Sag mir, wie war es in der DDR

ikarus-1975

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I

Wenn ich die Augen schließe, dann bist du mir ganz nah, dann kann ich dich berühren, dich streicheln, in die Arme nehmen und mein Gesicht in deinem Haar vergraben. Ich kann dich auf die Wange küssen, dich stupsen und in die Seite zwicken, um dir ein volltönendes Glucksen zu entlocken. Am liebsten aber nehme ich dein Gesicht in meine Hände und sehe dir in die Augen. Glaub’s mir oder nicht, flüstere ich, aber ich könnte in deinem Blick versinken, denn ich spüre, dass du mir so viel zu erzählen hast. Wieder gluckst du leise, sagst: Dann lass uns beginnen.

Du hältst den Kopf schräg, grinst verschmitzt und antwortest auf die Frage, wie es dir ginge, mit leicht ironischem Unterton: Vor wenigen Wochen habe ich mein Haus renovieren lassen, mir einen Porsche Cabrio gekauft und habe seit ein paar Tagen auch einen Swimmingpool im Garten – was will ich mehr?

Wir sitzen auf der Terrasse hinter deinem Haus. Du zupfst beim Sprechen Grashalme ab, drehst sie zwischen den Fingern, sinnierst. Ich sehe dir zu, muss schmunzeln, auch über die Art wie du sprichst. Du senkst die Stimme am Ende des Satzes nicht, scheinst dadurch ein wenig abgehoben, sogar etwas pathetisch, wie ein Lehrer, der um die Macht seiner Worte weiß.

Doch gleich darauf gerätst du ins Stocken, mühst dich, den richtigen Begriff zu finden, verziehst das Gesicht und lächelst dabei lausbubenhaft. Mich beschleicht das Gefühl, dass du dich selbst ein wenig auf deinen Worten treiben lassen möchtest. Wohin? Deinem Blick entnehme ich einen Hauch von Melancholie und Sehnsucht. Und ich frage mich, wovon du träumst – auch für dich persönlich? Du wirkst so, wollest du über den Horizont hinausschauen, um etwas zu erspüren, das kaum begreifbar ist. Du hast schon immer weitergedacht, als es den Oberen lieb war. Hast mit deinen Filmen dort Wahrheiten ans Licht geholt, wo sich Dogmen im Rausch des Allbeglückungswahns in mottenzerfressene Vorhänge hüllten als wären sie Festgewänder. Dein Publikum liebte dich dafür.

Du schmunzelst, erhebst dich und tippst dir an die Nasenspitze. Mottenzerfressen. Schönes Bild. Ich zucke mit den Schultern, muss ebenfalls grinsen. So sehen wir uns einen Moment lang an, ehe ich dich frage, ob du in der neuen Zeit angekommen seist. Was heißt angekommen sein?, erwiderst du, ich lebe einfach weiter, jetzt nach der Wende. Und wie lebst du weiter? Wie sieht das genau aus?, möchte ich wissen. Du lächelst, aber statt etwas zu sagen, klopfst du plötzlich mit dem Fingernagel ans Gehäuse der vor mir auf dem Tisch liegenden Kamera. Mich durchfährt ein heißer Schreck. Mein Gott, die habe ich ja vollkommen vergessen! Können wir noch einmal von vorne beginnen?, frage ich dich. Du aber schüttelst den Kopf. Also drücke ich erst jetzt den Knopf. Augenblicklich erscheinst du auf dem Display: ein Mann von knapp 1,65. Du trägst ein weißes Sommerhemd und Jeans, bist schmal, jedoch mit leichtem Bauchansatz, hast große braune Augen hinter runden Brillengläsern und dunkle Haare, die nur an den Schläfen zu ergrauen beginnen. Doch trotz deiner Jungenhaftigkeit wirkst du älter als 67, gerade um die Augen herum. Müde. Verbraucht. Das Wort kommt mir in den Sinn, aber ich nehme mich sofort zurück, denn es klingt so, als wärst du ein alter, abgenutzter Gegenstand, den man getrost entsorgen kann. Ich versuche zu lächeln und bitte dich, etwas über dich zu sagen, dich vorzustellen.


II
Also soll ich mich vorstellen?, fragst du.

Ja, erwidere ich, deswegen habe ich die Kamera angemacht. Also sag etwas zu deiner Person.

Nun ja, beginnst du und zuckst mit den Schultern. Wir kennen uns doch, du weißt, dass ich 1929 in Rostock geboren wurde und seit 1939 und bis zum Ende des Krieges in der Hitlerjugend war – auch überzeugt davon, setzt du nach, dann hältst du inne und ich ahne, was in dir vorgeht. Ich war überzeugt davon, glühender Anhänger, wiederholst du in leicht schleppendem Tonfall. Ich war sogar stolz darauf, mein Vaterland in den letzten Stunden verteidigen zu dürfen.

Ich weiß, flüstere ich und räuspere mich: Aber dann kamen die Russen.

Du nickst: Ja, dann kamen die Russen und ich verstand und ich schwor mir, mich nie wieder so sehr verführen zu lassen, sondern immer zu prüfen, wem oder was ich folgen möchte. Wieder hältst du inne, schüttelst den Kopf. Ich spüre, dass es dich selbst nach all der Zeit noch immer Kraft kostet, darüber zu sprechen, dass du dich für den Jugendlichen, der du einst warst, schämst.

Bei Kriegsende warst du 16, bist wieder in die Schule gegangen, hast dein Abitur gemacht. Du siehst mich an, sagst jedoch nichts. Und mit 21 Jahren hast du dich an der Filmhochschule in Babelsberg für das Regiestudium beworben.

Ja, stimmst du mir nun zu und dann drängt es so schnell aus dir heraus, dass ich leicht zusammenzucke: Ich war Regisseur bei der DEFA, über 40 Jahre, zunächst im Studio für Dokumentarfilm, dann im Spielfilm und heute, heute da bin ich Handwerker.

Handwerker? Wie? Du meinst ... Und ich deute auf dein Haus, denn ich halte es für einen deiner Witze. Du aber schüttelst den Kopf. Nein, nein, das nicht. Ich meine damit, dass ich heutzutage nicht mehr Regisseur, sondern Handwerker bin.

Wie? Ich verstehe noch immer nicht. Na ja, sagst du, heute drehe ich nur noch Vorabendserien. Und bei dieser Arbeit ist eben nicht mehr der Regisseur gefragt, der seine eigenen Themen hat und sich überlegt, wie er sie inszeniert, sondern nur noch der Handwerker, der ein vorgegebenes Drehbuch abarbeitet.

Planwirtschaft also, versuche ich mich an einem Witz und du zwinkerst mir zu: Doch auch das will gelernt sein. Ja, aber wie gehst du damit um? Wie fühlst du dich dabei, dass du nicht mehr kreativ sein kannst?, möchte ich wissen.

Wie soll ich mich fühlen? Immerhin habe ich Arbeit, was nicht selbstverständlich ist. Noch dazu in dem Bereich, in dem ich gelernt habe. Und von dem Geld, das ich verdiene, kann ich mir doch einen gewissen Lebensstandard leisten.

Aber …, begehre ich auf. Es ist in jedem Fall besser, als daheim hinterm Fenster zu sitzen und auf die Straße zu starren, hältst du mir entgegen und wirst dabei ein wenig lauter: Ich möchte nicht darauf warten müssen, dass ein Produzent vorbeikommt, der bereit ist, meinen nächsten Film zu finanzieren. Denn das verbittert. Viel lieber bin ich unter Menschen. Und ich habe ein unheimlich freundliches und engagiertes Team um mich. Du machst eine kurze Pause: Aber lass uns über die Nachwendezeit später sprechen.

Ich nicke. Gut. Möchtest du mir stattdessen etwas über deine Art des Filmemachens erzählen? Welchen Themen hast du dich in der DDR zugewandt und wie hast du sie auf die Leinwand gebracht?

Du schmunzelst, dann schaust du kurz zur Seite, holst tief Luft. Meine Lehrer waren Gerhard Klein und Słatan Dudow. Orientiert habe ich mich auch an Bergman, Pasolini und Tarkowski. Ebenso wie sie interessierte ich mich schon immer für die Menschen um mich herum: für deren Wünsche, Sehnsüchte, Lüste, Leidenschaften, Sorgen, Ängste – für ihr Leben. Und dieses Leben wollte ich auf die Leinwand bringen. Mit reinstem Herzen, wenn ich das so sagen darf.

Gerade dadurch wurdest du zu einem der provokantesten Regisseure in der DDR, werfe ich ein.

Du zuckst mit den Schultern. Als Regisseur muss man wissen, was die Leute bewegt, was sie umtreibt. Denn das ist die Voraussetzung, um gute Geschichten erzählen zu können. Und gute Geschichten sind Geschichten, die alle angehen. Natürlich provozierte das dann, wenn du da beispielsweise eine junge Frau hast, die von der Liebe träumt und eben nicht vom Aufbau der Sozialistischen Gesellschaft.

Du spielst auf deinen Film Die Legende von Paul und Paula an. Da frage ich mich, inwieweit sich Menschen wie Paula von der Sozialistischen Gesellschaft getragen wissen. Wird ihnen überhaupt das Recht zugestanden, so zu sein, wie sie sind?

Ja, so, sagst du. Wir haben hier die von der Politik propagierte Allbeglückung – und die traf in gewisser Weise ja auch zu. Du warst in der DDR abgesichert. Dir fehlte zum Leben erst einmal nichts. Du hattest eine Wohnung und eine Arbeit. In deinem Viertel gab es ein Ambulatorium, eine Kaufhalle, eine Leihbücherei. Kinos und Theater waren nicht weit. Vor allem Kinos gab es ja an jeder Ecke, Ladenkinos, Wohnzimmerkinos, Kinokisten.

Ein hohes Gut, werfe ich ein, von unschätzbarem Wert ist das.

Ja, gibst du mir recht. Es kamen zwar nicht immer Filme, die sehenswert waren. Aber immerhin gab es Kinos. Und für deine Kinder gab es Krippen- und Kindergartenplätze. Dann die Schule und am Nachmittag der Hort oder Arbeitsgemeinschaften und Sportvereine. Die Kinder waren untergebracht und bis zum Abend versorgt. Das Leben war durchstrukturiert und, mehr noch, sinnvoll genutzt. Aber bei all dem, was uns Sicherheit gab, wurde doch der einzelne Mensch vergessen – und eben auch das, was ihn erst zum Menschen macht.

Die Liebe in all ihren Facetten.

Natürlich kannst du das an der Liebe festmachen, stimmst du mir zu. Aber es ist mehr noch das, was die Menschen glücklich macht. Gerade um diesen Widerspruch ging es mir: hier ist das Ideal, der Sozialistische Humanismus, der vorgibt, die Bedürfnisse der Menschen befriedigen zu können. In der Realität aber sahen sich die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Glück oftmals gar nicht ernstgenommen.

Die Individualität und der Drang, sich selbst auch anders zu erfahren, als es die Gesellschaft vorgibt, war nicht erwünscht und wurde unterdrückt, sage ich. Wie auch der Film Solo Sunny von Konrad Wolf zeigt.

Ja natürlich! Und das war auch einer der größten Fehler, die die DDR gemacht hat. Sie schrieb den Menschen vor, wie sie zu sein hatten, ohne darauf zu achten, dass der Mensch auch zutiefst menschliche Bedürfnisse hat. Dass wir alle Individuen sind, die sich, wie in Paulas Situation nicht nur nach staatlicher Sicherheit, sondern eben auch nach leidenschaftlicher Liebe sehnen, die ihr dann eben auch wichtiger ist als all der sozialistische Aufbau.

Ach, ja, unterbreche ich dich, zur leidenschaftlichen Liebe fällt mir noch etwas ein. Ich halte inne und wundere mich darüber, wie ich das tun kann, dich einfach so zu unterbrechen. Du aber siehst mich nur an, scheinst geradezu gelassen zu sein. Ich meine, setze ich daher etwas ruhiger nach, mich hat die Kompromisslosigkeit, mit der Paula ihre Liebe auslebte so sehr berührt. Und mehr noch, dass diese Kompromisslosigkeit aus ihr herauskam, einfach so, ohne, dass sie überlegen musste.

Du schmunzelst, nickst, sagst dann: Ja, wir wollten zeigen, dass die Liebe kompromisslos ist.

Aber auch anarchisch, füge ich hinzu, schnappe nach Luft: Bist du der Ansicht, dass Veränderungen, egal, welcher Art sie sind, einer gewissen Kompromisslosigkeit bedürfen und eben auch einer Anarchie?

Du schweigst, schweigst lange und siehst mich derweil an. Und wieder meine ich in deinem Blick jene, von Melancholie getragene Sehnsucht zu erkennen. Ich halte still, versuche zu begreifen. Da nickst du plötzlich und sagst ungewöhnlich leise: Ja, jeder Veränderung – egal, ob im Zwischenmenschlichen oder im Großen, Gesellschaftlichen und Politischen – wohnt wohl Anarchie inne.

Unmittelbar nach der Wende hast du – wie so viele deiner Kollegen auch – die Kündigung erhalten. Da warst du gerade erst 60 Jahre alt.


III

Ich möchte doch noch einmal auf die Frage zurückkommen, wie ich mich jetzt fühle. Vielleicht ließe sich korrekterweise fragen, wie wir uns fühlen, sagst du in ruhigem Ton und kratzt dich mit dem Daumen an der Stirn.

Wen meinst du mit wir?

Na, die, die in der DDR Kunst machten, erwiderst du. Freilich nicht alle – und vielleicht spreche ich ja auch wirklich nur für mich selbst. Aber wenn ich mich so umhöre … Du siehst zu Boden, zuckst mit den Schultern.

Sag mir, wie du dich fühlst, falle ich dir ins Wort.

Da hebst du den Blick, siehst mich an und es scheint mir so, als wollest du mich fragen, warum ich das überhaupt wissen möchte. Mich verunsichert das und ich lasse die Kamera sinken. Doch in dem Moment sagst du sehr leise und dennoch deutlich: Die Leute werden mir fremd. Ich kann mich immer weniger in sie hineindenken, jetzt, nach der Wende.

Es drängt mich plötzlich danach, dich zu fragen, ob du auch deswegen keine Filme mehr drehst, weil du die Sprache der Menschen nicht mehr sprichst, ihren Ton nicht mehr triffst, oder zumindest denkst, das nicht mehr zu können.

Du zuckst mit den Schultern, nickst zugleich. An Ideen mangelt es nicht. Eine Liebesgeschichte. Eine Ost-West-Geschichte. So etwas in der Richtung. Was meinst du, würde das die Menschen interessieren? Was kann denn an der Liebe falsch sein?

Ich sage nichts, schweige. Mir tut es leid, dich so direkt gefragt zu haben, weil ich doch weiß, was in dir vorgeht, wie sehr du an deinem Simplicissimus nach dem Drehbuch von Franz Fühmann hängst. Die DEFA hatte dieses Projekt in den frühen 80er Jahren abgelehnt. Es hieß, es sei mit seinen 18 Millionen DDR-Mark zu teuer. Und nach der Auflösung der DEFA? Da hast du auf Volker Schlöndorff, den aus dem Westen kommenden Geschäftsführer der Babelsberger Filmstudios, gehofft. Aber wieder hieß es, der Film könne nicht gemacht werden, da zu teuer. Ich weiß, wie tief der Schmerz in dir sitzt, gerade weil sich bei Schlöndorffs eigenen Projekten diese Frage nie stellte. Während er Der Unhold drehte, bot er dir das Drehbuch für Rennschwein Rudi Rüssel an. Der Simpel, wie du dein Projekt liebevoll nennst, hätte eine rauschende Techno-Party für den Weltfrieden werden sollen. Ich überlege kurz, ob ich dich darauf nicht doch ansprechen soll. Entscheide mich jedoch dagegen. Später. Vielleicht.

Früher, sagst du in meine Gedanken hinein, früher da waren wir eine Gemeinschaft, trotz allem. Oder gerade weil? Du versuchst zu lächeln und wirkst doch plötzlich so verlassen: Heute gibt es nichts mehr, wofür wir gemeinsam eintreten oder kämpfen könnten. Etwas, das uns alle eint, oder zumindest, an dem wir in irgendeiner Weise alle beteiligt wären. Heutzutage werden Werte wie Mitmenschlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme aus einer falsch verstandenen Freiheit zur Privat- wenn nicht gar zur Geldsache erklärt und daher nichtig.

Moment!, unterbreche ich dich, du willst sagen, dass Werte nur dann wirklich gelebt werden, wenn sie an etwas, weit über den Menschen Hinausragendes geknüpft sind?

Ich würde nicht so weit gehen, es als weit über den Menschen Hinausragendes zu bezeichnen, erwiderst du, sondern an etwas Aufrichtiges, etwas, woraus sich unsere Gesellschaft als Gesamtheit speisen kann. Haben wir das nicht und fehlt uns also diese Begründung, geraten Sinn und Zweck unserer Werte recht schnell in Vergessenheit. Oder anders ausgedrückt: Den Menschen nur zu sagen: Das sind unsere Werte, aber was ihr damit anstellt, ist euch überlassen, treibt die Gesellschaft nur immer weiter auseinander. Jeder strebt nach seinem eigenen Vorteil und vergisst dabei den Anderen. Der öffentliche Raum wird zum eigenen Wohnzimmer. Der Andere hat darin keinen Platz mehr. Auch ist allgemein nichts Verbindendes mehr zwischen den Menschen, nichts Unverbrüchliches mehr, keine Aufrichtigkeit. Es geht nur noch um das Ich. Ich, ich, ich … Bei den letzten Worten wirst du lauter und speist sie förmlich aus.

Ich spüre deinen Ekel vor dem, was du beschreibst. Kann ihn verstehen, trage ihn ja selbst in mir. Und wie gehst du damit um?, möchte ich wissen. Wieder zuckst du mit den Schultern, wendest dich um, gehst die vier Stufen hinab in deinen Garten, diese grüne, von hohen Tannen umstandene parkähnliche Anlage. Ich folge dir, greife nach deiner Hand. Du schaust kurz zu mir hinüber, ein Lächeln zuckt um deinen Mund. Und dann kommt die Frage, die ich zuvor schon erwartet hatte: Warum möchtest du das eigentlich alles wissen?

Weil ich verstehen will, das Damals – auch, um es gegen Missdeutungen schützen zu können, schiebe ich ein wenig zu rasch hinterher.

Du lachst leise schnaubend, sagst: Ein hehres Ziel. Doch wirst du es nicht verhindern können!, und löst dich aus meinem Griff. Denn andere haben sich unserer Vergangenheit bereits bemächtigt, sie verfügen über sie, um uns über sie zu belehren und uns zu erzählen, wie das damals so war – hier, bei uns im Osten.
 
Hi Ikarus,
Du kannst beruhigt davon ausgehen, dass mit Heiner Carow hier kaum einer was anfangen kann. Weil, zu jung, aus Westdeutschland oder Österreich. Erst recht nicht mit seinen Filmen. Deshalb würde ich an Deiner Stelle auch darüber schreiben, was ihre Faszination für Dich ausmacht. Wir aus dem Osten kennen alle "Die Legende von", "Die Reise nach Sundevit", jedenfalls viele von uns. Aber hier sind wenige im Forum aus der ehemaligen DDR.

Die Filmhandlung zu erzählen, ist deshalb nicht Eulen nach Athen tragen. Schreib doch über den süßen blonden Jungen, die Traurigkeit, die der Film auch hat, wenn man sieht, wie der Kleine verzweifelt nach seinen Freunden sucht, schreib über die alleinerziehende Mutter, die von der eigentlich viel zu alten Angelika Domröse dargestellt wurde, passte aber genau - ich denke im Westen wäre die Liebesgeschichte auch nicht anders verlaufen- über das einsame Scheidungskind. Vielleicht würde das Farben in Deinen Text bringen. Auch die geniale Musik von den Puhdys, nie wieder waren sie so gut, ich glaube sogar die Texte hat Plenzdorf geschrieben. Auszüge daraus verwenden.

Sogar das Hohelied aus der Bibel musste dafür Pate stehen. "Meine Freundin ist schön". Ein genialer Text. Hoffentlich nicht von Kurt Demmler. Ich glaube aber fast. Wie gesagt, die Filme wird hier kaum einer jemals gesehen haben, so dass Du keine offenen Türen eintrittst. Bloß ein Vorschlag. Ich erwähnte mal in einer Geschichte "Solo Sunny". Und keiner wusste was darüber. Merkwürdig.
Frieda
 
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ikarus-1975

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Hi Frieda

Danke für dein Feedback und dein Engagement. Aber in diesem Text gehts mir weniger um die Inhalte der Filme als vielmehr um ein Gespräch zwischen einem Wendekind und einem Filmschaffenden, der die DDR in seiner Gänze erlebte. Zwei Menschen, zwei Perspektiven auf die DDR. Bsp.: Der eine träumte sich in der Mathestunde in die Arme von Winnetou und in den Wilden Westen, während der andere den ersten Film über Homosexuelle in der DDR auf die Leinwand brachte. Und nun: Der eine will die DDR, die ihm vorher zu klein war, retten, der andere sieht den Umgang mit ihr realistisch. Was bleibt?

Freilich gehts mir in dem Text um das Schicksal der Filmschaffenden nach der Wende. Und das versuche ich am Beispiel von HC zu erzählen. Die Brüche, die Widersprüche, die Vereinsamung - das Wissen darum, zu alt zu sein, zu langsam auch, um mit anderen Schritt halten zu können. Das zumindest sagte er einst meinem Freund. Sein Schicksal geht mir nah.

Ich weiß, mit welchem Feuer er gerade von der Legende erzählte - und das bis kurz vor seinem Tod. Er verwendete die immer gleichen Worte, so als hielte er sich an dieser Erinnerung fest, ja klammerte geradezu an ihr, um dem täglichen Einerlei (der Serienmacherei) etwas entgegensetzen zu können. Gerade daran zeigen sich seine hohe Sensibilität und Verletzlichkeit. Für ihn war der Film etwas Heiliges. (Ich glaube, das kommt zu kurz in meinem Text.) Ich weiß, dass er aufblühte, als der Film nach der Wende wieder gezeigt wurde. "Wir waren high, als wir sahen, wie das wieder losging ..." Für ihn war das mehr als eine Erinnerung an das Damals. Das "Damals" erwies sich als stark genug, auch im Hier und Jetzt zu bestehen. Er wollte ja nicht nur über die DDR erzählen, sondern von einer Liebesgeschichte, die an Aktualität nichts einbüßt. Und er konnte sich der Illusion hingeben, noch nicht zu alt zu sein. Nicht zu alt für einen neuen "Carow".

Ich weiß auch, dass HC Ikarus als seinen besten Film bezeichnete - er liebte ihn mehr als alle anderen - und ich weiß, wie sehr er unter dem "Verbot" von "Die Russen kommen" litt. Wie verzweifelt er war, keinen Film mehr machen zu können. Da war dann "Die Legende" ein Befreiungsschlag. (Auch das kommt zu kurz.) Und das merkt man dem Film auch an. Sowohl Plenzdorf als auch er toben sich aus. Lassen es krachen, zeigen sich als Rebellen.

Ich arbeite an einem Lexikonartikel über HC und lasse ihn da immer wieder selbst zu Wort kommen. Und genau das, was ich jetzt hier angeführt habe, fließt in ihn ein. Freilich geht mir einiges ab und ich muss vieles nachlesen. Aber ich habe gute Quellen.

Obiger Text funktioniert für mich so, wie er hier steht. Für mich geht nichts ohne Gefühl. Ich muss spüren, was ich da zu "Papier" bringe. Auf rein intellektueller Ebene funktioniert da nichts und vielleicht habe ich deswegen auf den einen oder anderen "Farbtupfer" verzichtet bzw. verzichten müssen. Vielleicht werde ich es, wenn ich den Text beendet habe und ihn ruhen lasse, anders sehen.

Ja, es ist komisch mit "Solo Sunny". Er ist einer der bekanntesten Filme der DEFA, einer der besten, aber auch mir geht es so: kaum ein Westdeutscher kennt ihn. Mit "Paul und Paula" ist es da anders. Mein Freund meinte: "Die Legende" ist das, was bleiben wird. Ich persönlich mag den Stil nicht sonderlich. Da sind mir andere Filme näher. Aber ich nehme ihn als Befreiungsschlag.

Wie ich schon schrieb, bin ich auf deine Reise nach Sundevit gespannt. Und worauf ich auch gespannt wäre: ein Gespräch mit dir, denn wir gehören ja auch unterschiedlichen Generationen an. Zumindest meine ich, dass uns ein paar Jährchen trennen. Ich kann mich irren ... Perspektiven auf die DDR - das ist mein Thema. Aber dazu kann ich genausogut deine Texte lesen. Und das werde ich tun.

Hab Dank für deine Kritik und die Möglichkeit, meine Gedanken zu ordnen.

LG
ikarus
 
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Hallo Ikarus,
ich meinte bloß, die Filme von HC kennt hier vielleicht kaum einer. Deshalb mein Vorschlag, mehr darüber zu erzählen. Du schriebst ja schon in Deiner obigen Antwort, wieviel die "Legende" für ihren Regisseur bedeutete und wie er auflebte, als sie nach der Wende wieder gespielt wurde. Diesen Sätze könntest Du in Deinen Text einfügen. Es ist natürlich Deine Sache.
Ich mache ja auch, was ich will.
Gruß Frieda
 



 
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