Scheiden tut weh

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Charles Mayweather atmete im Schlaf gepresst aus und erzeugte einen Ton, der einem Stöhnen ähnelte. Sein Herz raste, während jeder einzelne Nerv kribbelte und am ganzen Körper der Schweiß ausbrach. Seine Gliedmaßen zuckten und zappelten mitunter. Hinter den geschlossenen Lidern rollten seine Augen ruhelos umher.

„Amanda“, röchelte Charles.
Erschüttert griff er nach dem Schaft des Messers, das sie ihm in den Leib getrieben hatte. Es war an einem Rippenknochen entlanggeglitten, hatte das Herz verfehlt und steckte nun in seiner Lunge. Er spürte sein warmes Blut auf den Lippen und einen fremdartigen Geschmack auf der Zunge. Sein Blick fiel hinüber zu dem hölzernen Messerblock auf der Anrichte. Es musste sich um das Fleischmesser handeln, denn sein Einschubfach war leer. Das Set war ein Geschenk seiner Mutter zu ihrer Hochzeit. Filigran gearbeitete Damastmesser mit brillanten Klingen und Griffen aus Jade, die er oft fasziniert betrachtet hatte.
„Du betrügst mich nicht um meinen Anteil.“ Wie ein erzürnter Drache stierte Amanda ihn an. Könnte sie Feuer spucken, würde sie es wahrscheinlich tun. Ihre Augen funkelten schwarz und bösartig. Sie trug das betörende Hochzeitskleid mit dem tiefen Rückenausschnitt und den Flügelärmeln. Trotz ihres ungezügelten Zornes sah sie bezaubernd darin aus.
„Mir gehört die Hälfte des Vermögens. Ich habe die Firma mit aufgebaut.“ Ihre Stimme war so scharf wie die Klinge des Messers. Sie warf ihren Kopf in den Nacken und brach in hysterisches Lachen aus. „Herr Neureich und seine billigen Flittchen.“ Ihr Kopf wackelte verächtlich hin und her. „Ich habe die Nase voll von deinen Affären.“ Ruckartig wandte sie sich ab, vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen.
Charles blickte auf den gefüllten Rollbraten, der neben dem Messerblock dampfte. Der betörende Geruch des gebackenen Fleisches und der Gewürzaromen fesselte ihn. Er konnte den Braten beinahe auf der Zunge schmecken. Schmachtend sehnte er sich nach einem zarten Bissen.
Amanda trat in seine Blickrichtung. Sie trug nun einen verschmutzten weißen Kittel und lehnte sich lässig auf die Anrichte. Einige Strähnen hingen wirr vor ihrem makellosen Gesicht. Anrüchig zog sie an einer Zigarette bis ihre Wangen einfielen, um den Rauch in einer großen Wolke wieder auszustoßen, die ihren Kopf umhüllte.
„Ich werde mir holen, was mir gehört. Und sei es über deine Leiche“, erklang es nüchtern aus dem Dunstschleier. Sie verwirbelte den Rauch vor ihren Augen, nahm einen weiteren, langen Zug und drückte den Zigarettenstummel in die Kruste des Bratens. Charles schaute Amanda entsetzt an. Sie zog das beachtlich lange Kochmesser aus dem Holzblock und schlenderte mit verstohlenem Gesichtsausdruck auf ihn zu.

Erschrocken erwachte Charles. Sein Herz hämmerte gegen den Brustkorb, als würde es Schlagzeug spielen. Seine hervorsprudelnden Gedanken rotierten in seinem Geist wie trockenes Laub in einem Wirbelsturm. Er atmete tief durch und bemühte sich, seinen Pulsschlag zu beruhigen und Ordnung in seinem Bewusstsein zu schaffen.
Amanda ins Jenseits befördern, wie aus einer Laune heraus war diese Absicht aufgetaucht und er hatte sich gedankenlos auf ihr dahintreiben lassen, und ihr Ableben arrangiert. Anfangs konnte er sich köstlich amüsieren über eine Fülle scheinbar absurder Formulierungen wie abmurksen, zur Strecke bringen, in die ewigen Jagdgründe schicken, bis die Realität seine unbekümmerten Vorstellungen mit harten Faustschlägen einholte.
Er wollte eine Last abstreifen, die er sich durch sein eigenes Handeln aufgebürdet hatte, aber nun blieb er auf halbem Wege stehen und brachte es nicht fertig, seinen Auftragnehmer, diese Bezeichnung verschaffte ihm mehr emotionelle Distanz, von der Leine zu lassen. Zweimal hatte er eine Entscheidung nun händeringend aufgeschoben. Ihn quälten die Konsequenzen, sollte sein Plan nicht aufgehen. Ein bezahlter Mord war nicht gerade eine Bagatelle, auch wenn er die besten Anwälte des Landes bezahlen konnte, um belastende Aussagen eines dahergelaufenen Mexikaners in der Luft zu zerrupfen. Es war schon verblüffend, was man mit einer Meute guter Rechtsanwälte und einem Haufen Geld alles erreichen konnte. Doch blieb stets ein Rest von Unsicherheit, die er nicht zu überwinden vermochte. Auch konnte er die abstoßende Vorstellung von kaltem Rührei und pampigem Spinat nicht abschütteln, von denen er annahm, das sie einmal wöchentlich in den Gefängnissen zum Lunch gereicht wurden.
Brummig schlug Charles die Schlafdecke zur Seite, fasste auf eine feuchtkalte Stelle des Kopfkissens und schwang sich angeekelt aus dem Bett. Der Wecker auf dem Beistelltisch verkündete einen Sonntag um neun Uhr fünfunddreißig. Charles spürte den kühlen Marmor unter seinen Füßen, kniff zweimal die Zehen zusammen und schlüpfte in seine ausgetretenen Slipper. Auf eine nicht erklärbare Weise hing er an ihnen und wollte sie nicht ersetzen, auch wenn Amanda deshalb oft gestichelt und ihn auf nachtragende Weise angeschaut hatte. Sie verabscheute alles, das nicht auf dem Niveau ihres Lebensstandards daherkam.
Sein sehr teurer, klassischer Smoking lag zerknittert neben der Bronzeskulptur einer knienden Frau, deren Patina ihrer Haut einen sehr angenehmen, dunklen Teint verlieh. Den schmalen, schwarzen Schlips konnte er nicht entdecken. Bis in die späte Nacht hinein war Charles durch eine Reihe von Bars gezogen, um seine Bedenken zu ertränken, die ihn anfielen wie Springteufel aus unheimlichen Kisten.
Sein Auftragnehmer wurde allmählich ungeduldig. Er wollte das an ihn herangetragene Ersuchen möglichst schnell in die Tat umsetzen und mit der recht ansehnlichen Bezahlung in seine Heimat zurückkehren. Charles hatte ihn vorübergehend eingestellt, um Auffahrt und Wege schneefrei zu halten oder was auch immer an einfachen Arbeiten auf dem Anwesen zu verrichten war, doch mit jedem verstrichenen Tag wurde sein Blick feindseliger und bedrohlicher.
Amanda verabscheute ihn. Arme-Leute-Personal war ihr zuwider. Mexikaner waren deutlich unter ihren gehobenen Ansprüchen. Angesagt in der High Society waren junge Europäer, vorzugsweise heißblütig erscheinende Spanier oder Portugiesen, braungebrannt, schlank, mit klangvollen Namen wie Rosario oder Michaelo und einem Gesicht zum Dahinschmelzen. Mit diesem Mexikaner erntete sie lediglich abschätzige Blicke oder mitleidiges Schmunzeln. Es war abzusehen, dass sie Mateo entlassen würde, auch ohne die Zustimmung des Hausherren.

Im Schlafzimmer herrschte düsteres Licht, passend zu seiner Stimmung. Die Morgendämmerung hatte gerade eingesetzt und vor dem Fenster rieselten dicke Schneeflocken. Er blickte die gepflasterte Auffahrt vor dem Haus hinab. Amandas roter Mercedes umfuhr schleichend den eingefrorenen Springbrunnen zwischen den verschneiten Rasenflächen und steuerte auf die Villa zu.
Charles rupfte seinen hauchfeinen Morgenmantel von einem Bügel an der Wand. Der Stoff fühlte sich angenehm weich zwischen seinen Fingern an. Er schlüpfte in die edel schillernde Robe und verknotete den Bindegürtel. Wie eine sanfte Brise streichelte das seidige Gewebe über seine Haut, doch bereitete es ihm an diesem Morgen nicht das gewohnte Vergnügen. Charles lief den getäfelten Flur entlang und stieg mürrisch die Treppe zum großzügigen Foyer hinunter. Feinster Stuck, ein Kamin in antikem Gewände, handgefertigte Designersofas, die erlesene Ausstattung war perfekt aufeinander abgestimmt und verschlug seinen Gästen regelmäßig den Atem. Charles wusste, das Eitelkeit eine der größten Schwächen des Menschen war. Sie war mit ihm verbunden, wie ein Fisch mit dem Wasser, doch genoss er es, sich an ihr zu ergötzen. Man lebte ja nur einmal und mit seinem Reichtum zu prahlen verschaffte ihm überschwängliche Gefühle.
Verbissen schlurfte er der Mahagonibar entgegen. Amanda plante etwas, das ihm schaden würde, er konnte es mit jeder Faser spüren. Innerlich hatten sie sich bereits getrennt. Nachdem sie von seinen Affären erfahren hatte, schien in ihrem Inneren etwas zerbrochen zu sein, das nicht wieder herstellbar, nicht wieder gutzumachen war, als hätte jemand einen Keil zwischen sie getrieben, der sie unausweichlich und endgültig trennen sollte. Amanda wich ihm aus, lächelte nicht mehr, meidete Gespräche. Körperkontakt ging sie fast schreckhaft aus dem Weg. Aus ihrer distanzierten Haltung wurde rasch eine unüberbrückbare Kluft.
Anfangs hatte es ihn nicht gestört. Er verspürte einen Drang nach mehr Freiheit, genoss das Flirten mit jungen Frauen, mit denen das Zusammensein frischer, unbekümmerter, emotioneller war. Es brachte sein Innerstes noch einmal in Bewegung. Er fühlte sich wieder wahrgenommen und hatte nicht das Bedürfnis nach Gesprächen, die das verlorengegangene Vertrauen wieder aufbauen konnten. Schließlich entwickelten Amandas wortkarge Kommentare eine bissige Note. Auch das war ihm kein Dorn im Auge. Er fand sein Leben anregend und abwechslungsreich. Dann stürzten ihn Bedenken über mögliche Konsequenzen in einen Strudel aus Befürchtungen.

Amanda könnte die Scheidung einreichen, wurde ihm klar. Die Abfindung würde ihn die Hälfte seines Vermögens kosten. Das Amanda eine Hälfte seiner Firma zugesprochen werden könnte, trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Wollte er weiterhin der Alleininhaber der Firma bleiben, würde er jedoch alles andere verlieren, seine Anlagen, die Villa, das Landhaus, vielleicht sogar seinen Maserati, der ihm sehr am Herzen lag und die Herzen der jungen Damen erweichte. Die Klatschkolumnen in den taktloseren Gazetten würden mit beißenden Bemerkungen und scharfzüngigem Spott nicht geizen und die bessere Gesellschaft, auf deren Ansehen er hohen Wert legte, würde sich hinter seinem Rücken die Mäuler über ihn zerreißen. Diese Aussicht fand er wenig verlockend und wollte es erst gar nicht so weit kommen lassen.
Er griff nach einem Tastingglas und einer Flasche, die ihm den Rücken zukehrte. Beim Wenden entpuppte das Label den Inhalt als Highland Park Single Malt Scotch. Charles schmunzelte. Auf seinen ersten Partys in der High Society hatte er das Getränk zu schätzen gelernt.
Am entgegengesetzten Ende des Foyers betrat Amanda die Villa und schlug die gepolsterte Haustür mit einem dumpfen Laut hinter sich zu. Amanda streifte ihren Nerz ab und ließ ihn zu Boden gleiten. Sie machte sich nie die Mühe, ihre Kleidung an die Garderobe zu hängen. Sie neigte nicht zu Handlungen, die man sich auch schenken konnte. Früher nahm Charles die daraus resultierende Unordnung mit einem amüsierten Lächeln hin, gehörte diese Leichtfertigkeit doch zu ihr, wie ihr charmantes Lächeln. Nun aber bildete er sich ein, sie würde ihn damit reizen wollen. Sie kannte ja seinen ausgeprägter Sinn für Ästhetik, der ihm solch unschöne Angewohnheiten verbot. Alles musste geordnet sein, in harmonischen Abständen zueinander stehen, nur das war Schönheit und Schönheit war ein essentieller Teil eines angenehmen Lebens.
Er musterte Amanda verstohlen. Sie war eine groß gewachsene, wohlproportionierte Blondine. Das aufreizende, blau-melierte Kostüm stand ihr perfekt. Ihre Beine waren schlank, die Haut straff und am liebsten würde er mit den Händen ihre Schenkel hinaufgleiten. Doch auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine dezente, heimtückische Freude, wie es ihm erschien, die ihn mit Unsicherheit überschwemmte und sein Verlangen niederdrückte. Sie würde ihm dieses genussvolle Vergnügen ohnehin nicht gestatten.
„Willst du dich schon am frühen Morgen betrinken?“ fragte sie spöttisch, lief mit schwungvollen Bewegungen an ihm vorbei und verschwand in der Küche.
Charles lächelte düster. Er goss einen Zweifachen in das geschliffene Glas. Der Scotch schwappte gegen den Rand und rann langsam in Schlieren herab. Eine Spur von Vanille drang ihm in die Nase, dann nahm er einen großen Schluck. Das Brennen im Hals belebte ihn. Dem folgte ein angenehmes Wärmegefühl in der Brust.

Amandas stichelnde Bemerkung gab Charles den letzten Anstoß, um sein ehrloses Vorhaben in eine schändliche Tat umzusetzen. Naserümpfend verließ er das Haus, zwinkerte die Schneeflocken aus den Augen und fand Mateo beim Polieren des Aston Martin in der Garage. Charles wusste nicht, ob Mateo sein richtiger Name war, es interessierte ihn auch nicht. Er war ein Tagelöhner, der, um eine Million reicher, nach einer entsetzlichen Tat über die Grenze nach Mexiko verschwinden würde, das reichte Charles. Eine hilfreiche Täterbeschreibung würde er den Ermittlern nicht liefern können. Es war ein Gesicht mit den typischen Zügen eines durchschnittlichen Mexikaners. Für Charles sahen sie ohnehin alle gleich aus. Ein Mexikaner eben, vor dem er damit geprahlt hatte, dass sich stets 200.000 Dollar in seinem Safe befanden, was sogar stimmte. Das die weggeschlossene Summe dieses Mal um ein Beträchtlicheres höher ausfiel, mussten die Ermittler ja nun wirklich nicht wissen.
Mateos Anblick lies ihn mehr frösteln als die eiskalte Luft an diesem winterlichen Morgen und rief stets ihr erstes Aufeinandertreffen zurück in sein Gedächtnis.
Charles torkelte sturzbetrunken aus einer derben und lauten Bar am Stadtrand in die Nacht hinaus. Er suchte derartige Etablissements immer wieder auf wie ein Süchtiger. Es war das Milieu, aus dem er sich hochgearbeitet hatte und er genoss die Bewunderung der kleinen Leute, wenn er mit seinem Erfolg prahlte. An diesem Abend hatte er nichts Ansprechendes für ungezwungenen Sex gefunden und Prostituierte gaben ihm nicht das Gefühl, ein begehrenswerter Mann zu sein. Also gab er sich der Trunkenheit hin.
Mit schweren Lidern taumelte er die Straße entlang und spähte nach seinem Rover. Im Schein der Laternen glänzten Regentropfen in der Luft und trommelten auf die Fahrzeuge am Straßenrand. Er konnte seine Schlüssel nicht finden, blieb stehen und durchwühlte zum zweiten Mal seine Taschen. Vor seinem Mund tanzte feenhafter Nebel, als er einen mächtigen Schlag in den Rücken erhielt. Sämtliche Luft schien aus seinen Lungen zu entweichen. Er kippte nach vorn, knickte ein und klatschte in eine glitzernde Pfütze auf dem Asphalt. Seine Kleidung saugte die Nässe auf ein wie trockener Schwamm. Er spürte kühle Feuchtigkeit auf der Brust. Mateo zerrte ihn auf den Rücken und drückte ihm eine kalte Klinge flach auf die Wange. Eine verächtliche Bemerkung lag Charles auf der Zunge, doch fehlte ihm dafür der Atem. Mateo durchwühlte seine Anzugjacke und zog das elegante Burberry Portemonnaie hervor. Dann riss er mit einem Ruck die Rolex ab. Verschwommen sah Charles das stoppelige Gesicht über sich, als ihm durch einen flüchtigen Gedanken ein Satz herausrutschte, der ihm noch viele Sorgen bereiten sollte.
„Willst du eine Million verdienen?“ lallte er. Sein Plan war schnell gefasst, wenn auch übereilt.
Mateo war bei den Hosentaschen angelangt und hielt inne. Er kam näher an Charles Gesicht heran. Fast hätte Charles gelacht. Sein Gegenüber stank wie eine Ratte, die fäkaliengetränkt aus einem Abwasserkanal entschlüpft war. Doch konnte er in dem Gesicht erkennen, dass es sich um einen relativ jungen Mann handelte. Sie wurden sich schnell einig und nun kümmerte sich Mateo eben um kleinere Reparaturen auf dem Anwesen und reinigte die Fahrzeuge für ihn. Eine Million Dollar und eine kleine Zusatzaufgabe schienen ihm die Mühe wert.
„Heute ist Zahltag“, sagte Charles ein klein wenig zögerlich. Ihm war ein wenig mulmig zumute.
Mateo drehte sich herum, blickte ihn mit regloser Miene an und nickte stumm. Er mochte Ende zwanzig sein. Rasiert, gewaschen, mit frisierten Haaren und in angemessener Kleidung sah er gar nicht mal schlecht aus.
Charles rieb mit Zeigefinger und Daumen aufeinander.
„Die Haustür ist unverschlossen. Es wird nicht lange dauern, bis sie im Arbeitszimmer erscheinen wird. Quetsch die Kombination des Safes aus ihr heraus, erledige es und verschwinde.“
Mateos Bezahlung lag in einem Lederkoffer im Tresor. Wie jeden Sonntag würde Amanda, zu Charles Überdruss, noch finanzielle Mittel über ihr gewohntes Budget hinaus von ihm fordern. Eine lästige Angelegenheit, mit der sie ihm seit einigen Wochen beträchtlich auf die Nerven ging. Wahrscheinlich versoff sie es mit ihren Freundinnen in den besten Lokalen der Stadt. Nüchtern zumindest kam sie nie zurück.
Mateo lief zur Werkbank und warf den Polierschleifer scheppernd auf die Arbeitsfläche. Seine dunklen Augen wanderten zu einer Schublade, die er mit einem schabenden Geräusch öffnete. Er zog ein elegantes Messer daraus hervor. Die geschwungene, tiefgezogene Spitze war lang und schmal. Am Schaft befanden sich zwei Parierelemente, auf dem Klingenrücken mehrere Einkerbungen zum Brechen von Klingen im Messerkampf.
Charles erschauderte. Zum ersten Mal erschien ihm die Angelegenheit bitterernst. Sein jähes Unbehagen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Sengend heiß schoss ihm das Blut durch die Adern und verscheuchte die frostige Kälte aus seinem Körper. Was hatte er geglaubt? Das alles einfach so und spurlos an ihm vorbeigehen würde? Das er sich wie ein Unschuldslamm abwenden und das unfassbar Grausame ignorieren könnte? Er war ein skrupelloser Geschäftsmann, das mochte sein, aber ein Leben auslöschen wie mit einem lässigen Fußtritt auf ein krabbelndes Insekt? Er sah Amandas grotesk verzerrtes Gesicht vor sich, sah die unbändige Furcht in ihren Augen und Mateo, der mit diesem abscheulichen Messer wie im Rausch auf sie einstach, wieder und wieder, und ihr Blut über die kostbaren chinesischen Teppiche in seinem Arbeitszimmer verteilte. War es wirklich das, was er wollte? Charles spürte einen Anflug von Tränen in seinen Augenhöhlen. Seine Drüsen schienen nur auf einen letzten Impuls zu warten, um die Augen zu überschwemmen. Unschlüssig biss er sich auf die Lippen. Wenn er jetzt einen Rückzieher machte, ging Mateo am Ende noch auf ihn los und forderte seine Bezahlung. Er hatte es mit einem Mann zu tun, der bereit war, zu töten. Mateo konnte ihm auch mit der Polizei drohen oder Amanda einweihen, was einer Katastrophe gleichkam. Unsicher hielt er sich auf den Beinen und wagte nicht, sich am Aston Martin abzustützen. Er wollte vor Mateo nicht dastehen wie ein erbärmlicher Schlappschwanz. Zu seinem Glück schien Mateo nicht clever genug zu sein, um Rückschlüsse aus seinen blassen Gesichtszügen zu ziehen. Verdammt, er hatte das Gefühl, als würde er zittern wie ein kackender Köter. Zaudernd wandte Charles sich ab und lief auf wackeligen Füßen zurück ins Haus. Jeder Schritt hallte wie ein Glockenschlag in seinem dröhnenden Schädel wieder.

Mit weichen Knien durchquerte er die Halle und setzte sich in der Küche an den Frühstückstisch, um seinen rebellierenden Magen mit einem Toast oder ein wenig Obst zu beruhigen. Amanda saß ihm direkt gegenüber. Sie goss sich gerade einen Kaffee ein und schaute zu ihm auf.
„Würdest du mir bitte den Zucker reichen?“ sagte sie mit missbilligender Miene. Amandas schnippische Aufforderung wischte seine verwirrende Besorgnis weg wie ein Windstoß trockene Blätter. Diese verdammte Zicke, dachte er. Wie gerne würde ich ihr gleich hier am Tisch den Hals umdrehen. Er wünschte sich einen weiteren Doppelten. Amanda schaute ihn herablassend an, wie eine Schlange ihre sichere Beute.
„Zu deiner Rechten, Charles.“
In ihrem Tonfall entdeckte Charles eine ähnliche Färbung. Allein ihr Anblick löste Stress bei ihm aus. Er griff nach der zart dekorierten Zuckerschale und stellte sie neben ihre Kaffeetasse.
„Bitte“, sagte er trocken und bemühte sich, so etwas wie ein Lächeln in sein Gesicht zu meißeln.
Amanda nickte stumm, entnahm zwei Stücke Würfelzucker und ließ sie in den Kaffee plumpsen. Ein schwarzer Tropfen hüpfte empor und erzeugte beim Wiedereintauchen eine kreisrunde, flache Welle, die an der Innenseite der Tasse verebbte. Amanda griff nach einem Teelöffel und rührte klimpernd in der Tasse herum. Dann widmete sie sich wieder dem Studium eines Klatschblattes.

Charles blickte sie nachdenklich an. Ihr Gesicht war gleichmäßig, die Haut weich und zart rosig. Die neue Kurzfrisur wirkte ein wenig steif, fast wie aus Stein gemeißelt, er schmunzelte, und die übermäßige Verwendung von Make-Up, die ihn oft in eine explosionsartige Erregung versetzt hatte, erschien ihm plötzlich billig. Er suchte in ihrem Gesicht nach einer Lösung. Vielleicht ein Arrangement, bei dem jeder seiner eigenen Wege ging. Doch der bittere Zug um ihren Mund und ihre betrübten Augen ernüchterten seinen Optimismus.
„Ich benötige noch ein wenig Bargeld“, raunte Amanda, ohne aufzublicken.
„Zwölf, zwanzig, zwölf“, knurrte er mit gedämpfter Stimme die Kombination des Safes hervor. „Werden dir Fünftausend genügen?“ Den Rest seiner Vergnügungsfinanzen hatte er in misstrauischer Voraussicht schon vor Wochen in Sicherheit gebracht, wollte er Amanda den sonntäglichen Weg zum Safe doch nicht abnehmen.
„Ich denke schon. Danke.“
Charles verabscheute ihre selbstsichere Gelassenheit. Doch damit war es nun vorbei. Er lächelte verschmitzt. Adieu, du Satansbraten, bienvenue, wundervolles Leben, dachte er und sah seine Zukunft in rosigen Farben vor sich.
„Was ist so lustig?“, fragte Amanda im Aufstehen.
Fast fühlte er sich ertappt. Hitze schoss ihm in den Kopf.
„Genieß deinen Tag“, wich er aus. Unsicher griff er nach der Kaffeekanne und füllte eine der Tassen auf dem Tisch.
„Ganz bestimmt“, sagte sie süffisant und es klang wie eine Beleidigung in seinen Ohren. Amanda verschwand mit angenehm runden und ästhetischen Bewegungen in der Halle.

Charles blickte auf den dampfenden Kaffee. Sein Kopf fühlte sich an wie ein aufgeblähter, pulsierender Ballon, der jede Sekunde zu explodieren drohte. Quälend langsam vergingen die Sekunden. Er wartete, horchte, konnte aber kein Geräusch vernehmen außer seinem eigenen Atem. Dumpfes Gebrüll schreckte ihn aus seiner lauschenden Gespanntheit. Die Worte … waren es Worte? … konnte er nicht verstehen.
Charles erblasste. Sein Magen zog sich krampfhaft zusammen und pumpte eine brennende Schärfe die Speiseröhre hinauf. „Beruhige dich“, ermahnte er sich. Sein Hals erschien ihm wie zugeschnürt. Mühsam schluckte er gegen das Trockenheitsgefühl und die glimmenden Schmerzen in seiner Kehle an. Er nippte an seinem Kaffee und ordnete seine Gedanken.
Es war noch nicht vorbei. Es war noch lange nicht vorbei. Er würde hinauf in sein Arbeitszimmer gehen, um die Firmenkorrespondenz zu erledigen und Amanda auf dem Fußboden vorfinden. Ihre Augen würden offenstehen, den Blick stumpf ins Leere gerichtet. Der Anblick ihres verrenkten Körpers, übersät mit blutigen Einstichwunden, würde ihm das Mark in den Knochen gefrieren lassen. Beinahe ließ er die Tasse fallen. Brühheißer Kaffee schwappte über seine Finger. Er setzte die Tasse ab und pustete über Daumen und Zeigefinger. Charles fühlte sich, als rauschte er wirbelnd einen schwarzen Abfluss hinab.
Er verschränkte die Hände und presste die Fingernägel in seine Haut. Der anhaltende Schmerz katapultierte ihn zurück in die Wirklichkeit. Was nun folgte, forderte seine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration. Er musste die Polizei verständigen, eine zurückhaltende Befragung über sich ergehen lassen und entsetzt und aufgelöst wirken. Alles Folgende würde er über seine Anwälte klären.

Er brauchte etwas Handfestes im Magen, um nicht unkonzentriert folgenschwere Fehler zu fabrizieren. Die nächsten Stunden durchstehen, dann war alles in Ordnung. Charles ging zum Kühlschrank und zog die schmatzende Tür auf. Er hatte keinen Hunger, doch verspürte er das unwiderstehliche Gefühl, irgendetwas Festes zu zerkauen und schlucken zu müssen. Gedünsteter Fisch, Schoko-Kokos-Kuchen und einige Muffins fielen ihm als Erstes ins Auge. Er entschied sich für eine Straußenkeule, deren Haut grau und schlabberig aussah, doch konnte er dem Anblick des Fleisches nicht widerstehen. Mit der Keule in der Hand zog er die Tür des Kühlschranks zurück und blickte auf Amanda. Ihr Gesicht war blass, der Ausdruck wie abwesend. In einer Hand hielt sie das gewaltige Kochmesser, das auf ihn gerichtet war. Charles wirkte benommen und erstaunt zugleich, wie ein Kind, dessen Spielzeug heruntergefallen war und nun zerbrochen vor ihm lag. Amanda verharrte gerade lange genug, um die Verblüffung in seinem Blick zu sehen. Dann rammte sie ihm das Messer mit Wucht zwischen die Rippen. Erschreckt zuckte Amanda zurück und taumelte gegen die Anrichte. Hastig rieb sie mit den Handballen über die Augen und starrte ihn an. Charles war zu überrascht, um das Eindringen des Messers zu spüren, doch ein scharfes Brennen pulsierte in seiner Brust. Gurgelnde Geräusche kamen ihm über die Lippen, dann einige unvollendete, stockende Atemzüge. Die Keule aus seiner rechten Hand fiel mit einem Schmatzen auf die Fliesen.
„Amanda“, sagte er tonlos.
„Er konnte es nicht“, sagte Amanda mit tränenerstickten Augen. Sie zog ihre Umhängetasche von der Schulter und legte sie auf die Steinplatte der Anrichte. Mit bebenden Händen zog sie eine Schachtel Zigaretten hervor.
Charles blickte auf die breite Klinge in seiner Brust. Ein schmaler, silberner Streifen ragte noch hervor, der sich mit seinem Blut füllte, das über die Kante der Klinge auf seinen Morgenmantel perlte und von dem Stoff aufgesaugt wurde. Mit einem erstickten Keuchen kippte er gegen die Kühlschranktür, die sich mit einem leisen Plopp schloss. Er legte die Hand auf seine Brust und spürte, dass das Blut bereits über seine Haut rann, Blut, das jäh und stoßweise aus seinem Herz gepumpt wurde. Kurze, abgehackte Atemstöße kamen über seine Lippen. Er blickte Amanda schläfrig an. Sie zog eine Zigarette aus der Schachtel, die sie zwischen ihre Lippen schob. Das Ende der Zigarette wippte auf und ab, doch die Flamme ihres Feuerzeugs war groß genug, um sie zu treffen. Gierig zog Amanda an der Zigarette und sog den Rauch tief in ihre Lungen, dessen Wirkung eine entspannende Wirkung auf ihrem Gesicht widerspiegelte.
„Zieh ihm das Messer raus und lass es verschwinden“, sagte sie unerwartet gefasst, ohne den Blick von Charles abzuwenden. „Dann gehört die Million dir.“
Mateo trat mit hängenden Schultern in die Küche. Er trug den Lederkoffer mit der Million in der Hand und stellte ihn auf dem Küchentisch ab.
„Du feiges Schwein“, dachte Charles. Ein feiner dunkler Speichelfaden lief ihm am Kinn herab. Er schluckte, der Geschmack war ekelhaft. Langsam rutschte er mit der Schulter am Kühlschrank herab und spürte die Kühle des gefliesten Bodens unter seinem Gesäß. Er konnte die Augen kaum noch offenhalten. Mateo trat zögerlich näher und betrachtete mit maskenhaftem Gesicht den blutgetränkten Morgenmantel. Fast ein wenig ängstlich blickte er Charles an und beugte sich so vorsichtig zu ihm hinunter, als würde er einen Angriff befürchten, den er abwehren müsste. Charles versuchte die Hand nach oben zu strecken, um ihn von sich fernzuhalten, doch sein Arm sank kraftlos herab. Er blickte mit hängenden Lidern zu Amanda, die achtlos die Zigarette aus den Fingern gleiten ließ. Funken stoben auf, als sie mit der glühenden Spitze auf den gekachelten Boden prallte. Amanda zog eine Taschenpistole aus ihrem Gucci-Täschchen hervor. Eine Glock 43 mit Minimalabmessungen, niedrigem Gewicht und einem Magazin mit sechs Patronen. Perfekt für Verteidigung und einen Fangschuss. Charles hatte sie ihr nach der Hochzeit geschenkt, inklusive eines mehrstündigen Schießtrainings. Mit einem gequälten Schmunzeln schaute er in Mateos Gesicht, der seinen Blick beinahe mitleidend erwiderte. Mateo umfasste den Jadegriff des Kochmessers und zögerte, als er ein metallisches Klicken hinter sich vernahm, das ihm scheinbar nicht fremd war. Amanda hatte den Hahn der Waffe gespannt, die sie in beiden Händen hielt, um präzise das Herz des Raubmörders zu treffen. Seelenruhig zielte sie auf Mateos Rücken und drückte ab.
 



 
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