Prolog

Vorsicht! Ihr lest nur jeweils einen winzigen Auszug eines Kapitels...:

Sirmon der Historiker war Zeit meines Lebens ein wichtiger Anker gewesen, der mich in der Geschichte meiner Ahnen herumgeführt hatte. Ein Anker, an dem die Erinnerungen unseres Volkes hafteten, und der mir als mein Mentor später die Verantwortung übergeben würde, unsere Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ich fand meinen Vortrag bereits recht gelungen, hin und wieder hatte ich insgeheim ein Lob von Seiten Sirmons verzeichnen können.
Eine Vergangenheit, in der ich regelrecht aufleben konnte, mich austoben konnte, so wild ich mich auch gebärden wollte, die Erzählung fand einfach keinen Schaden darunter. Eine Vergangenheit. Die Vergangenheit eines neuen Volkes. Ich lächelte sanft. Nein, eines ‚alten’ Volkes. Das trifft den Kern der Aussage besser. Schließlich war es außerdem nicht irgendeines Volkes Vergangenheit, sondern die meines Volkes. Und der daraus resultierende Stammbaum, der bis zu mir reicht, ist durchaus sehenswert.
Ich hatte diese Geschichte schon oft gehört. So oft, dass ich sie nicht mehr als Geschichte kannte, sondern sie diesem Land zuordnete. Das Land, mein Land, war praktisch mit ihr verbunden, ich war mit ihr geboren worden. Aber dieses Land hatte sich verändert, die Geschichte nicht.
Die Felsenebene und ihre Enge war der Freiheit und dem Leben gewichen. Sie war mit einem hellen Grün überzogen, die Bewohner dieses Landstriches hatten sie wohnlich gemacht. Sie hatten das große Wasser über zwölf Generationen hinweg zurückgedrängt, Gebäude errichtet, die aber größtenteils nur im Winter genutzt wurden, während der schäumende Ozean immer wieder seinen Tribut an Land einforderte.
Noch heute versammelte sich mein Volk jedes Jahr am Fuße des Berges, von dem meine Ahnen in ihr Land gestiegen waren, um ihnen ihre Nachkommen zu repräsentieren. Mein Volk bestand aus Nomaden, die die Küste entlang reisten, Fischern, denen das Meer zur zweiten Heimat geworden war, und Züchtern von den wenigen Tieren, die hier genug Nahrung fanden.
Es waren an die zwanzig Familien, die wie meine hier zu leben beschlossen hatten. In der Vergangenheit der meisten dieser Familien spielte mindestens ein direkter Erbe der Caitia und ihres Mannes eine wichtige Rolle. Oftmals waren diese Nachfahren ausgezogen, um Lebensgefährten zu finden, und waren dann erst zurückgekehrt. So waren wir wahrhaftig eine einzige Großfamilie, die in einem Gebiet von mehr als dreißig Kilometern Gesamtlänge zu zirka dreieinhalb Kilometern in der Breite sesshaft war.
„Für heute schließen wir damit ab.“, sagte ich leise, „Es ist ohnehin an der Zeit, wieder Ordnung zu schaffen und heimzukehren.“
Ich grinste die Mitglieder der Gruppe im Feuerschein verlegen an, schlüpfte zitternd in meinen Mantel und verabschiedete mich herzlich. Als ich mein Pferd bestieg und über taunasses Gras nach Hause trabte, lächelte ich stillvergnügt in die winterlich temperierte Nacht hinein.
Ich liebte dieses Land, weil es uns die Herausforderung gab, in dieser Wildnis zu überleben. Herausforderungen waren notwendig, um die Lust am Leben nicht zu verlieren, und um Neues zu wagen und zu erlernen. Das hier, das stand für mich fest, war das einzige Spiel, das wirklich Bedeutung hatte: das Spiel, zu überleben, bis die Natur eines Tages stärker war als derjenige, der ihr Einhalt gebieten wollte.
 

Prospero

Mitglied
Hallo Elyn!

Ich hoffe, die folgenden Anmerkungen sind in etwa das, was du dir unter konstruktiver Kritik vorstellst. Lass dich auf jeden Fall nicht abschrecken, denn:

1. Sie sind subjektiv - es liegt also bei dir, sie als ganz, teilweise oder gar nicht zutreffend zu werten (wenn die eine oder andere ein bisschen hilfreich wäre, würde mich das freuen).
2. Auch wenn es relativ viel aussieht, sind es doch im Grunde nur Kleinigkeiten.

Zunächst ein Tip: Bei einer eingeschlossenen direkten Rede wird der Punkt weggelassen. (Scheint mir ein systematischer Fehler bei dir, da er auch in "Kapitel 4" immer wieder auftaucht.)
"Für heute schließen wir damit ab.", sagte ich leise.
Es müsste so aussehen: "Für heute schließen wir damit ab", sagte ich leise.
(Steht die direkte Rede am Ende, wird der Punkt natürlich gesetzt: Sie sagte: "Für heute schließen wir ab.")

Nun die Anmerkungen:

Sirmon der Historiker war Zeit meines Lebens ein wichtiger Anker gewesen, der mich in der Geschichte meiner Ahnen herumgeführt hatte. Ein Anker, an dem die Erinnerungen unseres Volkes hafteten, und der mir als mein Mentor später die Verantwortung übergeben würde, unsere Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ich fand meinen Vortrag bereits recht gelungen, hin und wieder hatte ich insgeheim ein Lob von Seiten Sirmons verzeichnen können.
Eine Vergangenheit, in der ich regelrecht [blue]vom Gefühl her würde ich das lieber vor "austoben" setzen[/blue] aufleben konnte, [blue]weil später noch eins kommt, ist dieses "konnte" überflüssig.[/blue] mich austoben konnte, so wild ich mich auch gebärden wollte, [blue]hier fehlt mir irgenwie eine Verbindung, außerdem klingt das "wollte" an dieser Stelle in meinen Ohren ziemlich altmodisch.[/blue] die Erzählung fand einfach keinen Schaden darunter. [blue]Wohl eher: "... nahm einfach keinen Schaden dabei." Mal der ganze Satz, wie er mir vorschwebt: "Eine Vergangenheit, in der ich aufleben, mich regelrecht austoben konnte, ohne dass - so wild ich mich auch gebärdete - die Erzählung dabei einen Schaden nahm. (Ich behaupte nicht, dass das unbedingt gut ist, es soll nur eine Anregung sein, wie man am Text feilen könnte. Denn insgesamt scheint mir dein Erzählstil noch nicht dort angelangt, wo du ihn eigentlich haben willst.)[/blue] Eine Vergangenheit. Die Vergangenheit eines neuen Volkes. Ich lächelte sanft. Nein, eines ‚alten’ Volkes. Das trifft den Kern der Aussage besser. Schließlich war es außerdem nicht irgendeines Volkes Vergangenheit, sondern die meines Volkes. Und der daraus resultierende Stammbaum, der bis zu mir reicht, ist durchaus sehenswert. [blue]Der ganze Abschnitt wirkt auf mich ein bisschen zu "schwafelig" (Als Leser werde ich da immer ungeduldig und schreie innerlich: Okay, ich hab 's kapiert. Nun mach mal weiter! ;))[/blue]
Ich hatte diese Geschichte schon oft gehört. So oft, dass ich sie nicht mehr als Geschichte kannte, sondern sie diesem Land zuordnete. Das Land, mein Land, war praktisch mit ihr verbunden, ich war mit ihr geboren worden. Aber dieses Land hatte sich verändert, die Geschichte nicht.
Die Felsenebene und ihre Enge war der Freiheit und dem Leben gewichen. [blue]"Ebene" und "Enge" passen für mich nicht unbedingt zusammen. Außerdem: "Die Ebene war der Freiheit und dem Leben gewichen"? Was soll das bedeuten?[/blue] Sie war mit einem hellen Grün überzogen, [blue]Was ist dieses Grün? Moos? Schimmel? Gras? Farbe? Was spricht dagegen, hier konkret zu werden: "... war von einer dünnen Grasschicht bedeckt."?[/blue] die Bewohner dieses Landstriches hatten sie wohnlich gemacht. Sie hatten das große Wasser über zwölf Generationen hinweg zurückgedrängt, Gebäude errichtet, die aber größtenteils nur im Winter genutzt wurden, während der schäumende Ozean immer wieder seinen Tribut an Land einforderte. [blue]So richtig klar ist mir hier der Zusammenhang nicht. Ich lese das Ganze so: "...die nur im Winter genutzt werden konnten, weil im Sommer der Ozean sein Tribut an Land forderte." (Allerdings muss es schon sehr kalt sein, damit ein Ozean zufriert, außerdem müssten die Gebäude dann jedes Jahr neu gebaut werden, sorry also, wenn hier etwas anderes gemeint ist.)[/blue]
Noch heute versammelte sich mein Volk jedes Jahr am Fuße des Berges, von dem meine Ahnen in ihr Land gestiegen waren, um ihnen ihre Nachkommen zu repräsentieren. [blue]Entschuldige, aber hier weiß ich auch nicht so recht, was du meinst. Soll es "präsentieren" heißen? Wenn ja: Wem werden die Nachkommen präsentiert?[/blue] Mein Volk bestand aus Nomaden, die die Küste entlang reisten, Fischern, denen das Meer zur zweiten Heimat geworden war, und Züchtern von den wenigen Tieren, die hier genug Nahrung fanden. [blue]Wie ist das zu verstehen? Das Volk besteht aus Nomaden, Fischern und Züchtern? Oder aus Nomaden, die sich in Fischer und Züchter unterteilen (allerdings passt "Nomaden" und "Züchter" nicht zusammen, dann müsste man die Tiere ja immer mit sich schleppen)? Oder meinst du, dass die Leute, bevor sie sich ansiedelten, Nomaden waren, die die Küste bereisten? (Das wiederum würde sich mit der Aussage beißen, sie seien von den Bergen herabgestiegen.)[/blue]
Es waren an die zwanzig Familien, die wie meine hier zu leben beschlossen hatten. In der Vergangenheit der meisten dieser Familien spielte mindestens ein direkter Erbe der Caitia und ihres Mannes eine wichtige Rolle. Oftmals waren diese Nachfahren ausgezogen, um Lebensgefährten zu finden, und waren dann erst zurückgekehrt. So waren wir wahrhaftig eine einzige Großfamilie, die in einem Gebiet von mehr als dreißig Kilometern Gesamtlänge zu zirka dreieinhalb Kilometern in der Breite sesshaft war.
„Für heute schließen wir damit ab.“, sagte ich leise, „Es ist ohnehin an der Zeit, wieder Ordnung zu schaffen und heimzukehren.“
Ich grinste die Mitglieder der Gruppe im Feuerschein verlegen an, [blue]Aus welchem Grund ist sie (es ist eine Sie, oder?) hier verlegen?[/blue] schlüpfte zitternd in meinen Mantel [blue]Wenn es so kalt ist, dass man zittern muss, wäre es vernünftig, den Mantel die ganze Zeit über anzubehalten. Oder verbieten das die Gesetze des Landes?[/blue] und verabschiedete mich herzlich. Als ich mein Pferd bestieg und über taunasses Gras nach Hause trabte, lächelte ich stillvergnügt in die winterlich temperierte Nacht hinein. [blue]"Tau" verbindet sich bei mir mit "Morgen" nicht mit "Nacht". Außerdem: "winterlich temperiert" deute ich so, dass Frost herrscht. Dann müsste der Tau aber zu Reif gefroren sein.[/blue]
Ich liebte dieses Land, weil es uns die Herausforderung gab, in dieser Wildnis zu überleben. Herausforderungen waren notwendig, um die Lust am Leben nicht zu verlieren, und um Neues zu wagen und zu erlernen. Das hier, das stand für mich fest, war das einzige Spiel, das wirklich Bedeutung hatte: das Spiel, zu überleben, bis die Natur eines Tages stärker war als derjenige, der ihr Einhalt gebieten wollte.

Viele Grüße,
Prospero
 
Danke, Danke, Danke, Danke.
Super, so eine Kritik hab ich mir gewünscht! Ich werde mich der kleinen Ungereimtheiten annehmen...dazu muss gesagt sein, dass ich, seitdem ich diesen Text so geschrieben habe, bereits wieder einige Verbesserungen gemacht oder ganze textabschnitte gelöscht habe. Unter anderem auch diejenigen, die du unverständlich fandest (so hab ich's aufgefasst =) )

Im Grunde weiß ich, dass die wörtliche Rede solcherlei Kleingefinzel an regeln beinhaltet. das Problem ist: mein Finger rutscht hin und wieder dahin aus, wenn cih viel zu schnell schreibe oder mich nachts an ein textstück setze. Sieht aber auch besser irgendwie abgeschlossener *g* aus.

Und noch ein Vorteil...mir bleibt hoffentlich noch massenhaft Zeit, die Fehler wieder zu beheben - ganz in Ruhe *g*

Ich wär mal gespannt, wie du die Protagonistin beurteilen würdest...was du aus diesem einen Abschnitt herauslesen kannst, der sowieso nur ein winziges Exzerpt ist.
 

Prospero

Mitglied
Hallo Elyn!

Nur keine Sorge wegen dem "Fingerausrutschen": Ich weiß, was du meinst ...
Zu deiner Frage, was ich von der Protagonistin halte (mein Eindruck nach Lesen des Prologs):

Die Figur scheint mit gut angelegt (allerdings wäre zu überlegen, ob nicht der Prolog subtile Hinweise auf Geschlecht und ungefähres Alter enthalten sollte, diese Informationen bekam ich nur aus deinem "Klapptext"). Der Leser erfährt bereits zu Beginn ein paar Dinge, aus denen er eine Vorstellung von ihr entwickeln kann. Sie hat einen Job - oder ist dabei ihn zu lernen -, der offenbar wichtig ist und den nicht jeder machen kann. Daraus kann man schon einiges schließen: Sie ist nicht die dümmste, darüberhinaus ernsthafter und auch nicht so oberflächlich wie es vielleicht die meisten ihrer Altersgenossen sind. Sie hat ihren "eigenen Kopf" und besitzt Verantwortungsgefühl. Dieser besondere Job verleiht ihr einen Hauch von "Auserwähltsein" und genau das ist es - meine ich zumindest - was ein Leser bei seinem Helden, mit dem er sich zu identifizieren sucht, am liebsten mag: dass er sich von der Masse abhebt, Gaben besitzt, die andere nicht haben, ein bisschen über den Dingen steht, eben "etwas Besonderes" ist.
Gut dabei, dass der Leser all das nicht direkt aufs Brot geschmiert bekommt, somit genügend Spielraum hat, die Figur in seinem Kopf lebendig werden zu lassen. Das gilt auch und besonders für ihre äußere Erscheinung. Du gehst - richtigerweise, meine ich - im Prolog nicht darauf ein; der Leser (ich stelle sie mir mit langen blonden, vielleicht zu einem Zopf geflochtenen Haaren und natürlich sehr schön vor ;)) wird sich trotzdem ein Bild von ihr machen.

Nun etwas "Kritisches": Zum Schluss - ist mein Eindruck - wirst du dieser Linie etwas untreu.
Ich liebte dieses Land, weil es uns die Herausforderung gab, in dieser Wildnis zu überleben. Herausforderungen waren notwendig, um die Lust am Leben nicht zu verlieren, und um Neues zu wagen und zu erlernen. Das hier, das stand für mich fest, war das einzige Spiel, das wirklich Bedeutung hatte: das Spiel, zu überleben, bis die Natur eines Tages stärker war als derjenige, der ihr Einhalt gebieten wollte.
Der erste Satz ist okay. Stilistisch könnte man vielleicht daran feilen ("Wildnis" z.B. scheint mir hier nicht ganz passend, da denkt man eher an Wälder und Dickicht als an die karge Landschaft, die du beschreibst), aber sonst ist es gut: Du schreibst, was deine Heldin empfindet, und begründest warum (was nötig ist, weil die Aussage sonst zu beliebig wäre). Im Folgenden aber gibst du die Ansichten deiner Heldin explizit wieder, und das wirkt ein bisschen aufgesetzt, vor allem auch deshalb, weil es sich um einen "Ich-Erzähler" handelt. Würdest du das Vorhergehende ein bisschen ausbauen, wäre das vielleicht nicht unbedingt nötig: Wenn sich der Leser in die Protagonistin hineinversetzen kann, wenn er sie "kennt", weiß er auch wie und was sie denkt.

Gruß,
Prospero
 



 
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