schöpfungs geschichte

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Walther

Mitglied
schöpfungs geschichte


am anfang war das wort & dann kein ende
des lauten über redens angezeigt
der sphären klang geschüttelt & vergeigt
weil keiner diese(r) blätter wetter wende

weil keiner lässig pfeifend & behände
die noten presse dur & moll bestreikt
die falsche form gehobelt wie geliket
wo man das letzte leichen hemd verpfände

da sprach er werde licht & sieh es steigt
die sonne zeigt der schöpfung die bestände
was lagert wird geweckt & ab gezweigt

geht nichts was geht & steht erhebt die hände
& schleicht als zeugnis still wie stolz das zeigt
dass lende sind gewässer wie gelände
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Walter,
es ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant.
Ich möchte aber jetzt nicht auf den Inhalt eingehen, der sehr vielschichtig ist, sondern auf ein paar formale Beobachtungen:

1. Du hast einen gewissen Stil gefunden, an dem man Deine Sonnette erkennt, selbst, wenn "Walter" nicht drüber steht.

2. Wir haben verschiedene Eindeutschungsformen von "bestreikt" und "geliket". Beim Streik, der schon über hundert Jahre in der deutschen Sprache existiert, wurde das gesamte Wort angepasst, sowohl Konsonanten als auch Vokale. Wenn man's nicht wüsste, würde man es kaum als Fremdwort erkennen. "Geliket" ist auf einer früheren Stufe. Die Umschrift des Vokals wurde nicht durchgeführt, wohl aber die Auslautverhärtung, die ins Schriftbild sogar überging, indem die "normale Endung" verwendet wird. Der Reim ist vollkommen da, denn es muss sich ja mündlich reimen. Es ist kein "Augenreim".

3. Wir haben zahlreiche Wortspiele und Kombinationsmöglichkeiten. Es ist eine Art Labyrinth mit verschiedenen Gängen, die möglich sind. Verlangsamung des Lesens, mehrfaches Lesen, stark verdichtet. Ich werde es mit in meine Favoritenliste aufnehmen.
 

grasshof

Mitglied
schöpfungsgeschichte feste form

Diese Aussagen haben mir gut gefallen. Aber warum nicht das Und ausgeschrieben? Ich würde daran noch feilen, läßt sich schwer lesen.
 

Walther

Mitglied
lb. bernd,

danke für deinen eintrag. im sonett http://www.leselupe.de/lw/titel-wer-den-herbst-liebt-so-nett-experimentell-109832.htm habe ich diese form des sprachge(t)witter(s) noch einmal auf die spitze getrieben. diese poetik wird auch in den gedichten http://www.leselupe.de/lw/titel-lebens-laeufer-109629.htm (lebens läufer) und http://www.leselupe.de/lw/titel-bewegungs-melder-109741.htm (bewegungs melder) verwandt. weniger stark, dafür anders gestrickt, ist http://www.leselupe.de/lw/titel-feier-abend-109805.htm (feier abend). Immer aber geht es darum, die sprache von vielen seiten aus zu betrachten und die geschilderten gegenstände in facetten aufzulösen, den bildern und begrifflichkeiten ihre (oft falsche) glätte zu nehmen.

im moment "langweilt" mich das traditionelle etwas; mag sein, daß ich dabei übertreibe. aber wer nichts neues macht, also experimentiert, bleibt stehen. also war es zeit, die alten geleise zu verlassen und auf eine reise zu gehen, an deren ende eine poetologie steht, die gescheitert ist oder eine, die zukunft hat.

lg w.
 

Walther

Mitglied
lb grasshoff,

es ist das konzept dieser art der schreibung, daß das gedicht "schwer zu lesen ist". das führt dazu, daß man als leser genauer hinsehen muß, um den inhalt zu verstehen.

danke für deinen eintrag und das hereinschauen!

lg w.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Walther

Gerade hatte ich eine Erleuchtung und ich habe mich an Dein Gedicht erinnert. Es nocheinmal mit neuen Augen gelesen und bin begeistert.

Liebe Grüße
Thylda
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

über die "lende" stolpere ich. Müsste es nicht "lenden" heissen?

elende lende, elendige ;)

Liebe Grüße

Herbert
 

Walther

Mitglied
hi herbert,

danke für den hinweis. ich denke, es geht beides: in ersteren fall, der "lende", wird die eigenschaft von wasser und erde als "saatboden" beschrieben, in zweiteren wird bemerkt, daß als mehr als eine lende ist, über die gesprochen wird.

lg w.
 



 
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