Sie kam nackt und brachte Bier mit

Hagen

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Sie kam nackt und brachte Bier mit

Rolf Röhricht, zu der Zeit der Klempnermeister Haselünnes, war gerade dabei, die letzten Vorbereitungen für die Feier seines fünfzigsten Geburtstags zu treffen – einen großen Topf Chili con Carne diabolo nach seinem Rezept zu bereiten – als seine Frau Luise in die Küche kam und energisch darauf bestand, dass er, bevor seine Kumpels kommen würden, noch eben den Wasserhahn in dem unteren Bad reparieren sollte.
„Liebe Luise“, antwortete Rolf, „wir haben drei Bäder im Haus, eins im ersten Stock, eins auf dem Flur neben der Treppe und eins unten neben dem Partykeller, welchen wir nachher für meine Geburtstagsfeier benutzen werden.“
„Aber der Wasserhahn muss in Ordnung sein! – Und überhaupt machst du alles falsch! Seit wann kommen denn Whisky und Schokolade ins Chili?“
„Ich habe das Chili con Carne diabolo so kreiert und bereits bei Polizeihauptmeister Peter Petersen, dem obersten Sheriff unserer Stadt, auf seinem Geburtstag angetestet. Leider ist er heute nicht dabei, weil er wieder mal Dienst hat. Mein Chili con Carne diabolo fand allgemeinen Anklang. – Und nun lass mich bitte Kochen, schließlich ist das mein Geburtstag.“
„Warum feierst du deinen Geburtstag mit deinen Kumpels nicht in unserem Wochenendhaus im Harz?“
„Wollte ich ja, aber du musstest es ja vermieten!“
„Aber es ist nächstes Wochenende wieder frei. Da hättest du doch nachfeiern können.“
„Ja, Luise, aber wir hatten das so abgesprochen.“
„Man kann seine Meinung doch mal ändern! – Wann reparierst du denn nun den Wasserhahn? – Ich kann ja solange für dich ein richtiges Chili machen …“
„Du machst für mich überhaupt kein Chili! Das wird ein Chili con Carne diabolo für Männer, und da gehört Whisky rein!“
Das trauliche Gespräch der Eheleute wurde mit zunehmender Lautstärke und gegenseitigen Vorhaltungen derart fortgesetzt, dass die Nachbarn in dem hellhörigen Reihenhaus ihre helle Freude hatten. Ohnehin munkelte man in Haselünne, dass eine Trennung nur noch eine Frage der Zeit wäre, und Luise war auch schon händchenhaltend mit ihrem Gesangslehrer in einem Café im Nachbarort gesehen worden, während ihr Mann auf diversen Baustellen geschuftet hatte.
Bevor der Streit dahingehend eskalierte, dass die Geburtstagsfeier in ein Desaster wie dereinst die legendäre Fuchsjagd des Grafen Ernst Wolfram zu Hohenfelsen, welche erst in der Bibliothek seines Schlosses ihren Abschluss fand, umschlug, trafen die ersten Gäste ein. Die reparierten geschwind den Wasserhahn und klebten, wie es unter Kumpels üblich ist, noch schnell einige lose Fliesen im Bad fest, nahmen Frau Luise das Versprechen ab, das Bad neben der Treppe heute nicht mehr zu benutzen, weil der Fliesenkleber Zeit brauchte zum Anziehen und zog sich mit dem Chili, manch Fläschlein Whisky sowie einigen Kästen Bier in den Partykeller zurück.
Der Verlauf der Geburtstagsfeier verlief absolut normal, bis man gegen Mitternacht leicht bezecht und voll des guten Bieres sowie Chili con Carne diabolo endlich dazu kam, das Geburtstagsgeschenk auszupacken. Die dazugehörige Rede dauerte mit Unterbrechungen etwa eine halbe Stunde, ist aber auf: „Lieber Rolf, da wir wissen, dass du gerne Ski läufst, haben wir zusammen geschmissen und dir ein Paar Skier besorgt. – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, zu reduzieren.
Mit leuchtenden Augen packte das Geburtstagskind sein Geschenk aus; - Skier!
Die gleichen Skier, mit denen Phil Mahre bei den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid eine Silbermedaille errungen hatte.
Die mussten gleich ausprobiert werden!
Die ganze Gesellschaft begab sich in den ersten Stock, Rolf schnallte mit wichtigem Gesicht die Skier an und ‘fuhr‘ die Treppe herunter.
Unten angekommen rammte er seine Frau, die just in dem Moment aus dem Bad kam, welches sie, wie versprochen, nicht betreten wollte. Frau Luise fiel zu Boden und schlug heftig mit dem Kopf auf den Teppich. Rolf rief den Notarzt und schnallte die Skier ab. Der Notarzt kam, untersuchte und nahm Frau Luise vorsorglich mit ins Krankenhaus. Die ganze Gesellschaft folgte ihr, wurde aber wegen ihres etwas bizarren Zustandes nicht eingelassen. Da der diensthabende Arzt aber versicherte, dass Frau Luise bereits wieder bei Bewusstsein war und nur eine leichte Gehirnerschütterung davon getragen hatte, begab sich die Gesellschaft wieder zurück und fuhr mit der Feier fort.
So gegen Mittag des nächsten Tages fuhr Rolf Röhricht zum Krankenhaus um seine Gattin abzuholen. Dieser Versuch schlug zunächst fehl, da man Frau Luise Röhricht in die psychiatrische Abteilung verlegt hatte.
Sie hatte ausgesagt, dass sie, gerade von der Toilette kommend, mit einem Skiläufer zusammen gestoßen war.
Es dauerte etwas bis Rolf die Situation begriffen und klar gestellt hatte. Nach einem schallenden Gelächter, ausgestoßen von Personal und Insassen der klinischen Psychiatrie, wurde Luise entlassen und von ihrem Mann nach Hause gebracht.
Bereits auf dem Weg dorthin äußerte Luise lautstark die Vermutung, dass ihr Mann versucht hatte, sie umzubringen, und er werde schon sehen, was er davon haben würde, denn nur Verrückte kippen Whisky und Schokolade ins Chili, und dann auch noch die Sache mit den Skiern!
Unter diesen Voraussetzungen sah sie keine Veranlassung, diese Ehe weiter zu führen. Die Schieflage der Röhrichtschen Ehe nahm während der nächsten Tage beunruhigende Formen an, so war es nicht verwunderlich, dass Rolf für das nächste Wochenende eine Auszeit begehrte, die er ganz alleine in dem Wochenendhaus im Harz verbringen wollte, um auf diese Weise zu tiefem Nachdenken und einer ausgeglichenen Gemütslage zu gelangen.
Seltsamerweise unterstützte Frau Luise dieses Begehren. Sie gab ihrem Gatten vor seiner Abfahrt sogar noch ein Lunchpaket, welches einige Tofu-Frikadellen sowie laktosefreie Biosojamilch enthielt, mit, damit er sich nicht von Chili, Pizza – oder noch schlimmer – Currywurst ernähren müsse. Schließlich wäre sie zum Vegetarismus konvertiert und wollte ihren Mann auch auf den Pfad der gesunden Ernährung bringen.
Rolf legte das Lunchpaket auf den Rücksitz und machte sich erst auf den Weg und dann das Autoradio an.
Wunderbares Jazzpiano.
Rolfs Gemütslage besserte sich von Kilometer zu Kilometer soweit, dass er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit einen Anhalter mitnahm. Seltsam war nur, dass sich der Tramper hinten hin setzte.
Egal, die beiden Herren plauderten über das Leben an sich, die Frauen, Fußball, Autos, Motorräder … bis das Radioprogramm wegen einer wichtigen Meldung der Polizei unterbrochen wurde: Ein Mörder war aus der Vollzugsanstalt ausgebrochen. Es folgt eine konkrete Personenangabe, die präzise auf den Tramper zutraf, und die Warnung, dass der Verbrecher äußerst gewaltbereit war.
Der Tramper zückt daraufhin eine Pistole, murmelte: „Jetzt wissen Sie ja, wer ich bin! – Wir fahren jetzt Richtung Grenze“, rammte die Pistole durch die Lehne des Sitzes in Rolfs Rücken und öffnete mit der freien Hand das Lunchpaket.
„Bitte haben Sie Verständnis“, fügte der Tramper hinzu „aber ich habe seit drei Tagen nichts gegessen“, und machte sich während der folgenden Gesprächspause über die Tofu-Frikadellen und die laktosefreie Biosojamilch her.
„Ich habe mich so auf ein Mettwurstbrot oder etwas Anständiges gefreut“, murmelte er anschließend, „und dann gerate ich an einen Vegetarier! – Naja, in der Not frisst der Teufel Fliegen!“
Die beiden Herren hüllten sich während der weiteren Fahrt in Schweigen, und Rolf wunderte sich, dass der Druck der Pistole in seinem Rücken merklich nachließ. Als er wenige Kilometer weiter über einen unbeschrankten Bahnübergang fuhr, ließ der Druck ganz nach, und Rolf glaubte, die Pistole auf den Boden fallen zu hören. Im Rückspiegel konnte er sehen, wie der Tramper reglos auf der Rückbank lag.
Beherzt fuhr er die nächste Polizeiwache an, auf der ein zufällig anwesender Arzt den Tod des Verbrechers feststellte; - vergiftet!
Während des folgenden, seitens der Staatsanwaltschaft etwas schlampig geführten Prozesses, konnte niemandem – auch Rolfs Frau nicht – irgendetwas nachgewiesen werden.
Dessen ungeachtet ist es nicht verwunderlich, dass Rolf Röhricht etwas ungehalten war, denn – kaum nach Hause zurückgekehrt – reichte er die Scheidung ein.
Nach dem Auszug Luises lud Rolf Röhricht seine Kumpels zu einer Party mit recht viel Chili con Carne ‘diabolo‘ und Bier ein, bei der die Idee entwickelt wurde, das Haus grundlegend zu renovieren um alle Spuren des Daseins seiner Exfrau zu vernichten. Luises Récamière, auf der sie tagsüber zu ruhen pflegte, um in dem Moment, in dem ihr Gatte abgekämpft von der Arbeit erschien, Befehle abzusondern, die stets mit: „Du musst mal eben schnell, mit besonderer Betonung von ‘mal eben scnell‘ …“ begannen, flog noch am gleichen Abend raus

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch das Rezept für Chili con Carne ‘diabolo‘ à la Röhricht erwähnt, welches Rolf mir und der Wunderbaren Ulrike an der ScheinBAR bei einem Cocktail verraten hat:

Rezept für 4 - 6 Personen:

500 g
500 g
Hackfleisch, (Halb&Halb)
Gulasch, (vom Rind)
3Zwiebeln
2 ZehenKnoblauch
3Chilischoten (frisch oder eingelegt)
1Paprikaschote, (grün)
½ DoseMais
400 gTomaten, geschält, aus der Dose
200 mlKaffee, schwarz
200 mlBier, dunkel
200 mlFleischbrühe
¼ TLSchokolade, bitter, geraspelt
1 ELPaprikapulver, süß
1 ELPaprikapulver, scharf
1 ELOregano
1 TLChilipulver
1 TLKreuzkümmel
10 TLWhiskey (Bourbon)
3 Pck.Bohnen, (Chilibohnen aus der Dose)

Zubereitung:

Gulasch in Würfel ca. 1 cm Kantenlänge klein schneiden und in Öl anbraten.
Das Hackfleisch in einem separaten Topf in Öl anbraten, Zwiebeln, Paprika, Chilischoten und Knoblauch klein hacken, hinzufügen und mit dünsten.
Mais dazu und ebenso kurz mit dünsten.
Das Ganze mit dem Gulasch, Brühe, Kaffee und Bier anschütten und etwa 30 Minuten köcheln lassen.
Dann die Tomaten sowie Gewürze und Schokolade hinzugeben und auf kleiner Flamme eine weitere Stunde köcheln lassen.
Zum Schluss Bohnen mit Saft hinzugeben und noch eine halbe Stunde ziehen bzw. leicht köcheln lassen. Während dessen den Whisky langsam dazu geben.
Wem das Ganze zu dick wird, der kann das Chili noch mit Brühe verlängern.
Als Aperitif empfiehlt Rolf Röhricht Whisky (Bourbon), dazu Bier (am besten Lager)

Anmerkung des Verfassers:
Die Wunderbare Ulrike und ich haben dieses etwas ungewöhnliche Chili selber ausprobiert. Das Zeug ist total geil und absolut Partytauglich.

Aber fahren wir mit der Geschichte von Rolf Röhricht fort: Nachdem Frau Luise das gemeinsame Haus nach der Scheidung verlassen hatte, lebte Rolf Röhricht richtig auf. Er musste nicht mehr zum Rauchen in den Partykeller gehen, die Buchführung wurde fortan von Frau Frederike Federkiel erledigt und einmal die Woche kam Frau Elvira Schrubber-Stiehl zum Saubermachen. Mit seinen beiden Gesellen und den vier Lehrlingen erlebte die Firma einen grandiosen Aufschwung und Rolf konnte, nach mancher Überstunde versteht sich, noch das eine oder andere Bier mit seinen Kumpels im Partykeller trinken.
Die kamen nicht zuletzt wegen Dartboard und Flipper, welche Rolf beide, kurz Luises Fortgang, beschafft hatte. Die Anschaffung einer original Wurlitzer Juke-Box war geplant, aber aus Kostengründen noch nicht durchgeführt.
Ehemals wollte Luise, Rolfs Exfrau, den Partykeller nur zum Feiern in ihrem Sinne haben, duldete kein Dartboard und keinen Flipper, und aus der Musikanlage drangen lediglich Ronald Kaiser und Andrea Berg. Kein Wunder, dass sich immer weniger Gäste einfanden, und die Nachbarn motzten rum, weil es ständig zu laut war. In einem Reihenhaus musste man sich schließlich ruhig verhalten und Contenance bewahren.
Lediglich das Klavier war von Luise geduldet, weil sie zu ihren Gesangsstunden Klavierbegleitung benötigte und im Wohnzimmer absolut kein Platz war. Damit war es jetzt vorbei. Vorbei mit der ‘launischen Forelle’ und irgendwelchen Vögeln, die ‘ihr bebend Gefieder hoben’.
Aus der Musikanlage drang nun Duane Eddy und Brian Setzer, in gemäßigter Lautstärke, aber derart, dass die Bässe noch gut kamen, und das Klavier wurde von Rolf und seinen Kumpels ins Wohnzimmer getragen, an die Stelle, wo die Récamière von Frau Luise gestanden hatte. In stillen Stunden spielte Rolf Röhricht die Stücke von Dave Brubeck, Lionel Richie und Errol Garner und traute sich auch hin und wieder an einen Schostakowitsch oder Tschaikowsky heran, allerdings glitt dies meistens in einen dreckigen Boogie ab und Rolf ließ es damit bewenden. Schließlich war er nur ein Amateur.
Aus dieser Idylle wurde er jäh gerissen, als ihn ein Anruf Fräulein Sieglinde Liebeneiners erreichte, irgendwas war mit ihrem Wasserhahn nicht in Ordnung.
Obwohl er eigentlich schon Feierabend hatte, fuhr er noch mal eben schnell hin, viel konnte ja nicht sein, und niemand wartete auf ihn. Der Wasserhahn war schnell repariert, und ebenso schnell hatte Fräulein Liebeneiner Kaffee gekocht und ein paar Schokoladenkekse auf ein Tellerchen gelegt. Bei dem Genuss des Kaffees, stark und schwarz, und der Schokoladenkekse, dunkelbraun und herzhaft, kamen sich die beiden schnell näher. Man plauderte über Gott und die Welt, entdeckte sogar Gemeinsamkeiten, ging noch eben in einem gehobenen Imbiss eine Currywurst essen und Fräulein Liebeneiner versprach, Herrn Röhricht recht bald mal zu besuchen.
Da es spät geworden war den Abend und man am nächsten Morgen früh raus musste wegen der Arbeit, kam Rolf nicht mehr mit hoch in die zweite Etage, aber Fräulein Siglinde Liebeneiner sah ihm lange nach, als er davon fuhr …
Am nächsten Tag kamen Rolfs Kumpels, und die brachten Frau Corinna Kerbelkern mit. Frau Kerbelkern war schon zweimal geschieden und wusste genau, wie man mit Männern umzugehen hatte.
Glaubte sie zumindest.
Frau Kerbelkern wollte weder flippern noch darten, sie wollte kein Bier, sondern Tee. Das sah böse aus, obwohl die Auswahl groß war: Pils war zu haben, Helles, Export, Lager, Porter, Alt, Kölsch, Weißbier, Schwarzbier, Rotbier, Münchener Dunkel, Märzen, Dinkelbier, sogar Stout und Ale war verfügbar, aber Tee?
Rolf Röhricht zuckte bedauernd die Schultern. Außer Kaffee gab es im Hause Röhricht keine alkoholfreien Getränke. Dann sollte es wenigstens Berliner Weiße sein, da sie so spät am Abend keinen Kaffee mehr zu sich nahm, denn in dem Fall konnte sie die ganze Nacht nicht schlafen. Da man für Berliner Weiße üblen Sirup benötigt, entfiel auch dieses, ebenso wie Radler oder so ein Zeug wie Erdbeerbier und ähnliches. Es gab nur Bier, gutes, ehrliches Bier in mannigfacher Auswahl.
Allgemeines Bedauern und Öffnen der ersten Flaschen.
Lager.
Damit war es aber noch nicht getan. Einer von Rolfs Kumpels, Polizeihauptmeister Peter Petersen, hatte zwischenzeitlich die Musikanlage aktiviert. Als Duane Eddys ‘Rebel Rouser‘ erklang, bezeichnete Frau Kerbelkern diese Musik als ‘Krach‘ und wollte Deutsche Schlager hören, und außerdem konnte sie den Qualm nicht aushalten, und ob es denn möglich wäre, dass Rolf und seine Kumpel das Rauchen einstellen würden. Man sollte sowieso ein generelles Rauchverbot erlassen, wenn Damen im Raum wären – auch in Privathäusern – und überhaupt …
Gewiss, seine Kumpel hatten es gut gemeint, indem sie Frau Kerbelkern mitbrachten, aber dass es derart desaströs enden würde, hatten sie nicht gedacht. Frau Kerbelkern sah auch ein, dass sie noch viel zu lernen hatte, und Polizeihauptmeister Peter Petersen, brachte sie nach Hause.
Seine Kumpel waren echt traurig, und sie versuchten dieses Verhängnis wieder gut zu machen, indem sie beim nächsten Mal Frau Sybille Pfannenschmidt mitbrachten.
Frau Sybille Pfannenschmidt hatte eine Einkaufstasche mit, wollte erst mal wissen, wo die Küche ist und scheuchte Rolf und seine Kumpel dann in den Partykeller. Sie wollte etwas kochen, etwas Gutes, was den Herren gar wohl munden würde.
Das hörte sich gut an, Rolf und seine Kumpel rechneten mit Steaks oder Currywurst.
Aber als Frau Pfannenschmidt nach zwei Stunden ein Tofugericht mit Paprika, Salbei, Majoran, Basilikum, zusätzlich noch irgendwelchen üblen Gewürzen wie Knoblauch und derartigem Zeugs, viel Kartoffeln und Kümmel servierte, Begeisterung erwartete und einen Vortrag über vegetarische Kost hielt, rasteten die Herren alle aus.
Während diese köstliche Hackfleisch - Pizza mit Sauce Hollandaise mit extra Hackfleich vom Nudeldienst bestellten, füllte Frau Pfannenschmidt mit beleidigtem Gesicht das von ihr gekochtes Zeug in zwei Töpfe und schritt hoch erhobenen Hauptes von dannen.
Dass die Töpfe fortan in Rolf Röhrichts Küche fehlten, fiel nicht weiter auf, da er ohnehin nur Steaks, Currywurst, oder bei besonderen Gelegenheiten das von ihm kreierte Chili con Carne zubereitete; - ein gut durchrationalisierter Junggesellenhaushalt eben.
Frau Elvira Schrubber-Stiehl hatte am nächsten Tag allerdings gut zu tun, die Küche wieder in einen akzeptablen Zustand zu versetzen, denn Frau Pfannenschmidt hatte nicht im Traum dran gedacht, aufzuräumen. Die Kollateralschäden waren immens, in etwa derart, als hätte eine Horde marodierender Söldner eine Woche Urlaub in der Küche absolviert.
Die Kumpel konnten einfach nicht verstehen, dass Rolf nach der Arbeit lediglich seine Ruhe haben wollte, hin und wieder mal ein Bier trinken, auf dem Klavier Musik machen oder in aller Ruhe einen Film von vorne bis hinten gucken.
Erst als Frau Ingelore Logemann zu Besuch kam und meinte, dass kein Mensch mehr Rockabilly oder Jazzpiano hören würde, und sie man lieber deutsche Schlager spielen sollten, begriffen sie, dass ihre gut gemeinten Verkupplungsversuche irgendwie nicht das brachten, was sie sich vorgestellt hatten, zumal Rolf Röhricht Frau Ingelore Logemann später in seinem Wohnzimmer einige Stücke von Errol Garner und Dave Brubeck vorspielte, und sie Starpianisten wie Richard Clayderman erwähnte und Rolfs Klavierspiel als ‘Geklimper‘ bezeichnete. Er sollte lieber Geige spielen wie David Garrett, das wäre jetzt ‘in‘.
Dabei hieß es doch: ‘Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen‘!
Egal, das Leben ging unerbittlich weiter, und Rolf Röhricht dachte mit Wehmut an Fräulein Sieglinde Liebeneiner, und wie sie zusammen Kaffee getrunken und Kekse gegessen hatten. Peinlicherweise hatte er ihre Adresse verbumfiedelt, aber dass sie versprochen hatte, ihn recht bald zu besuchen, das hatte er nicht vergessen.
Leider waren seine Kumpel da, als Fräulein Liebeneiner dann tatsächlich doch noch in einem taktisch günstigen Moment entlang kam; - nein, sie erschien!
So empfand es Rolf jedenfalls, und er nahm sie mit runter in den Partykeller und stellte sie seinen Kumpel vor, weil er sich zunächst etwas überfahren fühlte.
Fräulein Liebeneiner war so ganz anders als die Frauen, die seine Kumpel angeschleppt hatten. Sie trank ein Bier mit – Porter – und im Laufe des weiteren Abends noch eins – Stout – und war eifrig mit am Darten und Flippern.
Schön war’s, richtig schön, zumal Fräulein Liebeneiner sich am Flipper nicht ungeschickt anstellte, manches Freispiel erflipperte und Rolf und seinen Kumpel mal so richtig zeigte, wer denn nun die Meisterin an den Knöpfen des Flippers war.
Nun, es war nur ein Spiel, man war sich einig, dass es ein schöner Abend war, verkostete noch ein Schwarzbier, Rolfs Kumpel verabschiedeten sich, und für Fräulein Liebeneiner bestellte er ein Taxi. Diesmal war es Rolf Röhricht, der dem Taxi lange nachschaute und winkte, und Sieglinde Liebeneiner winkte zurück bis das Taxi um die Ecke bog.
Es dauerte ungefähr zwei Wochen, bis Fräulein Sieglinde Liebeneiner wieder erschien, zwei Wochen in denen Rolf Röhricht innig gehofft und gewartet hatte.
Klar, dass er mit seinen Kumpel wieder das eine oder andere Bier getrunken, gedartet und geflippert hatte, aber das war alles ein wenig halbherzig, jedenfalls von Rolfs Seite.
Und nun war Fräulein Liebeneiner wieder da, gewandet in einem langen Mantel aus Kohinoor Nerz und mit blitzenden Augen. Als sie ihn zur Begrüßung umarmte, sah er, dass sie Bier mitgebracht hatte, einen Sechserträger!
Rolf ließ es sich nicht nehmen, das Taxi zu bezahlen, und Fräulein Liebeneiner aus dem Mantel zu helfen.
Unter dem Mantel war sie nackt.
Total nackt, bis auf die High Heels natürlich, aber dafür hatte Rolf Röhricht keinen Blick.
Sie warf Rolf einen lodernden Blick zu und reichte ihm das Bier wie Eva dereinst Adam den Apfel.
Rolf war hingerissen, so sehr, dass er erkannte, dass dieses eine Prüfung war, die er auf gar keinen Fall vermasseln wollte.
Er geleitete Fräulein Sieglinde Liebeneiner ins Wohnzimmer, machte dezente Musik, entzündete Kerzen und öffnete zwei Flaschen des Bieres, welches das atemberaubende Fräulein Liebeneiner mitgebracht hatte.
Das Bier leuchtete frisch, hellgelb und glanzfein. Darauf saß eine feste cremige Schaumkrone, nachdem er eingeschenkt hatte. Der Geruch war angenehm und kräftig hopfenaromatisch betont, mit leicht blumigen Ausprägungen.
Sie hoben die Gläser und tranken, genossen den Geschmack der herrlichen Hopfenbittere. Rolf Röhricht hatte schon viele Biere verkostet, aber dieses Bier erschien ihm leicht und schlank im Antrunk, ein spritzig-prickelndes, nie gekanntes Erlebnis. Oder war es, weil Fräulein Sieglinde Liebeneiner auch ihr Glas hob und ihm zuprostete?
Aber das war nebensächlich. Sie tranken das Bier wie andere edlen Wein, nur dass es gediegener schmeckte. Der Nachtrunk war trocken und feinherb, herrlich die zurückbleibende Trockenheit, die sofort Lust auf den nächsten Schluck machte. Dem gaben sie nach, tranken und Rolf öffnete sein Piano und spielte leicht beschwingt die Melodie von Dave Brubecks Take Five, wobei Fräulein Liebeneiner mit einer Stimme wie Carmen McRae leise mitsang „Won't you stop and take a little time out with me. Just take five. Stop your busy day and take the time out to see if I'm alive …“
Rolf setzte anschließend noch den einen oder anderen dreckigen Boogie drauf, bevor sein Repertoire erschöpft war.
Fräulein Liebeneiner war indessen auf das Klavier gepanthert, hatte voller Inbrunst zugehört und ab und zu einen Schluck Bier genossen.
Als das Bier getrunken und die Kerzen heruntergebrannt waren, stellten beide fest, dass es schon spät war. Rolf Röhricht klappte sein Klavier zu, bestellte ein Taxi und half Fräulein Liebeneiner in den Mantel, wie es sich gehört. Als der Taxifahrer vor der Tür hupte, geleitete er sie und achtete darauf, dass Fräulein Liebeneiner hinten einstieg, damit der Taxifahrer nichts von ihrer Nacktheit unter dem Mantel mitbekam. Er winkte dem Taxi lange nach, Fräulein Liebeneiner winkte zurück und als das Taxi um die Ecke bog, hielt ein Dodge Ram Van vor dem Haus seines Nachbarn.
Rolf Röhrichts Nachbar hatte den Ram Van gerade gekauft, natürlich gebraucht, und dieser musste nun unter der Laterne ausgiebig begutachtet werden! Rolf lobte den V8-Motor, das Dreigang-Automatikgetriebe, welches superweich schaltet, die Servolenkung, das Solarpannell auf der Dachreling, den Tempomat, die umfangreiche Holzausstattung, die TV/Video-Dachantenne, die weichen Sitze und das breite, kuschelige Bett im Inneren des Vans, von dem aus sogar der Sternenhimmel betrachtet werden konnte.
Natürlich tranken die Beiden noch ein Bier während der Begutachtung, aber dieses schmeckte nicht annähernd so gut wie jenes von Fräulein Liebeneiner.
Rolf stellte auch nicht die Kardinalfrage, die jedes Gespräch über Oldtimer gnadenlos abwürgt, nämlich die nach dem Verbrauch, lobte den V8 nochmal und ging mit dem Nachbarn eine Runde flippern. Es wurde natürlich mehr draus, man verkostete noch einige Biere, und als Rolf Röhricht am nächsten Morgen zur falschen Baustelle fuhr, schrieb er das diesem Umstand zu. So etwas war ihm noch nie passiert, auch nicht nach intensiveren Nächten.
In Wirklichkeit war er verliebt, bis über beide Ohren und hatte gar nicht gemerkt, dass er unterschiedliche Socken angezogen hatte – eine Schwarz und eine Blau – aber das fiel nur einem seiner Gesellen auf, und der grinste sich eins.
Es dauerte nur drei Tage, drei komplette Tage, bis Fräulein Liebeneiner wieder kam. Sie trug abermals den Mantel aus Kohinoor Nerz, war abermals darunter nackt und sie hatte wieder Bier dabei.
Dieses Mal kam es zu den ersten, zarten Küssen, mit beherrschtem Zungeneinsatz. Doch kaum, dass Rolf Fräulein Sieglinde aus dem Mantel geholfen hatte, wurden die Küsse heißer und wilder, der Zungeneinsatz unbeherrschter, Rolfs Hände griffen nach Sieglindes Weiblichkeit und sie ließ es geschehen. Sein Klavierspiel klang anschließend anmutiger, das Bier schmeckte sinnlicher, selbst als sie vom Nudeldienst Pizza Calzone Gyros kommen ließen. Sie speisten mit Kerzen auf dem Tisch, dezenter Musik, dem perlendem Bier, welches Fräulein Sieglinde mitgebracht hatte, und von erlesenem Geschirr. Geschirr, das Frau Luise zurückgelassen hatte, weil von einem Sechserset nur noch fünf Teller da waren. Irgendwann war er während eines Streites zu Bruch gegangen, Rolf wusste nicht mehr, um was es ging, aber er wusste noch, dass er nachgegeben hatte, weil sonst noch mehr Geschirr zerdeppert worden wäre. Er hatte es eingelagert, und es wäre fast in Vergessenheit geraten. Fast.
Nun, es wurde nochmals spät an dem Abend und Rolf fuhr am nächsten Morgen wieder zur falschen Baustelle, und er hatte abermals unterschiedliche Socken an. Als er beim Anschließen eines Wasserhahns das warme und das kalte Wasser vertauschte, was glücklicherweise noch von einem Lehrling bemerkt wurde, musste er sich doch endlich eingestehen, dass er bis über beide Ohren verliebt war.
Und er fieberte dem nächsten Besuch Fräulein Sieglindes entgegen wie Menelaos dereinst der schönen Helena, diese ließ jedoch auf sich warten.
Als sie dann endlich erschien, ungefähr eine Woche später, waren seine Kumpel auch wieder zugegen, man veranstaltete gerade ein Flipperturnier. Rolf war irritiert, er wusste nicht, was er machen sollte, seine Kumpel wegschicken oder Fräulein Sieglinde einfach mit hinunternehmen in den Partykeller, aber dann hatte er doch Angst, dass die etwas merken würden, weil es ja etwas ungewöhnlich ist, wenn dort eine Frau im Kohinoor Nerzmantel sitzt.
Nun, man tauschte ein paar Küsse – heiß wie die Hölle – und dann fanden sich Hemd und Hose von Rolf, und er nahm sie mit runter zu seinen Kumpel, und sie flipperten weiter, als wäre nichts besonderes vorgefallen. Fräulein Sieglinde saß entweder an der Bar, trank ein Bier – Stout oder flipperte mit. Diesmal gewann sie allerdings nicht.
Das Bier, das sie mitgebracht hatte, hielt Rolf sorgsam in Ehren. Er öffnete keine der Flaschen, stellte sie in den Kühlschrank in die Küche und wartete auf einen erneuten Besuch Fräulein Liebeneiners.
Aber es dauerte diesmal vierzehn Tage, bis sie wieder kam.
Vierzehn Tage, die sie nutzte, um zunächst mit ihrem Freund Schluss zu machen. Gewiss, ihr Freund war auch ein anständiger Kerl und hatte es im Grunde nicht verdient, aber er war Koch. Er kam erst gegen zwölf, halb eins nach Hause und war mürbe. Einfach kaputt nach hundertfünfzig Menüs, er wollte nur noch schnellen Sex und dann schlafen.
Sieglinde öffnete ihre Schenkel, ließ es seufzend über sich ergehen, und das war’s dann auch.
Bis sie Rolf Röhricht kennenlernte.
Es war so anders, sie kannte es gar nicht, da war einer, der nicht nur ihren Körper wollte, der darüber hinaus Klavier spielen konnte und der es verstand zu leben. Zu arbeiten, eine echte, ehrliche Arbeit ausführte, der Kumpels hatte und mit denen Bier trank. Sie wollte einfach dazu gehören, und sie kündigte ihren Job als Podologin, weil sie keine diabetischen Füße mehr sehen konnte, Füße von permanent schlecht gelaunten, übergewichtigen Diabetikern, die stets davon ausgingen, dass Sieglinde von nichts anderem träumte, als von Sex mit dicken Patienten. Als in Haselünne ein Nagelstudio eröffnete, bewarb sie sich und wurde auch tatsächlich genommen. Überhaupt war es ein Phänomen, ein Nagelstudio in Haselünne!
Zuerst dümpelte der Laden vor sich hin, aber als die High Society Haselünnes das Geschäft entdeckte, begann es ganz langsam aufwärts zu gehen, nicht zuletzt dank Sieglindes liebenswürdiger Art.
Von den Fußnägeln zu den Fingernägeln war es nur ein kleiner Schritt, was das Gehalt betraf, allerdings einer nach unten, aber das war’s ihr wert. Sie hatte es nur noch mit Frauen zu tun, und die dicken Diabetiker sollten sonst wen anbaggern.
Doch Fräulein Sieglinde erschien in unregelmäßigen Abständen bei Rolf Röhricht, mal von einem auf den anderen Tag, mal vergingen zehn Tage, dass sie sich blicken ließ. Es machte die Sache reizvoll und brachte Rolf völlig um den Verstand, denn jedes Mal kam sie nackt und brachte Bier mit.
Nicht etwa irgendein Bier, welches man im Supermarkt kaufen kann, meist von irgendwelchen Proleten, nachdem sie „Hau wech, den Scheiß!“ gemurmelt hatten und nicht eher aufhörten zu saufen, bis sie bewegungslos irgendwo rumlagen, sondern ausgesuchte, gediegene Biere, wie sie es von Rolf Röhricht kannte.
Irgendwann kam es auch zum Sex. Schönem, guten, ehrlichen Sex, den beide wollten und genossen.
Doch nun legte sich der erste Schatten auf diese ansonsten überaus harmonische Beziehung. Fräulein Sieglinde konnte sich nicht so recht fallen lassen!
Das war wegen der Nachbarn, die könnten ja was mitkriegen, und Fräulein Sieglinde war noch ein wenig konventionell. Das war einfach nicht rauszukriegen.
Sie grübelten lange über diesem Problem, fanden aber keine Lösung, und der Alltag holte sie ein. Überhaupt war es kein Dauerzustand, alle paar Tage per Taxi anzureisen, und so überließ sie ihre Wohnung kurz entschlossen ihrem Exfreund und zog mit Sack und Pack bei Rolf Röhricht ein. Eigentlich nur mit Pack, denn ihre Möbel hatte sie auch zurückgelassen, bis auf ihren Schaukelstuhl, auf dem sie saß und Rolfs Klavierspiel lauschte. Auf dem Schaukelstuhl, und nur auf dem Schaukelstuhl saß sie unbekleidet und genoss hin und wieder einen Schluck Bier.
Es hätte ewig so weiter gehen können, wenn nur das leidige Problem nicht wäre, dass sie sich nicht fallen lassen konnte, so richtig fallen lassen, orgiastisch stöhnen, jubilieren und jauchzen.
Es ging einfach nicht, obwohl Sätze fielen wie: „Ach Liebling, warum müssen wir immer alles ausdiskutieren?“ „Heute gibt’s Currywurst.“ „Ist Dein Steak auch groß genug?“ „Ist es okay, wenn wir statt Joghurt nur noch Bier im Kühlschrank haben?“ „Nein danke, ich habe schon genug Schuhe.“ „Ich werde nicht mehr so oft zum Friseur gehen.“ „Du sollst mir doch nicht immer Blumen mitbringen!“ Und: „Ich habe Dir ein paar gute Zigarren mitgebracht. Möchtest Du einen Cognac dazu? Du kannst ruhig im Wohnzimmer rauchen.“
Wenn Rolf Überstunden machte, fuhr sie sogar seinen Wagen durch die Waschanlage.
Wie gesagt, die Beziehung strotzte vor Harmonie, die eigentlich nicht auszuhalten war, wenn nur die Sache mit dem Sich fallen lassen nicht wäre!
Sie fügten sich in das – scheinbar – unvermeidliche, bis der Nachbar sein Auto im Allgäu während des Urlaubs schrottete. Es war nicht der Ram Van, den hatte er zuhause gelassen, sorgsam in der Garage eingeschlossen, sondern seinen Opel. Überhaupt war des Nachbars Frau gegen den Ram Van, weil zu schwer, zu unhandlich und überhaupt soff der Wagen wie ein Loch. Was sollte man auch mit dem rollenden Bett, wenn man in einer Pension wohnt, und von da aus nette, kleine Ausflüge in das Umland, den Starnberger See zum Beispiel, unternehmen konnte. Wenn nur nicht die Sache mit der Vorfahrt passiert wäre, aber der Nachbar musste eine Halskrause tragen und der Opel war platt. Weil sie sich nicht an Ort und Stelle ein neues Auto kaufen mochten, aber auf einen fahrbaren Untersatz nicht verzichten wollten, bat der Nachbar Rolf Röhricht, ihm doch mal eben den Ram Van zubringen, er wollte auch für alle Kosten aufkommen, und Schlüssel und Papiere schicken.
Ehrensache unter Nachbarn, und weil Fräulein Sieglinde noch ein paar Tage Resturlab hatte, machte man sich auf den Weg. Sieglinde und Rolf hatten noch nie solch ein Auto bewegt, und sie genossen während der ersten hundert Kilometer die Fahrt. Das Fahrwerk und die Lenkung waren typisch amerikanisch, also sehr weich und etwas schwammig. Sie haben nicht gemerkt, dass sie ein 2 Tonnen-Fahrzeug bewegten, sie spürten kein Schlagloch, weil der Wagen extrem weich gefedert war. Die Sitze empfand Fräulein Sieglinde auch als genial weich und sehr angenehm. Den Sound des Motors empfand Rolf wiederum, besonders bei niedrigen Drehzahlen, als herrlich, eben das typische dumpfe ‘Brabbeln‘ des V8. Bei 140 km/h ging der Tacho nicht weiter, aber sie merkten doch, dass der Van an Geschwindigkeit noch zunahm. Jedoch ist der 250iger kein Rase-, sondern ein komfortables Reisemobil.
Sei es nun, dass unsere beiden Freunde im warmen Sonnenschein durch eine dünn besiedelte Landschaft fuhren, sei es, dass in beiden Urlaubsstimmung ausgebrochen war, oder sei es durch die leichten Vibrationen des V8-Motors bei ungefähr 2.400 Umdrehungen, jedenfalls bat Sieglinde ihren Rolf, doch mal rechts raus zu fahren, auf ein lauschiges Plätzchen.
Rolf hatte auch schon mit diesem Gedanken gespielt, sich aber nicht getraut, ihn auszusprechen, jedenfalls tat er wie geheißen und fand ein trauliches, ja sogar intimes Plätzchen.
Kein Mensch weit und breit. Sie sahen sich kurz an, rissen sich die Kleider vom Leib, und weil das Bett nicht nur zum Schlafen da ist, erlebte die brave Sieglinde während der folgenden Innigkeit eine nie erlebte Ausgelassenheit. Sie jubilierte und jauchzte, stöhnte und lachte beim Liebesakt.
Sie war selber erstaunt, wischte sich den Schweiß von der Stirn und beide brauchten ungefähr eine halbe Stunde, bis sie das Bett wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen, sich anziehen und weiterfahren konnten.
Sie kamen etwas verspätet, aber glücklich im Allgäu an. Als der Nachbar den Ram Van auf Schäden untersuchte und das Bett sah, schlich ein leichtes, aber verständnisvolles Lächeln über sein Gesicht.
Zurück fuhren unsere beiden Freunde mit dem Zug, der Nachbar hatte ihnen augenzwinkernd eine Schlafwagenkabine spendiert, die sie aber im erotischen Sinne nicht nutzten, weil die Wände im Schlafwagen allzu dünn sind.
Nun, es verging eine Woche, der Alltag nahm Rolf Röhricht wieder zu sich, seine Kumpel kamen, und Sieglinde nahm ihren Job im Nagelstudio wieder auf.
Alles schien in seinen geordneten Bahnen zu laufen, bis der Nachbar entlang kam und sein Herz ausschüttete. Die Versicherung hatte nicht das bezahlt, was er sich vorgestellt hatte, und seine Frau hatte mit dem Ram Van sowieso nichts am Hut, weil der ja wie ein Loch soff, und überhaupt wollte sie einen Mercedes, und ob Rolf vielleicht Interesse hätte, seitliche Trittstufen, Chrom-Heckleiter, Innenausstattung in beige und die Sitze sind drehbar, auch Fahrer- und Beifahrersitze, Servolenkung, Zentralverriegelung, Schiebefenster, Jalousien, Gardinen, getönte Scheiben, Panoramafenster seitlich, Sternenhimmel und Lesespots, diverse indirekte Beleuchtung – ansonsten biete ich den bei ebay an, ich meine, weil wir Nachbarn sind.
Klar, dass Rolf Interesse hatte, und in Sieglindes Augen glomm Vorfreude auf.
Da hatte die original Wurlitzer Juke-Box für den Partykeller eben noch etwas zu warten …
Nun, das Leben ging wieder mal unerbittlich weiter, Sieglinde und Rolf fuhren einmal die Woche mit dem Ram Van auf ein lauschiges Plätzchen, sie gingen jeder ihrer Arbeit nach, der Partykeller verwaise, weil Rolfs Kumpel die Idylle nicht stören wollten und Sieglinde ließ Rolf einfach so wie er war. Rolf war eigentlich ein fleißiger Bursche, nur ab und zu wollte er mal Feiern. Und wenn er meinte feiern, dann meinte er feiern. So kam es dann das er es anlässlich der Kirmes zu Haselünne mal so richtig krachen lies. Er fuhr mit Sieglinde Autoskooter und schoss seiner Angebeteten gar manche Rose, kaufte ihr ein riesiges Herz mit der Anschrift ‘Mein Herzelchen‘ und fuhr mit ihr mehrmals in der Geisterbahn. Natürlich trafen sie seine Kumpels, und sie tranken gar manches Bier.
Schön war’s und als die Schießbude die Bretter hochnahm und verriegelte, die Lichter langsam ausgingen und das Kettenkarussell die Planen hochzog, meinte Fräulein Liebeneiner auch nach Hause fahren zu müssen.
„Nix da“, meinte Rolf Röhricht, und er gab Fräulein Liebeneiner noch einen dicken Kuss, und noch einen und sagte dann: „Ich bringe dich zuerst nach Hause und dann nur noch mal eben meine Kumpels mit dem neuen Ram Van Heim und komme dann auch.“
Und er gab ihr noch einen Kuss, einen Klaps auf den Po und so geschah es. Nachdem Rolf seinen Kumpels den Ram Van gezeigt, mit ihm angegeben hatte und sie ihn ausgiebig gelobt hatten, fuhren sie nachts mit dem Ram Van durch die Stassen Haselünnes, mit dabei war eine nicht unerhebliche Menge Alkohol, den man in weiser Voraussicht an der Tankstelle, bevor diese auch schloss, beschafft hatte. In dem Kreisverkehr beschlossen sie, ihrem Übermut und dem Ram Van freien Lauf zu lassen.
Es war ein schöner Kreisverkehr, ganz neu, und die Haselünner Bürger waren stolz, endlich auch einen Kreisverkehr zu besitzen, wie man ihn in der großen Stadt auch hatte.
Angestachelt durch benebelte Sinne, wurde zunächst die Frage, wie schnell man wohl mit dem Ram Van in diesem Ring fahren könne, praktisch behandelt. Bei ca. 80km/h schien die Grenze des Machbaren erreicht und eine neue Herausforderung ward gesucht und auch gefunden: Gleiche Aufgabenstellung; - allerdings rückwärts!
Es wurde keine Zeit verloren, der Rückwärtsgang eingelegt und der Test begann. Das ging allerdings nicht lange gut, nach kurzer Zeit prallt ein teurer Sportwagen von hinten auf ihren Ram Van. Noch bevor Rolf und seine Kumpels richtig beratschlagen können, was sie dem Sportwagenfahrer jetzt erzählen sollen, traf die Polizei ein, die anscheinend in der Nähe war. Peter Petersen, der den Tag leider Dienst hatte, einer der diensthöchsten Polizisten Haselünnes und einer der Kumpel von Rolf, näherte sich gewichtigen Schrittes der Automobile. Nachdem Peter Petersen kurz mit dem Fahrer des Sportwagens gesprochen hatte, kam er der ans Fenster des Ram Van von Rolf und seinen Kumpels. Diese rechneten bereits mit dem Schlimmsten, da meinte Peter Petersen: „Also Jungs, da habt ihr ja noch mal Glück gehabt, war wohl 'n ganz schön heftiger Aufprall! Wir verhaften den Kerl gerade, der hat 2,5 Promille im Blut und behauptet, ihr seid rückwärts durch den Kreisel gefahren.“
Er salutierte und meinte: „Schönen Abend noch Jungs, und dass ihr mir keinen Alkohol trinkt.“
„Nein“, scholl es aus vier Kehlen, und weil der solide gebaute Ram Van noch fuhr und sich der Schaden in Grenzen hielt, machte man sich schnellstens von dannen. Die nächste Abfahrt aus dem Kreisel führte zu der Kirmes, und da waren alle guten Vorsätze wieder vergessen. Rolf Röhricht und seine Kumpels wollten noch schnell Kettenkarussell fahren, so richtig schön, um dem Abend zu einem gelungenen Abschluss zu verhelfen. Nur mal eben eine Runde und dann hatte Rolf ja noch seine Kumpels nach Hause zu bringen. Schließlich hatte er es Fräulein Liebeneiner versprochen, - aber eine Runde Kettenkarussell lag schon noch drin!
Also gingen sie mit einigen Flaschen aus dem Proviant zum Rummelplatz, aber da war, wie gesagt, schon alles dicht. Neben dem Karussell war ein Wohnwagen. Sie klopften dort so lange an die Tür, bis der Besitzer des Karussells schlaftrunken heraus gewankt kam und sie fragte, was sie wollten.
„Kettenkarussell fahren!“, sagten sie und winkten mit ihren Flaschen.
Kurz und gut, der Besitzer ließ sich erweichen, nahm etliche Schlucke aus der angebotenen Pulle, stellte das Karussell an und sprang im letzten Moment selbst noch mit drauf. Am Anfang hatten sie alle noch viel Spaß mit Schwingen und Abstoßen und so, aber plötzlich merkten sie, dass niemand zum Abstellen da war und sie aus ihren hoch schwingenden Sitzen auch nicht abspringen konnten.
Alles Rufen und Schreien war umsonst. In der ganzen Nacht wurde keine Menschenseele auf sie aufmerksam. Erst am nächsten Morgen wurden sie befreit. Der Karussellbesitzer hatte die Nacht noch am besten überstanden, aber Rolf Röhricht und seinen Kumpels war derart schlecht, dass sie beschlossen ihr Leben zu ändern.
Trotzdem brachte Rolf seine Mannen nach Hause und überlegte dabei, wie er es anstellen sollte, ein guter Mensch zu werden.
Auf dem Weg nach Hause, noch immer grübelnd, kam er an einem Unfall vorbei. Die Polizei war schon vor Ort und Polizeihauptmeister Peter Petersen, etwas durchnächtigt, schrieb gerade das Protokoll. Trotzdem stieg Rolf aus um seine Hilfe anbieten. Die Polizisten, die nicht merken, oder nicht merken wollten, denn es fing schon an zu tagen und der Feierabend war längst angebrochen, dass der Mann betrunken war, schicken ihn nach Hause.
„Mensch Rolf, lass man! Wir sind hier gleich fertig, und du bist auch gleich zuhause. Grüß mir die Sieglinde und mach hinne!“
War also nichts mit guten Menschen!
Eine halbe Stunde später klingelte es an der Haustür. Fräulein Siglinde öffnete Polizeihauptmeister Peter Petersen und einem weiteren Polizisten.
Ob der Rolf denn schon zu Hause sei, wolle Polizeihauptmeister Peter Petersen wissen.
„Ja“, antwortet Fräulein Sieglinde und zog ihr Nachthemd zurecht, „der liegt im Bett und schläft. War ja auch eine anstrengende Nacht.“
In der Tat, das war es!
Ob Fräulein Sieglinde denn so nett wäre und ihnen das Auto von Herrn Rolf Röhricht zeigen würde.
Sie tat ihnen den Gefallen und öffnete das Garagentor.
Drinnen stand der Polizeiwagen.
 



 
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