Rausch und Rhein

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Bahnhofbrückenbogenstrahlen
Stahlgezähn wächst rundgespreizt
Graugebraute Brühe ölt die
wellenbraunen Klatschgeräusche
glänzend ein. So traumvertraut
und traurig rollt ein Kahngetrudel
durch die kühlen Luftgestrudel
durch die Haare hier auf meinem
Unterarm. Ich spüre rieche
Rieselregens leis Gespreche
und ich breche Bimssteinschwämme
recht und schlecht zu Mondgestein

Das spröde Feinkanalgewächs
verrauscht verrinnt und unter meinen
trocknen Schritten schläft der Rest
zu Staubgeruch und Teergespei

Im feuchten Laub der weiße Pilz
belauert meine Mitternacht
und bin zum Tode ich erwacht
durchdringt er mich und trinkt geheimer
Lebenssäfte süßen Seim
und bittergrünes Weingeschleim
und saugt mich Rausch und Rhein in sich
so gierig tief hinein in sich
und saugt mich Rausch und Rhein in sich
so gierig tief hinein in sich
so gierig tief hinein in sich
so gierig tief hinein
 
O

orlando

Gast
Hallo mondnein,
schon beim ersten Lesen erinnerte mich dein Gedicht klammheimlich an die Entstehung der Rheinischen Sinfonie von Schumann.
Gerade lief auf SAT3 ein Film über dessen Frau, die schöne Clara, und ich erhielt (fast) Gewissheit.
Drum sag mir: Stimmt`s?
Falls ja, sähe ich dies als wunderbaren und originellen Einfall - falls nicht, immerhin als ein sehr klangvolles Gedicht. :)

LG
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Liebe Orlando!
Ich hatte eigentlich befürchtet, daß irgendein Jeck mir ein "Alaaf" zuschreit und mir seinen Arm zum Schunkeln anbietet. Godthanks, it's Highdroon.
Du bist nicht nur ein herausragender poeta (oh ja!), sondern zugleich ein genauer Hinkucker. Da ordnen sich die angeschauten Körner gern: manchmal wie die Feilspäne in den Feldlinien, manchmal zum Spinnenwebmuster zerbrochener Fliesen.
Ich stamme aus Köln und wohnte dort noch (zwischen 75 und 85), als ich in Bonn studierte; und ich schrieb das Lied nach einsamen Spaziergängen in der Südstadt, durch den Hindenburgpark zu den Rheinwiesen. Oben auf der Südbrücke, toller Landschaftsblick über den quirligen Strom mit seinen vielen Lastkähnen zur Innenstadt hin bis zur Hohenzollernbrücke mit der etwas zu groß geratenen zweitürmigen schwarzen Bahnhofskapelle daneben. An den Pfeilern der Südbrücke klebten gelegentlich (nicht meine) Gedichte - nicht solche hexenhaften Parodien auf Schunkelphrasen wie dieser magisch-alberne Proto-Rap, sondern die auch heute noch beliebte Betroffenheits-Flatterrandprosa.
Schumann ist von Sachsen an den Rhein gezogen, da-dann schrieb er seine wunderbare Sinfonie. Ich zog erst einmal von Köln in die Brinkmann-Stadt Vechta, so wie dieser damals von mir gerngelesene Dichter von Vechta nach Köln gezogen war; und von dort vor 18 Jahren in die Jakob-Böhme-Stadt, nicht zu weit weg von den Geburtsorten Kästners und Ringelnatzens. Von Ringelnatz bin ich zur Zeit geradezu besessen. Ja so disparat patchworkt sich das Leben: Ich bin ja auch hendrixbesessen, zugleich ein fein ausgearbeiteter Wagnerkenner, liebe Deine Gedichtevielfalt und blicke nicht durch alle Rätsel durch, die Du da gelegentlich stellst. Ich habe eine Idee: Ich bringe (statt des nunmehr fünften Achtsterngedichts) ein altes Liedchen hier ein: eine abwärtsgehänge und bleichgetrocknete Rose für Dich.
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Mondnein,

da steht das Ich unter einer Rheinbrücke und erzählt, was es sieht und wie es sich fühlt, und am Ende hat es davon genug und der Rhein fordert aus irgendeinem Grunde sein Opfer. Oder so ähnlich, jedenfalls glaube ich, das aus dem vorstehenden Text herausgelesen zu haben. Da schlängeln sich die Wort-Rocaillen von Vers zu Vers, und man hat Mühe, das Geringel, Gerangel und Gestrudel zu entwirren, das reinste Rokoko, auf "modern art" getrimmt.

Nur eine Frage: Wie oder auf welche Weise kann sich selbst ein Rest eines Feinkanalgewächses unter trockenen Schritten zu Staubgeruch und Teergespei schlafen? Oder: Wie rollt ein Kahngetrudel durch die kühlen Luftgestrudel durch die Haare hier auf den Unterarm des Ich? Schwer vorstellbar, das Ich mit dem tonnenschweren Kahngetrudel auf dem Arm. Aber klar, es scheint zu funktionieren, ich les es ja: Traumvertraut und traurig. Behauptet jedenfalls der Dichter, der sicher glaubt, eine gewisse Durchsicht in all dem Getrudel und Gestrudel zu haben. Aber das ist weder glaubwürdig, noch ein Bild, noch sonstwie lyrisch, das ist, wenn du den Ausdruck gestattest: Gequirlter Käse. Du bist in die älteste Falle des Lyrikers hineingeplumpst: Du willst Kunst machen, und du glaubst, du hättest Kunst gemacht. Aber dummerweise kommst Kunst von Können und nicht von Wollen. Das ist der ganze Haken an der Leichtigkeit des Kunstmachens.

Liebe Grüße, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
gequirlter Käse

Ich weiß auch nicht, wie sich etwas zu etwas schlafen kann, da "schlafen" nicht reflexiv, sondern intransitiv ist. Im Text steht deshalb auch kein Reflexivpronomen. Es ist auch nicht die Rede von irgendeinem armen "Opfer", das der Rhein fordert (obwohl ich immer dazu bereit bin, solchen verschnarchten Göttern ein Opfer zu bringen, etwa ein Trankopfer, oder einen musikalischen Spruch).
Ansonsten darfst Du natürlich in meine Texte hineinlesen, was auch immer Du möchtest, das ist die poetische Freiheit des Lesers, ohne dessen Phantasie, tänzerische Musikalität und Imaginationskraft das alles bloß lateinische Buchstaben oder bestenfalls deutsche Wörter wären.
Wenn das "gequirlter Käse" ist, dann spricht das für den "gequirlten Käse", was auch immer das sonst für eine Spezialität sein mag. Es muß aber nicht jeder alles mögen. Denn Geschmack kommt von Schmecken ("sapere aude!"), nicht von Schmock.
Danke für die sympathische Einladung zu Deinen Texten!
 
O

orlando

Gast
Hallo Hansz,
dein Kommentar freut mich ebenso wie dein gelungenes Gedicht. :)
Da ich ein Mensch bin, der eher in Bildern als in Begriffen denkt, quillt mein Kopf natürlich förmlich über. Da gibt es alte Meister, Abstrakta, Fotografien und viel Musik, die ebenfalls an Bilder gebunden ist. Gern auch an die Oper. -
Über Wagner mag man denken, wie man will (und es gibt in politischer Hinsicht viel Grauenvolles anzumerken), so hat er doch Musikgeschichte geschrieben und zudem viele begnadete Autoren beeinflusst, insbesondere natürlich Thomas Mann, der einige seiner Romane wie Wagneropern formte.
Doch ich möchte nicht zu sehr abschweifen.
Auch Schumann war den Rheingöttern verfallen, die für ihn - ebenso wie für Wagner - gleichsam eine Verbindung des Mythos zur Zukunft darstellten. Oder besser: Mythos und Neuzeit standen ihnen gleichberechtigt nebeneinander.
Ich finde diese Vorgabe sehr schön und sie beeinflusst auch meine bescheidene Lyrik. -

Fein, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. - Gerade deine Adaption des Mythos in die Jetztzeit finde ich aus o. Gründen besonders gelungen.
Herzliche Grüße
Heidrun
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo,
ich durchschaue das nicht ganz und nicht wirklich,

aber es klingt gesprochen wirklich gut.

hat was - in meinen ohren - von einer beschwörung.

worte deren tieferer sinn sozusagen im rheinbett liegt.

sehe hier anklänge moderner art an den mythos vom vater rhein, von der lorelei und auch vom rheingold der nibelungen.

für mich liegt ein zauber auf diesen worten und der gewählten form.

spräche so der rhein, wenn man sein rauschen, sein strömen durch die zeiten in eine menschliche sprache übersetzte?

charon wird`s wissen

lg
ralf
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, danke und danke!
Bitte überseht nicht das ganz amythisch Moderne in dem Rap: Die stählerne Eisenbahnbrücke (die Südbrücke changierend oder imaginativ "verwechselt" mit der Hohenzollernbrücke), die trudelnden Lastkähne (ich höre darin deren charakteristisches Motorengeräusch), der Ölfilm, das "Teergespei", der völlig unkarnevalistische, nämlich nicht gerade alkoholische, eher magische "Rausch" mit seinen fast halluzinativen hyperbolischen körperlichen Sensationen (Kahngetrudel quirlt durch Haut und Haar), z.B. auch die von Fettauge trefflich wahrgenommene surreale Wendung, daß da der Bimsstein zum Staubgeruch - nicht einfach "wird", sondern - "schläft". Der Wandel des Bewußtseins ("schläft") ist da hinausprojeziert in die äußeren Materien, und die wiederum erscheinen in diesem Wandel sublimiert, eben "zu Staubgeruch und Teergespei". Innen ist ganz außen, Außen ganz innen.
 



 
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