Routine

Isengardt

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Vor einiger Zeit wurde ich einmal gefragt, was ich denn in meinem Leben anders machen würde, hätte ich die Chance dieses noch einmal zu wiederholen. „Um ehrlich zu sein…“ antwortete ich „…würde ich vermutlich gar nichts ändern wollen!“. Ich musste nicht sonderlich lange überlegen um diese Antwort zu geben, was mich doch stark verwunderte. Denn wenn ich so zurückblicke, habe ich so das Gefühl das da einiges schief gelaufen war und ich von einer turbulent peinlichen Aktion in das nächste drastisch prägende Event geschlittert bin.
Ich möchte mich auch garnicht weiter an diesen Momenten festhalten, aber ich komme nicht darum herum immer wieder in die eine oder andere Erinnerung zurückzukehren. Glücklicherweise habe ich mir viele Lücken, was meine genaue Erinnerung anbelangt, durch übermäßigen Alkoholkonsum angetrunken. So das ich sagen kann es bestehen nur noch Gedankenfetzen an diese oder jene Nacht. Jedoch auch diese kleinen Schnipsel, die ich durch die Hintertüre zu meinem Langzeitgedächtnis finde, jagen mir manchmal einen Schrecken ein. Da sind Fragmente die ich nicht leicht zuordnen kann und jene Bruchstücke, die zusammengefügt ein größeres Ganzes ergeben, das an Peinlichkeit fast nicht zu ertragen ist.

Wie gehe ich heute damit um? Manchmal erwische ich mich dabei, wie die Gedanken an alte Zeiten mich dazu bringen Laute auszustoßen, die für Außenstehende nicht einzuordnen sind. Fast wie Ticks, die man nicht kontrollieren kann. Auch die eine oder andere Geste mit meinen Händen kam schon zum Vorschein und ich verkrampfte diesen oder jenen Muskel, da das Erinnerungsbruchstück eine so enorme Auswirkung auf meine Psyche als auch auf meine Physis hatte. Mir ist es oft peinlich über diese Dinge zu sprechen. Ich habe mich aber im Gegensatz zu einigen geistig nicht gesunden Menschen zumindest in der Öffentlichkeit größtenteils im Griff und diese Dinge passieren nur in Situationen, in denen ich alleine bin und vor mich hinträume.
Aber kann ich denn sicher sein das ich nicht vielleicht doch geistig einen erheblichen Schaden davongetragen habe? Ich denke hier über Menschen nach, die sich nicht unter Kontrolle haben. Aber habe ich mich denn wirklich selbst unter Kontrolle wenn ich meine kleinen Ticks in den eigenen vier Wänden auslebe oder wenn ich mich eben unbeobachtet fühle. Ich meine man könnte ja trotzdem irgendwie doch beobachtet werden, auch wenn man sich in dem Moment sicher abgeschirmt von der Außenwelt fühlt. Dann bin ich vielleicht auch nicht anders als die Menschen die ich gerade eben noch „geistig nicht gesund“ genannt habe.

Ich weiss es nicht wirklich. Fakt ist aber das mich diese Erinnerungen geprägt haben und sie bis heute in meinem Kopf umherspuken. Und wenn ich diese Momente nicht gehabt hätte wäre ich heute wahrscheinlich ein ganz anderer Typ Mensch. Vielleicht so einer von der spießigen Sorte, mit einem Haus mit kleinem Vorgarten, einem weißen Lattenzaun, zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahren, einer ansehnlichen Frau und einem Mittelklasse Benz in der Garage. So wirkt man doch heute als angesehen, wenn die Familie und der Besitz Hand in Hand gehen. Dazu ein gutes Einkommen bei einem Job, der vielleicht nicht viel Freude bereitet, jedoch dem Mittelstand gerecht wird. Zwei mal im Jahr Urlaub auf den Kanaren und noch spießigere Freunde hat als man selbst ist. Ein Traum von einem Leben.

Nein, danke. Ohne mich. Ich bin da raus. Ich habe vielleicht meine Fehler begangen, bin jedoch nicht dem Spießbürgertum verfallen, welches ich schon immer verachtete. Es hat mich immer auf die Palme gebracht wenn ich auch nur daran dachte, einmal ein Leben aus dem Bilderbuch zu führen. Wem dies gefällt, der soll es so machen. Ich für meinen Teil halte an den alten Erinnerungen fest, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

Einen armen alten Mittvierziger, an dem das Leben wie im Fluge vorbeizieht. Einsam und allein in seinem kleinen fünfunddreißig Quadratmeter Appartement in einem Sozialviertel verbringend. Sich hin und wieder einen hinter die Binde gießen und den einzigen Grund weshalb man morgens aufsteht und weiterlebt vor Augen hält…Routine!
 
Es ist immer besser, die Dinge selbst darzustellen als nur zu behaupten, dass es sie gäbe. Da keine einzige dieser Peinlichkeiten auch nur im Ansatz benannt oder gar beschrieben wird, bleibt nur die Behauptung, es gäbe sie. Selbst des Ende des Textes, benennen wir die Schlussfolgerung mal als "besser bescheuert als Spießer" ist matt und folgt nicht aus dem Vorangehenden.
 

Isengardt

Mitglied
Die Darstellung der Peinlichkeiten habe ich eigentlich bewusst ausgelassen. Da es mir nicht darum ging ein Bild dessen zu erstellen, sondern ein Gefühl zu vermitteln wie es einem Menschen geht dessen Vergangenheit ihn immer wieder einholt. Ob mir das gelungen ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Das diese Person dann auch ein ernstes Problem mit eben jener Vergangenheit hat und er sich letztlich mit Vorzeigefamilien vergleicht und sogar für besser hält als eben diese, versuchte ich mit dem letzten Absatz abzuschwächen, in dem ich seinen derzeitige Situation beschrieb. So dass er eben bei weitem nicht besser dasteht, als die so von ihm verachteten Spießbürger. Meine Absicht bestand darin aufzuzeigen das eigentlich er es ist, der eine beschränkte Denkweise aufweist.
 



 
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