Rotbäckchen und der böse Wulf

rotkehlchen

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Sie haben mir Papier und Schreibstift hingelegt und gesagt, ich soll es aufschreiben. Handschriftlich. An der Handschrift könne man erkennen, ob jemand lügt. Herr Dr. Schimmelpfeng, nichts für ungut, aber halten Sie mich für eine Idiotin? Etwas mehr Vertrauen in die weibliche Intelligenz könnten Sie schon haben! Glauben Sie, ich überlege mir nicht jeden Satz zweimal, bevor ich ihn aufschreibe? Gerade Lügen wollen gut überlegt sein! – Verstehe. Der Staatsanwalt hält mich für die Mörderin, weil niemand anderer infrage kommt, und ein Motiv hätte ich auch gehabt. Sie wollen die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, ich soll nichts auslassen, nicht die kleinste Kleinigkeit, und ich soll so schreiben, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Schließlich seien Sie mein Strafverteidiger und müssten wissen, was wirklich passiert ist. Gut, ich schreibe das, was ich weiß, und ich lasse nichts aus. Nicht die kleinste Kleinigkeit. Und ich schreib, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Aber wundern Sie sich über nichts...

1
Jemand kniff mich in den Hintern. Ich blickte an Fat Domingo vorbei in die Glitzerwand mit den Buddeln. Wulf, natürlich. Sein Gesicht, spiegelverzerrt, unter der spitzen Nase das Fantombild einer halbvollen Schnapsflasche, grinste mich über meine linke Schulter einfältig an. Blitzschnell drehte ich mich um und knallte ihm eine. „Autsch!“ rief er und massierte sich übertrieben eifrig die Wange, „auf die andere auch noch eine!“
„Das könnte dir so passen, du Heini!“, rief ich, „höchstens beim nächsten Kneifangriff! Aber dann mit Schlagring, und du spuckst Zähne!“ Der dicke Barmann grinste fettig. „Halt du dich da raus, Alter!“, fauchte ich ihn an, „und wisch dir mal das Eigelb aus dem Mundwinkel!“
Wulf lachte gequetscht. Das tat er immer, wenn er nicht mehr weiter wusste, der Halbidiot. Zum Beispiel, als ich ihn erwischte, wie er ins Waschbecken pinkelte. Schwatzte irgendwas von desinfizierender Wirkung. Hätte ihn damals ohrfeigen können, na, jetzt war´s nachgeholt...
Früher, als wir noch zusammen waren, da brachte mich diese halbgare Lache und sein Geschwafel regelmäßig zur Weißglut. Hey, wenn jemand über seine eigene Dummheit herzhaft lacht – okay, dann hat er wenigstens noch etwas Grütze im Kopf. Aber dieses hirnlose Kich-Kich-Kich, das war so verklemmt, so schauerlich verklemmt wie der ganze Kerl. Und dann diese dummen Sprüche, wie: Ich kann auf alles verzichten, nur nicht auf den Luxus, oder: Hat keinen Zweck, dass ich an mir arbeite, hab einfach zu viele Fehler. So´n Quatsch! Wo er die wohl her hat? Auf seinem Mist können sie nicht gewachsen sein, dafür ist er viel zu denkfaul. Hätte ich ihn früher durchschaut, wäre mir vieles erspart geblieben. Ja, hätte hätte hätte... Dabei hätte ich gewarnt sein müssen. Er aß salzlos und keine Eier, vermutlich, weil er genug an seinen eigenen hatte. Vor allen Dingen: Ich hätte ihn nicht mehr am Hintern – im wahrsten Sinne des Wortes!
Mein Ex-Lebensgefährte setzte sich auf den Barhocker neben mir und rief dem Dicken zu: „Wie immer!“ Soll heißen: Ein Bier, ein Kurzer.
„Willste auch ´nen Leo?“, fragte er mich.
„Jetzt, am heiligen Sonntagvormittag um halb elf? Nee, eher nicht, ich bleib bei Kaffee.“
„Na dann eben nich, alte Eule!“
Die Pinte war bis auf zwei notorische Frühtrinker, die ziemlich abseits und mit ausdruckslosen Bulldoggenvisagen über der Theke hingen, leer – uns beide und Fat Domingo ausgenommen.
„Wo brennt´s denn nun schon wieder?“, fragte ich. Natürlich hatte Wulf mich nicht hierher gebeten, um mir einen Leo zu spendieren. Kurz: Irgendetwas lief da bei ihm wieder mal schief. – Wie? Leo? Ach so! Das war nun wieder so eine Marotte von dem Dicken. Der hatte bei der Taufe anscheinend zu viel Weihwasser verschluckt und war seitdem partiell nicht mehr ganz richtig im Kopf. Mit Leo meinte er der den Papst Leo mit der Seriennummer XI – also ein Bier, ein Kurzer. Wenn er einen 'Johannes' auf den Bierdeckel kritzelte, stand da XXXIII. Er hatte für jede Zeche eine passende Papst-Nummer parat, nötigenfalls wurden die Nummern mehrerer Päpste zusammengezählt. In diesem katholischen Kaff gewiss nichts, worüber man sich wundern müsste.
Fat Domingo brachte das Gewünschte und kritzelte seinen Leo auf den Bierdeckel.
„Mord“, sagte Wulf und kippte den Kurzen.
Ich musterte ihn. Wulf! Wie kann man ein Kind nur Wulf nennen! Und zu dem passte es überhaupt nicht. Schafskopf hätte eher gepasst! Schafskopf Luuser! Aber Wulf? Und dann noch Ungefuckt? Wulf Ungefuckt. Für jeden anständigen Wolf eine Beleidigung! Da versuchen sie seit einem Jahr in irgendeinem norddeutschen Waldwinkel einen sogenannten Problemrüden 'aus der Landschaft zu entnehmen' – und er entwischt ihnen immer wieder! Klasse, das Tier! Den Wolf würd ich gerne küssen, aber wen hab ich Arschgeige stattdessen geküsst? Dreimal dürfen Sie raten! Wulf Ungefuckt! Manche Leute haben Namen... Gut, gut, merke selbst, ich schweife ab... `tschuldigung!
„Soso Mord“, sagte ich, „ein Mord ist natürlich für eine Mordkommission eine verteufelt unangenehme Angelegenheit.“
Entweder verstand er meine Ironie nicht, oder er hörte wieder mal nicht zu.
„Dieser schon“, sagte er nach einer Weile.
Ich: „Was, dieser schon?“
Er: „Es ist kein gewöhnlicher Mord.“
Ich: „Kann man sich an Mord gewöhnen?“
„Herrgottnochmal! So mein ich´s doch nicht!“
„Wie meinst du es dann?“
„Ich... ähhh –“
„Mehr fällt dir dazu nicht ein?“
„Nun ja...“
Allmählich verlor ich die Geduld. Diese Dämlichkeit war einfach peinlich. Sogar Fat Domingo grinste hinter vorgehaltenem Putztuch. „Na schön, beziehungsweise nicht schön“, sagte ich, „nur, was hab ich mit der Sache zu tun, Sir? Du bist schließlich Mord-Bulle und wirst dafür auch noch bezahlt!“ Damit sich keine Missverständnisse einschleichen: Wulf war immer noch einfacher Kommissar, dabei hätte er dienstaltersmäßig schon längst OK oder sogar Häuptling sein müssen. Dreimal dürfen Sie raten, warum.
Wulf ergriff sein Bier und trank so hastig, dass er sich verschluckte und husten musste.
Eine Welle kummervollen Mitleids überrollte mich. Schließlich hab ich diesen Kerl mal geliebt, wenn auch nur kurz, aber dafür knackig.
„Habt ihr schon eine*n Verdächtige*n?“ Blöde Genderei.
„Ja.“ Er wischte sich den Schaum vom Mund.
„Na dann spute dich schnell, Schwager, und hurtig festgenommen!“
„Festgenommen ist schon, und gestanden wurde auch“, sagte er kleinlaut.
„Ja was guckst du denn so, als hättest du feucht gefurzt? Das ist doch mal was! Lös den Fall, und du wirst noch Kriminalrat!“
Wieder lachte Wolf auf diese scheiß-verklemmte Art. Ich hätte ihn erwürgen können.
„Kriminalrat! Auch das noch! Will ich ja gar nicht werden! Ist nur noch mehr Arbeit.“ Typisch Wulf.
Ich: „Ja warum baggerst du mich dann an?“
Ein längeres Schweigen. Dann er: „Ich brauch deine Hilfe als Frau.“

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Fat Domingo trotz seiner katholischen Scheiße im Kopf von uns dreien noch der Vernünftigste ist. Er redet kaum, und wenn er redet, dann nur in allerkürzesten Sätzen, sodass ihn auch Zuwanderer mit geringsten Deutschkenntnissen verstehen. Das macht sie glücklich, und sie bestellen auf seinen Rat hin noch einen Johannes. Keine schlechte Marketing-Idee. Und, trotz seiner idiotischen Zahlen, der Kerl verrechnet sich nie. Aber ich hab mich in meinem Leben schon so oft verrechnet – eins plus eins ergibt bei mir immer drei. Sollte mal Päpste addieren, vielleicht hab ich dann ja mehr Glück. Und verstehen? Wen denn bei dem Quatsch, denn die Leute so von sich geben? Gut, ich hab´s versucht. Zuletzt mit Wolf, aus Mitleid. Ja, aus Mitleid, Sie haben richtig gelesen. Der Kerl kam mir so herrlich hilflos vor, und da erwachte mein Bemutterungstrieb. Bescheuert, was? War auch der größte Fehler, den ich machen konnte. Von wegen hilflos! Wulf wusste genau, was er wollte. Besonders im Bett! Jeder Mensch kann etwas besonders gut. Und nun raten Sie mal, was Wulf besonders gut konnte! Genau! Einen wegstecken! Und was er noch gut konnte: Andere Leute für sich arbeiten lassen! Tja, und da war er bei mir tatsächlich an der richtigen Adresse, aber davon später. Aber so richtig verstanden haben wir uns nie, und jetzt verstand ich ihn überhaupt nicht mehr, da hätte auch ein Mikrofon hinterm Mieder nix genützt.
„Wie, kriegst du alleine keinen mehr hoch?“, fragte ich mit maximaler Kälte. „Dann such dir eine andere! Ihr habt doch zwei neue Praktikanntin-nin-nen –“
„Herrgottnochmal, ich meine nicht das! Und könntest du mal zwei Sekunden aufhören, diesen scheiß Blödsinn zu quatschen und einfach nur zuhören?“
„Gebongt, Sir, ich höre!“
„Die Frau hat zwar zugegeben, ihren Mann vom Leben zum Tode befördert zu haben, weil auch nach gründlichster Recherche kein anderer infrage kommt, aber sie bestreitet, die Mörderin zu sein.“
„Das solltest du mir jetzt aber genauer erklären.“
„Gerne. Sie behauptet, nicht sie habe ihren Mann getötet, sondern ihr Es.“
„Soso, ihr Es... Ts... ts... Auf Ideen kommen die Leute! Wer oder was soll das denn sein?“
„Das Es ist nach Freud die Seelen-Instanz des Unterbewusstseins und Sitz der dunklen Triebe; zum Beispiel des Tötungstriebs. Sie behauptet, sie habe in Trance gehandelt. Der Hypnotiseur, bei dem sie wegen unerklärlicher Schmerzen in Behandlung ist, habe ihr Es übermächtig werden lassen, und dieses übermächtige Es habe sie zu der Tat verleitet. Fakt ist, eine halbe Stunde, nachdem sie die Sitzung verlassen hatte, saß ihr Mann mit durchgeschnittener Kehle im Rollstuhl, daraufhin alarmierte sie die Polizei. Der Tathergang konnte so genau rekonstruiert werden, dass keine Zweifel an ihrer Täterschaft bestehen. Und, wie gesagt, da ist weit und breit niemand, der ein Motiv gehabt haben könnte. Sie schwört, sie könne sich an den Tathergang überhaupt nicht erinnern.“
„Ein Mord in Trance... Hältst du das für möglich?“
„Wichtig ist, was das Gericht davon hält. Unmöglich scheint es nicht zu sein. Der Mörder von Bob Kennedy sagte aus, er habe in einem posthypnotischen Auftrag gehandelt.“
„Für mich ist der Fall klar! Sie will ihren Tatterich loswerden und filetiert ihm die Kehle – nichts Neues unter der Sonne.“
„Das schon, aber die Methode ist neu! Das Problem ist nämlich, solange ihr das Gericht keine Schuld nachweisen kann, kann sie nicht verurteilt werden. Noch nicht einmal aufgrund von Schuldunfähigkeit. Außerhalb der Hypnose ist sie völlig normal. Gut, ist ihr Eingeständnis, die Tat begangen zu haben. Doch ein Geständnis ist kein Schuldbekenntnis, und ihre strafrechtliche Weste ist blütenweiß.“
„Was ist denn mit dem Hypnotiseur? Offensichtlich hat der einen Kunstfehler gemacht und die Trance nicht rechtzeitig beendet.“
„Er behauptet: Doch, habe er. Und wenn schon, einen Mord habe er ihr auf keinen Fall eingeredet, wer so etwas denke, habe von seinem Beruf Null Ahnung. Wie dem auch sei, zu bewiesen ist weder das eine noch das andere.“
Ich schüttelte ungläubig der Kopf. „Mensch Wulf!... Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen! Ich vermute mal, die Alte führt euch ganz schön an der Nase herum!“
„So einfach würde ich es mir nicht machen. Der Mensch besitzt tatsächlich eine moralische Instanz, die das Triebhafte in Schach hält, das ist wissenschaftlich bewiesen. Sitzt im sogenannten präfrontalen Cortex, auf deutsch: Hinter der Stirn. Bei Gewaltverbrechern ist dieser Teil des Großhirns häufig abnorm verändert, wie computertomografische Aufnahmen belegen. Wir wollen uns doch nichts vormachen. Du, ich, er, sie, es, wir haben doch mindestens einmal im Leben gedacht: Verdammt, den oder die würde ich am liebsten umbringen. Aber die wenigsten tun es. Warum? Weil bei ihnen der präfrontale Cortex voll funktioniert. Die Frage ist nun: Kann ein Hypnotiseur diesen Bereich so beeinflussen, dass aus Tötungsfantasien Taten werden?“
Merken Sie was, Herr Verteidiger? Wulf konnte schon, wenn er wollte! Aber meistens wollte er nicht!
„Klingt einleuchtend“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
„Ich sehe die Sache so“, fuhr Wulf unbeeindruckt fort, „die Frau pflegt seit zehn Jahren ihren halbseitig gelähmten Mann, hingebungsvoll bis zur Selbstaufgabe, denn schließlich hat er seine Gesundheit für die Familie ruiniert, glaubt sie. Spekulationen an ein Danach weist sie tapfer von sich. Eines Tages sagt der Sohn (die Tochter): 'Mutter, keiner lebt ewig, auch Vater nicht... Und dann lässt du es dir auf deine alten Tage nochmal richtig gut gehen! So fit wie du noch bist!' Doch die Tage verrinnen, und der Vater denkt nicht ans Sterben. Zwischenzeitlich hat sie sogar den Eindruck, dass er sie noch überleben wird.
Da taucht zum ersten mal der Gedanke auf: Wenn er doch endlich sterben würde! Kein schlimmer Gedanke, denn er beinhaltet keinerlei Tötungsabsicht, und in dieser Situation nur zu verständlich. Außerdem ist er schon millionenmal ohne Konsequenzen gedacht worden. Eines Tages ist es dann so weit. Sie merkt, dass ihre Kräfte immer mehr abnehmen, während er sie mit Kleinigkeiten tyrannisiert und nicht sterben kann. Adé, ihr guten Tage! Während sie ihm den Hintern abwischt, denkt sie: Ich könnte ihn erwürgen! Vor Entsetzen starr schwört sie sich, diesen Gedanken nie wieder zu denken.Und sie denkt ihn auch nicht wieder, sie verschiebt ihn in ihr Über-Ich, sprich: In ihr Unterbewusstsein. Und dort lebt er fröhlich weiter. Denn die sicherste Art, einen Gedanken nicht los zu werden, ist, ihn vergessen zu wollen. Ihr Unterbewusstsein arbeitet unermüdlich an einer Möglichkeit, den Gatten endlich ins Jenseits zu befördern, natürlich rein theoretisch. Immer öfter sieht sie sich im Traum auf dem Friedhof stehen und ihren Mann beerdigen. Dann nimmt sie sich zum xten Mal vor, ihn gegen seinen ausdrücklichen Wunsch ins Altersheim zu bringen, doch sie wagt es nicht, immer noch fürchtet sie seinen Zorn – er war keiner von den Sanftmütigen. Schließlich ist aus dem Gedanke unbemerkt ein Vorsatz geworden; eingekapselt wie ein Tuberkulose-Erreger liegt er in ihrem Unterbewusstsein und wartet auf eine Gelegenheit zum Ausbruch.“
Ich war baff und stinksauer. So hatte ich ihn ja noch nie vernommen! Ein abstruser Verdacht stieg in mir auf...
Wulf trank den Rest seines Bieres und bestellte ein neues plus Klarem. Wahrscheinlich würde es auf einen Johannes hinauslaufen.
„Und du meinst“, sagte ich, „der Hypnoseonkel hat dem Bazillus ohne es zu wollen zum Ausbruch verholfen.“
„Ja, so ähnlich. Ihr Nervensystem reagiert auf die Dauerbelastung mit Schmerzen, und kein Arzt kann ihr helfen. Jemand rät ihr daraufhin, es mit Hypnose zu versuchen. Möglichkeit eins: Der Hypnotiseur versetzt sie in Trance und befiehlt ihr, ihren Mann umzubringen. Unwahrscheinlich, höchst unwahrscheinlich. Warum sollte er das tun? Bleibt noch diese Möglichkeit: Die Hypnose hat ihre moralischen Abwehrkräfte so weit geschwächt, dass aus der Fantasie Tat wird.“
„Und er hat es nicht bemerkt? Hmmm... Ob sich das Gericht darauf einlässt?“
„Weiß ich nicht. Kommt darauf an, was die Gutachter sagen.“
„G-ganz schön f-fies, dieser Bazillus“, stotterte ich. Irgendwie hatte es mir die Sprache verschlagen. Nicht wegen des Bazillus. Wegen Wulf.
„Bisher ist es ja nur eine Arbeitshypothese. Aber ich gäbe viel darum, ich könnte sie verifizieren.
Die Frage, ob ein Mensch durch Hypnose zu Handlungen bewegt werden kann, die er unter gewöhnlichen Umständen vermieden hätte, konnte, soweit ich weiß, bisher nicht abschließend geklärt werden.“
„Na Mann Gottes, dann geh doch zu dem Hypnotiseur und fühl ihm auf den Zahn!“
Wulf kippte den Kurzen, machte „Ahhhh!“ und sagte: „Das geht leider nicht. Der Proband muss eine Frau sein. Soll meine Hypothese Bestand haben, muss die Recherche unter Originalbedingungen stattfinden.“
Nun ahnte ich, was er von mir wollte. Aber billig würde ich es ihm nicht machen. „Soso, ich soll nun das Versuchs-Karnickel spielen und mich hypnotisieren lassen.“
„Wenn du so nett wärst, ja.“
„Wieso kommst du gerade auf mich?“
„Ich kenne niemanden außer dir, der einem solchen Experiment gewachsen wäre. So wie ich dich erlebt habe und immer wieder erlebe, denke ich mal, du bist hypnosefest. Außerdem bist du Detektivin.“
„Aber mir tut nichts weh.“
„Dann lass dir was einfallen.“
„Nicht ungefährlich, das Experiment“, wand ich ein.
Wieder lachte Wulf auf diese widerliche Art. Ich hätte ihn am liebsten –
„Sicherlich. Ist mir durchaus bewusst. Gerade bei dir.“
Ich sah ihn verblüfft an. „W-wie meinst du das?“ Ich muss ziemlich dusslig aus der Wäsche geschaut haben, denn plötzlich lachte Wolf laut und – hemmungslos auf. „Mein Gott, Herta!“, prustete er, „ich bin doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert! In der letzten halben Stunde wolltest du mich mindestens zweimal erwürgen! Deine Augen haben es mir verraten!“
Jetzt war die Katze aus dem Sack. Der Kerl hatte mich sie ganze Zeit verarscht! Diese vorgetäuschte Hilflosigkeit hatte nur dazu gedient, mich rum zu kriegen. Eine schwarze Rachewolke hüllte mich ein. Na warte, Halunke!
Ich ließ mir nichts anmerken und tat so, als dächte ich nach. „Hmm... Das will gut überlegt sein.“
„Was gibt es da viel zu überlegen?“, drängte er, „sag ja oder nein, aber sag was!“
Ich, nach einer Anstandspause: „Gut, ich mach das. Aber unter einer Bedingung!“
„Und die wäre?“
„Dass du mich nie wieder anbaggerst! Und dann wäre da noch die Honorarfrage.“

2

In den nächsten Tagen fühlte ich mich wie eine frisch geschrubbte Möhre. Dieser Mistkerl! Besonders erbost war ich über sein lautes Lachen zum Schluss. Das war kein verklemmtes Kich-Kich mehr, das war wieherndes Gelächter! Der Kerl hatte mich einfach ausgelacht! Oh, wie erniedrigend! Da war aber eine ordentliche Abreibung fällig! Natürlich dachte ich nicht im Entferntesten daran, ihn wirklich umzubringen. Wer bin ich denn! Mein Bedarf an Todesfällen, wenn er jemals existiert haben sollte, ist seit meiner Zeit im Irak bis in die in die Steinzeit und zurück gedeckt. Das müsste irgendwie anders gedreht werden. Und ich hatte auch schon eine Idee...
Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen.
Meinen Namen kennen Sie ja schon. Trotzdem nochmal zum mitschreiben: Herta Fröchtenicht gesch. Theuerkauff, 32, 172 cm, freischaffende Privatdetektivin. Ja, Wulf war mein zweiter Versuch, ebenso gescheitert aber nicht ganz so teuer erkauft, haha! wie der erste, da nicht geheiratet. Schwamm drüber. Toten Hunden soll man nicht nachrufen. Meine besonderen Merkmale: Stramme Waden, durchtrainierter Körper, knackiger Hintern. Karatemeisterin, Judoka des dritten Grades, Oberleutnant der Reserve mit Kriegserfahrung. So leicht wirft mich nichts und niemand mehr um. Höchstens ins Bett, aber dann nur auf meinen ausdrücklichen Wunsch.
Auf jeden Fall hatte ich das Kriegspielen gründlich satt. Ich Idiotin war voll auf dieses Politikergeschwätz hereingefallen, ich könnte da unten die Demokratie verteidigen. Absoluter Blödsinn! Die Demokratie wird nicht am Hindukusch, sondern in deutschen englischen französischen Gerichtssälen verteidigt. So als Schnüfflerin, kalkulierte ich, kannst du mehr für die Demokratie tun als eine Soldatin ohne Schießerlaubnis. Du deckst Sachen auf, an die die Bullen nicht herankommt. Und, sollte dir jemand an die Wäsche gehen, kannst deine Kampfsportfähigkeiten zum Einsatz bringen! Na ja, ausschlaggebend war wieder einmal Wulf. Einfach ausgedrückt: Er brauchte eine verlässliche Zuarbeiterin. Und ich war froh, endlich wieder in einer Beziehungskiste zu stecken, denn ich bin keine Erscheinung, nach der sich die Männer die Hälse ausrenken...
Ja, Sie haben Recht. Ich bin weiß Gott nicht hübsch, genau genommen sogar hässlich (außer wenn ich lache, meinte Wulf, aber der meinte so manches). Hohe Wangen, spitzes Kinn, schief stehende Augen, Stubsnase, dünne Haare... Sie sehen, ich zeichne mein Selbstportrait ohne Beschönigung und Selbstmitleid.
Was kann eine Frau mit solch einem Gesicht schon werden? Lehrerin? Mit zweiunddreißig? Toilettenfrau! Werden Sie nicht albern. Schauspielerin im Horrorfach. Möglich, aber dazu fehlt mir das Talent. Dann diese dünnen Haare... Wenn ich Wulf um eines beneide, dann um seine Haare. Ein schwarz-braunes, leicht gewelltes Wunder. Meine dagegen... Da nutzt auch kein Haarfestiger. Um sie zu bändigen, müsste ich sie einbetonieren. Deshalb: Maschinenschnitt nullkommafünf Zentimeter über normal Null. Wulf meinte, ich sähe aus wie ein Frettchen, andere halten mich für einen Gender-Typen, wie der Dicke da, der gerade das sechste Bier zapft. Ha, den Joke muss ich unbedingt erzählen. Bei der ersten Verabredung mit Wulf (schon wieder Wulf!) an diesem Tresen glotzt mich der Dicke wie das neunte Weltwunder an. Die Augen fallen ihm fast aus dem Kopf. „Was guckst du so, du Arsch!“, schnauz ich ihn an, „noch nie ´ne Frau mit kurzen Haaren gesehen?“ Er: „Entschuldige, ich bin kurzsichtig!“ Ich denk: Ha, du lausiger Sackträger, nicht auf diese Tour! „Kurzsichtig bist du?“, sag ich und fummele an meiner Bluse herum. „Na dann komm mal her, ich zeig dir was!“ Wulf sollte schon beim ersten Date merken, dass ich kein Schisser bin. Das Gesicht von dem Dicken hätten Sie sehen sollen! Ich dachte, gleich platzt ihm die Birne! Wulf saß daneben – verdammt, ich komme von dem Kerl einfach nicht los. Wulf Wulf Wulf, immer wieder Wulf. Na, hat ja hoffentlich bald ein Ende – – sagen Sie mal, Herr Dr. Schimmelpfeng, ist das jetzt ausführlich genug?“

3

Ehrlich gesagt: Der Auftrag reizte mich. Das war doch mal was anderes als dieses öde Herumsitzen im heißen Auto oder in stinkigen Lokalen, nur um einen wildfremden Menschen, der mir nichts getan hat und der mir, ehrlich gesagt, am Arsch vorbeigeht, fototechnisch abzuschießen. Da kriegst du auf die Dauer geschwollene Füße! Eine verdeckte Recherche beim Hypnotiseur. Unter Hypnose! Geil! War, soweit ich weiß, noch nie vorgekommen. Würde für jemanden, der sich aufs Schreiben versteht, bestimmt eine gute Story abgeben.
Schon am Montag suchte ich die Adresse dieses

U. E. Klein,

Heilpraktiker für Psychotherapie
Hypnosetherapie
alle Kassen
Sprechzeiten...

aus dem Internet heraus und bat um ein Vorstellungstermin. Wurde auch ohne viel hin und her gewährt: Donnerstag, 10 Uhr 30.
Ein bisschen aufgeregt war ich schon, als mir der Psycho-Therapeut zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte. Strecken ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber sein Handgelenk bewegte ich eindeutig aus der Manschette mit dem goldenen Knopf heraus. Ich ergriff sie und legte alles an Sympathie, zu dem ich fähig war, hinein. Sein Druck war kräftig, aber nicht unangenehm, die Hand selbst trocken-spröde, wie aus Pappe. „Schön, dass Sie zu mir gefunden haben“, säuselte er und gab die meine wieder frei. Er wies auf ein weinrotes Plüschsofa. „Bitte, nehmen Sie doch Platz und machen Sie es sich bequem!“ Ich nahm Platz, Klein zog einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber; dann sah er mich mit freundlichen Augen aufmerksam an. Ich erwiderte seinen Blick, irgendwie kam mir sein Gesicht bekannt vor. Eine zufällige Übereinstimmung, dachte ich, angeblich gibt es ja zu jedem Menschen auf dieser Welt einen Doppelgänger.
Der Mann?
Na ja, auf den ersten Blick ziemlich enttäuschend. Ich hatte eine silbergraue hohe Guru-Gestalt mit wehenden Haaren erwartet, nicht unbedingt in Mao-Latschen, zumindest aber in orthopädischen Sandalen, keineswegs in Lackschuhen, einen gesetzt asketischen Fleischverächter und Trinker lauwarmen Tees, jemanden mit einem Gesicht wie ein frisch gepflügter Acker, in dem die Schicksalsschläge tiefe Furchen hinterlassen haben – Schicksalsschläge, die sein Herz für die Nöte seiner Patienten geöffnet haben. Doch was sah ich? Puh! Da saß ein freundlich blickender Kahlkopf mit leichtem Bauchansatz, dem Genuss offenbar zugetan, nicht jung, nicht alt, irgendwie zeitlos, mit mandelförmigen Augen, dessen einziger Gesichts-Nachweis, dass er geliebt, gelebt, möglicherweise sogar gelitten hatte, zwei unscheinbare senkrechte Falten über der Nasenwurzel waren. Auch hatte ich mir eingebildet, ein Hypnotiseur müsse unheimliche Augen haben, betörend in ihrer Intensität, der Blick von unauslotbarer Tiefe, der einem die Knie weich werden lässt... Nix da. Vor mir saß ein staubtrockener Buchhaltertyp.
Der Raum?
Sparsam, aber gediegen. Edelstes Schreibtisch- und Stuhl-Gehölz, dicke Teppiche, sanfte Farben. Auf einem Beistelltisch eine Karaffe mit O-Saft, daneben zwei Gläser.
„Was kann ich für Sie tun?“
Die Frage platzte in die Stille wie ein Furz in das Kaffeekränzchen feiner Damen.
Natürlich hatte ich mir zuhause ein paar saftige Erklärungen zurecht gelegt, nicht gerade gelogen, aber kurz davor, irgendwo zwickt und zwackt´s einen doch immer. Ich wollte mich nicht schon im Vorstellungsgespräch in Widersprüche verrennen und als blinder Passagier outen. Doch die neutrale Nacktheit dieser Frage verwirrte mich. Was kann ich für Sie tun? So fragt der Stadtschuster... Sie warf mein ganzes schönes erlogenes Konzept über den Haufen. Um mich zu sammeln frage ich: „Sagen Sie, kann es sein, dass wir uns schon mal begegnet sind? Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor.“
„Kann sein, kann nicht sein“, orakelte er mit weicher, leicht rauchiger Stimme. „Besuchen Sie gelegentlich Gerichtsverhandlungen?“
„Ja, von Berufs wegen.“
„Ich bin psychologischer Gutachter beim Landgericht.“
„Ach ja, jetzt erinnere ich mich!“, rief ich, „Sie haben damals den Maiglöckchen-Mörder begutachtet.“ Das stimmte, ich erinnerte mich wirklich, zwar nicht an ihn persönlich, aber an seine Nasenspitze mit dem lustigen Aufwärtsbogen, an die erinnerte ich mich noch genau. Sieht ja auch zu ulkig aus, das Teil. Wie´n Schweinsrüssel, nur kleiner. Probeweise ließ den ersten Versuchsballon von der Leine. „Wenn ich mich recht erinnere, behauptete der Mörder, er habe unter Hypnose gehandelt. Geht das überhaupt?“
Klein sah mich aufmerksam an. „Frau Fröchtenicht“, fragte er, „weshalb kommen Sie zu mir?“
Ich fühlte deutlich: Noch mehr hirnloses Geschwafel, und er setzt dich an die Luft. „Kann ich offen reden?“, fragte ich mit meinem schönsten Aufenaufschlag.
„Ja.“
„Seit ich aus dem Irak zurück bin, plagen mich immer öfter Tötungsfantasien, die mit rasenden Kopfschmerzen verbunden sind. Ich versuche dagegen anzugehen, aber ich schaffe es einfach nicht. Morgens wache ich schweißgebadet auf, weil ich gerade meinen Ex erwürgt habe. Der Traum war so realistisch, dass ich zum Handy greife und die Polizei verständigen will. Erst nach und nach wird mir klar, dass es nur ein Traum war. Mein Schädel fühlt sich an, als sei darin gerade eine Bombe explodiert.“ Ich schwieg abrupt.
„Offenbar eine mentale Störung infolge eines Kriegstraumas“, stellte Klein schmallippig fest, „sind Sie denn nach ihrer Rückkehr aus dem Einsatzgebiet nicht psychologisch betreut worden?“
„Doch, doch“, gab ich wahrheitsgemäß an, „und anfangs hatte ich auch keine Probleme. Doch dann stellten sich diese furchtbaren Fantasien ein, und mit ihnen kamen die Schmerzen. Eine Freundin riet mir, es doch einmal mit Hypnose zu versuchen.“
„Und wen genau bringen Sie im Traum um?“
„Meinen verflossenen Lebensgefährten.“
„Haben Sie dazu einen besonderen Grund?“
„Das ist es ja eben!“, rief ich, „nein! Er ist nicht besser und nicht schlechter als die anderen Herren der Schöpfung! Er ist eben nur ein Mann! Anscheinend hat er den Rausschmiss noch nicht verkraftet. Er läuft mir nach.“
„Stalkt er Sie?“
„Nein, aber er ist kurz davor. Er kommt immer wieder mit irgendwelchen Sachen, die ich für ihn erledigen soll. Als Detektivin habe ich andere Möglichkeiten als die Polizei, und das nutzt er gnadenlos aus. Aber das wäre doch kein Grund, ihn umzubringen.“
Klein legte seine blassen, marzipanweißen Fingerspitzen zusammen, eine Geste, die ich zunächst für Unsicherheit hielt. Doch dann wurde mir klar, dass er gerade eine Diagnose stellte. „Soweit ich sehe“, sagte er, „haben Sie es mit zwei Problemfeldern zu tun. Da ist einmal die unzureichende Aufarbeitung von Kriegserlebnissen verbunden mit den Schmerzen. Schmerzen und Tötungsfantasien bedingen sich gegenseitig. Ihr Unterbewusstsein reagiert auf die dunklen Triebe mit Bestrafung. Da könnte eine Hypnose helfen. Was jedoch Ihre grundsätzlich Ablehnung Männern gegenüber betrifft –“
„Oh, Herr Doktor!“, rief ich überschwänglich und streichelte sein Gesicht mit einem dankbaren Blick, „Sie nehmen mich an?“
„Den Doktor lassen Sie mal weg“, sagte er. Dann fragte er mich noch dies und das, schließlich erhob er sich. „Gut, Frau Fröchtenicht, ich nehme Sie an. Lassen Sie sich im Vorzimmer einen Termin geben.“ Wieder wuchs mir seine Hand entgegen. Als ich mich zum Gehen wendete, sah ich aus dem Augenwinkel, dass er mir auf den Hintern schielte.

4

Herr Dr. Schimmelpfeng, auch auf die Gefahr hin, dass ich Ihre moralischen Grundsätze möglicherweise arg strapaziere, das Folgende muss jetzt berichtet sein. Schließlich sind Sie mein Strafverteidiger und wollen die Wahrheit wissen, ungeschminkt, mit allen Einzelheiten. Na schön, da ist sie.
Wenn mein Schöpfer bei meinem Gesicht auch heillos geschludert hat, bei meiner Figur hat er sich redliche Mühe gegeben, und in mein Hinterteil hat er seine gesamte Gestaltungskunst hineingelegt. Mein Gesäß – hach, welch schnöder Begriff! Gesäß! Als ob dieses edle Körperteil zum Sitzen da wäre! Der Mensch sitzt auf den Oberschenkeln, nicht auf dem Popo! Dessen Sinn und Zweck ist ein anderer. Was das Kamel im Höcker hat, sitzt beim Menschen im Hintern, nämlich Reservestoffe für schlechte Zeiten, vor allem: Fett. Und da ufert´s häufig bis zur Wabbeligkeit aus. Aber nicht bei meinem. Da ist alles fest und rund und ebenmäßig. Und nicht nur das. Auch der Unterbau ist perfekt. Da hapert´s nämlich oft. Entweder sind die Oberschenkel zu kurz, zu dick, zu lang, zu dünn, oder das ganze Fahrgestell passt nicht zu dem, was dann kommt. Nicht bei mir! Da ist alles erste Wahl!
Ich gesteh Ihnen jetzt etwas, das ich noch niemandem gesagt habe. Meine Mutter besaß einen dreiteiligen Schneiderspiegel, bei dem ich die Seitenteile so drehen konnte, dass ich mich von hinten sah. Oh, wie oft habe ich als Teenager nackt davor gestanden und meine Rückfront bewundert! Vor Lebensfreude hätte ich am liebsten hineingebissen! Das taten dann später meine Liebhaber, allen voran Wulf. Er küsst und beißt, beißt und küsst, zwischendurch klatscht er mir auf die Schinken, dass sie rot werden. „Ha“, ruft er begeistert, „Rotbäckchen und der böse Wulf!“ Dann arbeitet er seinen Harten hinein, der alte Arschfetischist, dass mir Hören und Sehen vergeht – draufgängerisch bis zur Körperverletzung... Manchmal hält er inne, um Atem zu schöpfen. „Ich muss mehr Sport treiben!“, keucht er und legt wieder los. „Noch mehr?“, gurgele ich zurück. Und ich muss gestehen, mir war´s noch nicht einmal unangenehm. Gegen einen kräftigen Arschfick hatte ich noch nie etwas. Wissen Sie eigentlich, dass anal weniger gefährlich ist als oral? Im Mund sind viel mehr unheimliche Bakterien als im – – Herr Dr. Schimmelpfeng, Sie werden ja rot! Ich hab Sie gewarnt, aber Sie wollten ja nicht hören! Die Wahrheit ist für zarte Gemüter manchmal ziemlich ungewohnt. Na gut, lassen wir das...
Schließlich kam ich dahinter, dass mein Allerwertester so gut wie das Einzige war, was Wulf an mir schätzte. Für ihn war ich nichts anderes als ein Arsch mit Ohren. Der gerade! Mittlerweile entwickelt er sich immer mehr zu einem Bauch mit Ohren, dann bin ich doch lieber Arsch. Trotzdem hab ich ihn geliebt, diesen Trottel, Figur ist mir egal. Ein Mann muss verlässlich sein und Geborgenheit ausstrahlen, und kein Langweiler. Wulf hatte von allem etwas, aber bald merkte ich: Nichts wirklich richtig. In gewissen Dingen war er ein ausgemachter Hallodri. Trotzdem wäre auch weiterhin alles okay gewesen, wenn er mir nicht eines Nachts ins Gesicht geschleudert hätte: „Eine Frau mit deinem Aussehen soll froh sein, wenn sich jemand wenigstens für ihren Hintern interessiert!“ Da war bei mir der Ofen aus. Am liebsten hätte ich ihn erwürgt. Das tat ich nicht, ich hätt´s vermutlich auch nicht gekonnt, aber ich schmiss ihn raus. „Wenn du dich hier noch mal blicken lässt, beiß ich dir die Eier ab“, schrie ich ihm hinterher. Eine Weil ließ er sich auch tatsächlich nicht mehr blicken, doch dann: Siehe oben. Mittlerweile ist ihm wohl klargeworden, was er an mir verloren hat: Eine gute Detektivin.
So. Und jetzt zurück zu U.E. Klein. Als ich sah, dass er mir auf den Hintern schaute, wusste ich zweierlei: Erstens, der Kerl ist genauso ein geiler Hecht wie mein Wulf a. D. Zweitens: Er hat sich nicht in der Gewalt. Damit kannte ich seine Achillesferse. Auf dem Nachhauseweg fasste ich einen Plan...

5

Donnerstag. 10 Uhr 30.
„Öffnen Sie die Gürtelschnalle, schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich!“
Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen, allerdings nicht allzu tief.
„Nun, wo Sie so entspannt daliegen, lassen all Ihre Gedanken und Sorgen fahren. Alles, was Sie beschäftigt und bedrückt, ist jetzt nicht mehr wichtig. Jetzt geht es nur noch darum, sich zu entspannen. Lassen Sie Ihre Gedanken aufsteigen wie bunte Luftballons, alles, was Sie bedrückt werfen Sie in ein tiefes Loch und wälzen einen dicken großen Stein darüber. Sie können es später wieder ausgraben, sobald diese Sitzung beendet ist.“
Klein schwieg, anscheinend, um mich nicht zu überfordern. Dabei fühlte ich, dass er mich anstarrte.
„Ich möchte, dass Sie sich jetzt nur auf meine Stimme … und auf Ihre Atmung konzentrieren. Atmen Sie tief ein … und aus. Sie spüren, wie mit jedem Atemzug frische, neue Luft in Ihre Lungen strömt und damit neue Lebensenergie. Atmen Sie mit jedem Ausatmen all die Anspannung aus, die Ihr Herz bedrückt … und mit jedem Einatmen all die Entspannung ein … Genau so … sehr gut. Sie spüren, dass Sie schon jetzt viel entspannter sind. Ja, mit jedem Wort, das ich zu Ihnen sage, mit jedem Atemzug, den Sie einatmen, sinken Sie immer tiefer in diesen entspannten Zustand. All Ihre Muskeln lockern sich, und allmählich beginnen Sie zu schweben.“
Wieder schwieg der Doktor, und ich muss sagen, er verstand sein Handwerk. Ich musste meine gesamte Brainforce aufbieten, um nicht tatsächlich davonzuschweben.
„Ich erzähle Ihnen jetzt eine Geschichte“, fuhr Klein mit seiner rauchig-weichen Stimme fort, „und Sie hören einfach nur zu.“
So wird das nichts, dachte ich angestrengt, während Klein von Vogelgezwitscher, milder Luft und den ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Haut schwafelte, der schafft es und versetzt mich tatsächlich noch in Trance. Wulf wird sich kaputtlachen!
Wulf! Das war es!
Ich schrie jäh auf. „Jetzt hab ich ihn umgebracht!“, rief ich, „es ist geschehen! Ach, was bin ich doch für ein Mensch! Eine Mörderin! Da liegt er mit durchgeschnittener Kehle!“, zeterte ich, „ach, ach, ach! Armer Wulf!“ Die Hände ringend warf ich mich wie ein Aal in der Pfanne auf dem Sofa herum. „Oh mein Kopf, mein Kopf!“, jammerte ich weiter und massierte mir die Schläfen, „oh diese Schmerzen!“
Klein war aufgesprungen und hatte sich über mich gebeugt. „Herta, wachen Sie auf!“, rief er durchdringend, „Sie haben niemanden umgebracht! Ich zähle jetzt rückwärts von fünf bis null. Bei null schlagen Sie die Augen auf!“
Ich dachte nicht ans Aufwachen, und was ich erhofft hatte, geschah: Er nahm mich bei der Hüfte und rüttelte mich kräftig, wobei ich ihm reichlich entgegenkam. Nun wandte ich ihm mein Gesicht zu und blinzelte ihn an. „Was sagen Sie? Wer sind Sie überhaupt?“
Einen Moment befürchtete ich, er könnte diese Komödie durchschauen. Doch in seinen Augen las ich gesteigerte Aufmerksamkeit, aber kein Misstrauen. Anscheinend warer so von sich und seinen Künsten überzeugt, dass er keinen Verdacht schöpfte. „Ich bin Ihr Hypnotiseur“, sagte er prompt.
Klein ging zu dem Tischchen mit dem O-Saft, goss ein und brachte mir das Glas. „Trinken Sie das“, sagte er, „es wird Sie beruhigen.“
Während ich trank, beobachtete er mich. „Eine Erstverschlimmerung“, sagte er „das ist nicht ungewöhnlich, im Gegenteil. Wir kommen also dem Problem so langsam auf die Spur. Ich schlage vor, wir setzten die Behandlung in einer Woche, dieselbe Zeit, fort. Dann werden wir weitersehen.“
Jetzt brach ich in Tränen aus. „Herr Klein, helfen Sie mir!“, schluchzte ich und berührte wie zufällig seinen Oberschenkel, „sonst bringe ich diese Mann tatsächlich noch um!“
„Die Statur dazu hätten Sie“, sagte Klein wenig beeindruckt und stand auf.

6

Als ich zuhause ankam, war ich pitschnass. Es regnete in Strömen. Vom Vorgarten aus sah ich, dass in meinem Wohnzimmer Licht brannte. Mein erster Gedanke: Einbrecher! Ich wusste genau, dass ich das Licht ausgemacht hatte, als ich die Wohnung verließ. Ich sammelte meine Kräfte, straffte meine Bauchmuskulatur und lief nach oben. Die Wohnungstür war nur angelehnt, und jetzt wusste ich, wer in meinem Wohnzimmer saß: Wulf. Ich erkannte es am Geruch. Ich fühlte Ärger in mir hochsteigen und beschloss, die Rasende zu spielen. Wütend knallte ich die Tür zu und stürmte geradewegs ins Wohnzimmer, ohne die nassen Klamotten zu wechseln.
Ich traute meinen Augen nicht. Wulf, in Zivil, saß auf dem Sofa, meinen Kirschlikör und zwei Gläser vor sich.
„Es regnete so furchtbar“, sagte er, „und da bin ich schon mal hochgegangen. Leider warst du noch nicht da.“
So viel Kaltschnäuzigkeit verschlug mir nun doch die Sprache. Immer mehr zeigte Wulf sein wahres Gesicht.
„Wie bist du denn hereingekommen?“, fragte ich verdattert.
Er sah mich herausfordernd an. „Na wie wohl. Durch die Tür!“
Mir platzte der Kragen. „Ich hab nicht gefragt wo!“, schrie ich ihn an, „sondern wie!“ Natürlich! Er besaß ja noch die Zweitschlüssel! Es war zum verrückt werden. „Her mit den Schlüsseln!“, rief ich, ohne seine Antwort abzuwarten, und hielt die Hand auf, „aber ein bisschen plötzlich!“
Wulf zog sein Schlüsselbund hervor und hielt es mir klimpernd unter die Nase. „Da sind sie, aber die anderen will ich zurück haben.“
Jetzt kochte ich wirklich vor Wut. „Du Arsch bildest dir doch nicht ein, dass ich die Schlüssel abklemme! Du hast sie angeklemmt, also klemmst du sie auch wieder ab!“
Wulf wusste, dass er ohne Schießeisen gegen mich keine Chance hatte und fügte sich. Widerlich grinsend fummelte er die Schlüssel ab. Hätte er jetzt wieder Kich-Kich gemacht – ich weiß nicht, ob er dann noch unversehrt an Leib und Leben meine Wohnung verlassen hätte. Glücklicherweise verzichtete er darauf.
„Erwartest du Besuch?“, fragte ich.
Er sah mich verständnislos an. Ich kannte diesen Blick. Er tauchte immer dann auf, wenn Wulf nicht mehr nüchtern war. „Ich? Wieso? Nein.“
„Für wen ist denn das zweite Likörglas bestimmt?“
„Das... Ach so! Für dich! Ich dachte, du setzt dich zu mir und erzählst, wie es beim Hypnoseonkel war. Hast du schon etwas herausbekommen?“
„Ich glaub, du hast sie nicht mehr alle! Zu dir setzen? Den Teufel werde ich tun! Und zu erzählen gibt es nichts. Die Sitzung wurde vorzeitig abgebrochen. Hypnose ist nichts für mich. Sieh selber zu, wie du deine Hypothese verifizierst.“
Wulf griff verärgert zur Likörflasche und zog den Stöpsel heraus. Zwar hätte ich es nicht genau sagen können, aber so leer wie jetzt hatte ich sie nicht in Erinnerung. Er musste ganz schön gepichelt haben. „Hast du mich gefragt?“, raunzte ich, „meine Wohnung ist kein Selbstbedienungsladen! Wenn du was haben willst, dann frag gefälligst! Oder bist du im Schweinekoben groß geworden?“
Sein Gesicht wurde hart. „Hoho, Schweinekoben! Mal nicht ganz so frech, junge Frau!“
„Du bist ein dermaßen beschissenes Arschloch“, zischte ich ihn an, „dass einem die Worte fehlen!“ Irgendwie kam ich mir in meinem eigenen Wohnzimmer fremd vor.
Inzwischen hatte sich auf dem Fußboden unter mir eine kleine Wasserlaache gebildet. „Wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden“, sagte ich ruhiger, aber mit maximaler Kälte und ging ins Badezimmer, um mich trocken zu legen. Während ich mir die Haare föhnte wurde mir klar: So leicht wirst du diesen Kerl nicht los. Er klebt an dir wie Rotz am Ärmel. Da musst du schon stärkere Geschütze auffahren und nicht nur Drohungen ausstoßen.
Da sich nichts tat – ich hatte weder Schritte gehört noch war die Wohnungstür zugefallen – nahm ich an, dass Wulf immer noch auf dem Sofa saß. Um ihm noch etwas Zeit zu geben, goss ich mir in der Küche einen heißen Cappuccino auf, denn ich hatte eine Gänsehaut. Nicht nur vor Kälte, sondern auch als Angst vor der Zukunft. Nur zu gut wusste ich, welche verheerende Wirkung Stalker haben können. Das kann hin bis zum Selbstmord der Verfolgten gehen. Ich hatte gehofft, mich da herausholen zu können, doch das war wohl falsche Hoffnung gewesen. Wulf traute ich mittlerweile alles zu.
Ich stellte meine nassen Laufschuhe samt den Socken in den Backofen und stellte auf fünfzig Grad ein.
Die Dielen im Flur knarrten. Aus den Augenwinkeln schielend konnte ich sehen, dass Wulf in der Küchentür erschien. Er lehnte sich lässig an den Türrahmen und starrte mir auf den Hintern. Also war er wieder mal notgeil. Oh,wie entwürdigend! Ich ließ mir nichts anmerken, drehte mich um und sagte: „Wolltest du nicht gerade gehen?“
„Wollte ich das?“
Er löste sich aus dem Türrahmen und kam lauernd auf mich zu. Jetzt grinste er nicht mehr; in seinem Gesicht lag hässliche, nackte Gier. Einen halben Schritt vor mir blieb er stehen; ich roch seinen Likör-Atem. Dann geschah das, was ich befürchtet hatte: Er fasste mich am Arm, drehte mich herum und klatschte mir mit seiner Pranke kräftig auf den Hintern.
Das war zu viel, und ich verlor die Beherrschung. Blitzschnell verpasste ich ihm einen harten Magenschwinger; Wulf klappte zusammen, ging wie ein nasser Sack zu Boden und knallte mit dem Hinterkopf gegen den Küchenschrank.
Starr vor Schreck und Bestürzung blickte ich auf den leblosen Mann. Dass ich gegen die ehernen Regeln des Kampfsports verstoßen hatte, war jetzt erst einmal ziemlich unwichtig. Wichtig war Wulfs Zustand. Er lag da, wie betäubt, und rührte sich nicht. Doch noch ehe ich zum Handy greifen konnte, schlug er schon die Augen auf. Es war wohl nur die Überraschung und der Stoß gewesen, was ihm kurzzeitig die Besinnung geraubt hatte. Er massierte sich den Hinterkopf und kam ächzend hoch. Jetzt stürzt er sich auf dich, dachte ich und nahm Abwehrstellung ein. Doch nichts dergleichen geschah. Er sah mich giftig an uns zischte: „Das hast du nicht umsonst getan, du Hexe! Dafür bringe ich dich um!“ Dann verschwand er aus der Küche. Ich rief ihm hinterher: „Schaffst du es bis zuhause?“ Doch schon knallte die Wohnungstür zu.

7

Langsam, fast mechanisch, zündete ich mir eine Zigarette an und machte ein paar tiefe Züge. Dann ging ich ins Wohnzimmer, setzte mich hinter den Likör und kippte zwei Gläschen. Teufel nochmal, das hätte nicht passieren dürfen, dachte ich. So ein Schlag auf den Solarplexus ist schon eine harte Nummer und ein Grund, jemanden wegen Körperverletzung anzuzeigen. Wieder hallte mir Wulfs wütende Stimme im Ohr: Dafür bringe ich dich um! Scheiße, Scheiße, Scheiße, dachte ich, das kann ja heiter werden! So nachtragend, wie Wulf ist, bringt er dich tatsächlich noch um. Den Arschfetischisten hat er dir bis heute nicht verzeihen, und den Magenschwinger wird er dir erst recht nicht verzeihen! Wahrscheinlich hat er sowieso schon einen Rochus auf dich, und jetzt das! Herr Dr. Schimmelpfeng, Sie wissen wahrscheinlich, dass Wulf schon einmal jemanden umgelegt hat, bei einem Einsatz. Angeblich in Notwehr. Na ja, bekanntlich hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus, schon gar nicht bei einer so eingeschworenen Bruderschaft wie der Polizei. Der Kerl ist imstande und tut´s wirklich.
Um mich weiter zu beruhigen, gönnte ich mir noch ein Gläschen, dabei stützte ich mich mit der Hand auf dem Sofasitz ab. Die Stelle, auf der Wulf gesessen hatte, war noch warm. Der Kerl hat mehr Feuer im Hintern als im Herzen, dachte ich. Jetzt saß er wieder neben mir, ich blickte ihn streng von der Seite an. Allmählich schrumpfte er in sich zusammen. Als er in meine Handfläche passte, hielt ich es für das Beste, ihn auf die glühende Herdplatte zu legen und dort verschmoren zu lassen. Schon lag Brandgeruch in der Luft. Ich schnupperte, sprang wie elektrisiert auf und rannte in die Küche. Aus dem Backofen stieg dicker Qualm auf. Die Temperaturanzeige stand auf 200 Grad. Ich stellte auf null und riss die Klappe auf: Meine schönen Sneakers und die Socken waren gerade dabei, sich in Kohle zu verwandeln. Bei der Rangelei vorhin hatte ich wohl ohne es zu merken den Regler verstellt.
Mein Handy schnurrte. Irgendein Blödmann ließ mir eine Nachricht zukommen. Wütend drückte ich ihn weg, machte das Küchenfenster auf und blickte hinaus. Regen, Regen, Regen. Das ging jetzt schon die ganze Woche so. Die paar Leute, die sich noch nach draußen wagten, schlichen dahin wie geprügelte Hunde. Meine Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Wie kann man nur so blöd sein, bei diesem Wetter mit Turnschuhen herumzulaufen und sie dann zum Trocknen in den Backofen zu stellen. Schande über mich! Eine schwarze Frustwolke senkte sich auf mein Haupt. Doch nicht sosehr wegen der versauten Schuhe – ich schwitze mir das Geld zwar nicht aus den Rippen, aber für ein paar neue Schuhe reicht´s allemal – sondern weil es wieder mal mit Wulf zusammenhing. Wäre er nicht übergriffig geworden, hätte ich die Treter noch. Der Kerl bringt einfach Unglück, grummelte ich, und das jetzt war mit Sicherheit erst der Anfang. Als nächstes wird er versuchen, dir deinen Ruf zu ruinieren. Die beste Werbung für einen Privatdetektiv, wissen Sie, ist ein astreiner Leumund. Wenn Sie erst mit dem Nimbus eines Schlägers herumlaufen, haben Sie kaum noch Aufträge. Ist auch so schon ein lausiger Job.
Verdammt, so konnte das nicht weitergehen!
Ich schloss das Fenster, setzte mich auf einen Küchenstuhl und dachte nach. Irgendetwas musste geschehen. Entweder er oder ich. Nur wie anstellen? Hmmmm... Wenn bloß dieser staubtrockene Heini von Hypnotiseur nicht so dickfellig wäre! Gegen die Reize, die ich ihm bieten konnte, war er anscheinend völlig immun. D e n Plan konnte ich begraben.
Gedankenverloren blickte ich auf mein Handy. Plötzlich kam mir eine andere Idee.
Nein, es konnte wirklich nicht so weitergehen.
Kurzentschlossen rief ich Wulf an; er nahm tatsächlich ab. Ich fragte, wie es ihm gehe und entschuldigte mich für mein Verhalten; er könne es mir glauben, ich sei immer noch wie vor den Kopf geschlagen, so etwas hätte einfach nicht passieren dürfen. „Lass uns das Kriegsbeil begraben“, schlug ich vor, „so kann es nicht weitergehen, schließlich lebt der Mensch nur einmal und ist so lange tot“, sagte ich (oder ähnlichen Schwachsinn). Dann lud ich ihn zu kommenden Donnerstag, halb zwölf, zu einem verspäteten Frühstück ein, „da können wir über alles reden.“ Ich deutete an, es müsse ja nicht bei Weizenbrötchen bleiben, schließlich hätte ich noch andere Brötchen zu bieten, „mit allem Drum und Dran!“ Ich merkte richtig, wie das Handy heiß wurde.
Nach kurzem Zögern sagte Wulf zu.
Puhhh, das war noch mal gutgegangen! Ich empfand so etwas wie warmen Stolz, überhaupt auf diese Idee gekommen zu sein.

8

Pünktlich, mit gelöstem Hosengürtel, lag ich auf U. E. Kleins Couch. Es war Donnerstag, kurz nach halb elf. Klein legte los, und ich muss sagen, diesmal empfand ich sein Gesäusel als ausgesprochen angenehm. Auf sein Geheiß hin vergrub alle Sorgen unter dem dicken Stein, besonders die, dass ich nicht wusste, wie das Gespräch mit Wulf enden würde. Aber auch diese Sorge schmolz dahin wie Märzschnee in der Mittagssonne. Ich wurde frei und leicht und löste mich von dem Sofa; Klein erzählte seine Geschichte; bald saß er unter mir und wurde kleiner und kleiner; er erzählte unverdrossen weiter, ohne auch nur einmal nach oben zu schauen, so, als läge ich immer noch vor ihm. Immer weiter stieg ich auf, schon hatte ich die Zimmerdecke erreicht. Plötzlich fing es an zu regnen; ich wunderte mich, denn in Kleins Behandlungsraum hatte ich noch nie Wolken gesehen.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich auf dem Sofa in meinem Wohnzimmer, auf dem Tisch der Likör und zwei Gläser. Wulf saß neben mir, sein Kopf war nach hinten gerutscht. Es sah aus, als schliefe er. In seiner Brust steckte ein Messer.

*
So, Herr Doktor, Schluss, aus! Das ist alles, was mir dazu einfällt. Ich schwöre! Sie sagen, der Staatsanwalt hält mich für die Mörderin, weil niemand anderer infrage kommt, und ein Motiv hätte ich auch gehabt. Meine Fingerabdrücke? An einem Küchenmesser? Ist der Mann noch zu retten? Und das Motiv ist noch lächerlicher! Ich bringe doch keinen Menschen um, nur weil er mich nicht in Ruhe lässt! Da ist der Mann aber sowas von schief gewickelt! Ich denke, mit dem Hypnotiseur stimmt etwas nicht. Um den sollten Sie sich mal kümmern. Herr Doktor, ich erwarte, dass Sie mich da heraushauen. Dürfte bei Lage der Dinge und für einen alten Hasen wie Sie doch nicht allzu schwer sein...
 



 
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