Rostiges Auto

Blue Sky

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Nun sitze ich wieder darin und merke, es ist eine Zeitmaschine.
Ich erinnere mich genau, wie damals meine Freundin und ich im Showroom beim FOH standen und an unser anlächelndes Zuzwinkern, als wir den kleinen Wagen in der Reihe entdeckt hatten.
Zwanzig Jahre lang fuhren wir mit ihm liebend gern fast vierhunderttausend Kilometer, bis der Rost ihm zu arg zusetzte. Mehr als zehn Jahre war unser Corsa dann auf dem Hof teilzerlegt eigentlich nur im Weg. Der Motor stand in der Garage, die Innenausstattung sowie andere Teile in Kartons und Decken verpackt auf dem Dachboden. Mein Projekt von einer Grundsanierung des Kleinen wurde mit Budget und Zeitgründen immer weiter auf unbestimmt verschoben. Auch fragten mich unentwegt Leute, was ich mit dem alten Schrotthaufen wolle? Da ich doch täglich Fahrzeuge restaurierte, welche hunderttausende wert seien, wäre diese rostige Möhre nur Zeitverschwendung. Zudem gab die aktuelle Klimapolitik dem kleinen Wagen keine Zukunft, so mein vorgegebener Glaube. Lange Zeit schloss ich mich den Meinungen der Spottdrosseln an, was mich strichweise selbst zu einer solchen werden ließ. Trennen konnte ich mich trotzdem nicht von dem Kleinen.
Im Laufe der Zeit wurde alles, was ich einst liebte, nach und nach eingezweifelt. Langsam, schleichend progressiv, ergab nichts, was ich machte und tun sollte, noch einen Sinn. Es führte und eskalierte unbemerkt in kompletter Interesselosigkeit. Hätte sich jemand ernsthaft nach meinem Befinden erkundigt, wäre es womöglich aufgefallen. Unter einer Abdeckplane auf fachgerechte Entsorgung zu warten, schien die einzige Lösung. Rostig, löcherig, klapperig, alt, zerlegt, sinnlos, hätte ich nur auf ein Nachfragen antworten können.
Knapp vor der Trennung von allem, was mir einmal wichtig war, gab es die eindeutige Diagnose. Eine professionelle Behandlung, die daraufhin folgte, konnte neue Kraft in der Anstrengung gegen die Oxidation mobilisieren. Sie brachte mir ebenfalls die Erkenntnis zurück, dass mein Weg das Ziel ist und nichts anderes.

Die tiefsten Schweißarbeiten sind abgeschlossen, die Sitze wieder drin und Reisen in die Vergangenheit möglich. Nicht nur Schönes hatten wir zusammen erfahren und gesehen, aber dieses Neuerleben ist meine Grundlage für den Wiederaufbau. Ein Neuanfang, Stück für Stück wie für das Auto auch, hat begonnen. Wo wir eines Tages parken werden, weiß ich wohl erst, wenn wir wieder zusammen auf Tour sind. Bis jetzt aber sieht es nach einer sehr vielversprechenden Gegend aus.
 
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