Sid

Sammis

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Sid

Im Schatten der Hütte, in der Sonne des Kanals bei den Ratten, im Schatten der Müllhalde wuchs Sid auf, der hübsche Nichtnutz, der junge Dieb, zusammen mit Linda, seiner Schwester. Sonne versengte seine schmalen Schultern am Kanal, beim Jagen, bei den unheiligen Ritualen, bei den Mutproben. Schatten verbarg seine schwarzen Augen, bei den Geschwisterspielen, beim Geschrei der Mutter, bei den Standpauken seines Vaters, dem Trinker, beim Gelalle der Saufkumpane. Lange schon hatte Sid an den Gaunereien der Ganoven Anteil, übte sich mit Linda im Kampf, übte sich mit Linda in der Kunst des Entkommens, im Dienst der Sippe. Schon verstand er, lautlos das Weite zu suchen, die Kunst der Künste, alles lautlos einzuheimsen, es lautlos mit sich zu nehmen, mit ganzer Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des andersdenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Satan zu wissen, unzerstörbar, eins mit der Finsternis.
Verachtung sprang in seines Vaters Herzen über den Sohn, den Widerspenstigen, den Unbelehrbaren, einen großen Konkurrenten und Feind sah er in ihm heranwachsen, einen Fürsten unter den Tagedieben.
Hass sprang in seiner Mutter Brust, wenn sie ihn sah, wenn sie ihn stolzieren, wenn sie ihn rumgammeln und abhängen sah, Sid, den Linken, den Eitlen, den auf leisen Sohlen Schleichenden, den mit vollkommener Verachtung sie Ignorierenden.
Abscheu rührte sich in den Herzen der jungen Mädchen, wenn Sid durch die Gassen der Stadt streunte, mit der erhobenen Nase, mit dem Königsauge, mit den verdreckten Hosen.
Mehr als sie alle aber hasste ihn Linda, seine Schwester, die Ungewollte. Sie hasste Sids Fratze und näselnde Stimme, sie hasste seinen Gang und die vollkommene Arroganz seiner Bewegungen, sie hasste alles, was Sid tat und sagte, und am meisten hasste sie seinen Geist, seine niedren, feurigen Gedanken, seinen glühenden Willen, seine hohe Berufung. Linda wußte: dieser wird kein gemeiner Gauner werden, kein faules Opfer, kein halbseidener Zwischenhändler mit dummen Sprüchen, kein Blender, leerer Redner, kein böser, hinterlistiger Schmarotzer, und auch kein willenloses, dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, und auch Sie, Linda, wollte keine solche werden, kein Schlampe, wie es zehntausend gibt. Sie wollte Sid folgen, dem Verhassten, dem Großkotzigen. Und wenn Sid einstmals ein Boss würde, wenn er einstmals aufsteigen würde zu den Obersten, dann wollte Linda bereit sein, als sein Feind, als sein Widersacher, als sein schlimmster Albtraum, als sein Mörder.
So hassten den Sid alle. Allen bereitete er Ärger, allen war er zur Last.
 
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petrasmiles

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Lieber Sammis,

die Ursache für all' den Hass ist so sehr tiefenpsychologisch motiviert, dass es schwer fällt, dies als Reflexionen von Menschen zu nehmen, die tatsächlich dies erleben und empfinden. Das hört sich jetzt hoffentlich nicht arrogant an, denn so ist es nicht gemeint. ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass die Wut, die aus diesem Hass entsteht, der eigenen Sprachlosigkeit geschuldet ist, wenn man nicht benennen kann, was einem wie ein Knoten im Herzen und in der Kehle sitzt. Sie ist immer eine Reaktion auf ein individuelles 'Nicht-bekommen-haben' - was sich nie ändern wird und auch als 'Boss' keine Metamorphose erfahren kann. Es gibt diese dunklen Helden in der Literatur, denen ihr eigener Mangel als unüberwindbarer Makel empfunden am Ende ein Beinchen stellt und jedes 'Happy End' verhindert.

Liebe Grüße
Petra
 

Sammis

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Hallo Petra,

interessante Interpretation des Textes. Gibt es nichts dagegen einzuwenden.
Weiter fällt dir nichts auf?

Beste Grüße,
Sammis
 

petrasmiles

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Hallo Sammis,

das war eigentlich nicht als Interpretation gedacht, und nein, wenn mir noch etwas einfiele, hätte ich es gesagt.

Liebe Grüße
Petra
 

Sammis

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Hallo Petra,

dann eben interessanter Punkt. Entschuldige bitte, dass ich nicht weiter darauf eingehe. Du hast dir schließlich Zeit dafür genommen, dir Gedanken zu meinem Text gemacht.
Aber das Ding ist nur ein Cover(song). Drittklassiger Hiphop basierend auf Weltliteratur. Dachte (wohl zu weit um die Ecke), das würde sogleich entlarvt.

Reumütige Grüße,
Sammis
 

petrasmiles

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Na, na, na ;) wer wird denn gleich Asche auf sein Haupt streuen :D
Ich denke tatsächlich, dass dies als Songtext, den man in der Regel nur hört, und nicht in Gänze präsent hat, funktionieren könnte, ja sogar eine gewisse Tiefe bringt. Ich kenne mich mit HipHop nicht so aus, aber beim Rap gibt es ja diese oft zornigen Sprechgesänge, bei denen die Authentizität durch den Vortragenden erzeugt wird. Da fragt dann keiner danach, wie glaubwürdig es ist, wenn jemand so empfindet und darüber singt.
Nur 'literarisch' würde mich der Text nicht überzeugen.
Das ist für mich eine neue Erkenntnis, weil ich mich nie so mit Songtexten befasst habe, aber sie funktionieren offensichtlich nach anderen Regeln.

Liebe Grüße
Petra
 

Sammis

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Hallo Petra!

Oh, Mann! Jetzt ging das wieder in die falsche Richtung. Das geschriebene Wort verkehrt sich im Auge des Lesenden. Hoch interessant!

Was sagst du zu dieser Variante?

Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flußufers bei den Booten, im Schatten des Salwaldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Sid auf, der junge Falke, zusammen mit Linda, seiner Schwester. Sonne bräunte seine lichten Schultern am Flußufer, beim Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern. Schatten floß in seine schwarzen Augen im Mangohain, bei den Knabenspielen, beim Gesang der Mutter, bei den heiligen Opfern, bei den Lehren seines Vaters, des Gelehrten, beim Gespräch der Weisen. Lange schon nahm Sid am Gespräch der Weisen teil, übte sich mit Linda im Redekampf, übte sich mit Linda in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung. Schon verstand er, lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hinein zu sprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich heraus zu sprechen mit dem Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des klardenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu wissen, unzerstörbar, eins mit dem Weltall.
Freude sprang in seines Vaters Herzen über den Sohn, den Gelehrigen, den Wissensdurstigen, einen großen Weisen und Priester sah er in ihm heranwachsen.
Wonne sprang in seiner Mutter Brust, wenn sie ihn sah, wenn sie ihn schreiten, wenn sie ihn niedersitzen und aufstehen sah, Sid, den Starken, den Schönen, den auf schlanken Beinen Schreitenden, den mit vollkommenem Anstand sie Begrüßenden.
Liebe rührte sich in den Herzen der jungen Töchter, wenn Sid durch die Gassen der Stadt ging, mit der leuchtenden Stirn, mit dem Königsauge, mit den schmalen Hüften.
Mehr als sie alle aber liebte ihn Linda. Sie liebte Sids Auge und holde Stimme, sie liebte seinen Gang und den vollkommenen Anstand seiner Bewegungen, sie liebte alles, was Sid tat und sagte, und am meisten liebte sie seinen Geist, seine hohen, feurigen Gedanken, seinen glühenden Willen, seine hohe Berufung. Linda wußte: dieser wird kein fauler Opferbeamter, kein habgieriger Händler mit Zaubersprüchen, kein eitler, leerer Redner, kein böser, hinterlistiger Priester, und auch kein gutes, dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, und auch sie, Lvinda, wollte keine solche werden, wie es zehntausende gibt. Sie wollte Sid folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Sid einstmals ein Gott würde, wenn er einstmals eingehen würde zu den Strahlenden, dann wollte Linda ihm folgen, als sein Begleiter, als sein Diener, als sein Speerträger, sein Schatten.
So liebten den Sid alle. Allen schuf er Freude, allen war er zur Lust.

Neugierige Grüße,
Sammis
 

petrasmiles

Mitglied
Da habe ich wohl auf dem Schlauch gestanden :D Was liegen die Dinger aber auch immer überall rum!

Zu der 'geläuterten' Variante mag ich jetzt gar nix mehr sagen, wer weiß, wo da wieder der Schlauch rumliegt. (Würd' aber mal 'nen Lappen drunter legen ;))
 

Sammis

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Genug der Missverständnisse: Das ist nun beinahe wortgenau der Auftakt zu einer indischen Dichtung, die mir vor einigen Jahrzehnten, als nicht mehr ganz so junger Mensch, das Lesen nahegebracht, mich etwas später zum Schreiben veranlasst hat.
Siddhartha, Hermann Hesse
 

petrasmiles

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Das macht es (den Text, für mich) nicht besser. Ich war nie ein ausgesprochener Hesse-Fan - mein Bruder schon in jungen Jahren, Siddartha, Glasperlenspiel, aber da hat er seine Lesefreude mit verbraucht. Mir hat der Steppenwolf so ein bisschen gefallen und ein paar seiner Gedichte. Habe mir eine kleine Schmuckausgabe seiner Erzählungen antiquarisch gekauft, und werde sie - nach dem ich mich durch den letzten Band gequält habe - verschenken. (Das gleiche bei Thomas Manns Erzählungen; dicker Wälzer zu irgendeinem Jubiläum, und bis auf eine nur Schrott - maße ich mir mal an).
Es ist ein Segen, wenn man seine Götter überlebt - nur so kann man sein eigener Gott werden ;)

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

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Hallo Sammis,
an deine Urfassung wollte ich nicht so recht heran. Ich habe recht früh Siddartha im Blick gehabt und mich immerzu gefragt, was das jetzt für ein Sachverhalt ist. Deine Zweitfassung, nahe am Original, hat dann schnell alle Zweifel ausgeräumt. Hesses S. ist mir seit längeren bekannt und liegt hier mehr oder weniger aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch, weil ich für eine Abschlussarbeit verschiedene Werke interpretiere, die sich mit der Suche/Erlangung von Weisheit und absoluter Freiheit beschäftigen. Das letzte Werk dabei ist Siddartha mit seinen Erfahrungen mit den indischen religions-philosophischen Lehren.
Inhaltlich richtig, aber für deinen Text zu vulgär das Wort "Fresse". Ein Austausch täte gut. Sonst ist deine Umdrehung gut, allein es fehlt eine Handlung.
Gruß Bo-ehd
 

Sammis

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@Bo-ehd

Gutes Gespür fürs Detail. Stolperte beim Schreiben und Lesen selbst über dies Wort. Letztlich investierte ich schlicht nicht mehr Zeit, da es nur eine kleine Übung darstellte, ähnlich 180°.

Führte man dies weiter, würde die Handlung mitgeliefert …
… nur käme das dann schon Blasphemie gleich.

Schwanke zwischen Visage und Fratze. Fratze. Oder einfach Gesicht?
Bleibt ohnehin ohne Bedeutung.
 



 
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