Schülerin der Drachengilde

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VeraL

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Taleha ra Vangalah, die Tochter des Herzogs von Calen, stand auf dem Westturm des königlichen Palasts von Ilgendorin und blickte auf ein überirdisch schönes Wesen, das versuchte, an der Außenmauer hochzuklettern. Sie gab sich Mühe, um nicht frustriert aufzuschreien und vergrub ihre Fingernägel in der Handfläche. Irgendwie musste sie es schaffen, den jungen Drachen unter Kontrolle zu bekommen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Taleha konzentrierte sich, griff nach ihrer Magie.
„Komm schon, Silberschuppe. Du weißt, was ich will. Flieg in einer geraden Linie über mir und dann eine Schraube nach unten.“
Silberschuppe ignorierte sie und puhlte mit seinen Klauen Steine aus der Mauer. Fantastisch. Das würde sie richtig in Schwierigkeiten bringen. Sie atmete tief durch, schloss die Augen und ließ den Wind durch ihre langen, braunen Haare wehen.
Natürlich öffnete sich genau in diesem Moment die Tür hinter ihr und die zwei Menschen, die sie jetzt am wenigsten sehen wollte, traten auf die Balustrade: Meister Jagolin, der Vorsitzende der Drachengilde, und Prinz Felinor, der jüngste Sohn des Königs. Taleha verbeugte sich, während Meister Jagolins Blick kritisch über ihre zerknitterte Tunika und die fleckige Hose glitt.
„Taleha. Der dir zugewiesene Drache Silberschuppe wurde dabei beobachtet, wie er scheinbar unkontrolliert an den Palastmauern herumkletterte. Dabei können seine Klauen Schäden im Mauerwerk anrichten, das essentiell für unsere Verteidigung ist. Nicht zu sprechen von der Verletzungsgefahr für den Drachen. Was sagst du dazu?“
„Das muss … ich … vielleicht handelt es sich um eine Verwechslung. Wer will Silberschuppe denn gesehen haben?“
Prinz Felinors Blick war undurchdringlich: „Ich habe ihn gesehen.“
Taleha stöhnte innerlich auf. Hinter ihr erhob sich der Jungdrache in die Luft, flog genau über ihr und begann, Steine aus der Mauer auf Meister Jagolin zu werfen.
Dieser errichtete mit einer einzigen Handbewegung ein Schutzschild über seinem Kopf.
„Taleha, du bist im letzten Monat volljährig geworden und schon seit über einem Jahr Schülerin der Drachengilde. Du wurdest aus Hunderten von Bewerben ausgesucht, um das Leuchtende Band mit einem Drachen zu schließen. Dein magisches Potential ist außergewöhnlich hoch. Dennoch scheinst du keinerlei Fortschritte in der Beherrschung deines Drachen zu machen. Die anderen Schüler deines Jahrgangs haben bereits alle eine tiefgehende Verbindung zu ihren Schützlingen aufgebaut.“
Taleha traute sich nicht, ihm in die Augen zu sehen. War dies der Moment, in dem sie aus der Gilde geworfen und zurück zu ihren Eltern geschickt werden würde? Ihr Vater würde sie sofort verheiraten.
„In einem Monat findet die Parade aus Anlass des Geburtstags des Königs statt. Wir erwarten hochrangige Gäste aus allen befreundeten Staaten. Der König will dabei alles zeigen, was die Menagerie zu bieten hat. Silberschuppe ist noch nicht mal in der Lage, den simpelsten Formationen zu folgen. Wie bitteschön willst du das bis dahin in den Griff kriegen?“
„Ich werde mich noch mehr anstrengen. Ich werde noch härter trainieren. Ich verspreche es. Ich bitte Euch, schickt mich nur nicht nach Hause.“
Meister Jagolins Blick verhärtete sich. „Noch härteres Training wird nicht ausreichen. Du wirst mit Silberschuppe in die Berge von Senturin reisen. Ich möchte, dass du mir eine Unze Schwarznachtblüten mitbringst. Die Heiler benötigen sie dringend. Ihr brecht gleich morgen früh auf. Geh sofort packen, aber nimm nur das Notwendigste mit. Und bring diesen Drachen zurück in die Menagerie, bevor er die ganze Mauer durchlöchert.“
Taleha wurde eiskalt. Die Berge von Senturin? Nur mit Silberschuppe? Für eine Unze der seltenen Blüten würde sie mindestens eine Woche oben in den Bergen bleiben müssen. Das war ein halbes Todesurteil.
Jagolin verließ den Turm und Taleha starrte den Prinz wütend an. „Danke, fürs Anschwärzen königliche Hoheit.“ Sie hätte sich nicht getraut, mit einem anderen Mitgleid der königlichen Familie so zu reden, aber Felinor war ebenfalls Schüler der Drachengilde. Sie wollte an ihm vorbei zur Treppe, aber er hielt sie fest.
„Ich habe meine Gründe. Glaub mir.“
Taleha schnaubte. „Ja, sicher. Du freust dich doch, dass du mir mal wieder das Leben schwer machen kannst. Lass mich in Ruhe.“
Felinor stand direkt vor ihr und sah sie eindringlich an. Taleha stockte kurz der Atem, dann traf sie einer von Silberschuppes Steinen an der Schulter und sie kramte in ihrer Tasche nach Leckerlies, um den Jungdrachen unter Kontrolle zu bekommen.

Taleha brauchte den halben Abend und ein ganze Packung Leckerlis, um Silberschuppe zurück in die Menagerie zu locken. Sie war verschwitzt, müde und hätte viel für ein heißes Bad gegeben. Stattdessen musste sie in die Bibliothek und einen Aufsatz über die Anatomie von Drachenknochen schreiben. Als sie endlich damit fertig war, hätte sie eigentlich packen sollen, aber sie konnte sich noch nicht dazu aufraffen. Stattdessen bog sie vor dem Trakt mit den Schlafräumen in den Säulengang ab und kam auf den Übungsplatz der Drachengilde. Trotz der vorgerückten Stunde waren noch einzelne Schüler mit ihren Drachen dort. Sehnsüchtig beobachtete Taleha sie. Ein wunderschöner schwarzer Drache umkreiste eine ihrer Mitschülerinnen in eleganten Bahnen. Aus jeder ihrer Bewegungen sprach eine tiefe Verbundenheit. Ein Mann mit einem roten Bart war in einer Ecke in ein mentales Gespräch mit seinem Drachen vertieft. Warum konnte sie das nicht mit Silberschuppe haben? Was machte sie nur falsch? Die junge Frau, Mohala, kam auf sie zu und löste ihre schwarzen Locken aus dem Zopf.
„Gerüchte sagen, Jagolin verbannt dich in die Berge?“
„Es hat sich also schon herumgesprochen? Ich weiß nicht wie ich das überstehen soll,“ stöhnte Taleha. „So viele Leckerlis wie ich brauchen werde, kann ich gar nicht mitnehmen.“
„Nimm lieber Schokolade für dich mit. Aber ernsthaft, gibt es immer noch keine Fortschritte?“
„Nicht den kleinsten. Es ist, als hätte Silberschuppe eine Mauer um seinen Geist, die ich nicht durchdringen kann. So werde ich ihn niemals führen können. Und ich kann nicht mit ihm kommunizieren. Was würde ich dafür geben, nur einmal zu erfahren, was in ihm vorgeht. Aber er scheint kein Interesse daran zu haben. Er will mir nur das Leben schwer machen. Vielleicht hätte ich zu Hause bleiben sollen und irgendeinen netten, hirnlosen Sohn eines Herzogs heiraten sollen.“
„Ja, großartige Idee. Taleha, die ergebene Ehefrau und treusorgende Mutter von fünf Kindern. Sei ehrlich, dann doch lieber die Berge von Senturin. Aber was genau habt ihr denn eigentlich angestellt, um diesen kleinen Ausflug zu verdienen?“
„Silberschuppe hat Löcher in Palastmauer gebohrt. Felinor hat uns beobachtet und bei Jagolin angeschwärzt.“
Mohala zog auf ihre unnachahmliche Weise die rechte Augenbraue hoch. „Prinz Felinor? Das überrascht mich. Ich dachte ...“
„Ja, ja. Ich weiß, was du denkst. Angeblich hat er mir beim Winterball bewundernde Blicke zugeworfen. Aber außer Linaleh, der Streuerin aller Gerüchte, hat das niemand gesehen. Und ich denke, er kann mich einfach nicht leiden.“
„Wenn du das sagst.“ Mohala lächelte vielsagend. „Brauchst du Hilfe beim Packen?“

Die beiden jungen Frauen brauchten bis zur Nachtglocke, um Talehas Sachen zu packen, festzustellen, dass sie viel zu schwer waren und dann wieder umzupacken. Am nächsten Morgen, als Taleha sich mit der ersten Glocke aus dem Bett quälte, fühlte sie sich schwer wie ein Mühlstein. Ihre grünen Augen waren verquollen und sie versuchte gar nicht erst, ihre langen Haare zu frisieren, sondern versteckte sie unter einer Mütze. Doch der kühle Morgenwind, der ihr ins Gesicht wehte, als sie den verlassenen Übungsplatz zur Menagerie überquerte, wirkte erfrischend.
Leider war auch Silberschuppe kein Frühaufsteher. Taleha wollte ihn vorsichtig wecken, doch in dem Moment, als sie leicht mit der Hand über seine glänzenden Schuppen strich und seinen Namen flüsterte, bäumte er sich auf und fauchte. Silbernes Feuer traf Taleha im Gesicht. Ihre Magie schütze sie vor Verbrennungen, aber die Wucht des Flammenstoßes schleuderte sie gegen die Wand der Menagerie. Einer der Pfleger kam ihr zur Hilfe. „Mylady, alles in Ordnung?“
„Ja, sicher natürlich. Wir trainieren Abwehrtechniken. Geht wieder an die Arbeit.“ Am Gesicht des blonden Mannes konnte Taleha ablesen, dass er ihr kein Wort glaubte. Natürlich hatte er von der Gildeschülerin gehört, die es nicht schaffte, eine Verbindung zu ihrem Schützling aufzubauen.

Taleha wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, aber eine Stunde später ritt sie in Begleitung zweier Wachen der Palastgarde in Richtung der Berge, die sich sechs Reitstunden nördlich der Hauptstadt auftürmten. Taleha erschauderte jedes Mal, wenn Sie den Blick hob und sie am Horizont sah. Das Gebirge war berüchtigt und das nicht nur für die schlechten Straßen und das noch schlechtere Wetter. Die Schüler der Drachengilde erzählten sich von unheimlichen Wesen, die dort leben sollten. Angeblich gab es dort einige letzte Exemplare der goldenen Urdrachen. Diese Wesen aus einer anderen Zeit hatten unfassbare magische Kräfte und ließen sich nicht zähmen. Andere Drachenarten lebten mit den Menschen zusammen. Die Mitglieder der Drachengilde konnten mit ihnen kommunizieren und sie dazu bringen, Menschen zu helfen. Die Urdrachen hassten die Menschen. Sie töteten sie, wenn sie nur konnten. Legenden besagten, dass vor über hundert Jahren zum letzten Mal ein Urdrache aus dem Gebirge entkommen war. 20 Gildenmagier und ihre Drachen wurden benötigt, um ihn zu töten. Damals hatten sich angeblich auch Drachen von dem Urdrachen verführen lassen und Ulaquas gezeugt. Diese Halbwesen sollten ganz besondere Fähigkeiten haben und nur schwer zu zähmen sein. Allerdings hatte auch noch nie jemand sie zu Gesicht bekommen.
Ein Schrei riss Taleha aus ihren Gedanken.
„Ich glaube, Sie sollten mal nach Ihrem Drachen sehen,“ bemerkte eine der Wachen trocken. Silberschuppe attackierte gerade einen Bauernhof. Er zischte im Tiefflug über die Bauernfamilie hinweg, die sich ängstlich unter einen Apfelbaum auf den Boden kauerte. Der Tag wurde immer besser.
„Silberschuppe, lass den Quatsch und komm sofort wieder hier hin, oder es gibt heute kein Abendessen. Ich zähle bis drei.“
Oft wusste sich Taleha keinen anderen Rat, als die Techniken ihres Kindermädchens anzuwenden. Wenigstens funktionierten sie manchmal. Silberschuppe fauchte die Familie an und flog dann zurück zur Straße, während Taleha dem Bauern Entschuldigungen zu rief und eine der Wachen Süßigkeiten für die Kinder bringen ließ. Jetzt hatte sie noch nicht einmal mehr Nervennahrung.

Am Fuß der Berge verabschiedete sich Taleha von den Wachen und ihrem Pferd, für das die Bergpfade zu steil waren. Sie würden sie in einer Woche wieder abholen. Hoffentlich. Seufzend blickte Taleha auf die steil und düster aufragenden Felswände. Sie hasste Bergsteigen. Silberschuppe schien die Berge auch nicht zu mögen. Er folgte ihr überraschend zahm, als sie den schmalen Pfad betrat, der in das Gebirge führte. Um sich nicht auf ihre schmerzenden Knie und Füße zu konzentrieren, versuchte sie, Kontakt zu dem Drachen aufzunehmen. Sie sammelte ihre Magie und versuchte eine Verbindung zu seinem Geist zu bekommen. Aber es geschah nichts. Wieder und wieder prallte sie ab. Sie fühlte sich wie einer der Kiesel, die sich hin und wieder unter ihren Füßen lösten und in die Tiefe stürzten. Egal was Meister Jagolin dachte, sie würde Silberschuppe hier genau so wenig nahe kommen wie im Palast.

Zwei Tage vergingen ereignislos. Es war kalt und ungemütlich und bis jetzt hatte sie nur zwei kleine Schwarznachtblüten gefunden. Von einer ganzen Unze war sie noch weit entfernt. Aus purer Langeweile fing sie an, auf den Jungdrachen einzureden: „Ich weiß, du denkst, ich bin der schlimmste Mensch, der dir passieren konnte. Du hasst mich wahrscheinlich. Aber ich bin nicht so schlecht wie du denkst. Ja, ich kann nicht kochen und backen und weder tanzen noch sticken. Daher wäre ich eine furchtbare Ehefrau. Aber ich bin sicher, ich könnte mit dir arbeiten, wenn du mich nur lassen würdest. Wenn wir nicht nur durch das Leuchtende Band verbunden wären sondern eine echte mentale Verbindung hätten, könnten wir zusammen großartige Dinge tun. Denk nochmal drüber nach. Ansonsten schickt Jagolin mich nach Hause und irgendein armer Tropf bekommt mich zur Frau und dann bist du ganz allein für sein Unglück verantwortlich. Willst du das wirklich?“
Taleha war vollkommen außer Atmen von ihrer Rede und dem Bergsteigen, aber was war das? Silberschuppe verzog den Mund, so dass es aussah als würde er grinsen. Aber das konnte nicht sein. Drachen grinsten nicht und dieser hier schon gar nicht. Vielleicht hatte er Sodbrennen von den ganzen Leckerlis, mit denen er die ganze Zeit bestochen wurde.

Zwei Stunden später erreichten sie eine Ebene. Als Taleha sich dort umsah, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Am Fuße eines Steilhanges wuchs ein ganzes Feld voller Schwarznachtblüten. Das würde reichen. Wenn sie die alle gepflückt hatte, konnten sie das Gebirge verlassen. Dass die Wachen mit ihrem Pferd noch nicht zurück sein würden, störte sie nicht. Sie würde sogar zurück nach Ilgendorin laufen, wenn sie nur aus diesem Gebirge herauskäme. Sie zückte ihr Messer und sang vor sich hin, während sie die kleinen Blüten abschnitt. Plötzlich traf sie etwas am Rücken. Silberschuppe. Er hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet, seine Augen glühten und er fauchte sie an.
„Bist du total verrückt geworden? Du greifst mich an? Wenn du mich umbringst, wirst du das Leuchtende Band mit jemand anderem schließen müssen, der vielleicht noch schlechter singen kann als ich. Hör sofort auf, du verrücktes Biest.“
Doch Silberschuppe hörte nicht auf. Der fauchte immer lauter und drängte sie zurück auf den Pfad. Langsam bekam Taleha Angst. So wild hatte sie den Drachen noch nie gesehen.
Plötzlich hörte sie einen gellenden Schrei. Es klang wie ein Mensch, der Todesangst hatte. Ein Mensch, den sie kannte. Taleha duckte sich unter Silberschuppes Flügelschlägen hindurch und rannte zum Rand der Ebene. Auf einem Plateau weit unter ihr lag ein blauer Drache. Er blutete aus einer riesigen Wunde am Bauch. Oh, ihr Drachengötter. Das war Azuri, der Drache von Felinor. Dann musste auch der Prinz in der Nähe sein. Sie sah sich um. Er hockte hinter einem Strauch und seine Magie umfloss ihn, allerdings strahlte sie nicht wie sonst, sondern schimmerte nur noch leicht. Er musste sich völlig verausgabt haben. Taleha schauderte. Was passierte da unten?

Die Antwort bekam sie schneller als ihr lieb war. Hinter einem Felsvorsprung tauchte ein Wesen auf, das nur aus einem Albtraum stammen konnte. Es war ein Drache, aber einer, der doppelt so groß war wie alle Drachen, die Taleha bis jetzt gesehen hatte. Er schien aus purem Gold zu bestehen und seine Augen glühten Feuerrot. Aber das war nicht das Schlimmste. Bei allen anderen Drachen konnte Taleha als Schülerin der Drachengilde eine Persönlichkeit erkennen. Jeder Drache hatte etwas eigenes, ganz Besonderes. Doch dieses Wesen strahlte nur puren Wahnsinn und Blutdurst aus. Dafür gab es nur eine Erklärung. Felinor hatte sich mit einem Urdrachen angelegt.

Silberschuppe griff mit seinen Klauen nach ihr und versuchte, sie von der Kante wegzuziehen. Obwohl alle Sinne Taleha befahlen, ihm zu gehorchen und wegzurennen, blieb sie, wo sie war. Sie konnte Felinor nicht im Stich lassen. Er würde nur noch wenige Minuten aushalten. Taleha sah ihren Drachen an und fasste einen Entschluss. Sie legte ihren ganzen Willen, alle ihre Wut und Angst in das Leuchtende Band. Sie schickte ihre Magie zu Silberschuppe und befahl ihm, neben ihr zu landen. Für einen Moment glaubte sie, Silberschuppe würde sich widersetzen. Doch dieses Mal fühlte es sich anders an. Die Verzweiflung machte sie stärker und sie spürte die Magie, die durch ihre Adern in das Leuchtende Band strömte. Silberschuppe glitt neben sie und sie schwang sie auf seinen Rücken. Gemeinsam rauschten sie nach unten zu Felinor und Azuri. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie daran, dass sie keine Ahnung hatte, was sie gegen einen Urdrachen ausrichten konnte. Wahrscheinlich nichts. Ihr Leben würde hier in diesen verfluchten Bergen enden. In diesem Moment spürte der Urdrache ihre Präsenz und wirbelte zu ihnen herum.

Der Blick des Unwesens fühlte sich an wie eiskaltes Wasser, das ihr über den Kopf gegossen wurde und gleichzeitig wie tausende glühende Kohlestückchen auf ihrer Haut. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Wie gebannt starrte sie in die glutroten Augen. Sie hörte Felinor wieder schreien. Sie wolle ohnmächtig werden oder sich an einen anderen Ort zaubern. Einfach nur, um das hier nicht länger miterleben zu müssen. Silberschuppe landete direkt vor dem Ungetüm. Talehas Knie zitterten. Oh ihr Drachengötter, lasst es schnell vorbei sein. Azuri wimmerte und es gelang ihr, den Blick von dem Urdrachen abzuwenden. Der blaue Drache lag schutzlos zwischen den Felsbrocken. Sein Anblick versetze Taleha einen Stick. Der junge Drache war nicht freiwillig hier. Was hatte Felinor sich nur dabei gedacht, ihn hierher zu bringen. Wut stieg in Taleha auf. Sie würde nicht aufgeben.
„Silberschuppe! Ich, Taleha ra Vangalah, Schülerin der Drachengilde, befehle dir, mir jetzt zu helfen, wie du es versprochen hast, als wir das Leuchtende Band geschlossen haben.“ Taleha war kurz davon beeindruckt, wie fest und selbstsicher ihre Stimme klang.

Silberschuppe sah sie an und dann geschah es. Ihr Geist verband sich mit dem des Drachen. Sie waren eins. Dieses Gefühl war so überwältigend, dass Taleha absurderweise völlig glücklich war. Sie hätte vor Freude schreien können oder in Tränen ausbrechen. Doch da war ja noch der Urdrache. Er öffnete sein riesiges Maul und Taleha sah eine Flammenwand auf sich zukommen. Sie hob die Arme schützend vor ihr Gesicht, aber die Flammen erreichten sie nicht. Vor ihr glitzerte eine magische Schutzwand. War das ihre eigene Magie? Das konnte nicht sein. Sie konnte unmöglich die Magie eines Urdrachen aufhalten.

Das Monster fauchte wütend. Es richtete sich auf und schlug mit den Flügeln. Taleha spürte die ungeheure Kraft, die sich in dem Wesen sammelte. Gleichzeitig zog etwas an ihrer eigenen Magie. Es war Silberschuppe. Sie wehrte sich nicht. Es war sowieso egal, gegen dieses Urwesen hatte sie keine Chance. Silberschuppe richtete sich ebenfalls auf. War er größer geworden? Er saugte alle Magie aus Taleha, verwebte sie mit seiner eigenen Macht und schleuderte sie dem goldenen Ungetüm entgegen. Es war völlig still. Die beiden Drachen standen sich auf den Hinterbeinen gegenüber. Silberschuppe stieß einen Schrei aus und ließ seine Magie los. Die Kraft war so gewaltig, dass Taleha in die Knie ging und ihr schwarz vor Augen wurde. Dann schreien beide Drachen und das Unglaubliche geschah. Silberschuppes Netz aus Magie umschloss den Urdrachen, der immer lauter schrie, dann schlug er mit den Flügeln und erhob sich in die Luft. Taleha konnte sehen, dass das magische Netz tiefe Wunden in seine Schuppen gebrannt hatte. Kreischend flog der Urdrache immer höher, drehte schließlich um und flog davon.

Taleha hatte keine Kraft mehr, sie würde ohnmächtig werden. Silberschuppe hatte all ihre Magie genommen. Während sie zu Boden glitt, gingen ihr Tausend Gedanken durch den Kopf. Ihr Jungdrache hatte einen Urdrachen in die Flucht geschlagen. Er musste ein Ulaqua sein, ein Mischling aus Urdrache und Drache. Das würde einiges erklären und so viele neue Probleme schaffen. Felinor hatte sie gesehen. Wenn er im Palast erzählte, dass Silberschuppe … Taleha brachte den Gedanken nicht zu Ende. Dunkelheit umfing sie.

Als sie erwachte, sah sie wie Silberschuppe weißes Feuer über Azuri züngeln ließ und dessen Wunden damit schloss. Scheinbar besaßen Ulaquas Heilkräfte. Sie drehte den Kopf zur anderen Seite und sah Felinor, der neben ihr auf einem kleinen Felsen saß und grinste.
„Das findest du also lustig, ja?“
„Lustig nicht gerade. Ich freue mich nur, dass ich Recht hatte. Silberschuppe ist ein Ulaqua und du hast ihn gezähmt.“
„Was du natürlich schon die ganze Zeit gewusst hast.“ Taleha richtete sich auf.
„Gewusst nicht, aber ich habe es sehr stark vermutet. Deswegen habe ich Meister Jagolin vorgeschlagen, dich als Strafe hier hin zu schicken. Dass der Urdrache mich zuerst findet, war allerdings nicht vorgesehen.“
„Du bist ein Idiot. Wenn du Unrecht gehabt hättest oder wenn ich es nicht geschafft hätte, eine Verbindung aufzubauen, wären wir jetzt alle tot.“
„Hast du aber.“
Felinor beugte sich über sie und strahlte sie mit seinen blauen Augen an. Taleha vergaß, was sie ihm gerade noch an den Kopf werfen wollte. Felinor küsste sie. Oh, ihr Drachengötter.
 
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molly

Mitglied
Hallo Vera,

spannende Geschichte. "Silberschuppe" ,der Name gefällt mir für den unbändigen Drachen. Bleibt er in Freiheit?
Viele Grüße
molly
 

VeraL

Mitglied
Hallo molly,
vielen Dank. ich freue mich, dass dir die Geschichte gefällt. Ich weiß noch nicht, was weiter mit Drachenshcuppe passiert, vielleicht schreibe ich mal eine Fortsetzung.
Viele Grüße
Vera
 



 
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