Nils R.
Mitglied
Die Uhr beginnt zu laufen und es liegt an mir, den ersten Zug der Partie zu spielen. Auf eben diese Schachpartie freue ich mich bereits seit geraumer Zeit, denn sie bietet mir die Chance – sicherlich die einmalige – gegen einen Großmeister zu spielen. Andrej Smirnov, aus Russland stammend, heißt mein Gegner, der Deutschland nur aufgrund der Reise zu einem Turnier von Weltrang durchquert. Mit dem Zug ist er auf dem Weg von Moskau nach Paris und verbringt die Nacht in dem Hotel Klementhal, dessen Gästen – jedenfalls einigen von ihnen – angeboten wurde, eine Partie, werden sie denn vom Zufall bestimmt, gegen Smirnov zu spielen. Nun bestimmte mich das Schicksal dazu, einer dieser Glücklichen zu sein.
Mein Gegenüber verzieht sein Gesicht bereits und scheint die Geduld zu verlieren. Eine Minute ist bereits abgelaufen und mir verbleiben nur noch 29 weitere. Schnell ziehe ich den Bauer, von dem Feld e2, auf das Feld e4 und drücke auf die Uhr. Ohne sich des Nachdenkens auch nur dem Bruchteil einer Sekunde zu widmen, entgegnet Smirnov ebenfalls mit einem Bauernzug, auf das Feld e5. Im Zentrum stehen sich die Bauern nun gegenüber, nichts Ungewöhnliches, doch scheint es mir in diesem Augenblick, als seien wir jene Bauern. Nur um eine Haaresbreite voneinander entfernt, durch das Regelwerk allerdings daran gehindert uns zu nähern. Nicht würde ich es wagen, dem an Selbstbewusstsein nicht leidenden, Smirnov auch nur einen Zentimeter näher zu kommen und mich gar Richtung Brett zu lehnen. Zu groß ist meine Bewunderung und Nervosität zugleich.
Ach – meine Gedanken schweifen schon wieder ab. Meine Konzentration sollte sich der Partie widmen und ich mich des Untergehens, so lange wie es mir nur möglich ist, drücken. Meinen Springer ziehe ich von dem Feld g1 auf das Feld f3 und greife damit seinen Bauern an, den er sogleich – wieder ohne auch nur eine Sekunde seiner Zeit zu investieren – mit dem Zug des Springers auf das Feld c3 deckt. Auch ich führe meinen nächsten Zug ohne zeitraubendes Nachdenken aus, denn auf eine solche Stellung, habe ich mich bereits vorbereitet. Durch den Läuferzug auf das Feld b5 ist nun die sogenannte spanische Eröffnung auf dem Brett, die sicherlich zu den ältesten und bekanntesten des Schachspiels gehört. In den nächsten Zügen geschieht nichts sonderlich aufregendes, was einen erfahrenen Schachspieler mit der Wimper zucken ließe. Nach 10 Zügen bleiben mir noch weitere 25 Minuten, Smirnov nutze bloß etwa 30 Sekunden seiner Zeit und zollte mir weitgehend keine Aufmerksamkeit.
Sein nächster Zug lässt mich allerdings grübeln, da deutlich zu erkennen ist, dass mir eine Kombination, einen Tausch meines Springers gegen seinen Turm ermöglichen und damit einhergehend einen deutlichen Vorteil einbringen würde. Ich vermute Smirnov, der noch immer keinen Anstand macht jegliche Emotionen zu zeigen, hat eine Falle aufgebaut und hofft, dass ich in diese tappe. Doch unmöglich ist es mir diese zu finden. Fast 10 Minuten meiner Zeit opfere ich und komme zu dem Schluss, dass ich mir seinen Turm sichern kann. Überraschenderweise beginnt auch Smirnov nun zu überlegen. Sein mürrischer Gesichtsausdruck schwindet und die zuvor zusammengezogenen Augenbrauen richten sich langsam auf. Nach Minuten des Überlegens löst er sich von seiner Schockstarre und spielt einen, mir unerklärlichen, Zug. Er setzt dem drohenden Zug nichts entgegen und ermöglicht es mir, seinen Turm zu gewinnen. Sicherlich hofft er, meinen König zeitnah mattsetzten zu können und sich einem Malheur zu entziehen. Seine zuvor protzend anmutende Haltung verändert sich rapide in eine nachdenkende, den Kopf über den Tisch geneigte.
Ohne mich beirren zu lassen, setzte ich die Partie fort. Mit jedem Spielzug entrinnt die Zeit, doch gelangen wir bald schon in die Endphase des Spiels, die ich – meinem laienhaften Urteilsvermögen zufolge – mit einem deutlichen Vorteil beschreite. Andrej Smirnov scheint immer unruhiger zu werden und rutscht auf seinem Stuhle von links nach rechts, richtet sich mal auf und legt mal seinen Kopf auf die Hand. Ich versuche ruhig zu bleiben, denn nicht ich bin es, der etwas zu verlieren hat, sondern allein mein Gegenüber. Unsere Uhren zeigen nun jeweils nur noch Zeiten von etwa einer Minute an. Die Züge werden hektisch und unbedacht. Auf die Uhr wird nunmehr nicht gedrückt, sondern geschlagen, sodass man befürchten muss, sie bräche alsbald auseinander. Smirnov blickt nun regelmäßig – nicht für eine lange Zeit, aber dennoch deutlich bemerkbare– in meine Richtung und versucht mir scheinbar den nächsten Zug von den Lippen zu lesen. Ungewöhnlich oft scheint es ihm zu gelingen, denn anders kann ich mir seine immer schneller werdenden Züge nicht erklären. Meinen Vorteil vermag ich aber zu wahren und die Partie neigt sich, mit lauten Schlägen auf die Uhr und starren Blicken gen Brett, dem Ende zu.
Hinter mir höre ich plötzlich eine Tür, die sich zu öffnen scheint. Einen Blick kann ich der Person, wer auch immer diese sein mag, die die wohl wichtigste Partie meines Lebens zu stören wagt, nicht opfern. Scheinbar von Vernunft beraubt, beginnt sie zu sprechen. Die Stimme klingt nach einer Frau. Ich ignoriere sie und bin mir sicher, die Partie in wenigen Zügen entscheiden zu können. Die Uhren zeigen nicht mehr als zehn Sekunden an. Entgegen jedweder Erwartung wird die Stimme lauter und geht von einem ruhigen Sprechen, in ein tönendes Schreien über. Ich stoppe die Uhr und bitte Smirnov , mich der Englischen Sprache bedienend, um Entschuldigung. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine junge Frau mit einem weißem Kittel vor mir, als sei ich in einem Krankenhaus oder sonst jeglicher medizinischen Einrichtung. Ich brülle sie an und frage, was sie dazu bemächtige, mich in einem solch wichtigen Moment zu stören.
Sie antwortet: „Herr Wagner! Sie richten einen ohrenbetäubenden Lärm an und stören damit alle weiteren Patienten. Wir sind in einer Heilanstalt und wenn es ihnen danach beliebt Schach zu spielen, so suchen sie sich einen Partner und schlagen nicht wie ein Wilder auf die Uhr ein!“
Mein Gegenüber verzieht sein Gesicht bereits und scheint die Geduld zu verlieren. Eine Minute ist bereits abgelaufen und mir verbleiben nur noch 29 weitere. Schnell ziehe ich den Bauer, von dem Feld e2, auf das Feld e4 und drücke auf die Uhr. Ohne sich des Nachdenkens auch nur dem Bruchteil einer Sekunde zu widmen, entgegnet Smirnov ebenfalls mit einem Bauernzug, auf das Feld e5. Im Zentrum stehen sich die Bauern nun gegenüber, nichts Ungewöhnliches, doch scheint es mir in diesem Augenblick, als seien wir jene Bauern. Nur um eine Haaresbreite voneinander entfernt, durch das Regelwerk allerdings daran gehindert uns zu nähern. Nicht würde ich es wagen, dem an Selbstbewusstsein nicht leidenden, Smirnov auch nur einen Zentimeter näher zu kommen und mich gar Richtung Brett zu lehnen. Zu groß ist meine Bewunderung und Nervosität zugleich.
Ach – meine Gedanken schweifen schon wieder ab. Meine Konzentration sollte sich der Partie widmen und ich mich des Untergehens, so lange wie es mir nur möglich ist, drücken. Meinen Springer ziehe ich von dem Feld g1 auf das Feld f3 und greife damit seinen Bauern an, den er sogleich – wieder ohne auch nur eine Sekunde seiner Zeit zu investieren – mit dem Zug des Springers auf das Feld c3 deckt. Auch ich führe meinen nächsten Zug ohne zeitraubendes Nachdenken aus, denn auf eine solche Stellung, habe ich mich bereits vorbereitet. Durch den Läuferzug auf das Feld b5 ist nun die sogenannte spanische Eröffnung auf dem Brett, die sicherlich zu den ältesten und bekanntesten des Schachspiels gehört. In den nächsten Zügen geschieht nichts sonderlich aufregendes, was einen erfahrenen Schachspieler mit der Wimper zucken ließe. Nach 10 Zügen bleiben mir noch weitere 25 Minuten, Smirnov nutze bloß etwa 30 Sekunden seiner Zeit und zollte mir weitgehend keine Aufmerksamkeit.
Sein nächster Zug lässt mich allerdings grübeln, da deutlich zu erkennen ist, dass mir eine Kombination, einen Tausch meines Springers gegen seinen Turm ermöglichen und damit einhergehend einen deutlichen Vorteil einbringen würde. Ich vermute Smirnov, der noch immer keinen Anstand macht jegliche Emotionen zu zeigen, hat eine Falle aufgebaut und hofft, dass ich in diese tappe. Doch unmöglich ist es mir diese zu finden. Fast 10 Minuten meiner Zeit opfere ich und komme zu dem Schluss, dass ich mir seinen Turm sichern kann. Überraschenderweise beginnt auch Smirnov nun zu überlegen. Sein mürrischer Gesichtsausdruck schwindet und die zuvor zusammengezogenen Augenbrauen richten sich langsam auf. Nach Minuten des Überlegens löst er sich von seiner Schockstarre und spielt einen, mir unerklärlichen, Zug. Er setzt dem drohenden Zug nichts entgegen und ermöglicht es mir, seinen Turm zu gewinnen. Sicherlich hofft er, meinen König zeitnah mattsetzten zu können und sich einem Malheur zu entziehen. Seine zuvor protzend anmutende Haltung verändert sich rapide in eine nachdenkende, den Kopf über den Tisch geneigte.
Ohne mich beirren zu lassen, setzte ich die Partie fort. Mit jedem Spielzug entrinnt die Zeit, doch gelangen wir bald schon in die Endphase des Spiels, die ich – meinem laienhaften Urteilsvermögen zufolge – mit einem deutlichen Vorteil beschreite. Andrej Smirnov scheint immer unruhiger zu werden und rutscht auf seinem Stuhle von links nach rechts, richtet sich mal auf und legt mal seinen Kopf auf die Hand. Ich versuche ruhig zu bleiben, denn nicht ich bin es, der etwas zu verlieren hat, sondern allein mein Gegenüber. Unsere Uhren zeigen nun jeweils nur noch Zeiten von etwa einer Minute an. Die Züge werden hektisch und unbedacht. Auf die Uhr wird nunmehr nicht gedrückt, sondern geschlagen, sodass man befürchten muss, sie bräche alsbald auseinander. Smirnov blickt nun regelmäßig – nicht für eine lange Zeit, aber dennoch deutlich bemerkbare– in meine Richtung und versucht mir scheinbar den nächsten Zug von den Lippen zu lesen. Ungewöhnlich oft scheint es ihm zu gelingen, denn anders kann ich mir seine immer schneller werdenden Züge nicht erklären. Meinen Vorteil vermag ich aber zu wahren und die Partie neigt sich, mit lauten Schlägen auf die Uhr und starren Blicken gen Brett, dem Ende zu.
Hinter mir höre ich plötzlich eine Tür, die sich zu öffnen scheint. Einen Blick kann ich der Person, wer auch immer diese sein mag, die die wohl wichtigste Partie meines Lebens zu stören wagt, nicht opfern. Scheinbar von Vernunft beraubt, beginnt sie zu sprechen. Die Stimme klingt nach einer Frau. Ich ignoriere sie und bin mir sicher, die Partie in wenigen Zügen entscheiden zu können. Die Uhren zeigen nicht mehr als zehn Sekunden an. Entgegen jedweder Erwartung wird die Stimme lauter und geht von einem ruhigen Sprechen, in ein tönendes Schreien über. Ich stoppe die Uhr und bitte Smirnov , mich der Englischen Sprache bedienend, um Entschuldigung. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine junge Frau mit einem weißem Kittel vor mir, als sei ich in einem Krankenhaus oder sonst jeglicher medizinischen Einrichtung. Ich brülle sie an und frage, was sie dazu bemächtige, mich in einem solch wichtigen Moment zu stören.
Sie antwortet: „Herr Wagner! Sie richten einen ohrenbetäubenden Lärm an und stören damit alle weiteren Patienten. Wir sind in einer Heilanstalt und wenn es ihnen danach beliebt Schach zu spielen, so suchen sie sich einen Partner und schlagen nicht wie ein Wilder auf die Uhr ein!“