Schatka, die Bärenmutter

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molly

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Schatka, die Bärenmutter

Weit entfernt, im Ozean, lebten einmal auf einer Insel große, starke Bären. Ihr Fell schimmerte hellbraun. Sie schliefen von Oktober bis Mai in Felsenhöhlen. Wer von ihnen keinen geeigneten Felsen fand, grub sich einen Bau in die Erde und polsterte ihn mit Moos und Laub aus. Sobald die ersten warmen Sonnenstrahlen in die Höhlen drangen, wachten die Bären auf. So auch Schatka, die Bärin, mit ihren zwei Jungen, Urs und Bruno.
Nach dem langen Winterschlaf knurrte ihr der Magen. Sie schaute vorsichtig aus der Höhle und schnupperte in alle Richtungen. Hinter ihr drängten sich ihre zwei Bärenkinder. Erst als sie sicher war, dass kein Tiger in der Nähe lauerte, verließ sie den geschützten Platz. Ob wohl schon Fischschwärme unterwegs waren? Schatka marschierte zum Fluss, die beiden Kleinen liefen hinterher.
Dort entdeckte sie gleich einen großen Fischschwarm und klatschte vor Freude in ihre bratpfannengroßen Tatzen. Die Fische sprangen bei dem Geräusch vor Schreck in die Höhe und Schatka fing gleich zwei auf. Sogleich klatschte sie wieder und schon sprangen die nächsten Fische hoch. Das erlebte sie zum ersten Mal, wie einfach doch das Fischen ging. Bald war die kleine Bärenfamilie satt.

Drei andere Bärenmütter, die in der Gegend wohnten, hörten das Klatschen und eilten zum Fluss. Sie bestaunten Schatkas Geschick und versuchten, es ihr nachzumachen. Doch nur Schatka verstand es, die Fische so zu erschrecken, dass sie in die Höhe schossen.
„Viele Fische schwimmen hier, genug für alle. Greift in den Fluss hinein und holt sie euch heraus“, riet Schatka.
Eine Bärin rief: „Bitte, klatsche du uns die Fische herbei, wir sind noch schwach und sehr hungrig.“
Schatka erfüllte ihnen den Wunsch. Es ging nicht lange, da waren alle Bärenmütter mit ihren Kindern satt. Danach legten sie sich in den Sand.
Während die anderen Bären sich ausruhten, ging Schatka mit ihren Kleinen in den Fluss und zeigte ihnen, wie leicht es gelang, Fische mit den Tatzen zu fangen. Zuerst murrten die Beiden. Warum sollten sie sich anstrengen? Der Mutter gelang es so einfach, mit Klatschen Fische zu besorgen. Die Bärin schüttelte jedoch den Kopf.
„Nein“, sagte sie, „ihr sollt alles selbst lernen, damit ihr später einmal allein leben könnt und gut zurechtkommt. Dazu gehört es Fische selbst zu fangen, süße Beeren zu sammeln, gute Gräser zu finden. Und gut auf sich aufpassen zu können.“
„Aufpassen? Wir sind starke Tiere, das brauchen wir nicht“, sagte Bruno.
„Ihr seid jetzt noch klein. Hier lebt die stärkste Raubkatze, der Tiger. Der schnappt sich gern ein Bärenkind.“
„Wie sieht der denn aus“? erkundigte sich Urs besorgt.
„Der Tiger besitzt große Pranken mit scharfen Krallen. Damit kann er euch fangen. Sein rötliches Fell hat dunklen Streifen, sein Bauch ist weiß. Aber ich bin stärker als der Tiger. Also bleibt in meiner Nähe.“

Jeden Morgen, wenn Schatka mit ihren Jungen zum Fluss kam, warteten schon die anderen Bären. Sie fingen sich keine Fische mehr, sondern überließen das Schatka. Sie wollten lieber nur spielen und im Fluss plantschen.
Schatka seufzte tief, ihre Hände schmerzten vom vielen Klatschen. Deshalb verließ sie die Gruppe sofort, nach dem sie alle mit Fischen versorgt hatte. Leise brummend streifte sie mit Urs und Bruno durch die Gegend und zeigte ihnen die leckersten Früchte und Gräser.

Eines Tages lagen die Bärenmütter sorglos am Ufer und ließen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Die Bärenkinder spielten, übten Purzelbäume und rangen miteinander. Da stieß Bruno aus Versehen ein Bärenkind in den Fluss und eine starke Strömung riss es mit sich fort. Schatka sprang sofort hinterher und packte das Kleine. Dabei verletzte sie mit ihren Krallen das Bärenkind am Hals. Schatka schwamm mit ihm zum Ufer. Sie übergab den kleinen Bären seiner Mutter, die trotz der erfolgreichen Rettung drohend brummte. Sie schaute Schatka finster an, als sie die Wunde bemerkte. Zum Glück war die Verletzung des kleinen Bären nicht sehr groß. Doch von diesem Tag waren die Bärenmütter über ihre Krallen besorgt. Wie schnell gab es Verletzungen! Sie beschlossen, sich die Krallen mit Steinen kurz zu schleifen. Nur Schatka nicht.
„Nein, niemals!“, entgegnete sie. „Ich brauche meine Krallen. Wie sollte ich ohne sie den Honig aus den Bienennestern kratzen? Und vor allem: Wie könnte ich mich ohne Krallen gegen den Tiger wehren?“
„Den Tiger haben wir schon lange nicht mehr gesehen, der kommt ganz sicher nicht mehr“, meinte eine und eine andere sagte:
„Wozu brauchst du Honig? Uns bringst du keinen mit.“
Schatka schüttelte nur den Kopf und rief ihre Jungen: „Kommt, wir gehen Beeren sammeln.“
Während Schatka mit den Kleinen verschwand, setzten sich die Bären zusammen und schliffen sich und ihren Kindern die Krallen ab. Die Bären brummten zufrieden, keiner konnte einen anderen mit den scharfen Krallen verletzen. Sie steckten die Köpfe zusammen, überlegten, wie sie Schatka überzeugen konnten, dass Krallen für ihr Zusammensein nicht nötig waren. Plötzlich erschraken sie, denn Schatka stand hinter ihnen und fragte:
„Was tuschelt ihr denn?“ Die Bären zeigten Schatka die Tatzen.
Eine sagte: „Wir verlangen, dass du deine Krallen wegschleifst. Du hast mein Bärenkind verletzt.“
Eine andere meinte „Ja, hast du das schon vergessen? Wir brauchen keine Krallen, wir sind friedlich.“
„Nein, das habe ich nicht vergessen,“, sagte Schatka, „doch Bären brauchen Krallen!" Sie rief ihre Bärenkinder zu sich und ging mit ihnen zum Schlafplatz. Müde vom Beerensammeln legten sie sich hin und schliefen sofort ein.

Doch die anderen Bärenmütter steckten wieder die Köpfe zusammen, tuschelten, flüsterten, murmelten. Da sagte die größte Bärin der Gruppe:
„Ich erledige das.“
Leise schlich sie zu Schatkas Schlafplatz. Die Bärin lag auf dem Rücken, die Pfoten hielt sie am Bauch. Vorsichtig schmirgelte die große Bärin Schatkas Krallen kurz. Als Schatka brummte, verzog sich die große Bärin. Die Bärenschar erwartete sie am Fluss.
„Es hat funktioniert. Nur die Kleinen haben noch Krallen, aber die sind nicht scharf.“ Zufrieden suchten alle ihren Schlafplatz auf.
Am nächsten Morgen wachten sie früh auf. Schatka bemerkte sofort, was die anderen Bären ihr angetan hatten, und brüllte sehr laut: „Das werdet ihr noch bereuen! Und nie wieder helfe ich euch beim Fische fangen!“

Schatka, die stets vorsichtig ihren Schlafplatz verließ, vergaß das dieses Mal vor Wut und Zorn. Sie richtete sich in voller Größe auf und brüllte empört: „Ich will meine Krallen zurück!“
Plötzlich verstummte sie vor Schreck, drehte den Kopf und schnupperte.
„Der Tiger ist in der Nähe“, flüsterte sie
„Ach was, Schatka, damit willst du uns nur einschüchtern, ich rieche gar nichts!“, sagte die große Bärin.
Schatka schnupperte noch einmal und roch den Tiger dieses Mal nicht mehr.
„Wer weiß“, sagte sie, „vielleicht habe ich mich getäuscht. Seid dennoch wachsam.“
Obwohl die Bären nun selbst fischen mussten, gewöhnten sie sich nach ein paar Tagen an ihre krallenlosen Pranken, nur Schatka nicht.

Wieder einmal kehrte Schatka mit Urs und Bruno von einem Spaziergang zurück zum Fluss. Die anderen Bären saßen am Ufer im Sand. Schatka brummte: „Oben auf dem Hügel gibt es frische Beeren, es ist mir nicht gelungen, diese zu pflücken. Das haben Urs und Bruno für mich getan.“ Wieder richtete sie sich hoch auf und brüllte ihren Zorn in die Luft. Dabei legte sie ihren Kopf nach hinten und ein bekannter, gefährlicher Duft stieg in ihre Nase.
„Versteckt euch, der Tiger kommt“, rief sie und schob ihre Kleinen vor sich her.
„Bruno, beeile dich“! brummte sie. Doch da sprang der Tiger schon aus seinem Versteck hinter einem Felsen hervor und erwischte Bruno. Schatka und die große Bärin verfolgten den Tiger am Fluss entlang, um Bruno zu retten. Beinahe hätte Schatka das Tier mit der Pranke am Bein erwischt, doch ohne scharfe Krallen rutschte sie ab. Da richtete sie sich auf und begann zu klatschen. Fische flogen aus dem Fluss, prasselten auf den Tiger. Ein großer Fisch klatschte ihm direkt auf die Augen, und der Tiger ließ vor Schreck Bruno los. Sofort sprang die große Bärin herbei und flüchtete mit Bruno zu ihrer Gruppe. Schatka aber klatschte so lange, bis der Tiger laut fauchend floh, und sie ihn nicht mehr sah.

Schatka sammelte so viele Fische auf, wie sie tragen konnte und eilte zu den anderen Bären. Bruno hatte eine Wunde am Rücken, die große Bärin kümmerte sich bereits um ihn und legte heilsame Blätter darauf. Schatka ließ die Fische auf den Boden fallen und nahm Bruno in die Arme: „Das heilt wieder“, brummte sie leise und streichelte seinen Kopf. Danach verteilte sie die Fische und sagte:
„Das sind die letzten Fische für euch, jeder fischt wieder selbst. Nur im Notfall, wenn der Tiger kommt, klatsche ich. Meine Krallen lasse ich wachsen und die bleiben! Ich will wieder Honig und süße Beeren sammeln, und den Tiger verjagen können.“
„Ja, wir sind damit einverstanden“, riefen alle.
Endlich kehrte auf der Insel der großen Bären ein friedliches Miteinander und Ruhe ein.

09.1.2025

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