Margot Sutterberg ist siebenunddreißig, Wahlkampfleiterin der Progressiven Partei. Ihre Strategien gelten als präzise wie chirurgische Eingriffe: regionale Nähe, akribisch ausgewertete Daten, Stimmungsanalysen in Echtzeit, Themen, die Menschen elektrisierten und ihren Kandidaten aus der Masse hoben. Ihre bisherigen Erfolge gaben ihr recht
Die Partei hatte das Land ausgezehrt. Alte Männer klammerten sich an die Macht, predigten Kontinuität, während das Land zerfiel. In den Großstädten war längst nichts mehr zu gewinnen. Aber in der Provinz sah Margot ihre Chance: ein neues Gesicht, neue Farben, ein Funken Leben.
Sie fand ihn bei einem Casting mit zweihundert Bewerbern: Roberto Moreno, Theaterschauspieler, meist Komödien, nie der große Durchbruch. Vierunddreißig, unverheiratet, gutaussehend, muskulös, mit tiefer Stimme. Politisch ein Niemand, aber auf der Bühne wandelbar wie ein Chamäleon. Familienvater, Unternehmer, Wohltäter, Visionär – alles spielte er überzeugend. Seine größte Stärke war, sich ihrem Skript zu beugen.
Mit ihm wollte Margot das Land zurückerobern.
„Wo steckt unser Superstar?“, rief sie.
Das Team befand sich auf einem Campingplatz. Mehr als hundert Auftritte hatten sie hinter sich; heute stand der letzte bevor. Wochenlang waren sie durchs Landesinnere gezogen: Radioshows, Sportevents, kleine Bühnen. Einmal hatte Roberto beim Anstoß eines Fußballspiels den Ball mit einem Donnerschlag an die Latte gejagt – das einzige Mal, dass er vom Skript abwich. Margot hätte ihn dafür beinahe erwürgt.
Heute musste alles perfekt laufen.
„Habt ihr ihn?“
„Ja.“
Der zukünftige Präsident lag nackt im Wohnwagen eines Country-Sängers, mit dem er die Nacht verbracht hatte.
„Sofort zu mir!“, schrie Margot.
Sie peitschten ihn mit Kaffee, Pillen und einer kalten Dusche zurück ins Leben. Noch benommen stand er vor ihr.
„Weißt du, wo wir sind?“
„Irgendwo im Nirgendwo.“
„Piratininga. Die Leute hier leben von Tomaten, sie vergöttern alles Amerikanische. Fastfood, Baywatch, Talkshows. Heute bist du der US Präsident – blond, siegesgewiss. Und du sagst nur drei Worte.“
„Drei?“
„Ja, drei – mehr kann sich keiner merken.“
„Du machst Witze.“
„Seit wann stellst du meine Skripte infrage?“
Das Areal war ein Jahrmarkt im USA-Stil: Burger, Popcorn, Cola in Strömen. Kinder posierten mit Mickey und Donald, eine Tombola versprach hunderte T-Shirts mit der amerikanischen Flagge. Neben der Tribüne stapelten sich riesige Netze voller Tomaten, beschriftet mit dem Slogan: „Geschmack des Siegers.“
Die Show begann mit Fanfaren, gleißendem Licht und donnernder Musik. Der Countrysänger brüllte „Born in the USA“, und das Publikum geriet in Ekstase. Dann wurde ein Pferd in die Arena geführt, tänzelte, drehte Pirouetten – doch das Kreischen, das Licht, die wogende Masse ließen es scheuen. Mit einem Satz sprang es zur Seite und stob davon. Margot schloss die Augen. Nichts davon stand im Skript.
Ein Clown betrat die Bühne, machte Witze und kündigte den zukünftigen Präsidenten an. Doch er ließ auf sich warten.
„Roberto!“, fauchte Margot ins Headset. Stille. Sie hörte, wie er trank, schniefte, würgte, sich übergab. „Wo bist du, verdammt! Alles hängt heute von dir ab!“
Die Spannung stieg, das Publikum verstummte. Verzweifelt schrie Margot ins Mikrofon: „Beweg dich!“
Bodyguards brachten ihn schließlich kurz vor der Bühne. Sie schüttelten ihn wie einen Cocktail. Der Mix aus Alkohol und Drogen entfesselte ihn. Mit blonder Perücke stürmte er wie eine Rakete auf die Tribüne. Nach minutenlangen Ovationen ging Roberto rechts und links an den Bühnenrändern entlang, setzte sein berühmtes Breitmaulgrinsen auf, salutierte, winkte, umarmte Leute – das Publikum konnte gar nicht genug von ihm bekommen.
Margot notierte: „Je weniger Inhalt, desto besser.“
Roberto griff zum Mikrofon und sprach:
„Make Piratininga great, again.“
Margot fluchte. Drei Worte hatte sie gesagt. Nicht vier.
Doch er grinste, rief: „Again and again and again!“ und riss das Headset ab.
Die Menge jubelte.
Er redete weiter, schenkte der Jugend Hoffnung, versprach Sicherheit für Familien und Renten für die Alten. Oberflächlich zwar, doch rhetorisch brillant. Eigentlich war anderes geplant, doch Roberto improvisierte so stark, dass er plötzlich nicht mehr wusste, woher die Worte kommen sollten. Margot kochte vor Wut. Der Trottel hatte alles durcheinandergebracht und stand nun reglos auf der Bühne.
Stille. Die schlimmste Bedrohung einer Show. Sie breitete sich aus wie ein Vakuum. Margot spürte Panik, als hielte die Welt den Atem an.
Doch Roberto lächelte, sprang in ein Bühnenloch, und Sekunden später schwebte er wie ein Gott an einem Kran über den Köpfen, krachte durch riesige Styroporbanner:
Korruption! – Crash!
Krieg! – Boom!
Inflation! – Bang!
Arbeitslosigkeit! – Crash Boom Bang!
Als er auf der Bühne landete, trug er eine GI-Fliegerjacke, ein weißes T-Shirt und eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Für die Menge war er in diesem Moment der Held aus Top Gun.
Dann schnitt er ein Seil. Millionen Tomaten stürzten wie eine Welle auf die Zuschauer. Eine Tomatenschlacht brach aus: Chaos, Gelächter, Schreie, Triumph. Schon verbreiteten sich Schlagzeilen: „Das Volk ist bereit, für ihn sein Blut zu geben.“
Roberto sprang ins Publikum und ließ sich wie ein Rockstar feiern.
Margot verließ wortlos das Gelände. Ein Amateur hatte mit einer improvisierten Hollywood-Show alle Regeln gebrochen.
Die Bilder gingen durchs ganze Land und machten Roberto Moreno zum Präsidenten.
In einem fernen Dorf, sechstausend Kilometer entfernt, saß ein alter Häuptling am Feuer. Er blickte auf die flackernden Bilder, die aus dem kleinen Fernseher drangen, und sagte zu seinem Stamm:
„Es kommen harte Zeiten. Der weiße Mann glaubt jetzt an Götter, die er auf der Leinwand sieht.“
Die Partei hatte das Land ausgezehrt. Alte Männer klammerten sich an die Macht, predigten Kontinuität, während das Land zerfiel. In den Großstädten war längst nichts mehr zu gewinnen. Aber in der Provinz sah Margot ihre Chance: ein neues Gesicht, neue Farben, ein Funken Leben.
Sie fand ihn bei einem Casting mit zweihundert Bewerbern: Roberto Moreno, Theaterschauspieler, meist Komödien, nie der große Durchbruch. Vierunddreißig, unverheiratet, gutaussehend, muskulös, mit tiefer Stimme. Politisch ein Niemand, aber auf der Bühne wandelbar wie ein Chamäleon. Familienvater, Unternehmer, Wohltäter, Visionär – alles spielte er überzeugend. Seine größte Stärke war, sich ihrem Skript zu beugen.
Mit ihm wollte Margot das Land zurückerobern.
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„Wo steckt unser Superstar?“, rief sie.
Das Team befand sich auf einem Campingplatz. Mehr als hundert Auftritte hatten sie hinter sich; heute stand der letzte bevor. Wochenlang waren sie durchs Landesinnere gezogen: Radioshows, Sportevents, kleine Bühnen. Einmal hatte Roberto beim Anstoß eines Fußballspiels den Ball mit einem Donnerschlag an die Latte gejagt – das einzige Mal, dass er vom Skript abwich. Margot hätte ihn dafür beinahe erwürgt.
Heute musste alles perfekt laufen.
„Habt ihr ihn?“
„Ja.“
Der zukünftige Präsident lag nackt im Wohnwagen eines Country-Sängers, mit dem er die Nacht verbracht hatte.
„Sofort zu mir!“, schrie Margot.
Sie peitschten ihn mit Kaffee, Pillen und einer kalten Dusche zurück ins Leben. Noch benommen stand er vor ihr.
„Weißt du, wo wir sind?“
„Irgendwo im Nirgendwo.“
„Piratininga. Die Leute hier leben von Tomaten, sie vergöttern alles Amerikanische. Fastfood, Baywatch, Talkshows. Heute bist du der US Präsident – blond, siegesgewiss. Und du sagst nur drei Worte.“
„Drei?“
„Ja, drei – mehr kann sich keiner merken.“
„Du machst Witze.“
„Seit wann stellst du meine Skripte infrage?“
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Das Areal war ein Jahrmarkt im USA-Stil: Burger, Popcorn, Cola in Strömen. Kinder posierten mit Mickey und Donald, eine Tombola versprach hunderte T-Shirts mit der amerikanischen Flagge. Neben der Tribüne stapelten sich riesige Netze voller Tomaten, beschriftet mit dem Slogan: „Geschmack des Siegers.“
Die Show begann mit Fanfaren, gleißendem Licht und donnernder Musik. Der Countrysänger brüllte „Born in the USA“, und das Publikum geriet in Ekstase. Dann wurde ein Pferd in die Arena geführt, tänzelte, drehte Pirouetten – doch das Kreischen, das Licht, die wogende Masse ließen es scheuen. Mit einem Satz sprang es zur Seite und stob davon. Margot schloss die Augen. Nichts davon stand im Skript.
Ein Clown betrat die Bühne, machte Witze und kündigte den zukünftigen Präsidenten an. Doch er ließ auf sich warten.
„Roberto!“, fauchte Margot ins Headset. Stille. Sie hörte, wie er trank, schniefte, würgte, sich übergab. „Wo bist du, verdammt! Alles hängt heute von dir ab!“
Die Spannung stieg, das Publikum verstummte. Verzweifelt schrie Margot ins Mikrofon: „Beweg dich!“
Bodyguards brachten ihn schließlich kurz vor der Bühne. Sie schüttelten ihn wie einen Cocktail. Der Mix aus Alkohol und Drogen entfesselte ihn. Mit blonder Perücke stürmte er wie eine Rakete auf die Tribüne. Nach minutenlangen Ovationen ging Roberto rechts und links an den Bühnenrändern entlang, setzte sein berühmtes Breitmaulgrinsen auf, salutierte, winkte, umarmte Leute – das Publikum konnte gar nicht genug von ihm bekommen.
Margot notierte: „Je weniger Inhalt, desto besser.“
Roberto griff zum Mikrofon und sprach:
„Make Piratininga great, again.“
Margot fluchte. Drei Worte hatte sie gesagt. Nicht vier.
Doch er grinste, rief: „Again and again and again!“ und riss das Headset ab.
Die Menge jubelte.
Er redete weiter, schenkte der Jugend Hoffnung, versprach Sicherheit für Familien und Renten für die Alten. Oberflächlich zwar, doch rhetorisch brillant. Eigentlich war anderes geplant, doch Roberto improvisierte so stark, dass er plötzlich nicht mehr wusste, woher die Worte kommen sollten. Margot kochte vor Wut. Der Trottel hatte alles durcheinandergebracht und stand nun reglos auf der Bühne.
Stille. Die schlimmste Bedrohung einer Show. Sie breitete sich aus wie ein Vakuum. Margot spürte Panik, als hielte die Welt den Atem an.
Doch Roberto lächelte, sprang in ein Bühnenloch, und Sekunden später schwebte er wie ein Gott an einem Kran über den Köpfen, krachte durch riesige Styroporbanner:
Korruption! – Crash!
Krieg! – Boom!
Inflation! – Bang!
Arbeitslosigkeit! – Crash Boom Bang!
Als er auf der Bühne landete, trug er eine GI-Fliegerjacke, ein weißes T-Shirt und eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Für die Menge war er in diesem Moment der Held aus Top Gun.
Dann schnitt er ein Seil. Millionen Tomaten stürzten wie eine Welle auf die Zuschauer. Eine Tomatenschlacht brach aus: Chaos, Gelächter, Schreie, Triumph. Schon verbreiteten sich Schlagzeilen: „Das Volk ist bereit, für ihn sein Blut zu geben.“
Roberto sprang ins Publikum und ließ sich wie ein Rockstar feiern.
Margot verließ wortlos das Gelände. Ein Amateur hatte mit einer improvisierten Hollywood-Show alle Regeln gebrochen.
Die Bilder gingen durchs ganze Land und machten Roberto Moreno zum Präsidenten.
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In einem fernen Dorf, sechstausend Kilometer entfernt, saß ein alter Häuptling am Feuer. Er blickte auf die flackernden Bilder, die aus dem kleinen Fernseher drangen, und sagte zu seinem Stamm:
„Es kommen harte Zeiten. Der weiße Mann glaubt jetzt an Götter, die er auf der Leinwand sieht.“