Selbstoptimierung

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Papiertiger

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Habe nun, ach! Dale Carnegie, Warren Buffet und Tony Robbins, und leider auch Bodo Schäfer durchaus studiert, mit heißem Bemüh´n. Da steh´ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug, als wie zuvor.

Um vier Uhr ist meine Nacht zu Ende. Ein neuer Sonntag, eine weitere Chance nun endlich, dieses mal aber wirklich so richtig durchzustarten und all das zu erledigen, wozu in der Arbeitswoche keine Zeit und Energie blieb. Nicht mehr verzetteln, nicht zu viele Ziele gleichzeitig setzen, natürlich auch keine zu hohen oder zu geringen. Und alles Dringliche sofort beginnen. Die Vergangenheit ruhen lassen, nicht verzetteln, sondern achtsam im Hier und Jetzt leben. Irgendwie fühlte sich all dieses Wissen, wie ich gefälligst richtig zu leben habe, nur wie eine weitere unnütze Last und Erschwernis an. Aber einfach so in den Tag leben, das ging doch auch nicht, oder?

Es klingelte an der Tür. Ich bin froh darüber, so werde ich wenigstens aus dem quälenden Grübeln herausgerissen.

Vor der Tür steht Carmen. Carmen verdient ihr Geld damit, den Menschen zuzuhören und dadurch zu helfen. Tagsüber arbeitete sie als Psychotherapeutin, abends als Callgirl, denn, wer wüsste es nicht, Männer wollen mit Prostituierten vor allem reden. Na klar. Carmen ist also ein wandelndes Klischee. Und meine Nachbarin.

„Sorry, ich habe den Wohnungsschlüssel vergessen“, entschuldigte sie sich. Ich gehe mit ihr zu ihrer Wohnungstür und schließe ihr auf. Ich gieße ihre Blumen und versorgte ihre Katze, wenn Carmen verreist ist, deshalb besitze ich einen Schlüssel. Zu ihrer Wohnung. Nicht zu ihrem Herzen, denn wir sind hier ja nicht in einem Rosamunde Pilcher-Roman oder im Film „Pretty Woman“. Ich kratze mich am Kinn, meine Bartstoppeln jucken und gehe gähnend zurück in meine Wohnung.

Ich schlürfe gedankenversunken an meinem Milchkaffee und sehe mir nebenbei YouTube-Clips an. Ich mag Dokus und so fünf bis zehnminütige Wissenshappen, gerne Finanz- und Lebenstipps. Zum Nachmachen kann ich das aber nicht empfehlen. Statt Videos über die Wichtigkeit von Sport, Abnehmen und tollen Geschäftsideen zu gucken, ist es sinnvoller lieber raus zu gehen und tatsächlich selbst aktiv zu werden. Und noch schwieriger, aber eben auch wichtiger: dauerhaft aktiv zu bleiben. Man kann Dinge auch zerdenken. Und Angst vor Niederlagen mit übertriebenem Planen tarnen. Ich hatte, wenn es schwierig wurde, meist rasch aufgeben und einfach das nächste Buch gekauft. Denn das müsste doch nun wirklich das Geheimnis lüften, wie ich reich, berühmt und erfolgreich werden würde. Und so vergingen die Tage vorm Fernseher, Computer oder dem Kühlschrank. Ich nahm immer mehr Wissen auf. Und Kalorien zu mir.

Währenddessen in der Nachbarwohnung.

„Nun erzähle ich ihm schon, dass ich Therapeutin bin und es hilft nichts. Dann toppe ich das noch, indem ich ihm ein Märchen über meine angebliche Arbeit als Callgirl unterjuble, biete ihm auch noch meinen Wohnungsschlüssel an und dieser Typ bringt es doch nicht übers Herz, mich endlich mal auf einen Kaffee einzuladen.“, Carmen legt frustriert das Telefon aus der Hand, seufzt und beginnt die Arbeit an ihrem neuesten Werk. Arbeitstitel: Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.

Vielleicht fällt dann endlich mal der Groschen.
 
Hallo Papiertiger,

ja, ja, das ist so eine Sache mit der eigenen Willenskraft. Man könnte ja etwas tun, wenn man wollte. Aber man kann ja morgen damit anfangen. Das sagt man sich morgen wieder, und übermorgen ...

Jetzt schreibt Carmen ihm das Buch, auf das er gewartet hat. Gibt es dann ein Happyend?

Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 

Papiertiger

Mitglied
Hi Rainer,

herzlichen Dank fürs Lesen des Textes und für den Kommentar.

Eine klare Auflösung und ein Happy End würde der Geschichte nicht gut tun, denke ich. Sie ist ein Plädoyer für das Rausgehen und zum aktiv werden. Hat zumindest bei mir schon mal geklappt, denn statt zu sehr zu lamentieren, habe ich endlich mal eine Story verfasst! :)

Beste Grüße

Papiertiger
 



 
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