünf Jahren, hatte sich nie jemand zu Steini gesetzt, selbst dann nicht, wenn der Laden voll war. Der Hocker neben ihm war stets leer geblieben.

Steini hatte sie zunächst in seinem Redeschwall gar nicht hereinkommen sehen. Jetzt sah er sie, er sah, wie sie ihn interessiert betrachtete, und es ging eine bemerkenswerte Veränderung in ihm vor. Er lächelte - ich hatte Steini noch nie lächeln sehen - und er drehte sich zu ihr.

Ich hatte mich schon immer gefragt, ob Steini jemals so etwas wie ein sexuelles Verlangen in seinem langen Leben verspürt hatte. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Nie hatte er eine Bemerkung in dieser Hinsicht fallen lassen. Ich hatte keine Ahnung, ob er auf Männer stand oder auf Schafe oder auf Schreibmaschinen. Und nun verwandelte er sich vor meinen Augen in ein balzendes Wesen.

Ich legte ihr eine Karte hin. Sie studierte sie interessiert und übertrieben lange, so, als wollte sie sie auswendig lernen, schaute aber immer wieder auf und lächelte Steini an.

"Möchtest du was trinken?", fragte ich schließlich.

Sie schaute sich um, schaute zu Steini und auf den Tisch des Weißwein-Pärchens, auf dem noch die beiden Gläser standen.

"Jeder nur ein Getränk?", fragte sie und zeigte auf die Karte. "Eines davon?"

Ich war etwas erschrocken. So eine zierliche Person und eine Stimme wie ein Reibeisen. Sie klang wie ein Bierkutscher, der jahrelang nach Feierabend zwei Flaschen Whisky getrunken und eine Packung Cohibas auf Lunge geraucht hatte. Ihre Stimme hatte zudem etwas Grollendes, als hätte sie einen Brustumfang von zwei Metern. Sie musste gürteldicke Stimmbänder haben. Ich war erschrocken, aber auch fasziniert. Ich mochte Frauen mit dunklen Stimmen. Helle, piepsige Stimmen konnte ich nicht ertragen.

Während ich noch über ihre Frage nachdachte, sagte Steini fürsorglich und immer noch lächelnd:

"Im Allgemeinen bestellt man nur ein Getränk gleichzeitig."

Sie nickte.

"Was trinkst du?", fragte sie grollend.

"Bier."

"Dann nehme ich auch so ein ... Bier."

Dabei warf sie mir nur einen kurzen Blick zu, ehe sie weiter Steini anlächelte.

Gut, ich sah an diesem Tag wirklich nicht gut aus in meinem verschwitzten, verdreckten Muskelshirt und meinen klebrigen Haaren, fast wie ein abgehalfteter Eckkneipenkellner, der ich ja im Grunde genommen auch war. Aber tief in meinem Inneren war ich doch davon überzeugt, dass ich Steini in puncto Aussehen noch um Längen schlug. Wie er schon dort saß, in seinem nassgeschwitzten Pullunder, mit seiner untersetzten Statur, seiner pickligen Haut und seinem etwas zotteligen Haupthaar, das nur noch sporadisch in unregelmäßigen Büscheln aus seinem kahlen Schädel sprießte. Sie strahlte ihn allerdings an, als sei er Adonis persönlich.

Na ja, man muss auch gönnen können. Vielleicht sah sie in Steini etwas, was alle anderen all die Jahre übersehen hatten. Vielleicht hatte sie auch eine perverse Neigung, vielleicht erinnerte er sie an ihren Vater, dem sie es nie recht machen konnte. Wer weiß das schon? Aber irgendetwas war trotzdem komisch daran.

Sie trank ihr Bier innerhalb von zwei Minuten.

"Muss man noch eins trinken?", fragte sie.

"Alles kann, nichts muss", sagte Steini. "Aber auf einem Bein kann man nicht stehen, oder?"

Unvermittelt stand sie auf, ging einen halben Meter zurück und stellte sich auf ein Bein.

"Doch", sagte sie leicht schwankend.

Steinis Lächeln ging fast in ein Lachen über. Langsam wurde er mir unheimlich.

"Du bist lustig", sagte er.

Sie setzte sich wieder.

"Du bist auch lustig", grollte sie.

Ja, genau. Steini ist lustig. Und das Universum steht auf einer großen Schildkröte.

Und dann geschah das Unfassbare.

"Ach, komm, dann trinken wir noch einen!", sagte er und nickte mir zu.

Steini hatte seine drei Biere getrunken. Ein viertes gab es nicht und hatte es nie gegeben. Und doch stand ich dort und zapfte ihm sein viertes Bier.

Gleichzeitig steckte er sich seine zehnte Zigarette an. Aber als sie hustete und angewidert das Gesicht verzog, drückte er sie sofort wieder aus. Sie schob zusätzlich noch den Aschenbecher ein gutes Stück weg von sich.

Sie trank das zweite Bier noch schneller als das erste. Und legte eine Hand auf Steinis Schulter. Ihre Hände waren ungewöhnlich blass. Ich hätte wetten können, dass sie lange farbige Fingernägel hat, aber ihre waren sehr kurz und kaum ausgeprägt, die Konturen wie aufgemalt.

Sie schob ihre breiten Lippen an sein Ohr.

"Kannst du mir zeigen, wie man hier auf diesem Pla...wie man hier in dieser Gegend Liebe macht?"

Steini wirkte nun doch etwas überfordert.

"Ich wohne hier ganz in der Nähe", murmelte er verlegen, "wir könnten bei mir noch einen ... Kaffee trinken."

Sie schüttelte den Kopf. "Nein, nicht Kaffee, lieber Liebe machen."

"Oder so." Er schluckte. "Ich muss nur noch mal kurz..."

Er stand schwankend auf. "Bin sofort wieder da." Er ging in Richtung Toiletten. Ich wartete eine halbe Minute und folgte ihm dann unauffällig.

Ich fing ihn gerade noch an der Tür ab. Er hatte sich wirklich beeilt.

"Steini, was hast du vor?", flüsterte ich.

"Na ja, ich denke wir spielen bei mir noch einen Runde Bauernskat. Du willst doch eh bald zumachen."

"Alter, die Frau ist ein Alien!"

"Ja, genau." Er drückte sich an mir vorbei. Ich packte ihn an der Schulter.

"Die war noch nie in einer Kneipe, hat nie ein Bier gesehen, hat ein Organ wie ein Pottwal im Stimmbruch, aufgemalte Fingernägel und eine Zigarettenallergie. Außerdem ist sie erst gekommen, als die Heizstrahler abgekühlt waren."

"Das ist Ironie, Mann. Sie hat halt einen schrägen Sinn für Humor."

"Ich bin davon überzeugt, dass sie keinen blassen Schimmer hat, was Ironie überhaupt ist."

Er schüttelte den Kopf. "Ecki, Ecki, Ecki! Mein Gott, dich haben sie ja ganz schön umgekrempelt! Versuch mal wieder, dein eigenes Gehirn zu benutzen! Ich zahl morgen."

Er gab mir einen Klaps auf die Schulter, schnappte sich seine neue Eroberung und rauschte mit ihr hinaus.

Ich blieb zurück, ich und der leere Laden.

Der Anblick von halbleeren Gläsern und halbvollen Aschenbechern machte mich immer melancholisch, besonders wenn ich den ganzen Mist noch aufräumen musste, aber dieses Mal war es besonders schlimm. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas zu Ende gegangen war.



Steini war am nächsten Abend nicht da. Und eine Woche später waren die Raumschiffe verschwunden. Einfach so, über Nacht. Natürlich waren sie bewacht worden, aber die kompletten Wachmannschaften hatte man tief schlafend am nächsten Morgen im Gras gefunden.

Nach einigen Wochen ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Zurück blieb ein leichtes Gefühl der Unwirklichkeit.

Im Nachhinein wirkte die ganze Zeit der Krise wie ein böser Traum. Und natürlich wuchs die Zahl der Zweifler, natürlich meldeten sich die Kritiker der Maßnahmen zu Wort, die das Ganze für eine Verschwörung oder für ein perverses soziologisches Experiment hielten.

Und doch verblasste langsam die Erinnerung, und andere Themen beherrschten wieder das Tagesgeschehen. Und die Heizstrahler verrosteten langsam im Abstellraum.

Langsam wurde alles wieder normal.



Nur Steini kam nicht mehr.

Ich habe ihn nie wieder gesehen.



Monate später erzählte mir ein Bekannter, dass ein Bekannter, der einen Bekannten von Steini kennt, ihm erzählt hätte, dass Steini mit einer Frau nach Costa Rica ausgewandert wäre.

Ich habe da ja meine Zweifel. Steini in Costa Rica, bei fast 40 Grad, im Pullunder?

Aber vielleicht war es ja so. Menschen überraschen einen immer wieder.

Ich würde es ihm gönnen.
 



 
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