Scheint, sie scheint. - Sonett

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Walther

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Scheint, sie scheint.

Am Himmel steht die Sonne hoch. Sie scheint.
Der Schatten kriecht die Wände rauf und runter,
Und aus dem Graubraun sprießt es etwas bunter,
So dass sich Manches schon im Frühling meint.

Weil dieser will, dass alles sich vereint,
Um mehr zu werden, wird sehr laut gepfiffen,
Geschrien und gemauzt. Wer hat begriffen,
Dass nachts die Kälte wartet, aller Feind,

Der keinen Spaß versteht und keinen macht.
Der raugereifte Frost legt sich auf Scheiben,
Auf Halme, Knospen, und die Zelle kracht,

Wenn in ihr sich die Eiskristalle reiben.
Der Winter hat so oft zuletzt gelacht,
Wenn Hoffnungen den Fluss hinuntertreiben.
 
Hi Walther

mir gefällt, wie du das Sonett immer wieder aus seiner thematischen Enge befreist und trotzdem dem traditionellen verbunden bleibst. Auch hier bleibst du zunächst im klassischen Wechsel der Jahreszeiten allerdings als bloße Kulisse zur Vertiefung der Gefährdung von Hoffnung der Vergänglichkeit und menschlichen Illusion. Formell vermutlich ein strophischer Wechsel von fünfhebigem Jambus und Alexandriner, wird die Dynamik m.E. Sehr gut unterstrichen.

mes compliments

dio
 

Walther

Mitglied
Hi Walther

mir gefällt, wie du das Sonett immer wieder aus seiner thematischen Enge befreist und trotzdem dem traditionellen verbunden bleibst. Auch hier bleibst du zunächst im klassischen Wechsel der Jahreszeiten allerdings als bloße Kulisse zur Vertiefung der Gefährdung von Hoffnung der Vergänglichkeit und menschlichen Illusion. Formell vermutlich ein strophischer Wechsel von fünfhebigem Jambus und Alexandriner, wird die Dynamik m.E. Sehr gut unterstrichen.

mes compliments

dio
Hey dio!
danke für deine tiefschürfenden überlegungen. die gedichte schreiben sich bei mir fast komplett selbst. memento mori ist eine facette des sonetts, spätestens seit dem Barock.
könntest du mir die stelle zeigen, an der das metrum wechselt. ich finde sie nicht. :)
lg W.

der dichter dankt @Dionysos von Enno fürs leseempfehlen!
 
pardon, welche "thematische Enge" hat ein Sonett?
in diesem jungen Jahrtausend?
oder in Deinen beispielhaften Sonetten, Dio?

Natürlich kann man vieles in ein Sonett hineinschreiben – doch gerade darin liegt seine Begrenzung. Die oft beschworene Vielseitigkeit der Form übersieht, dass das Sonett nicht nur formal, sondern auch inhaltlich zur Enge neigt. Mit seinen 14 Zeilen, der strengen Strophenarchitektur und meist festen Metrik verlangt es eine Verdichtung, die zur thematischen Bündelung zwingt. Das ist keine bloße Formsache – es prägt auch, was esagt wird und wie - und hier überwindet Walther m.E. häufig das "Althergebrachte" . Ich denke nur an seine Kriminalsonette oder die vielen modernen Themen, die er unterbringt.

Ich selber habe soweit ich mich erinnern kann noch kein einziges Sonett geschrieben. In meinem poetischen Ausdruck bin ich dafür zu geschwätzig, manieristisch, kitschig-ausladend. Inhaltlich scheint mir aber das Sonett traditionell, auf abgeschlossene Gedanken, kontrastive Spannungsbögen (These–Antithese–Synthese) und pointierte Reflexionen angelegt. Es bevorzugt in diesem Sinne klare Strukturen: bestimmte besonders idealisierte oder symbolisch aufgeladenennen Themen stellen dann schnell eine Herausforderung in dieser Stilform dar. Auch sprengen Ambivalenzen, fragmentarische Zustände, offene Prozesse oder gesellschaftliche Vielstimmigkeit diese Form schnell oder wirken darin künstlich. Schon aus diesem Grund wäre das nicht die richtige Form für den eruptiven Ausdruck in dem ICH mich wohlfühlen.

Die inhaltliche Enge ergibt sich traditionell m.E. also nicht nur aus der Kürze, sondern aus einem kulturell gewachsenen Erwartungshorizont: Das Sonett will zu einem „Punkt“ kommen, zu einem Gedanken, einer Haltung. Es eignet sich schlecht für das Unabgeschlossene, Widersprüchliche oder Flirrende. In dieser Hinsicht ist es m.E. weniger ein Gefäß für Themenvielfalt als ein Brennglas für Verdichtung – und das ist, bei aller ästhetischen Schönheit, eben auch: eine Einschränkung. Um auf Walther zurückzukommen - So wie ich als interessierter Laie Sonette in auf meinem lyrischen Speiseplan akzeptiere , gehört er zu den wenigen, die ich mit Genuss verköstige.
 

mondnein

Mitglied
Mit seinen 14 Zeilen, der strengen Strophenarchitektur und meist festen Metrik verlangt es eine Verdichtung, die zur thematischen Bündelung zwingt.
das wiederholt nur die These.
Ich selber habe soweit ich mich erinnern kann noch kein einziges Sonett geschrieben.
ach?
Auch sprengen Ambivalenzen, fragmentarische Zustände, offene Prozesse oder gesellschaftliche Vielstimmigkeit diese Form schnell oder wirken darin künstlich.
dieses Sätzchen ist so allgemein, daß es auf jede Art von Text zutrifft, sei es Euklids Geometrie, das alte gelbe Telephonbuch oder Der Mond ist aufgegangen.
kulturell gewachsenen
Entwicklungen, die Handlungen von Menschen zur Substanz haben, sprengen aufgrund der schöpferischen Freiheit und des neugierigen gesprächsimmanenten Informations-Fortschritts jede Mono-"Kultur". .
Das Sonett will zu einem „Punkt“ kommen, zu einem Gedanken, einer Haltung.
hallo, Sonett! schön, von Dir zu hören!
und nicht in eine für mich völlig belanglose Pfauenschau über Halbwissen abzugleiten
ähem

gehört er zu den wenigen, die ich mit Genuss verköstige.
verköstige ihn eher mit einem guten Mokka und einem sahnigen Eis; abstrakter "Genuss" löst sich schon im Mund auf, bevor es den Verköstigten sättigt.

Es kommt nicht darauf an, was man über Gedichte im Allgemeinen weiß, als vielmehr: sie zu lesen, zu schreiben und das Neue zu erkennen, das sie im Einzelnen mitteilen.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:
Es kommt nicht darauf an, was man über Gedichte im Allgemeinen weiß, als vielmehr: sie zu lesen, zu schreiben und das Neue zu erkennen, das sie im Einzelnen mitteilen.
:)) ja das hast du sehr schön geschrieben. Noch schöner wäre allerdings ein Bezug zu Walthers Sonnett in SEINEM FADEN gewesen. Magst Du Deine Brillanz, Klarheit und Belesenheit nicht noch einmal kurz an sein Sonnett anlegen ? Vielleicht würde ich noch mehr entdecken und verstehen.
 



 
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