Schluss mit lustig

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Das Leben meinte es gut mit Dr. Ansgar Jester, dem Betreiber der anerkannten Humor-Akademie Hofnarr®. Auf der Shortlist zur Nominierung für den Humor-Nobelpreis zu stehen, und damit enorme öffentliche Anerkennung zu genießen, das war Balsam für sein Ego.

Als er sich mitten in einer Arbeit zu einem Feature für einen norwegischen TV-Sender, mit dem Titel 'Troll oder nur stark angeheitert?', befand, wurde er in seiner Alltagsroutine gestört. Einer dieser Internet-Trolle, mit denen er sich mehrfach in lästiger Weise hatte beschäftigen müssen, wagte den Schritt aus der Anonymität. Dieser Nerd schlug tatsächlich ein Treffen vor, leibhaftig, von Angesicht zu Angesicht – unglaublich für solchen einen Aktivisten der hinterlistigen Zunft. Jesters Ehefrau riet ihrem Gatten davon ab. “Lass es lieber, Ansgar. Wer weiß, was der vorhat? Klingt ganz nach Show-Down“, waren ihre besorgten Worte. Aber Ansgar Jester war als Sprachwissenschaftler nicht nur beim Thema Humor an neuen Wendungen interessiert, er war auch allgemein von wissbegieriger Natur. Vom Self-Outing eines Trolls hatte er noch nie gehört, und so musste er nicht lange überlegen, er folgte der Einladung. Und dies gestaltete sich zunächst komplizierter als gedacht. Dieser Typ teilte ihm nicht einfach Ort und Zeitpunkt des geplanten Treffens mit, nein, dem schwebte eine weniger altbackene Methode vor, so wie er es ausdrückte. Ansgar musste schmunzeln, als er die Details las. Es handelte sich um eine Art digitaler Schnitzeljagd, an deren Ziel sich der Treffpunkt befinden sollte. Ansgar beteiligte sich an diesem Spaß, er ließ sich auf eine Irrfahrt durchs Internet ein und fand bald das Ziel heraus: eine Autobahn-Raststätte in Oberbayern, an der A8. Für ihn mit Wohnsitz im Norden Deutschlands eine beachtliche Entfernung, aber er konnte bei der Gelegenheit anschließend einen Freund im nahen Mittenwald besuchen.

Ansgar Jester, ansonsten mental robust im Leben stehend, verspürte durchaus eine gewisse Anspannung, als er das Restaurant betrat. “Du wirst mich schon erkennen“, so hatte der Troll ihn vorbereitet. Und tatsächlich, ganz hinten im Lokal, an einem Ecktisch, entdeckte er einen blassen, verhuschten Jüngling, der eine bunte Kappe der Faschingsgesellschaft Narrhalla auf den Kopf trug – netter Gag in Richtung Hofnarr®. Die Gesprächseröffnung verlief seitens des Trolls sehr stockend. Meine Güte, total verklemmt, dachte Ansgar über sein Gegenüber, der zuvor beim Wortwechsel im Netz äußerst flüssig formuliert hatte. Small-Talk im realen Leben war dessen Stärke offensichtlich aber nicht, und so kam er sehr zögerlich zur Sache. “So, Jester, warum tust du mir das an? Warum willst du mich fertigmachen? Das muss doch 'nen Grund haben? Nun raus damit. Und jetzt bloß nicht wieder so'n akademisches Gelaber. Keinen Scheiß!“ Offensichtlich hatte Ansgar diesen aggressiven Störenfried mit seinen Einlassungen empfindlich getroffen, ihn damit aus der Reserve gelockt. Dr. Jester, rhetorisch gut gerüstet, schaffte es nun, dem Jungen die Anspannung zu nehmen. “Natürlich erfährst du von mir die Wahrheit. Ich werde auf dem Boden der realen Welt bleiben. Von mir kein Drumherumgerede. Keine rhetorischen Finten.“ Und die meiste Zeit redete zunächst Ansgar, der unscheinbare junge Mann hörte zu, schien aber mit den Ausführungen nicht immer einverstanden zu sein, lauschte aber weiter aufmerksam den Worten des Älteren. Ob er dabei verstanden hatte, dass die Welt der Gefühle nicht in Algorithmen zu finden wäre, das konnte Ansgar den Reaktionen nicht entnehmen. Es gelang ihm aber, diesen trotzigen kleinen Kerl emotional zu öffnen. Zunächst verhalten, dann redete dieser immer flüssiger. Und was dann fast schon kaskadenartig aus dem Jungen strömte, verblüffte selbst einen auch psychologisch versierten Wissenschaftler wie Dr. Jester. Ungebremst sprudelte es aus dem Freak nur so heraus.

An diesem Nachmittag, an einem sonnigen Tag im Vor-Frühling in Ober-Bayern, erlangte Dr. Jester Einblick in das kaputte Leben eines jungen Menschen. Er erfuhr unter anderem von körperlichen und seelischen Misshandlungen eines Kindes. Was hatten Menschen diesem Geschöpf nur angetan? Spielerische Unschuld hatte hier nie Platz gehabt, ein Weg in ein gestörtes Verhaltensmuster war frühzeitig vorgezeichnet; eine Flucht in die anonyme Welt des Internets war später die Folge. Erschwerend nun der Konflikt in der aktuellen Situation. Dass dieser im Netz mitunter durchaus pointiert formulierende Nerd, zumindest bei längeren Passagen, ausschließlich mit einem Schreibroboter gearbeitet hatte, erschien Ansgar nicht ganz unerwartet. Dr. Jesters erster Gedanke: KI vs. Old School, so schlecht hatte er dabei nicht abgeschnitten, lautete sein Resümee. Aber welches Procedere sollte er in dieser Situation wählen? Hier hatte eine arme Seele versucht, sich Nähe zu den Gefühlen anderer Menschen zu verschaffen, das hatte aber nicht funktioniert. So mussten ersatzweise die Emotionen anderer beschädigt werden, ganz gleich wie. Hämische Besserwisserei stand am Anfang, dann kam es zu schärferen Attacken. Mit perfiden Verbalinjurien wurde die Linie zum Pathologischen überschritten. Der Auftritt des Trolls im Netz wurde schließlich der einer gespaltenen Persönlichkeit, wobei er verschiedene Pseudonyme parallel bediente, teils nur plump getarnt, mal mit Pseudo-Empathie verbrämt. Ansgar Jesters Bemühungen hatten irgendwann eine Wende eingeleitet. An welcher Stelle sich der Nerd getriggert fühlte, konnte dieser nicht genau erklären. Als Troll unterbrach er jedenfalls seine Aktionen in den Chatrooms und wandte sich im realen Leben an den 'Humor-Papst' – es roch nach Hilflosigkeit.

Trotz der psychopathischen, äußerst lästigen Vorgehensweise dieses Nerds, Ansgars altruistische Seite wurde angesprochen. Er empfand tiefes Mitleid mit diesem Wesen. Die Unverschämtheiten eines anmaßenden Internet-Freaks erschienen dem Humorflüsterer mit einem Male nebensächlich. Vielleicht war eine Überdosis Humor seinerseits ja auch mitunter toxisch? Dann kam es zu einem Zusammenbruch. Der Junge brach in Tränen aus. Der empathische Erwachsene nahm ihn in den Arm, um ihn zu trösten. So verharrten sie eine ganze Weile. Ein zuvor nicht vorstellbares Bild: Hofnarr tröstet weinenden Troll. Später am Tag, der junge Mann hatte sich wieder unter Kontrolle, stimmte dieser einer Therapie zu. Diese erfolgte bei einem mit Dr. Jester befreundeten Psychiater in Mittenwald, spezialisiert auf verschiedene Spielarten von digital verursachten psychischen Schäden.

Kurze Zeit später gab Ansgar Jester seinen einstweiligen Rückzug aus der Öffentlichkeit bekannt, er wolle sich eine schöpferische Pause gönnen: SCHLUSS MIT LUSTIG, lautete die Überschrift der Pressemitteilung. Inzwischen lebt Ansgar Jester zurückgezogen in einem kleinen Ort an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste, wo er wieder seiner früheren großen Leidenschaft nachgeht, der Malerei.
 

Sandra Z.

Mitglied
Eine amüsante Geschichte, lieber Horst!
Humor ist das Wichtigste im Leben, aber das wird die KI wohl niemals "begreifen" ;)
Viele Grüße, Sandra
 
Hallo Sandra,

danke für deinen Kommentar und die Sterne. Ja, mit Humor kann man einiges im Leben bewirken - KI beherrscht dieses eher nicht. Bei Internettrollen benötigt man allerdings eine Menge davon und zusätzlich gute Nerven.

Herzliche Grüße.
Horst
 



 
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