Romantiksynkopen

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sufnus

Mitglied
Romantiksynkopen

Unter dem Holunderbaum
mit ausgehackten Augen
denn jugendlicher Übermut
gilt nicht für späte Zonen

Verwunschkindplanung
Neingesichtsverzicht
hier war mal Dudorfs letzter Mischbetrieb
die Liebe ist die Startbahn West

Man prüfte tief im Germergrund
die Eigenart von Schutzreflexen
im isolierten Rattenherz

So lebt sichs ohne Warmalräuspern
der letzte Mensch bedankt sich für
Besuch in Grimms Café
 

N. Valen

Mitglied
Lieber snufus,
deine Texte leben von diesen schroffen Bildern, die sich wie Splitter ins Gedächtnis setzen. Hier haben mich besonders der Holunderbaum und das isolierte Rattenherz erwischt – starke Metaphern.
Gleichzeitig zerfasert das Ganze für mich ein wenig in Richtung Collage: die Übergänge wirken weniger zwingend als in manchen deiner anderen Texte. Das macht den Reiz aus, kann aber auch den Lesefluss brechen.
Für mich bleibt ein Mix aus sehr starken Einzelmomenten und einem lockeren Gefüge, das Raum für Interpretationen lässt.
Viele Grüße
N. Valen
 

sufnus

Mitglied
Hey @N. Valen !

Sorrysorrysorry! Deine Anmerkung ist mir leider durchs (aktuell etwas grobporige) Mentalsieb gerutscht!
Dein Empfinden beim Lesefadensuchversuch kann ich gut nachvollziehen - denn ich teile es. :)

Ich sag es jetzt mal in meinen Worten und hoffe, es deckt sich so einigermaßen mit Deinem Eindruck: Was wir hier haben ist ein Gedicht ohne durchgängigen "Handlungstrang", ja es gibt nicht einmal einen wirklich konsistent durchgehalten Assoziationsraum, in dem sich die Bilder und Metaphern einigermaßen "logisch" treffen könnten. Jede Strophe hat so ein bisschen eine eigene Motivik, wobei - wenn ich mal die Musik als Analogie verwende - auch innerhalb der Strophen kein leicht nachsingbarer "Melodiebogen" existiert, insgesamt wäre das, wenn es ein Musikstück wäre, vermutlich ein recht neutönig-atonales Gebilde. Im Prinzip ist also auch Dein Vergleich mit Collagen sehr stimmig. :)

Vielleicht haben - zumindest die einzelnen Strophen - aber auch ein bisschen was Pointilistisches: Wenn man z. B bei der zweiten Strophe "ganz nahe rangeht", also versucht jeden Ausdruck zu "entschlüsseln" und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zeilen dieser Strophe zu benennen, dann löst sich der Text in ein ziemlich unverbundenes "Gekleckse" auf. Tritt man einen oder zwei Schritte zurück, bemerkt man (vielleicht?), dass hier tatsächlich gewisse brüchig-romantische Schwingungen angedeutet werden, ein etwas mehrdeutiges Kind in seiner planerisch-potentiellen Darreichungsform ist im Spiel (ist es nun eher ein Wunschkind oder ist es wie im Märchen ein verwunschenes Kind - bleibt unklar), ein Verzicht fügt weiteres (womöglich) Schmerzliches hinzu, wobei auch hier offen bleibt, ob der Verzicht eines Gesichts oder auf ein Gesicht oder auf ein Nein oder Neingesicht oder wie auch immer nun wirklich etwas Negatives beschreibt oder sogar eine Loslösung von etwas Schlechtem. Mit "Dudorf" tritt nun ein Du hinzu, aber irgendwie mit Abgesangsnostalgiebeimengungen und einem schwer greifbaren "Mischbetrieb" (zwei Menschen, die sich "mischen"?!). Auch die "Startbahn West" ist irgendwie mehrdeutig, nicht eindeutig positiv oder negativ besetzbar, wird aber zumindest klar mit der Liebe identifiziert und dies gibt m. E. den "thematischen" (naja) Schwerpunkt dieser Strophe wieder.

Und was vielleicht ein bisschen einen ganz schwachen "Leseführer" durch das gesamte Gedicht bieten kann, ist das Thema "Märchen", denn irgendwie klingt das Wort Holunderbaum schon beinahe ein bisschen märchenhaft (finde ich) und splattermäßige Gewaltexzesse sind ja auch typische Märchenmotive wie etwa die "ausgehackten Augen" oder das herausgerissene Herz (wenn man "isoliert" im chirurgisch-präparatorischen Sinn versteht und nicht im üblicheren sozialen Wortgebrauch, der aber natürlich auch mitschwingt). Dieser etwas brüchige Märchenton wird dann ja auch zu-guter(???)-letzt durch das Stichwort "Grimm" besiegelt.

LG!

S.
 

N. Valen

Mitglied
Lieber snufus,

deine Rückmeldung liest sich fast wie ein zweites Gedicht – allein schon deine Musikanalogie gefällt mir, weil sie das Atonale ins Bild hebt. Ja, es ist eine Collage, und vielleicht auch ein Stück Partitur ohne Melodiebogen.
Gerade deshalb fand ich deinen Hinweis auf das Märchenthema so stimmig: Holunderbaum, Herz, Grimm – das sind wie kleine Leitmotive, die zwischen den Splittern auftauchen und sie für einen Moment bündeln. Für mich macht das die Spannung aus: brüchig und fragmentarisch, aber mit dieser märchenhaften Grundierung, die den Ton hält.
Danke für deine ausführliche Selbstreflexion – sie hat meinen Eindruck eher noch verstärkt, dass du hier sehr bewusst mit Brüchen arbeitest.

Viele Grüße
N. Valen
 



 
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