Prinz Eisenherz

Nikolai Crow

Mitglied
Prinz Eisenherz



In einer anderen Welt, zu einer anderen Zeit, da lebte ein großer König, mit dem Namen Balthasar. Der König war ein weiser und respektabler Mann, in dem, trotz seines hohen Alters, der Lebensfunke wie ein gewaltiges Feuer loderte. Unter seiner Herrschaft gediehen die Felder, der Handel zog sich von Ost nach West und von Nord nach Süd, während die schönen Künste und die Wissenschaft eine wahre Blütezeit erlebten.

Egal, ob auf den weiten Wiesen der entfernten Dörfer oder den Straßen der Städte, überall lobpreiste man den König, der von seinem Volk sehr geliebt wurde und es gleichermaßen ebenso unendlich liebte, doch war er zugleich die Geißel der beständigen Furcht. Ein dunkler Schatten schlich durch das Reich, der König Balthasar um die Zukunft bangen ließ.

Es war sein eigen Fleisch und Blut, Prinz Dragomir, der ihm solch Sorgen bescherte.

Während der König gütig, mitfühlend, gerecht und weise war, war sein Erbe die Verkörperung von Selbstsucht, Hochmut, Tyrannei und Arroganz, der sich selbst über jeden anderen stellte. Aber ganz gleich, wie sehr das Verhalten, die Worte oder die Taten des Prinzen ihn enttäuschten, konnte der König niemals Zorn für seinen Sohn empfinden – schließlich war es sein eigenes Verschulden.

Der Tod der Königin war ein schmerzlicher Verlust und König Balthasar war bereit gewesen, alles zu unternehmen, um seinen Sohn die Freude zurückzubringen, ungeachtet dessen, was es war oder was es kosten mochte, damit sich dieser Wunsch erfüllte. Ein Fehler, wie er nun wusste, hatte es Prinz Dragomir zu dem gemacht, was er heute nun war. Doch der Knabe von einst war nun ein Mann, Prinz und Erbe des ganzen Königreiches, welches er zugrunde richten würde, sollte er heute noch den Thron besteigen. Der Prinz musste sich ändern und wie einst vor vielen Jahren, würde der König alles tun, um dies zu ermöglichen, ganz gleich, was es war oder was es auch kosten möge, damit sich dieser Wunsch erfüllte.

Wie in vielen Nächten lag König Balthasar wach im Bett, grübelnd um des Rätsels Lösung, bis sein Oberkörper rasant in eine aufrechte Haltung schoss.

Die Augen vor Erkenntnis aufgerissen, sagte er mit lauter Stimme: „Eine Frau! Eine Gemahlin ist die Antwort. Wer vermag es besser, des Prinzen Herzen zu erweichen, als eine liebende Ehefrau? Eine sanfte Gefährtin, die ihn Mitgefühl lehren kann. Ihre Tugenden werden es sein, die seine zahlreichen Makel verdrängen und sie wird dort erfolgreich sein, wo ich und tausend andere Zungen gescheitert sind.“

Sofort warf der König die Decke von sich und schlüpft in seine weichen Pantoffel. Wie ein neugeborenes Rehkitzeilte er forsch und unsicher zu seinem Schreibtisch. Er ergriff die Feder, tauchte sie ins dunkle Schwarz des Tintenfässchens und begann zu Schreiben. Er schrieb und schrieb die ganze Nacht. Seine Finger schmerzten und Haut und Nachthemd waren besudelt mit verschmierten Tintenklecksen. Mit dem langsamen Erwachen der Morgensonne, machte er nach vielen Stunden des Schreibens, den letzten Punkt, hinter den letzten Satz, des letzten Briefes.

Lächelnd sah König Balthasar auf die vielen mannshohen Papierstapel, die ihn wie Bäume in einem Wald umgaben. Einladungen an alle möglichen Hof- und Edeldamen, Prinzessinnen und Fürstentöchter, Jungfrauen und Witwen, Schönheiten aus diesem und allen anderen Königreichen.

„Das Werk ist vollbracht“, sprach der König zufrieden. „Das Rad des Schicksals nimmt seinen Lauf. Wer von euch wird es wohl sein? Wer von euch edlen Damen wird es sein, die sowohl Thron als auch Herz des Sohnes retten wird? Wer ihr auch seinen möget, auf ewig wird mein tiefer Dank der Eure sein.“

Mit dem ersten Schrei des königlichen Hahns eilten die Boten mit den Briefen davon. Zu Pferde und zu Schiff, in alle vier Himmelsrichtungen, während der König vom Fenster seines Gemaches dem Tag bereits entgegen frönte, an dem die Damen durch die Pforte von Stadt und Schloss schritten.

Tagen zogen ins Land, gefolgt von Wochen und Monaten, bis jener gesegnete Tag endlich gekommen war. Alle Einhundertelf Frauen waren der Einladung gefolgt und standen in einer riesigen Schlange, die vom Thronsaal bis zum Schlosshof reichte. Jede von ihnen trug ein einzigartiges, glamouröses Kleid, um den Prinzen bereits beim ersten Blick zu verführen.

Umgeben vom ganzen Hofstaat, saßen König und Prinz auf ihren Thronen, wenn auch letzterer, dem dieser Tag gewidmet war, die geringste Begeisterung zeigte. „Zeitverschwendung!“, hatte Prinz Dragomir es genannt und einmal mehr seine Überheblichkeit zum Ausdruck gebracht. Doch selbst der Prinz, konnte nicht dem Willen des Königs, noch dem des Vaters trotzen.

Dum. Dum. Dum. Dreimal, schlug der lange, vergoldete Stab des Zeremonienmeisters, auf den schwarz-weißen Marmorboden auf. Das Signal, das die Brautschau einleitete.

Die große Eichenpforte des Thronsaals öffnete sich und der alte Zeremonienmeister, mit seinem fliehenden Haar, kündigte die erste der Damen an. Mit tiefer, kräftiger Stimme rief er: „Elisabeth von Süß, Tochter des Zuckerherzogs, Martin von Süß“.

In einem schulterfreien, türkisfarbenen Kleid mit weitem Rock, betrat Elisabeth die weite Halle. Ihr Blick fiel schüchtern, dennoch entzückt über diesen möglicherweise Schicksal veränderten Augenblick, auf ihre kleinen Füße und gelegentlich auf das bunte Blumensträußchen, das sie fest in ihren Händen hielt.

„Eure Majestäten“, begrüßte die Herzogstochter, die Hoheiten, mit schwacher Stimme, als sie vor den Thron trat und einen Knicks machte.

„Dame Eleonora! Ach du Schreck, wie die Zeit doch unaufhörlich vorwärtsschreitet“, sprach der König. „Im Geiste sehe ich das Kind von damals, das Ihr einst wart. Nun aber seid Ihr eine Frau, eine Frau von beachtlicher Schönheit.“

„Hab … habt Dank, mein König“, sagte Elisabeth, mit Wangen rot vor Scham. Die Lippen zu einem niedlichen Grinsen geformt, linste sie unaufhörlich zu des Prinzen Seite.

König Balthasar und Herzogstochter Elisabeth, Kind eines alten Freundes und Vasallen, verstanden sich prächtig. Ihre Unterredung war von heiterem Gemüt, mit Lachern und freundlichen Blicken, als sie über die belanglosen Themen des Lebens sprachen. Nur Einer, verweigerte sich gewollt dem Vergnügen, an diesem schönen Moment.

Gelangweilt saß der Prinz in seinem Thron, gähnend und den Kopf mit einer Hand stützend. „Ach Vater, wie lang soll diese Farce nun noch bestehen?“, stöhnte der Prinz. Irritiert sahen die Anwesenden ihn an. „Seien wir ehrlich, Vater, diese Frau, obgleich Ihr uns beide bereits als Ehepaar seht, wird niemals die Meine sein. Seht sie euch nur einmal an!“ Hochmütig deutete Prinz Dragomir auf den Leib der jungen Dame. „Diese ‚Edeldame‘, hat nichts mit dem Wort ‚Edel‘ gemein. Eine wahre Edeldame übertrifft nicht das Gewicht einer Milchkuh, die auf der Weide grast. Ihre beleibte Gestalt ist meiner nicht angemessen. Sie würde mich zum Gespött des Reiches machen und selbst wenn ich sie ehelichen müsse, auf euer Geheiß, so würde unsere Schatzkammer zugrunde gehen, allein um ihren Appetit zu sättigen.“

Stille. Bedrückendes Schweigen und gesenkte Blicke von Hofstaat, wie von Bediensteten, zierten den Raum. Einzig das Schluchzen der weinenden Herzogstochter, Elisabeth von Süß, machte einen laut. Verletzt und beschämt, ließ sie ihren Strauß fallen. Rasch verbarg sie ihr Gesicht – hoffend, dass dies lediglich ein böser Traum war – bevor sie eilig davon stürmte.

„Grausam, mein Sohn, grausam und ungerecht. Ihr Leib ist etwas schwerer als der manch anderer Edelfrau, wohl wahr, doch hättest du ihr nicht ein paar freundliche Worte, anstelle des Federhandschuhs schenken können?“, fragte ein enttäuschter König.

„Ach Vater, Ihr übertreibt“, begann der Prinz seine schwach gebaute Verteidigung. „Eheleute sollten ehrlich sein und es zeugt von keinem festen Band, wenn einer davon diese hochgeschätzte Eigenschaft nicht verkraften kann. Zudem bin ich mir recht sicher, dass ein Küchenchef die bessere Partie darstellt, als der Erbe eines Königreichs.“

Ein entrüstetes Seufzen kam aus dem Mund des Königs, in Anbetracht dieser geschmacklosen Behauptung. Ein Handzeichen gab den Befehl für die nächste Dame, der hoffentlich ein angenehmeres Schicksal vergönnt war.

Dum. Dum. Dum. Wieder schlug der Zeremonienmeister seinen Stab. „Prinzessin Jar-Hier de Burton, Erbin der Sterneninsel“, rief der alte Meister.

Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge. Die natürlichen Klänge der Menschen, denen man solch eine Schönheit darbot.

Die Prinzessin war von graziöser Eleganz und manch einer möchte sagen, nicht von dieser Welt, so atemberaubend schön wie ihre Erscheinung zeigte.

Ihre Haut war gezeichnet von der warmen Sonne des Südens und ihr dunkles Haar, lang und lockig, war mit Edelsteinen besetzten Muscheln versehen. Dazu noch ihre Augen. Ach, diese Augen … Sie waren so groß, dass man sich in ihnen zu verlieren drohte und sie strahlten wie das Licht einer goldenen Morgendämmerung.

„Eure Majestät“, erklang die honigsüße Stimme von Prinzessin Jar-Hier, in ihrem orangenen Abendkleid.

Der Anblick und die Worte der jungen Edeldame ließen den König erröten. „Also ist es wahr, mein Kind. Ich hörte bereits Hunderte Geschichten von der Prinzessin, gesegnet mit einer Schönheit, die das Herz jedes Mannes und jeder Frau verzaubern kann, sobald man nur einen flüchtigen Blick auf sie erhascht. Ein Zauber, dem auch ich, wie alle anderen in meiner Halle, anheimgefallen zu seinen scheinen. Was sagts du, mein Sohn?“

Musternd ob der verführerischen Ästhetik der Prinzessin, sah Prinz Dragomir auf sie herab, beäugte sie von Kopf bis Fuß. „Durchaus“, antwortetet er, von einem leichten Funken der Neugierde berührt. „Ein jeder, der was anderes über eure angeborene Schönheit behauptet, sollte als Lügner gebrandmarkt seinen restlichen Lebtag im dunkelsten Verlies, des höchsten Turmes verbringen.“

„Habt dank mein Prinz, für diese liebreizenden Worte“, entgegnete die Prinzessin.

„Sagt mir, meine teuerste, wie war eure Reise? Ich hoffe, die Gezeiten der Meere waren euch gewogen?“

„Das waren sie, mein Prinz. Unser Schiff traf rechtzeitig, ohne jedwede Verspätung, im Hafen ein“, antwortet die schöne Jungfer, die mit ihren Worten recht geschwind, stramme Edelleute, in kichernde Kinder verwandelte.

Starren Blickes hob der Prinz die Hand und brachte die Edelleute zum Schweigen, wobei ihn ein unguter Verdacht beschlich. Mit einem falschen Lächeln wandte er sich zurück zur Prinzessin.

„Verzeiht mir, Prinzessin, meine Frage war wohl falsch geformt gewesen“, meinte der Prinz. „Erzählt mir lieber von eurer Heimat. Ist der Süden tatsächlich das ganze Jahr über so warm, wie die Seeleute berichten?“

„Nein, mein Prinz. Nur das halbe Jahr über, denn auch wenn der Tag warm ist, so sind die Nächte immer bitterkalt, sobald sich die Sonne Schlafen begibt.“

Das anfängliche Gekicher des Hofstaates, machte Platz für lautes Gelächter und viele, viele skeptische Blicke, als würde man überlegen, ob die Prinzessin bloß einen Scherz mache. Die Ruhe, die jene zeigte, unfähig zu merken, dass weiter man über sie lachte, bewies die ehrliche Überzeugung ihres Handelns.

Entrüstet lehnte sich der Prinz zurück und rieb sich die Stirn. „Bitte, werte Prinzessin, schweigt. Mein Kopf wird von einem üblen Leid geplagt, wenn eure Stimme sich erhebt. Nein! Es geht nicht. Ganz gleich welch engelhafte Schönheit, eine Frau auch ihr Eigen nennen mag, ihr Verstand darf nicht auf solch grausame Art verkümmert sein. Hinaus!“, schrie der Prinz und deutete mit dem Finger auf die Pforte. „Hinaus! Hinaus, bevor ich vor euch fliehen muss! Und gebt ihr eine Eskorte! Keiner von uns, hegt den Wunsch, dass sie sich in den Tausend Winkel unseres Heims verläuft und für alle Zeiten, hier gefangen ist.“

Trotz des geringen Intellekts verstand die Prinzessin jedes bösartige Wort. Ihre Tränen flossen noch stärker als bei der Herzogstochter zuvor, doch verlor sie keinen Funken ihrer Anmut, auch wenn es ihre Flucht nicht weniger schrecklich machte.

„Grausam, mein Sohn, grausam und ungerecht. Ihr Geist war nicht von der Schärfe einer neu geschmiedeten Klinge, gewiss, aber ihre Freundlichkeit wog so schwer, wie ihre Schönheit strahlte“, sagte der König.

„Ach Vater“, verteidigte sich der Prinz erneut. „Es sind Hunger, Krankheit und Alter, die uns plagen sollen und nicht das eigne Weib, deren ungebildete Zunge mich in den Wahnsinn treibt. Nein, vielen Dank! Da verzichte ich lieber auf Thron und Krone, bevor ich diesen Weg beschreit.“

König Balthasar besann sich zur Ruhr. Zwei Damen waren davon in Sturmeseil, doch der Tag war noch jung und eine Menge Edelfrauen standen weiterhin vor der Pforte. Eine von ihnen, so war er sich sicher, würde des Prinzen Herzen endlichen zum Schmelzen bringen. Gewappnet mit Hoffnung gab der Regent das Zeichen, bereit, die nächste Werberin und alle noch verbliebenen willkommen zu heißen.

Die Stunden des Tages zogen von dannen, hinfort in einer quälend langsamen Zeit. Das Werben der Damen, um des Prinzen Gunst, war ein gnadenloses-Schauspiel, das einer aussichtslosen Schlacht alle Ehre machte. Egal, ob Prinzessin oder Fürstentochter, ob Hofdame oder reiche Kaufmannswitwe, bei ein jeder war es dasselbe. Wie ein Spürhund auf der Jagd fand Prinz Dragomir ein Makel, den er natürlich nicht schweigend hinnahm. Oh Nein! Wer wäre er sonst nur? Laut wie die Fanfaren von den Türmen schrie er sie in alle Himmelsrichtungen hinaus. „Diese Nase! Seht nur diese Nase! Spitz und lang, man möchte meinen, sie können mit ihr zum Schwertkampf erscheinen“, waren seine Worte oder: „Ach du liebe Güte! Mir scheint, ich war kurz dem Schlaf verfallen. Vergebt mir, meine Dame, falls mein Schweigen den Eindruck erweckte, eure Worte seien fesselnd. Sie sind es nicht, aber dafür stecken sie voller Langeweile“.

Schielende Blicke, lange Glieder, lispelnde Zungen, lahmes Denken, quakende Stimmen, krumme Haltungen und noch vieles, vieles mehr, waren dem Prinzen ein Dorn im Auge, den es zu entfernen galt. Eine der Frauen verweigerte er sogar den Zutritt zum Saal, allein wegen der kunterbunten Farbpalette ihres Kleides. Schonungslos wies er eine nach der anderen ab und jede von ihnen vergoss so viele Tränen, dass sie zusammen einen Teich hätten füllen können. Die Freude des Königs, der seit Anbruch des Tages ein paar weitere Falten bekommen hatte, versiegte, doch die des Prinzen blühte nun geradezu. Die Langeweile dieses nutzlosen Unterfanges war dahin. Jetzt war es für ihn ein genüsslicher Zeitvertreib, die Mängel seiner Verehrerinnen zu finden und sie lächelnd, der ganzen Welt mitzuteilen.

Zur gleichen Zeit, als der Prinz sich bei seinem geschmacklosen Spiel vergnügte, traf eine weitere Dame in der Hauptstadt ein. Ihre Kutsche aus nachtschwarzen Ebenholz – verziert mit goldener Ornamentik und Totenschädeln, die sorgfältig ins Holz eingearbeitet worden waren – bespannte zwölf wilde Rappen, deren Augen wie heiße Kohlen glühten und denen der Geifer aus ihren Mäulern tropfte. Auf dem Bock saß der Kutscher. Verhüllt in einem Kapuzenmantel, schwang er die Peitsche und jagte, als wäre das Böse selbst hinter ihm her, durch die Straßen und Gassen der Stadt, in Richtung Schloss.

„Herrje, Herrje! Seht nur, wie spät es ist“, bemerkte der Prinz und streckte seine Glieder, müde vom Brechen fremder Herzen. „Speis und Trank, danach verlangt es meiner jetzt. Sagt, wie viele Weibsbilder werden uns den noch zuteil?“

„Keine!“, zischte der König, die Hände vor Zorn geballt. „Keine Einzige mehr und auch nie wieder wird eine durch unsere Tore kommen, nach dem heutigen Tage!“

Ein hochmütiges Lächeln umspielte die Lippe des Prinzen. „Vater, nun seid doch nicht so voller Wut. Ihr wusstet, welch Narretei ihr hier vollbringt.“

„Du hast recht“, seufzte der König. „Ich war ein Narr. Wie so oft, wenn es um dich ging, Blut von meinem Blut“. Ernsten Blickes sah der König, in des Sohnes Augen, erhob sich von seinem Thron und sprach mit lauter und fester Stimme: „Du bist ein missratener Mann, voll der Niedertracht, des Hochmuts und der Selbstliebe, unwürdige der Stellung des Sohnes und erst recht die des Prinzen. Und ja, sei gewiss, meine Schuld dabei ist mir mehr als bewusst. Nichtsdestotrotz, hüte ich mich davor, diese Last allein mein Eigen zu nennen. Wie oft bist du bereitwillig und von selbst der Straße des Frevels gefolgt, während der Pfad zum Verlassen dieses Weges direkt vor deinen Augen lag? Wie oft warst du es, der die Stimme von Vernunft, Güte, Barmherzigkeit und Liebe im Schutze der Dunkelheit erdrosselt hat? Wenngleich dir deine Fehler nicht bewusst sind, sind es mir die meinen durchaus und der heutige Tag, sollten sie lindern und vielleicht sogar ungeschehen machen. Ein Wunsch, den DU zunichtemachtest. Du bist ein Mörder! Ein Mörder meiner Hoffnung und deiner glücklichen Zukunft, verscharrt in einem dunklen, kalten Grab, aus Tränen und gebrochenen Herzen.“

Einmal mehr an diesem Abend betrat die Stille den Raum. Keiner der Anwesenden wagte es, einen laut von sich zu geben. Wie verzaubert starrten sie mit offenen Mündern zu ihrem schnaubenden König herauf, dessen harte Worte ihre Ehrlichkeit so laut verkündeten, wie der Prinz zuvor die Schandmale der Edeldamen.

„Wahre Worte, König Balthasar. Wahre Worte, die längst die Lippen eines Menschen verlassen mussten, nur fürchte ich, der Prinz sieht in ihnen nur Kritik und ist blind für die Liebe und den Hoffnungsverheißenden Wunsch, den ihr für ihn hegt“, sprach eine kühle weibliche Stimme, die sofort alle Blick auf sich zog.

Unscheinbar und doch voller Erhabenheit wie der König selbst, schlich die Fremde durch den Torbogen, in Richtung des Throns.

Sie war von schmaler Erscheinung und trug das schwarze Seidenkleid einer Edeldame. Kein Wappen zierte ihr Gewand und auch ihr Gesicht verriet nicht ihre Herkunft, denn es war unter einem geklöppelten Schleier verborgen, was es zu einem sichtbaren Geheimnis für jedermann machte.

Empört sprang Prinz Dragomir von seinem Thron auf. „Wer seid ihr, dass ihr so zu uns auf diese Weise sprecht?!“, schrie der Prinz. „Hinaus mit euch. Hinaus aus dieser Halle! Keinen einzigen wünsch’ ich heute mehr zu sehen! Weder Hofstaat noch Diener und erst recht keins dieser scheußlichen Weibsbilder! Ist bin diesen Tag endgültig Leid.“

Ungeachtet ob des Prinzen lauten Tobens blieb die fremde Dame die Ruhe selbst. Gelassen erklärte sie: „Ich bin keine eurer Verehrerinnen, mein Prinz, und auch keine Tochter aus gutem Hause. Dennoch, mein Prinz, bin ich nur euretwegen hier“, antwortete die Fremde.

Der Prinz knirschte mit den Zähnen, sein Gesicht war zu einer wutentbrannten Fratze verzehrt. „Wer seid ihr?“, zischte er.

„Wer ich bin?“, wiederholte die Dame und trat elegant, mit gefalteten Händen vor den Thron. „Ich habe keinen wirklichen Namen, doch haben mir die Menschen viele gegeben. Die einen nennen mich Hexe, die anderen Geist. Für viele bin ich ein Teufel und für ebenso viele eine gute Fee. Ich bin die Tochter der Liebe und das Schwert der Vergeltung, die Rache der zerschmetterten Herzen und die wachsame Mutter der innig Verliebten. Ich bin Gut und Böse, Schmerz und Glück, Tugend und Sünde, Inspiration und Unheil. Was ich davon für euch bin, das entscheidet ihr allein.“

„Tatsächlich?“, fragte der Prinz in dünkelhaften Tone und rümpfte angewidert die Nase. „Ich weiß genau, was ihr für mich seid. Eine Verrückte!“, begann er zu keifen. „Ein grässliches Weibsbild, das sich einen Scherz erlaubt. Damit ist jetzt Schluss. Verschwindet, Gossenweib! Zurück auf die verschmutzten Straßen, die ihr euer Heim nennt. Ich brauche nicht die belehrenden Worte einer Geisteskranken, von solch unansehnlicher Gestalt, dass sie ihr Gesicht verhüllt. Verschwindet, Kreatur, und lasst mich in Frieden!“

„Genug!“, befahl der König. „Hüte deine Zunge, mein Sohn. Für heute sind genügend Worte gesprochen worden. Mäßige dich. Schweige und sinniere, über das, was heute geschehen, ist.“ Der König ergriff die Schultern seines Sohnes, doch dieser verweigerte ihm das Recht der Berührung.

„Unnötig. Ich weiß, was eure Worte bedeuten. Ihr habt es deutlich gesagt und es schmerzt, wenn ein Sohn solch Schreckliches von seinem Vater hört. Ein missratenes Balg, das bin ich in euren Augen, der voller Fehler steckt und dessen Name, nur mit Scham eure Lippen verlässt.“

„Blind. Blind wie ich sagte, König Balthasar“, wisperte die Fremde. Dunkle Schatten schlichen durch den Raum. Die Lichter erloschen und die Kälte des fernen Winters, ließ den Atem der Anwesenden gefrieren.

Die Stimme der Frau begann sich zu wandeln. Sie verschmolz mit ihrer Erscheinung und versprach fürchterliches Unheil, mit einem fast schon diabolischen Klang.

„Das Wehklagen der Frauen, deren Herzen ihr bracht und die euretwegen Tränen vergossen, führten mich heute Nacht in dieses Schloss. Ich gab euch eine letzte Chance, doch die Blindheit für eures Vaters Geschenk, lässt mir keine andere Wahl. Ihr seid der Liebe nicht würdig.“ Drohend hob die Fremde ihren Zeigefinger. „Ich verfluche euch, Prinz Dragomir! Nie wieder sollte ihr Liebe empfinden, noch soll euch Glück oder Freude gewährt sein. Eine Kette aus Eisen, spinnen ich um euer Herz, die ihr von diesem Tage an als euren Namen tragen sollt. Dies ist mein Fluch, der so lange bestehen möge, bis einer kommt und ihn bricht oder der Schnitter eure Seele nimmt!“

Das Licht kehrte zurück, die Kälte wich und die Fremde, war verschwunden. Erschrocken sahen sich die Menschen an, fassungs- und wortlos über das gerade Erlebte, das einem vorkam wie der reale Zwilling eines Albtraums.

„Oh mein Sohn, mein lieber Sohn, welch Schrecken ist da nur geschehen“, flüsterte der König, dem die Tränen kamen.

Ohne Wort stand Prinz Dragomir dar und starte auf die leere Stelle, wo die verschleierte Dame zuvor noch stand. Seine Hand wanderte zu seinem Herzen, auf dem sich nun ein beklemmender Druck befand. Ein Klirren erklang, als er seine Brust berührte. Der Fluch war gesprochen, der Fluch war gebunden und das Schicksal nahm seinen Lauf.



In Windeseile verbreitete sich die Geschichte von der Dame in Schwarz, wie man sie nun gemeinhin nannte, und dem Fluch des Prinzen. Köche, Knechte, Wäscherinnen, Schankmägde, Bettler, Soldaten, Schmiede, Fischer, Händler, Korbmacher und Näherin, sogar die Mäuse, die auf den Balken tanzten, flüsterten vom Leid des Prinzen und welch Veränderung er durchlitten hatte. Gerüchte und Gemunkel, von einem Mann ohne Lächeln, frei von aller Kraft, um Hundert Jahre gealtert und so blass wie ein Gespenst. Nur eine, hatte nichts von alledem mitbekommen. Eine Frau. Eine ganz besondere sogar. Die Bardesse Eleonora, die mit ihrem sonnigen Gemüt jede dunkle Wolke des Lebens vertreiben konnte und deshalb von allen Menschen des Königreichs nur Sonnenschein, genannt wurde.

Gewappnet mit der Laute und ihrem großen, violetten, Federbesetzten Barett, tanzte die junge Dame über die Kopfsteinpflaster der Straßen. Verfolgt von einer dutzend Schar an Kindern, sang sie das flotte Lied vom roten Ritter, während die Menschen jeden Alters und Standes, sie aus Türen und Fenstern, im Refrain begleiteten.

Die letzte Strophe verließ ihre rosa Lippen, da drehte sie sich sprunghaft um und erntete den wohlverdienten Beifall, ehe die Meute langsam zu ihrem Tagewerk zurückkehrten – mit Ausnahme von einer Person. Es war ein altes Weib, das traurigen Blickes hinauf zum Schloss starte.

Von Neugier geleitet, ging Eleonora auf sie zu. „Hallöchen, liebes Großmütterchen, sag mir doch, ich bitte dich, welch Kümmernis dich quält. Das Alter? Die Knochen? Oder irre ich mich und ein anderes Ärgernis belastet dich? Was es auch seien mag, gerne will ich mein Bestes geben, dich davon zu befreien“, sagte sie mit einem lieblichen Lächeln.

Die alte Webersfrau spiegelte die Geste. „Ach mein lieber Sonnenschein, was ein gütiges Kind du bist, aber nichts auf dieser Welt beschert mir ein Leid.“

„Bitte, Lüge nicht. Mein Wort war keine bloße Floskel, der guten und falschen Sitte geschuldet. Ich helfe dir mit Freuden, ungeachtet welch Müh es kostet.“

Das Großmütterchen kicherte nur. „Mein lieber Schmarrn, jetzt guckt doch nicht so streng, sonst beherrscht mich gleich die Scham, obwohl kein Unrecht auf meinen Schultern wiegt. Ich lüge nicht. Mich selbst plagt keine Last, doch das Martyrium eines anderen straft mein Herz mit Kummer.“

„Ein anderes Leben? Wer ist es, über den du sprichst?“, fragte Eleonora.

„Der Prinz, der arme, arme Prinz“.

„Der Prinz!?“ Lauthals lachte die Bardesse auf. „Haha! Welch köstlich Scherz! Ach Mütterchen, weshalb bringt des Prinzen Leben dir den Kummer? Sind es die delikaten Speisen? Sein weiches Himmelbett? Die sorgenlose Freiheit? Welches dieser Übel ist es, das es vermag, dich auf diese Art für ihn empfinden zu lassen?“

„Sonnenschein!“, rief die ergraute Dame entsetzt. „Wie kannst du nur solch schrecklich Dinge sagen? Hast du es denn nicht gehört? Der Prinz ist verflucht. Beraubt von jedem Funken Fröhlichkeit, gefangener einer Kette aus Eisen, die um sein Herz gesponnen wurde. Der König ist ohne Rat. Verzweifelt ruft er alle herbei, jeden Diener des Reiches, der seine Hilfe feilbietet, um den Prinzen vom Elend dunkler Zauberkunst zu befreien.“

„Wie grausam“, wisperte Eleonora, die nun den Kummer des Großmütterchens teilte. Ihr Blick wanderte hoch zum Schloss, das auf dem Berge thronte. Das selbstverliebte Wesen des Prinzen war ihr recht bekannt, dennoch empfand sie Mitleid für sein Leiden. Ganz gleich, wer oder warum, in ihren Augen hatte niemand eine Strafe verdient, die den Tod übertraf, denn nichts war schlimmer als ein Leben ohne Freude.

„Na, wenn das so ist, dann ist der Weg ja klar. Ich werde den Prinzen von seinem Fluch befreien!“, sprach Eleonora und tänzelte davon.

Ein Liedchen pfeifend marschierte sie zum Schloss. Wie von Zauberhand öffneten sich alle Tore, als grimmig dreinblickende Wachen vom Lächeln des Sonnenscheins erobert wurden und ihre kühle Härte, wie Schnee in der Sonne schmolz. Die Tore öffneten und öffneten sich, bis sie im Thronsaal angekommen war.

Die mächtige Halle mit ihren spiegelnden Marmorböden und riesigen Säulen besaß etwas Beeindruckendes, das leider von einer düsteren Stimmung überschattet wurde. Den Quell dafür fand man am Ende des Saals, oben auf dem Podest, in seinem weichen Thron. Zusammengesunken saß der König da, gekleidet in eleganten Gewändern. Seine Haut war dunkel, der dichte graue Bart gepflegt und auf dem geschorenen Haupt, ragte die goldene Krone hervor.

„Eure Majestät“, begrüßte Eleonora den König, nahm ihr Barett von ihren langen, roten Haaren und machte eine tiefe Verbeugung.

„Ich kenne euer Begehr, Diener dieses Reiches. Dieser finsteren Tage mag es kein Rätsel sein, doch welcher Zunft gehört ihr an? Seid ihr eine Zauberin, eine Priesterin, eine Medikus oder gar eine Hexe? Sie alle hab’ ich gesehen und sie alle sind gescheitert, egal in welchem Handwerk sie sich Meister nannten. Also, welches davon ist das Eure?“, fragte der König, der ins Nichts seiner Stiefel sah.

„Nichts davon bin ich, mein König. Ich bin keine Gelehrte oder Zauberkünstlerin, sondern eine Bardesse. Ein Kind von Reim und Tanz, treue Gefährtin der Musik und des Gesangs, Dienerin der Fantasie, die bei allen, ob groß, ob klein, ob alt, ob jung, die Freude erweckt.“

„Eine Bardesse!“, rief König Balthasar sichtlich überrascht und sah zum ersten Mal auf Eleonora herab. „Wartet …, ich kenne euch!“ Ein langsam wachsendes Lächeln zeigte sich seit Langem wieder in seinem gealterten Ansehen. „Die Bardesse Sonnenschein, die jede dunkle Wolke des Lebens vertreibt. Euer Spiel bringt wahrlich stets ein Gefühl der Heiterkeit. Könnt ihr es? Seid ihr dazu in der Lage, den Fluch zu brechen?“

Eleonora sah kurz an die Decke, ehe sie unschuldig ihre nackten Handflächen vorzeigte. „Ich weiß es nicht“, sagte sie dem König, doch bevor dieser, ihre nonchalante Antwort bemängelte, sprach sie ehrlichen Herzens: „Ich weiß es nicht, aber ich werde alles tun, um den Prinzen von seinem Fluch zu befreien. Kein Wesen ist frei von Schuld, weder Prinz noch Bauer. Trotzdem verdient keine Tat, ein Leben ohne Freude. Ich werde mein Bestes tun, um diesen Fluch zu brechen, mein König, darauf schwöre ich, habt ihr mein Ehrenwort.“

Der König schwieg. Das dunkle Braun seiner Augen, suchte die Falschheit in Eleonoras Worten, doch war es vergeblich, er konnte nichts entdecken. Alles, was sie hat, verlauten lassen, war von reiner Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Tatsächlich war es sogar noch mehr. Sie hatte es nämlich geschafft, ihm die Hoffnung zurückzugeben und das Feuer des Lebens, in seiner schlagenden Brust erneut zu entfachen.

„Habt Dank, tausendfach meinen Dank, Dame Eleonora. Ihr werdet meinen Sohn retten, das spüre ich und es gibt nichts, das unter dem weiten Himmel existiert, mit dem ich euch das vergüten könnte“, sagte ein strahlender König, den das Gefühl beschlich, jene Person gefunden zu haben, die seinen Sohn retten würde. Vielleicht sogar auf eine Weise, von der er nicht wagte, an sie zu denken, geschweige denn zu hoffen, doch die er sehnlichst begehrte.

„Nichts könntet ihr mir geben, mein König, denn was ich tue, ist nicht mein täglich Brot, sondern meine Pflicht. Meine Pflicht als Künstlerin, die Menschen mit Glück und Freud zu beschenken, auf dass alles Elend verschwindet“, sprach die Bardesse und folgte ihrem König durch die langen Flure, die Korridore, bis hinauf zum höchsten Turm des Schlosses. Hinter einer schweren Holztür blieben sie stehen.

Der König holte tief Luft und öffnete die knarzende Pforte.

Düsternis. Welch treffenderes Wort mag es sonst wohl geben? Das verstaubte Zimmer lag in völliger Dunkelheit, frei von Licht der Kerzen oder der Sonne, verpestet, durch einen stickigen Geruch. In der Luft lag von oben bis unten, von hinten nach vorn, von rechts nach links, ein bedrückendes Gefühl von Schwermut, von Bitterkeit und Selbstmitleid, die alles Schönen mit eiserner Faust zu unterdrücken versuchte.

Selbst Eleonora, die jedes Elend des Lebens vertrieb, geriet mit ihrer Gabe hier an ihre Grenzen, besonders als sie den Prinzen entdeckte.

Der einstmals graziöse Prinz war zu einer kümmerlichen Gestalt verkommen. Lustlos hockte er auf seinem Stuhl, mitten im Raum, und starrte ins Leere. Seine Haut war Leichenblass, die Haare und der Bart besaßen ein schauriges Weiß und fielen bis zum Boden, während die Nägel seiner krummen Finger, spitz wie Dolche waren. Man könnte meinen, der Königssohn, habe die Hundert Lebensjahre erreicht, wenn man die Falten und zahlreichen Leberflecke so ansah. Doch weder die dürren Glieder, noch die verwahrloste Erscheinung, konnten die ausdruckslose Mimik des Prinzen Dragomir überbieten. In seinen Augen fehlte jedweder Lebensfunke, der vor allen negative Dingen dieser Welt kapituliert hatte.

„Mein Sohn, mein lieber Sohn, ich habe hier jemanden für dich. Die begnadete Bardesse Sonnenschein, die dich von deinem Fluch erlösen wird“, sagte der König.

Nichts. Kein Ausdruck zeigte sich auf seinem Gesicht. Stumpf nahm er die Aussage auf, bei der jeder andere ohne Fluch, vor Begeisterung in die Luft gesprungen wäre. „Ihr werdet scheitern, wie alle anderen zuvor“, behauptete der Prinz mit seiner kratzig, heiseren Stimme. „Nichts vermag diesen Fluch zu brechen. Ich bin verdammt, jetzt und für immer. Ihr solltet eure Zeit nicht vergeuden und mich einfach meinem Schicksal überlassen.“

Diesmal war es Eleonora, die Schwieg. Ohne zu wanken und zu schwanken, marschierte sie zum Balkon des Gemachs. Ruckartig schob sie die dicken Vorhänge zur Seite und öffnete die mannshohe Kristalltür, die raus zur Balustrade führte.

Tageslicht, in Begleitung von frischer Sommerluft und lebendigem Lärm, betrat das Zimmer und zwang den Prinzen zu seiner ersten Reaktion. Schützend hielt er sich die Arme vors Gesicht, als drohte er zu Staub zu werden. „Was tut ihr denn da!?“, jammerte er.

„Was ich da tue? Den ersten Schritt, mein Prinz“, antwortete Eleonora. „Um euch die Freude zurückzubringen, müsst ihr sie willkommen heißen und dies geht nicht, wenn man zu jeder Stunde im Dunkeln des eigenen Leides sitzt.“ Eine Standpauke vom Feinsten, die der Prinz brummend hinnehmen musste. „Hört auf zu Mäkel, es ist nur zu eurem besten“, meinte Eleonora. „So, nun folgt der zweite Schritt. König Balthasar, ruft die Diener herbei. Sagt ihnen, es gibt viel zu verrichten.“

Gesagt, getan. Dem Ruf des Königs folgte eine Schar an Dienern, ausgestattet mit den Waffen ihrer Zunft. Scheren, Kämme, Pfeilen, Schwämme und Waschzuber, die in der kommenden Schlacht an ihrer Seite weilen und zum Sieg verhelfen würden.

Ohne Muren ließ der Prinz alles über sich ergehen, bis die Diener ihr Werk vollbracht hatten.

Das muffige Nachthemd des Prinzen war einem feinen Baumwollfrack gewichen, unter der sich eine orangefarbene Seidenweste mit eleganter, goldener Musterung befand. Das Haar und der Bart waren noch weiß, doch deutlich getrimmt, die Nägel gestutzt und bei dem wenig liebreizende Geruch von Prinz Dragomir, hatte man mit dem von Vanilleblüten für Abhilfe gesorgt.

„Ein wahres Meisterwerk, meine Herren“, lobte Eleonora die Dienerschaft. „Sie mag nur oberflächlich sein, doch die Schönheit des Äußeren breitet jedem Freud. Kommt, mein Prinz und seht selbst, wie ansehnlich ihr nun wieder seid.“

Der Prinz tat wie ihm geheißen und musterte sich von oben bis unten in seinem großen Spiegel, ohne einen Ausdruck der Begeisterung auf seinen Lippen.

Er zuckte die Schultern. „Kleidung die anderer Kleidung gewichen ist, die demselben Zwecke diente. Welch ein sinnloses Unterfangen. Egal, ob schön oder hässlich, letztlich spielt es keine Rolle, wenn wir dem Ende entgegentreten.“

Eleonora seufzte. Deprimierende Worte, die vom Fortbestehen des Fluches zeugten. Allerdings hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass ein Bad und frische Kleider den Prinzen heilen würden. Was war also der nächste Schritt?

Nachdenklich tippte die Bardesse mit dem Zeigefinger an ihr Kinn. Ein Knurren des Magens befreite sie vom Denken und schenkte ihr sogleich einen Einfall.

„Hunger oh Hunger, welch schrecklich Feind du bist!“, rief sie laut durchs Zimmer. „Kommt, mein Prinz, ich kenn’ den besten Bäcker der Stadt, dort werden wir Dinge speisen, die euch sicherlich zum Lächeln bringen.“

„Seid ihr euch sicher, Bardesse Sonnenschein, dass solch simples mir helfen kann?“, fragte der Prinz skeptisch.

„Natürlich! Wie ein weiser Mann eins sagte: Glück kommt am besten durch den Magen“.

Bevor der Prinz seine Zweifel erneut bekunden konnte, harkte Eleonora sich bei ihm ein und zerrte ihn Grinsenden hinter sich her.

Zur zu zweit liefen sie die Straße entlang. Bereits von weiter Ferne, wo die Stube des Bäckers noch nicht einmal zu sehen war, drang der schmackhafte Geruch in ihre Nasenflügel. Der Duft von außen war aber nichts im Vergleich zum Inneren.

Hinter der gläsernen Theke reihten sich die Teilchen wie die Soldaten auf den Zinnen. Honigkuchen, Schokotaler, Erdbeertorte, Zimtschnecken, Hefezöpfe, Lebermännchen und noch vieles mehr war vorhanden, dass das Herz höher schlagen und einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

Mit der Nasenspitze am Glass, wanderten Eleonoras Augen von rechts nach links, von Oben nach Unten, während der Prinz bloß unbeteiligt dreinblickte.

„Oh, ich arme Bardesse. Was für eine Qual! Welch Köstlichkeit soll ich bloß nehmen?“, jammerte Eleonora, ehe ihr Leid endlich ein Ende fand. „Das ist es! Zitronenküchlein, saftig und buttrig, mit dicker Glasur, den Wollen wir haben. Meister Bäcker, seid so lieb und gibt uns bitte Zwei.“

Der Wunsch war dem rotbackigen Meister Befehl. Gefangen im Moment des Genusses, als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt, kostetet das Gespann vom edlen Gebäck. Ein Fest für Zunge und Gaumen, die vor puren Glück frohlockten.

„Mhm …“, stöhnte Eleonora. „So weich. So köstlich. Was für ein Vergnügen. Was für ein Vergnügen, sage ich! Stimmt ihr mir nicht zu, mein Prinz?“

„Ich verstehe es nicht“, gab der Prinz kurz und knapp zurück, was Eleonora aus allen Wolken fielen ließ.

„Verstehen? Verstehen?! Was gibt es denn da zu verstehen?! Eine solche Delikatesse hat man nicht zu verstehen, nur zu genießen.“

„Der Geschmack ist vortrefflich, das will ich nicht leugnen, doch warum sollte ich es essen? Nichts als Zucker, Zucker und Fett. Nichts davon tut mir gut. Im Gegenteil, es macht mich nicht nur krank und beleibt, sondern auch noch träge.“

„Ach mein Prinz“, stöhnte die Bardesse. Wie eine Elster stibitzte sie dem Prinzen sein Teilchen, was ihn nur wenig bis gar nicht scherte, und aß es auf. „Nicht alles ist Vernunft. Vieles ist einfach Gefühl und Gefühl, bringt häufiger Freude und Glückseligkeit in unser Herz, als Vernunft es jemals könnte.“

„Aha“, kommentierte der Prinz bloß, als sie die Stube des Bäckers verließen.

Energisch grübelnd sah Eleonora den Prinzen von oben bis unten an und verharrte in seinen kühlen, leblosen Augen. „Vielleicht war ich nicht auf dem rechten Pfad. Süßes Gebäck bringt mir ein Gefühl von Glück, nur heißt das nicht, dass es euch das eure bringt. Was meint ihr, Prinz? Denkt nach, was brachte euch früher zum Lächeln?“

Die Gleichgültigkeit verschwand aus der Mimik des Prinzen. Trauer machte sich in den blassbraunen Augen breit, deren Scham so groß war, dass sie Eleonora nicht einmal anblicken konnten. „Nichts. Nichts, was sie mir heute zurückbringen könnte“, krächzte der Prinz. „Ich war ein schändlicher Mann, wie mein Vater einst sprach. Niederträchtig und hochmütig. Ich verriet die Makel anderer der ganzen Welt, um laut zu lachen, allein dem Vergnügen wegen oder machte jene nieder, die unter mir standen, nur weil ich es konnte. Gemeine Gräueltaten, die ich zutiefst bereue, brachten sie mich in diese Lage des Elends.“

Die wispernden Worte der Traurigkeit trafen Eleonoras Herz. Ihr Mitleid für Prinz Dragomir wurde größer und größer, doch festigte dieses Gefühl ihre Entschlossenheit.

Eleonora ergriff die faltigen Hände des Prinzen. Sie streichelte mit den Daumen über seine Knöcheln und zeigte ihm, ihr schönstes Lächeln. „Bangt nicht, mein Prinz, ich verspreche euch diesen Fluch zu brechen, damit ihr fortan ein ehrenhaftes Leben führen könnt. Ein Leben des Vergnügens und der Liebe, das auf alle abfärben soll.“

„Musik!“, fiel es dem Prinzen gerade wie Schuppen von den Augen. „Musik, war das einzig Gute, das mir damals Freude machte.“

Perplex sah Eleonora drein, ob des Prinzen lauten Ausrufs, doch durchlief ihr Ausdruck alsbald schon eine positive Veränderung. Schmunzelnd löste sie sich vom Prinzen und nahm ihre Laute in die Hände. „Nichts leichter als das“, sagte sie Keck und strich im nächsten Moment über die Saiten.

Die melodiösen Klänge öffneten Türen und Fenster der umliegenden Häuser, aus denen die Bewohner in freudiger Erwartung ihre Köpfe streckten. „Eleonora singt! Eleonora singt!“, schrien sie von Haus zu Haus, von Straße zu Straße, von Viertel zu Viertel und stürmten aus ihren Türen.

In zauberhafter Eleganz lief, sprang und tanzte Eleonora über die Straßen der Stadt. Wie eine Heerführerin stand sie an der Spitze einer Schar von Menschen, die zuhörten, wie die Bardesse das Lied der Freiheit sang. Ein einfaches Stück – bei deren Refrain die Zuhörer sogar mitsangen – dass jedoch durch ihre Engelsgleiche Stimme, wie das epische Meisterwerk eines begnadeten Künstlers klang.

Entfernt von der Masse, sah und hörte der Prinz der Bardesse aufmerksam zu, dabei beschlich ihn der Verdacht, er sei verzaubert worden. Kein Vergleich, der ihm durch den Kopf ging, wurde dem Gesehenen gerecht, denn es gab nichts, das unter den Sternen gedieh, mit dem dieses wunderbare Erlebnis hätte verglichen werden können. Das Feuer der Leidenschaft, das Eleonora umgab, machte den Prinzen sprachlos. Jeder Schritt und jede Drehung war makellos und glichen beinahe schon der Perfektion, dabei schaffte sie es, dass die Freude, die in ihrem Tun lag, auf alle herum abfärbte, die ihre ästhetische Stimme zu hören bekamen. Eleonora strahlte wie die Sonne selbst. Sie war nicht nur ein Mensch, wie ihm in diesem Moment bewusst wurde, sondern das Licht des Lebens in seiner reinsten Form.

„Danke schön, wertes Publikum! Danke schön!“, rief die Bardesse Sonnenschein unter einem lauten Gelächter, als das Lied endete. Wie das ungeschriebene Gesetz der Künstler besagt, dankte sie der jubelnden Menge mit einer tiefen Verbeugung, die sie ein paar Mal wiederholte.

Umringt von einer Masse an Menschen, stand Eleonora in ihrem Zentrum, lächelnd, die Köpfe zweier Mädchen tätschelnd, die sich fest an ihren Körper drückten.

Welch gutmütiges Herz sie hat, dachte der Prinz, als er sie so ansah. Eine beeindruckende Frau, mit einer solchen Gabe, die …

Ein Stich!

Ein plötzlicher, stechender Schmerz, scharf wie der Eckzahn eines majestätischen Löwen, durchbohrte seine Brust und ein kaum merkliches Zucken, verschob die Winkel seines Mundes.

Keuchend und gebeugt, legte Prinz Dragomir die Hand auf seine Brust, was ihn das Rascheln der Ketten hören ließ. Und plötzlich war es vorbei.

Der eigenartige Schmerz war abrupt verschwunden, doch hatte er viele Fragen und Rätsel zurückgelassen, denn für einen kurzen, kaum nennenswerten Moment, verspürte der Prinz ein eigenartiges Gefühl, das er nicht beim Namen nennen konnte. Er fühlte sich …Warm und geborgen, gestärkt und voller Tatendrang, erfüllt, als hätte er alles, was er in seinem Leben bräuchte, ohne noch mehr zu begehren.

„Und, wie fandet ihr es?“, fragte Eleonora abrupt, die sich aus der Traube von Bewundern hatte lösen können.

„Euer Spiel war wahrlich makellos, ohne jede Frage“, antwortete der Prinz, der sich wieder gefangen hatte.

„Recht herzlichen Dank, nur habe ich wohl leider versagt. Ich sehe, euer Fluch hat weiterhin bestand, was mich mit tiefen Gram bestraft.“

„Macht euch nichts draus. Bisher sind alle gescheitert“, meinte der Prinz, trocken wie die Wüste im Sommer, unwissend, wie bedeutend der gerade erlebte Schmerz eigentlich war. „Obwohl … ihr seid weiter gekommen als aller anderen vor euch. Euer Spielen verschaffte mir einen grauenhaften Schmerz, aber zugleich auch ein … recht unerklärliches Gefühl, das ich nicht beim Namen zu nennen vermag.“

Eleonoras Augen weiteten sich. Schnell ergriff sie die knochige Hand des Prinzen und rannte in Sturmeseil davon.

„Was soll das? Wohin führt ihr uns?“, fragte ein verblüffter Prinz, der kaum Schritt halten konnte.

„Was denkt ihr, Prinz Dragomir? Das war unser erster Erfolg! Ein Erfolg auf ganzer Linie. Wir müssen weitermachen, bevor er noch verfliegt.“

Eleonoras Entschluss stand fest. Sie war sich sicher, dass ihr Schützling, wenn auch nur für einen schwachen Moment, das Gefühl von Freude empfunden hat.

Voll der Begeisterung sprintete die Bardesse zum himmelblauen Haus ihrer Freundin, die in den vergangenen Wochen ein Kind zur Welt gebracht hatte. Der süße Anblick eines unbeholfenen Neugeborenen. Welches Herz könnte dabei nicht vor Freude schmelzen? Eleonora war hin und weg vom putzigen Näschen und dem quiekenden Gelächter des kleinen Würmchens, doch sah es bei dem Prinzen leider, leider anders aus. „Ein kleiner Mensch, der unfähig ist, sich selbst zu versorgen, der nur nimmt, ohne etwas Wertvolles oder Wichtiges zu geben“, sagte der Thronerbe unverblümt und direkt, wie der Fluch ihn machte. Eleonora schielte entgeistert zur Seite. Ein bedrücktes, peinliches Grienen aufgesetzt. Ein winziger Augenblick, den man wohl kaum eine Sekunde nennen konnte, verging, bevor die unbedachten Worte des Prinzen die Wände zum Beben brachten. Tobend und fluchend setzte die Mutter das Gespann vor die Tür, die aus den Angeln zu fallen drohte.

„Habe ich etwas Falsches behauptet?“, fragte der Prinz unverblümt, was Eleonora nur mit einem schiefen Blick von der Seite kommentierte. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie vermutet, der Königssohn würde sie auf den Arm nehmen.

Nach der Pleite eilten die beiden zum Theater, wo auf der Freiluftbühne zwei Harlekine ihren Schabernack trieben. Maskiert, spielten sie einander Streiche und gerieten in verzwickte Situationen, die die Menge zum Lachen brachte.

Gerade verfolgte der eine den anderen, wobei der letzte den Ersten versuchte, mit einem Knüppel zu treffen, doch immer wieder daneben schlug oder sich selbst auf die Füße haute.

„Warum lachen die Menschen an diesem Ort, wenn zwei Männer sich verhauen und jagen, während sie woanders bestürzt dem Ereignis beiwohnen?“, fragte der Prinz.

„Das eine ist blanker Ernst und das andere nur ein Spaß. Niemand schlägt sich wirklich. Es ist nur Theater, eine Komik, die uns zum Lachen bringen soll“, erklärte Eleonora mit Tränen der Euphorie, doch verriet der verständnislose Blick des Prinzen ihr, dass sie hier ganz eindeutig, nicht, den Fluch brechen würden.

Bei Sonnenuntergang verließen Prinz und Bardesse die Stadt. Sie rannten einen Hügel herab, auf dem gelbweiße Blumen, mit der Form von Sternen als Köpfen, blühten. Am Fuß des Hügels lag ein kleiner See. Die Oberfläche des Gewässers war so klar wie das Glas einer Kristallschale. „Kommt, mein Prinz!“, rief Eleonora, krempelte ihre Kniehose hoch, warf ihre Stiefel davon und sprang ins Wasser. Ein schriller Schrei der Verzückung verließ ihre Lippen, als das kalte Nass ihre Haut benetzte. „Kommt, mein Prinz! Nichts verleiht euch solch eine berauschende Freude, wie eine völlig Verrückte Tat.“

Unsicher stand der Prinz am Ufer des Sees, als könnte er in einen tiefen Abgrund fallen, wenn er auch nur einen einzigen Schritt weiter vorwärtsmachen würde. „Lieber … lieber nicht“, stotterte er. „Auf eine Erkältung kann ich gerne verzichten.“

„Ach herrje, kein Prinz, sondern ein Frosch. Na gut, wenn ihr nicht wollt, dann ist das eben so, helft mir nur eben aus dem Wasser“, sagte Eleonora und packte die ausgestreckte Hand des Prinzen. Sie hielt inne, sah boshaft grinsend nach oben und zog den Verfluchten mit einem Ruck nach vorn.

Ein lautes Platschen ertönte, als Prinz Dragomir, unter lauten Rufen ins Wasser fiel, dessen Klänge nur von Eleonoras Gelächter übertroffen wurde.

Der Prinz zappelte im Wasser wie ein Fisch am Land. Schnurstracks kehrte er stöhnend und keuchend auf allen Vieren zurück ans rettende Ufer, als hätte er gerade den gewaltigsten Sturm aller Zeiten überstanden. „W…w…w…Was so … sollte das?!“, fragte er die Bardesse. Sein Unterkiefer bibberte wie im tiefsten Winter und das Gelächter, drang ihm tief ins Mark.

„Ein kleiner Spaß, mein Prinz. Auch solche unter Freunden, können in einem die Freude entfachen, selbst wenn man das Opfer eines Streiches ist“, sagte Eleonora und lachte weiter vor sich hin.

Voll neckenden Gelächters der einen und dem Zittern und Bibbern des anderen, merkte keiner von beiden, wie die Lippen des Prinzen sich zu einem Lächeln formten, als sie zur Spitze des Hügels zurückkehrten. Oben angekommen war es auch wieder vorbei, sodass es für immer ein Geheimnis des Lebens bleiben sollte.

Oben auf dem Hügel, ein Stück abseits der erdigen Straße, gab es eine kleine Stelle, die kurz vor dem Abgrund lag. Unter einer großen, alten Buche, mit farbenfrohem Blattwerk, stand eine Bank, von wo man auf die weit entfernten Berge und ins weite Tal schauen konnte, in der die Hauptstadt des Königreiches lag.

„Wunderschön, nicht wahr?“, meinte Eleonora verträumten Blickes, als sie auf dem alten Holz Platz nahm.

„Mag sein“, brummte der Prinz.

Eleonora drehte sich um. „Was habt ihr, mein Prinz?“, fragte sie ihn.

Kummer lag in der gebeugten Haltung und Stimme des Prinzen. „Stunden um Stunden sind vergangen und das ohne Erfolg, was immer ihr auch tatet, der Fluch ist nicht gebrochen worden.“ Ein langer, erdrückender Seufzer verließ seine Lungen. „Wahrscheinlich soll es so sein. Vielleicht verdiene ich es nicht anders. Hunderte Leben hab’ ich gequält, da ist es nur rechtens, dass mein Leben ebenfalls eine Qual ist. Am besten wäre es, wenn …“

„Schweigt!“, befahl Eleonora gebieterisch, zum ersten Mal mit einem ernsten Blick. „Kein weiteres Wort will ich hören. Niemand verdient ein Leben ohne Freude und ihr, ihr mögt mir widersprechen, erst recht nicht. Viele Menschen habe ich in meinem Leben getroffen und kaum einer von ihnen, besaß eure Gabe der Erkenntnis. Ihr habt eure Fehler verstanden, bereut sie sogar und wünscht sie wiedergutzumachen. Solch etwas ist wahrlich selten, weshalb ihr es nicht verdient so zu leben und ich werden alles tun, um euch von diesem schrecklichen Fluch zu befreien.“

Kein Wort verließ des Prinzen Zunge. Er nickte nur stumm und war bereit, sich ganz in die Hände dieser einen Frau zu geben, eine Frau, wie er sie zuvor noch nie gesehen hatte, die voller Leidenschaft und Stärke steckte und die, trotz allen Scheiterns und Hürden, nicht aufhörte, für ihn zu kämpfen.

Eleonora blickte in den Himmel. „Seht nur, die Sterne klaren auf“. Der Ernst war verschwunden und das strahlende Lächeln war wieder an seinem rechtmäßigen Platz. „Warten wir hier, die ganze Nacht, bis die Sonne aus ihrem Schlaf erwacht.“

„Gerne“, flüsterte der Prinz, fast schon mit einem Ton der ersehnten Freude.

Die Sonne verschwand am Ende des rosaroten Horizonts und ihr Bruder, der Mond, eroberte das Firmament. Die Ruhe der Nacht wurde durchbrochen von Eleonoras zarter Stimme, die begann aus ihrem Leben zu erzählen. Derweilen hörte der Prinz ihr aufmerksam zu. Schweigend lauschte er ihren Worten über die Vergangenheit, ihre Familie, ihre Sorgen und Wünsche für die Zukunft.

Beim Hören dieses melodiösen, zarten Klangs, sah der Prinz, Eleonora zum ersten Mal WIRKLICH an.

Ihre herzensgute Art, die er bereits kannte, war das Ebenbild ihrer äußeren Erscheinung. Ihre helle Haut war so rein wie ein Diamant und ihre langen roten Haare, sahen aus, wie das Feuer, das in ihr brannte. Einzelne Strähnen, die über ihr schmales Gesicht mit der kleinen Nase fielen, gaben ihr etwas Mysteriöses, wie auch Niedliches. Wie zu erwarten, besaß sie die Hände einer Künstlerin, schmal und zärtlich, wie ihre rosa Lippen, auf denen stets das schönste und ehrlichste Lächeln lag, welches ein Mensch je gesehen hatte. Sie erweckte den Eindruck eines wahr gewordenen Traums, gesponnen von einer Göttin der Liebe und Schönheit. Ewig hätte der Prinz mit diesem leuchtenden Stern hier sitzen können, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen und dies, bis der letzte Tag aller Tag angebrochen war.

„Die Sonne geht auf“, sagte Eleonora plötzlich. Verträumt sah sie in Richtung Osten, des Prinzen Hand fest umschlossen. Zusammen wohnten sie dem anmutigen Aufstieg bei, als hätten sie ihr ganzes Leben nur auf diesen einen Augenblick gewartet.

„Wie schade“, flüsterte Eleonora betroffen, doch weiterhin lächelnd. „Ich dachte, der paradiesische Anblick einer aufgehenden Sonne würde den Fluch, der auf euch lastet, brechen. Ich habe mich getäuscht.“ Die Bardesse seufzte, nur um just ihre Hände zu Fäusten zu ballen. In ihren Augen funkelten die Feuer der Leidenschaft noch stärker als jemals zuvor. „Von mir aus! Was soll's, denn ich werde nicht aufgeben. Ich werde weitermachen, bis ihr euren Lebenssinn wiederhabt, mein Prinz.“

Sprachlos sah Prinz Dragomir Eleonora an, deren Entschlossenheit, trotz allen Scheiterns, nicht gebrochen worden war. Ungeachtet, was noch kommen möge und wie lange es auch dauerte, er konnte in ihren Augen sehen, dass sie die Wahrheit sprach. Sie würde in der Tat weitermachen, bis ihr Handel letztlich von Erfolg gekrönt war.

Da war er wieder! Dieser Schmerz! Diesmal nicht scharf wie Felsen, die aus dem Meer ragten, sondern drückend, wie die schwüle Luft vor einem aufkeimenden Sommergewitter. Kein Zweifel. Es war die eiserne Kette um des Prinzen Herzen, die immer enger und enger wurde, die sich spannte und drohte den Quell seines Lebens zu zerquetschen.

Die Sekunden verstrichen. Das Leid Prinz Dragomirs begann sich zu verschlimmern. Der Druck auf seinem Herzen wurde nun begleitet von einer Eiseskälte, die seine Lippen zittern ließ. Ein boshafter Kontrast zu der grässlich, stickigen Hitze auf seiner glühenden Stirn. Er war im Freien an der frischen Luft, doch wurde selbige in seinen Lungen immer knapper und knapper, als würde eine scheußliche Kreatur sie ihm unter einem ruchlosen Kichern stehlen. Sein Hals schnurrte sich zu, die Zunge war trocken wie die Ödnis und sein innerstes, begann sich im Kreise zu drehen. Er keuchte und schwitzte, hörte nicht einmal mehr die Rufe seiner alleinigen Heldin und spürte auch nicht, wie sie an seinen mageren Schultern zerrte. Es war ein Leiden, das allein dem Anblick von Eleonora geschuldet war. Dennoch, trotz dieses grotesken Befindens, für das es keinen Namen gab, wusste der Prinz aus irgendeinem Grund, dass Eleonora nicht nur das Übel, sondern auch die Heilung war. Und er wusste auch genau, wie dieser wunderbare Mensch ihm Linderung verschaffen würde.

Mut war gefordert, im Angesicht allen Leides und Unbehagens, drum tat er es wie ein wahrer Mann, und stellte sich diesem Kampf, dieser Schlacht, von der er spürte, dass sie zu den größten seines Lebens gehörte.

Auf eine sanfte Art legte Prinz Dragomir seine Hand, hinter Eleonoras Haupt. Ihre Wangen erröteten. Die Fragen, die ihr auf der Zunge lagen, blieben stumm. Sein Blick traf den ihren, wie Eis auf Feuer, gefangen in diesem einen bestimmten Moment des Schicksals, wo die Welt nur ihnen allein gehörte. Sie schlossen ihre Lider. Wärme durchflutete ihre Körper, als ihre weichen Lippen sich berührten. Ein Kuss der wahren Liebe zweier Menschen.

Mit einem Schlag war der Druck dahin. Ein lauter Knall ertönte im Inneren des Prinzen, als die Ketten zerbarsten und sich die Lippen der beiden wieder entzweiten.

Befreit von der Knechtschaft des Eisens, raste Prinz Dragomirs Herz in unvergleichbaren Tempo. Geknechtet vom Schrecken, sah er mit schwerem Atem auf sich herab. Ein zauberhafter Wirbel, aus blitzenden Funken und buntem Rauch, kreiste um seinen Körper, schmiegt sich um seinen Rumpf, um seine Glieder und den Kopf.

Die verbitterte Gestalt des Prinzen, begann sich zu verwandeln. Der alte, von Miseren gezeichnete Greis, wurde wieder zu dem schönen Mann von einst. Die Blässe löste sich von seiner dunklen Haut, die nun wieder straff und glanzvoll erschien. Sein krummer Rücken, richtete sich auf, das geisterhafte Weiß von Haar und Bart, wurde wieder so Schwarz wie das Federkleid eines Raben und in den braunen Augen, lag nun mehr kein Ausdruck von Trauer und Kälte, sondern ein Leuchten, wie nur das Leben ihn erschaffen konnte.

In seinem Inneren begann der Prinz endlich wieder zu fühlen, das Schöne zu fühlen. Er empfand das Gefühl von Leidenschaft, die Lust am Leben und die neu gewonnenen Kräfte, die damit einhergingen, doch waren diese Gefühle nur ein Windhauch im Vergleich zu dem Sturm, der sie überragte, welcher den amorischen Namen „Liebe“ trug. Denn nicht die Freude war es, die den Fluch der Dame in Schwarz brach, sondern die Liebe, die pure und unverfälschte Liebe für einen anderen Menschen, die der Prinz nie kennengelernt hatte und von der er nun berauscht wurde.

„Oh Eleonora, Dame meines Herzens, der Erfolg ist dein. Der Fluch ist gebrochen und ich bin frei, frei von Trauer und frei von Leid“, verkündete Prinz Dragomir frohen Herzens und mit dem Gefühl der reinen, lang ersehnten Freude, die viel zu lange im Dunklen Gefangen lag. Er nahm die Hände seiner Retterin in die Seinigen, ging auf die Knie und sah ihr tief in die Augen. „Du hast es geschafft, wo alle anderen gescheitert sind. Du hast mir die Freude wiedergegeben und noch weitaus mehr. Noch nie habe ich sie gespürt, die Liebe, doch fühle ich sie so deutlich wie den Boden unter meinen Füßen oder die sanfte Liebkosung des tanzenden Windes, allein wenn ich an dich denke. Für keine Frau habe ich je so empfunden wie für dich, die anders ist als alle anderen. Eine Frau von innerer wie äußerer Schönheit, für die Nächstenliebe und Aufopferung für andere so natürlich ist wie das Atmen selbst und fortwährend in allen, was sie tut, von der Leidenschaft begleitet wird. Also frage ich dich, auf Knien bittend und mit ehrlich sprechender Zunge, willst du mich heiraten, mich lieben wie ich dich liebe und das bis in den Tod?“

Freudentränen liefen Eleonora über die Wangen. Liebreizende Worte waren ihr nicht fremd, doch hier fühlte es sich anders an. Sie waren nicht bloß einem flüchtigen Moment der Begeisterung entsprungen, sondern versprachen, dass sie größer waren als sie klangen und für eine grenzenlose Ewigkeit andauern würden.

„Ja! Ja, ich will. Ich bin dein und du bist mein, von diesem bis zu unserem letzten Tag, mein Liebster.“

Ein Kuss besiegelte ihr Band.

Das Bekenntnis der Liebenden.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Geschichte von der Bardesse Eleonora Sonnenschein und Prinz Eisenherz, der nun fortan den Namen „Dragomir der Glückliche“ trug und vom Volk für seinen Frohsinn und die Liebe verehrt wurde, welche er, zusammen mit seiner liebenden Ehefrau, zu allen Menschen des Reiches brachte.
 



 
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