Salatrezept (Leberreim)

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sufnus

Mitglied
Hey Bernd!

Dieser Leberreim erfreut mich gleich in mehrfacher Hinsicht sehr!

Erstens mag ich die pflege alter Formen, zweitens finde ich den Kassetten-verorteten Bandsalat einfach wonniglich (auch wenn "die jungen Leute" den Gag nicht mehr verstehen werden) und drittens stupst Du mich durch die vierzeilige Darstellung des Leberreims nochmal auf die von mir seinerzeit einmal angestoßenen Plozelverse, die dann so beglückend-vielstimmig fortgesetzt wurden, wobei Fee durch die Erfindung des Feenplotzel die formale Brücke zum Leberreim begründet hat. Leberreime mit einem Zäsurreim (auf Hecht) wären sogar formgleich mit den klassischen Plotzelversen nach Stefan Pölt. :) Aber von Plotzeleien will ich jetzt in Deinem Leberfaden nicht zu viel schwadronieren.

Daher will ich nur nochmal quasi als literaturhistorische Einordnung ergänzen, dass Du hier die Form des "bürgerlichen Leberreims" (kein offizieller Terminus technicus sondern ein Sufnizismus) gewählt hast, wonach der Leberreim aus zwei 15-silbigen paargereimten Jamben besteht mit einer Zäsur nach dem Hecht (Zeile 1) bzw. nach der achten Silbe. Die überlagen Zeilen in Tateinheit mit der Zäsur suggerieren dabei natürlich stark eine Umwandlung in einen Vierzeiler, womit wir dann erstens bei der von Dir hier gewählten Darstellungsweise sind, lieber Bernd.

LG!

S.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Sufnus.
Leberreime sind ja schon Jahrhundertealt. Im 18. Jahrhundert gerieten sie etwas aus der Mode, haben sich aber erhalten.
Die Form entwickelte sich, so wurde oft in zwei und manchmal in vier Versen geschrieben.

Es gab auch mehrversige lange Leberreime.

Hier ein sehr alter, der wahr und dennoch heuteUnsinn ist.

Quelle:
Bragur: ein litterarisches Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit - Google Books
Bragur: ein litterarisches Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit, Band 5
herausgegeben von Friedrich David Gräter, Christian Gottfried Böckh

"Die Leber ist vom Hecht und nicht von einer Gans;
Die Magd heißt Ursula, Der Hausknecht aber Hanns."


Viele sind hier: Gedichte - Karl Friedrich Schimper - Google Books
 

sufnus

Mitglied
Hey Bernd!

Ich bin nicht so ganz sicher, ob man wirklich sagen kann, dass die Leberreime in der frühen Neuzeit (sagen wir mal vor dem 18. Jh.) in Blüte standen und danach aus der Mode gekommen seien. Die beiden Beispiele, die Du hier zitierst sind ja tatsächlich erst im 18. Jh. (1. Beispiel) und im 19. Jh. (2. Beispiel) publiziert worden.

Gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jh. hat man eine gewisse Nostalgie für die alten Zeiten gepflegt. Viele Burgruinen wurden damals in einem Stil, den man für "mittelalterlich" hielt, einigermaßen "kreativ" restauriert oder es wurden gleich neue Anlagen gebaut, die ein fantasiemittelalterliches Gepräge hatten. Und auch in der Literatur gab es diese Tendenz, Texten einen altertümlichen Klang zu verleihen und sich so in die fernen Zeiten zurückzuträumen.

Genau in dieser Zeit haben m. E. dann auch die Leberreime einen Popularitätsaufschwung erfahren und manche bekannten Poeten wie Simrock oder Fontane wurden hier schöpferisch tätig. Damit will ich nicht etwa sagen, die altehrwürdige Verortung der Leberreime sei eine spätneuzeitliche Erfindung, also eine klassische "erfundene Tradition" im Sinne von Hobsbawm/Ranger - das nun gerade nicht: Du hast ja andernorts auf die Textbeispiele vom Beginn des 17. Jh. verwiesen, da gibt es also schon einen alten Traditionskern der Leberreime. Nur waren diese ganz frühen Leberreime noch nicht in der "klassischen" zweizeiligen Form gestaltet - Du hast es oben ein bisschen angedeutet, wenn Du von "mehrversigen langen Leberreimen" sprichst.

Zumindest die wirklich alten Beispiele, die ich gefunden habe, haben mehr Zeilen als die "kanonischen" zwei Zeilen der "bürgerlichen Leberreime" des 19. Jh. und weisen eher Sinnspruch- als Nonsens-Charakter auf. Ein grammatisch, orthographisch und zeichensetzungsmäßig behutsam angepasstes Beispiel aus den Ethica complementoria, die zur Mitte des 17. Jh. erstmalig aufgelegt wurden:

Die Leber ist vom Hecht. Aus unserm Strom gefangen,
in welchem er mit List den Kleinen nachgegangen.
Jetzt ist er unser Spiel: Wer mehr denn er verübt,
der bleibet selbst fürwahr zuletzt nicht unbetrübt.

Das ist ja eher ein moralisierendes Gedicht als klassische Unsinnspoesie, denn die Moral von der Geschicht ist ja: Wer, wie der Hecht als listiger Jäger den kleinen Fischen das Leben schwer macht, der endet am Schluss doch auf dem Buffet eines noch viel größeren Jägers.

Die eher "albern" gehaltenen Unsinnsverse, bestehend aus zwei Zeilen mit jeweils 15 Silben, sind in meiner Wahrnehmung vor allem ein Kind des 19. Jh.
In dem Zusammenhang ist m. E. interessant, dass auch die zwei anderen klassischen Formen der Unsinnspoesie, der Limerick und der Klapphornvers vor allem ins 19. Jh. zu verorten sind. Ich glaube, dass die Lust der Poetinnen und Poeten in den nachromantischen Epochen des 19. Jh. an Scherz- und Unsinnspoesie noch einige literaturwissenschaftliche Master-Arbeiten wert ist. Mit den Epochen von Biedermeier, bürgerlichem Realismus und Naturalismus verbindet man ja eher betuliche Blümchenlyrik (Biedermeier) bzw. Gedichte mit sittlich-moralischem Mehrwert (Realismus) bis zur beginnenden Sozialkritik (Naturalismus). Dass nebenher ein gewisses anarchisches Vergnügen am Nonsens schöpferisch wirksam war, wird da oft übersehen.

Und natürlich ist das jetzt auch keine steile These, wonach die Unsinnspoesie grundsätzlich erst in der fortgeschrittenen Neuzeit so richtig loslegt. Selbstverständlich ist in der Poesie zu allen Zeiten auch viel Energie und Vergnügen der Dichter:innen in die Anfertigung von höchst unsinnigen Versen geflossen - die Fatrasie, die Du ja auch schon sehr schön beackert hast, lieber Bernd, wären so ein Beispiel für eine wirklich altehrwürdige Form von Gedichten im Geiste des Dadaismus avant la lettre. :)

LG!

S.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Sufnus, das hast Du gut zusammengefasst.

Nur ein Gedanke noch: Sie waren immer verbreitet, aber zeitweise in Verruf. Nie aber verschwanden sie. Anfangs waren sie oft in Büchern verstreut, die der Zerstreuung und Bildung dienten. Wie alt sie wirklich sind, weiß ich nicht.

Gelesen habe ich, dass es teilweise Stegreifdichhtung war, also heute wäre es eine Art Mini-Standup-Comedy.
 



 
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