Sandra Z.
Mitglied
Die junge Frau stand am Fenster und schaute missmutig hinüber zum Kirchturm: 12:33 Uhr - ihre Mittagspause neigte sich dem Ende zu. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch dachte sie an die Herausforderung, die ihr noch bevorstanden, und ihr Puls beschleunigte sich.
"Mammmmaaa!" tönte es wenig später aus dem Kinderzimmer herüber und sie spürte wieder diesen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Sie atmete noch einmal tief durch und zwang sich ein Lächeln ins Gesicht.
"Hallo, mein Schatz! Hast du gut geschlafen?" Das Mädchen hatte sich am Gitter ihres Bettchens hochgezogen und streckte ihr fordernd die dünnen Ärmchen entgegen. Jetzt musste alles ganz schnell gehen ... Den Teller mit dem Gemüsebrei hatte sie schon vorbereitet. Sie setzte das Kind in den Hochstuhl und begann mit der Fütterung, streng darauf bedacht, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
"Ein Löffel für die Mama. Ein Löffel für die Oma ..."
Zuvor hatte sie ihm noch ein Spielzeug in die kleine Patschhand gedrückt, das es jetzt neugierig untersuchte und dabei nicht bemerkte, dass es gefüttert wurde, laut dem Ratgeber für junge Mütter ein Ablenkungsmanöver, das man unbedingt vermeiden sollte. Als das Mädchen das Interesse an seinem Spielzeug verloren hatte, presste es die Lippen zusammen, drehte seinen Kopf zur Seite und bäumte sich auf. Immerhin - sechs Löffel Brei, besser als nichts! Schnell befreite sie es aus seinem Stuhl und setzte es auf dem Boden ab, wo es sogleich in Richtung Wohnzimmer krabbelte, froh diesem unheilvollen Ort entkommen zu sein.
Die Hausarbeit war wie immer schnell erledigt, die wenigen Kinderbücher bereits 100mal gelesen. Träge flossen die Tage dahin. Lustlos türmte sie bunte Holzklötze aufeinander und sehnte sich zurück in ihr Büro, wo das wahre Leben nun ohne sie weiterging. Selbst der tägliche Hickhack mit den nervigen Kollegen erschien ihr nun wie das Paradies auf Erden. Sie wollte ihrem Kind doch nur eine gute Mutter sein! Das hatte sie sich ganz fest vorgenommen, obwohl sie gar nicht so recht wusste, was von ihr erwartet wurde. Wenn das Kind doch sprechen könnte! Auf nonverbale Kommunikation war sie einfach nicht vorbereitet. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm, streichelte zärtlich über ihren Rücken und schlenderte ziellos durch die Wohnung.
"Ich liebe dich, mein Schatz. Warum quälst du mich so? Ich will doch nur dein Bestes!"
Das Mädchen schaute verdutzt und lächelte verschmitzt.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Die Kontrolle über ihr Leben war ihr entglitten, lag nun in den Händen dieses kleinen Menschen! Wie ein Perpetuum mobile kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um das Wohl ihres Kindes. Dabei hatte ihre Mutter-Kind-Beziehung einen vielversprechenden Anfang genommen. Nur wenige Stunden nach der Geburt hatte sie ihre Tochter zum ersten Mal angelegt. Das kleine Bündel hatte das Angebot dankbar angenommen und so lange an ihrer Brust gesaugt, bis ihre Brustwarzen anschwollen und ganz rissig wurden. Mit vier Monaten hatte das Baby nach und nach das Interesse an der Muttermilch verloren, was sie als klares Signal gedeutet hatte, zur festen Nahrung überzugehen.
Das Klirren des Schlüssels an der Haustür riss sie aus ihren trüben Gedanken - Rettung nahte! Das Mädchen riss die Augen auf und krabbelte in Windeseile zur Haustür, um ihren Papa zu begrüßen. Der warf sein Kind immer wieder in die Höhe, bis sein ungestümes Lachen in Schluckauf überging. Der Papa hatte gut lachen, wusste ganz genau, was seine kleine Prinzessin brauchte. Die Frau spürte wieder diesen stechenden Schmerz in der Brust und begab sich in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten, als das Telefon schrillte. Der tägliche Kontrollanruf ihrer Mutter ...
"Hat die Kleine heute schon was gegessen?", startete diese grußlos das Verhör.
"Der Kleinen geht es gut, mach dir keine Sorgen!"
"Natürlich mache ich mir Sorgen! Wie lange soll das noch so weitergehen? Meine Kinder haben früher immer ihren Teller leergegessen!"
"Ja klar", murmelte die Frau und dachte beklommen an die vielen Mahlzeiten, die sie unter Strafandrohungen und Tränen heruntergewürgt und später auf dem Klo wieder ausgespuckt hatte.
"Irgendwas stimmt nicht mit diesem Kind! Ich hab mir schon eine Fahrkarte gekauft. Hol mich doch morgen, um 13:10 Uhr vom Bahnhof ab!"
Kaum dem Zug entstiegen, drückte sie ihr Enkelkind laut schluchzend an ihre Brust, als hätte sie es gerade aus den Klauen eines feuerspeienden Drachens gerettet.
"Die Oma ist jetzt da und kocht dir was Leckeres!" Das Kind schaute verwundert, harrte der Dinge, die da kommen sollten. Später band sie sich eine Küchenschürze um und begab sich auf die Suche nach brauchbaren Lebensmitteln.
"Hast du gar keinen Zucker im Haus?"
"Ach Mama! Du weißt doch, dass wir keinen Zucker mehr essen. Ich will nicht, dass mein Kind so schlechte Zähne bekommt wie ich."
"Papperlapapp! Kein Wunder, dass es mit dem Essen nicht klappt! Kinder brauchen viel Zucker. Wo sollen sie denn sonst die ganze Energie hernehmen?"
Resigniert überließ die junge Frau ihrer Mutter das Schlachtfeld, froh für ein paar Tage von der Bürde der Verantwortung befreit zu sein. Die Oma stürzte sich voller Elan in einen beispiellosen Kochmarathon. Zwischen den Mahlzeiten trug sie das Kind von Zimmer zu Zimmer, damit es möglichst wenig Kalorien verbrannte. Nach fünf Tagen dann die ernüchternde Erkenntnis: "Das Kind will einfach nicht essen!"
"Ihre Tochter ist völlig gesund", diagnostizierte der Kinderarzt nach einer eingehenden Untersuchung. "Wir müssen nur aufpassen, dass sie nicht ins Untergewicht abrutscht. Ich verschreibe Ihnen ein paar Vitamintropfen. Das wird schon wieder!"
Nur wenige Wochen später beschloss das Kind, gar keine feste Nahrung mehr zu sich zu nehmen und nur noch Milch und Saft aus der Nuckelflasche zu trinken. Die Frau reicherte die Milch mit gemahlenen Mandeln an und suchte im Drogeriemarkt verzweifelt nach Lebensmitteln mit besonders hohem Kaloriengehalt - High-Protein Riegel und Traubensaft waren die absoluten Favoriten.
Ab und zu, wenn ihr die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, traf sie sich mit anderen Müttern, meist im Park auf der großen Freizeitwiese. Sie war schon immer ein Sommermensch gewesen. In der Natur konnte sie sich fallen lassen und neue Kraft tanken, doch seit der Geburt ihrer Tochter gab es für sie keinen Zufluchtsort mehr. Diese jungen Mütter, die stets gutgelaunten und selbstzufriedenen durchs Leben gingen, und ihre speckigen Spei- und Gedeihkinder waren ihr ein Dorn im Auge, führten ihr ständig vor Augen, dass sie als Mutter versagt hatte. "Muttermilch ist einfach das Beste für dein Kind! Vielleicht hast du doch viel zu früh abgestillt." Ja, vielleicht ...
An einem Sonntag im Mai feierte die Schwiegermutter ihren Geburtstag im trauten Kreis ihrer Familie - das einzige Enkelkind wie immer der Star des Abends.
"Da bist du ja, meine Süße!", rief sie entzückt, zerrte das Kind aus dem Arm seiner Mutter, platzierte es entschlossen auf ihrem Schoß und häufte ein großes Stück Buttercremetorte auf ihre Gabel.
"Guck mal, was ich hier für dich habe! Das kriegst du bei deiner Mama bestimmt nicht!"
Das Kind zog eine Grimasse, entwand sich der Umarmung seiner Großmutter und ließ sich geschickt auf den Boden gleiten.
"Was sind denn das für Possen?", rief diese entrüstet. "Das ist doch nicht normal! Meine Kinder haben immer alles gegessen, was auf den Tisch kam - ohne Widerrede! Die jungen Frauen heutzutage wissen doch gar nicht, wie man ein Kind richtig erzieht!"
Dabei schaute sie beifallheischend in die Runde und erntete allseits stummes Kopfnicken. Die Mutter schaltete derweil auf Durchzug und machte gute Miene zum bösen Spiel. Als es endlich Zeit war zu gehen, rief ihr der Schwiegervater hinterher: "Und gib dem Kind endlich was Gescheites zu essen!"
Spät im September kehrte die junge Familie von einer Urlaubsreise zurück. Sie hatten sich auf ihren ersten Familienurlaub gefreut, auf eine unbeschwerte Zeit am Strand, doch die Lage an der Essensfront hatte sich weiter verschärft. Die Sorge um ihr Kind haftete an ihr wie ein Fluch. Erschöpft und desillusioniert nahm sie ihr häusliches Leben wieder auf. Würde sie diesem Jammertal jemals entkommen?
"Mammaaa!", rief es aus dem Kinderzimmer. Mit hochroten Wangen stand das Mädchen in seinem Bettchen und strahle übers ganze Gesicht.
"Da hat aber jemand gute Laune!", freute sich die Mutter und nahm ihr Kind auf den Arm.
Ungestüm lachend warf es den Kopf in den Nacken und lüftete dabei sein streng gehütetes Geheimnis: Gleich vier neue Zähnchen blitzten vorwitzig aus dem geschundenen Zahnfleisch hervor.
"Mammmmaaa!" tönte es wenig später aus dem Kinderzimmer herüber und sie spürte wieder diesen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Sie atmete noch einmal tief durch und zwang sich ein Lächeln ins Gesicht.
"Hallo, mein Schatz! Hast du gut geschlafen?" Das Mädchen hatte sich am Gitter ihres Bettchens hochgezogen und streckte ihr fordernd die dünnen Ärmchen entgegen. Jetzt musste alles ganz schnell gehen ... Den Teller mit dem Gemüsebrei hatte sie schon vorbereitet. Sie setzte das Kind in den Hochstuhl und begann mit der Fütterung, streng darauf bedacht, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
"Ein Löffel für die Mama. Ein Löffel für die Oma ..."
Zuvor hatte sie ihm noch ein Spielzeug in die kleine Patschhand gedrückt, das es jetzt neugierig untersuchte und dabei nicht bemerkte, dass es gefüttert wurde, laut dem Ratgeber für junge Mütter ein Ablenkungsmanöver, das man unbedingt vermeiden sollte. Als das Mädchen das Interesse an seinem Spielzeug verloren hatte, presste es die Lippen zusammen, drehte seinen Kopf zur Seite und bäumte sich auf. Immerhin - sechs Löffel Brei, besser als nichts! Schnell befreite sie es aus seinem Stuhl und setzte es auf dem Boden ab, wo es sogleich in Richtung Wohnzimmer krabbelte, froh diesem unheilvollen Ort entkommen zu sein.
Die Hausarbeit war wie immer schnell erledigt, die wenigen Kinderbücher bereits 100mal gelesen. Träge flossen die Tage dahin. Lustlos türmte sie bunte Holzklötze aufeinander und sehnte sich zurück in ihr Büro, wo das wahre Leben nun ohne sie weiterging. Selbst der tägliche Hickhack mit den nervigen Kollegen erschien ihr nun wie das Paradies auf Erden. Sie wollte ihrem Kind doch nur eine gute Mutter sein! Das hatte sie sich ganz fest vorgenommen, obwohl sie gar nicht so recht wusste, was von ihr erwartet wurde. Wenn das Kind doch sprechen könnte! Auf nonverbale Kommunikation war sie einfach nicht vorbereitet. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm, streichelte zärtlich über ihren Rücken und schlenderte ziellos durch die Wohnung.
"Ich liebe dich, mein Schatz. Warum quälst du mich so? Ich will doch nur dein Bestes!"
Das Mädchen schaute verdutzt und lächelte verschmitzt.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Die Kontrolle über ihr Leben war ihr entglitten, lag nun in den Händen dieses kleinen Menschen! Wie ein Perpetuum mobile kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um das Wohl ihres Kindes. Dabei hatte ihre Mutter-Kind-Beziehung einen vielversprechenden Anfang genommen. Nur wenige Stunden nach der Geburt hatte sie ihre Tochter zum ersten Mal angelegt. Das kleine Bündel hatte das Angebot dankbar angenommen und so lange an ihrer Brust gesaugt, bis ihre Brustwarzen anschwollen und ganz rissig wurden. Mit vier Monaten hatte das Baby nach und nach das Interesse an der Muttermilch verloren, was sie als klares Signal gedeutet hatte, zur festen Nahrung überzugehen.
Das Klirren des Schlüssels an der Haustür riss sie aus ihren trüben Gedanken - Rettung nahte! Das Mädchen riss die Augen auf und krabbelte in Windeseile zur Haustür, um ihren Papa zu begrüßen. Der warf sein Kind immer wieder in die Höhe, bis sein ungestümes Lachen in Schluckauf überging. Der Papa hatte gut lachen, wusste ganz genau, was seine kleine Prinzessin brauchte. Die Frau spürte wieder diesen stechenden Schmerz in der Brust und begab sich in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten, als das Telefon schrillte. Der tägliche Kontrollanruf ihrer Mutter ...
"Hat die Kleine heute schon was gegessen?", startete diese grußlos das Verhör.
"Der Kleinen geht es gut, mach dir keine Sorgen!"
"Natürlich mache ich mir Sorgen! Wie lange soll das noch so weitergehen? Meine Kinder haben früher immer ihren Teller leergegessen!"
"Ja klar", murmelte die Frau und dachte beklommen an die vielen Mahlzeiten, die sie unter Strafandrohungen und Tränen heruntergewürgt und später auf dem Klo wieder ausgespuckt hatte.
"Irgendwas stimmt nicht mit diesem Kind! Ich hab mir schon eine Fahrkarte gekauft. Hol mich doch morgen, um 13:10 Uhr vom Bahnhof ab!"
Kaum dem Zug entstiegen, drückte sie ihr Enkelkind laut schluchzend an ihre Brust, als hätte sie es gerade aus den Klauen eines feuerspeienden Drachens gerettet.
"Die Oma ist jetzt da und kocht dir was Leckeres!" Das Kind schaute verwundert, harrte der Dinge, die da kommen sollten. Später band sie sich eine Küchenschürze um und begab sich auf die Suche nach brauchbaren Lebensmitteln.
"Hast du gar keinen Zucker im Haus?"
"Ach Mama! Du weißt doch, dass wir keinen Zucker mehr essen. Ich will nicht, dass mein Kind so schlechte Zähne bekommt wie ich."
"Papperlapapp! Kein Wunder, dass es mit dem Essen nicht klappt! Kinder brauchen viel Zucker. Wo sollen sie denn sonst die ganze Energie hernehmen?"
Resigniert überließ die junge Frau ihrer Mutter das Schlachtfeld, froh für ein paar Tage von der Bürde der Verantwortung befreit zu sein. Die Oma stürzte sich voller Elan in einen beispiellosen Kochmarathon. Zwischen den Mahlzeiten trug sie das Kind von Zimmer zu Zimmer, damit es möglichst wenig Kalorien verbrannte. Nach fünf Tagen dann die ernüchternde Erkenntnis: "Das Kind will einfach nicht essen!"
"Ihre Tochter ist völlig gesund", diagnostizierte der Kinderarzt nach einer eingehenden Untersuchung. "Wir müssen nur aufpassen, dass sie nicht ins Untergewicht abrutscht. Ich verschreibe Ihnen ein paar Vitamintropfen. Das wird schon wieder!"
Nur wenige Wochen später beschloss das Kind, gar keine feste Nahrung mehr zu sich zu nehmen und nur noch Milch und Saft aus der Nuckelflasche zu trinken. Die Frau reicherte die Milch mit gemahlenen Mandeln an und suchte im Drogeriemarkt verzweifelt nach Lebensmitteln mit besonders hohem Kaloriengehalt - High-Protein Riegel und Traubensaft waren die absoluten Favoriten.
Ab und zu, wenn ihr die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, traf sie sich mit anderen Müttern, meist im Park auf der großen Freizeitwiese. Sie war schon immer ein Sommermensch gewesen. In der Natur konnte sie sich fallen lassen und neue Kraft tanken, doch seit der Geburt ihrer Tochter gab es für sie keinen Zufluchtsort mehr. Diese jungen Mütter, die stets gutgelaunten und selbstzufriedenen durchs Leben gingen, und ihre speckigen Spei- und Gedeihkinder waren ihr ein Dorn im Auge, führten ihr ständig vor Augen, dass sie als Mutter versagt hatte. "Muttermilch ist einfach das Beste für dein Kind! Vielleicht hast du doch viel zu früh abgestillt." Ja, vielleicht ...
An einem Sonntag im Mai feierte die Schwiegermutter ihren Geburtstag im trauten Kreis ihrer Familie - das einzige Enkelkind wie immer der Star des Abends.
"Da bist du ja, meine Süße!", rief sie entzückt, zerrte das Kind aus dem Arm seiner Mutter, platzierte es entschlossen auf ihrem Schoß und häufte ein großes Stück Buttercremetorte auf ihre Gabel.
"Guck mal, was ich hier für dich habe! Das kriegst du bei deiner Mama bestimmt nicht!"
Das Kind zog eine Grimasse, entwand sich der Umarmung seiner Großmutter und ließ sich geschickt auf den Boden gleiten.
"Was sind denn das für Possen?", rief diese entrüstet. "Das ist doch nicht normal! Meine Kinder haben immer alles gegessen, was auf den Tisch kam - ohne Widerrede! Die jungen Frauen heutzutage wissen doch gar nicht, wie man ein Kind richtig erzieht!"
Dabei schaute sie beifallheischend in die Runde und erntete allseits stummes Kopfnicken. Die Mutter schaltete derweil auf Durchzug und machte gute Miene zum bösen Spiel. Als es endlich Zeit war zu gehen, rief ihr der Schwiegervater hinterher: "Und gib dem Kind endlich was Gescheites zu essen!"
Spät im September kehrte die junge Familie von einer Urlaubsreise zurück. Sie hatten sich auf ihren ersten Familienurlaub gefreut, auf eine unbeschwerte Zeit am Strand, doch die Lage an der Essensfront hatte sich weiter verschärft. Die Sorge um ihr Kind haftete an ihr wie ein Fluch. Erschöpft und desillusioniert nahm sie ihr häusliches Leben wieder auf. Würde sie diesem Jammertal jemals entkommen?
"Mammaaa!", rief es aus dem Kinderzimmer. Mit hochroten Wangen stand das Mädchen in seinem Bettchen und strahle übers ganze Gesicht.
"Da hat aber jemand gute Laune!", freute sich die Mutter und nahm ihr Kind auf den Arm.
Ungestüm lachend warf es den Kopf in den Nacken und lüftete dabei sein streng gehütetes Geheimnis: Gleich vier neue Zähnchen blitzten vorwitzig aus dem geschundenen Zahnfleisch hervor.