Rambo

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lietzensee

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Rambo​

Sie nannten ihn immer noch Rambo. Mit verblassten Tattoos saß er im Unkraut seines Gartens. Nachdenklich blickte Rambo auf den morgendlichen Tau. Dann öffnete er eine Flasche Bier. Heute schien der richtige Tag, um Bilanz ziehen.
Gestern erst hatte er im Spiegel seine Falten gezählt, aber das war der natürliche Verfall seines Körpers und nicht die Art von Bilanz, um die es ihm jetzt ging. Um was ging es ihm aber? Er überlegte. Seine vielleicht früheste Erinnerung war an ein Kartenspiel mit seinem Bruder: "Sieben, zwei ziehen, noch eine Sieben, noch mal zwei ziehen und Mau-Mau, du Rotzwanst!" Ungläubig hatte er auf die Karten vor ihm gestarrt und plötzlich das Blut in seinen Ohren rauschen gehört. "Schmu!", rief er, "Schmu!" Ohne nachzudenken, ballte er seine kleinen Fäuste und schlug zu. Der Bruder, vier Jahre älter und damals einen Kopf größer, wich mühelos aus und seine Antwort hatte Rambo die Nase gebrochen.
Eine Katze huschte durch das verwilderte Gras. In diesem Garten hatte er ein Haus bauen wollen, sobald er genug Geld verdiente. Unterm Holunderbusch rostete der Rasenmäher. Zwei Stühle und ein Klapptisch standen auf den Kiesweg. Rambo trank. Er blickte zu einer Krähe auf, die über dem Garten kreiste.
Locke hatte er damals bei der Tanzstunde kennengelernt. Beide hatten sie Regine Hartwig zum Tanz auffordern wollen. Ihm kam die Idee aber zuerst. Mit Herzklopfen näherte er sich dem aufwendig frisierten Mädchen - plötzlich drängte Locke sich dazwischen. Das Blut rauschte in Rambos Ohren. "Das regeln wir vor der Tür!" Erst draußen im Laternenlicht sah er, auf welch breite Schultern die blonden Locken seines Gegners fielen. Sie starrten sich an, wie Westernhelden vor dem Duell. Blitzschnell griff Locke dann in die Tasche seines Jacketts und zog einen Flachmann hervor: "Doppelkorn gefällig?" Beide lachten. Durchs Saalfenster sahen sie, wie Regine mit dem dicken Schneider aus der zehnten Klasse tanzte. Sie tranken und waren sofort beste Freunde - bis Locke lallte: "So schnell wie du ausrastest, dich werde ich Rambo nennen." Was für ein dummer Spitzname, dachte er und das Blut in seinen Schläfen hatte sofort zu rauschen begonnen.
Die Krähe ließ sich auf dem Dach der schiefen Laube nieder und schaute auf ihn herab: "Krah." Rambo blickte auf einen Stein in Griffweite, überlegte aber dann, was dieses Krah ihm sagen sollte. Wie leicht kam es zu Missverständnissen.
Leider war es zu diesem Tag vor zehn Jahren gekommen. Er hatte keine Lederjacke getragen, sondern Anzug. Die Hemdärmel hatten seine Tattoos sorgfältig verdeckt. "Sie sind allerdings etwas älter, als unsere anderen Bewerber ..." Ja, das war er gewesen. Er hatte sich nach der abgebrochenen Lehre und den zwei gescheiterten Selbstständigkeiten noch mal aufgerafft und versucht, neu anzufangen. Dieses Mal sogar mit Anzug und Hemd! Es konnte doch nicht immer alles schiefgehen. Im Gespräch argumentierte er, dass dieser Wille zum Neuanfang doch eine Stärke von ihm sei. Die Frau, die ihn interviewte, nickte und machte sich Notizen. "Und wie schätzen sie ihre Fähigkeiten im Umgang mit Kunden ein?" Rambo erklärte ruhig, dass er jedem Menschen mit Empathie begegnen wollte. Außerdem habe noch niemand ein Gespräch mit einem Kunden gewonnen. Die Dame lächelte. Dann sagte sie: "Nach ihrem polizeilichen Führungszeugnis, scheinen sie aber nicht immer so ruhig zu bleiben." Ihr Lächeln verschwand und sie blickte ihn über den Tisch hinweg an. Sein Mund stand offen. Als er statt einer Antwort nur Stottern hervorbrachte, spitzte die Frau ihre geschminkten Lippen. Sie machte einen Strich durch ihre Notizen. "Die Zeit hätten wir beide besser nutzen können. In unserem Vertrieb brauchen wir niemanden, der sich aufführt wie ein Rambo." Er starrt auf den Strich, der all seine Hoffnungen zunichtegemacht hatte. Er starrte auf den Stift und dann auf ihre Hand. Blut rauschte in seinen Ohren. Überrascht hatte Rambo dann auf die eigene Faust geblickt, als sie die Finger der Frau traf.
Er biss seine Zähne zusammen, dass sie gegen den Hals der Bierflasche schlugen. Danach hatte er sich aufgeregt, dass die dumme Schlampe ihn so provoziert hatte. Warum hatte sie ihm nicht den Job gegönnt, den er so dringend brauchte? Rambo blickte zu der Krähe auf. Tage später, bei einem Bier im Garten, hatte Locke dann laut überlegt, ob die Frau nach so einem Hand-Bruch überhaupt wieder arbeiten könnte. Hastig trank Rambo den Rest der Flasche aus. Er rülpste. Irgendwie hatte die Frage von Locke ihn aus der Bahn geworfen. Hier im Garten hatte er lange darüber nachgedacht. Über die Hand, über die Bewährungsstrafe und über sich selbst. Die Krähe sah ihn forschend an. Seit dem hatte er keine Zeit mehr zum Rasenmähen. Er dachte nach. So vieles blieb unklar.
Die ungeölte Gartenpforte quietschte und Locke stand vor ihm: "Sitzt du schon wieder hier und bläst Trübsal? Heute wird mal gefeiert!" Er pustete in eine Faschings-Tröte und setzte Rambo einen bunten Papphut auf. "Herzlichen Glückwunsch!" Er überreichte ihm ein mit Geschenkband umwickeltes Sixpack. "Wie fühlt es sich an, nun vierzig Jahre alt zu sein?"
"Naja", Rambo zögerte, "ich denke halt viel nach." Als er dies laut aussprach, entschied er, dass es auf die Haben-Seite seiner Bilanz gehörte. Er hatte das Nachdenken gelernt.
"Hauptsache, du bist zufrieden, Rambo."
Auch dass er sich über Spitznamen nicht mehr aufregte, gehörte zum Haben. Lächelnd deutete Rambo auf den kahlen Schädel seines Freundes: "Man soll zufrieden sein, mit dem, was man hat, Locke." Sie stießen an, lachten und tranken Bier in seinem grünen Garten.
 

petrasmiles

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Warum muss der Weg zu dieser Erkenntnis immer steinig sein? Na ja, weil der Mensch nun einmal so ist.
Sehr, sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 



 
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