Sollbruchstellen (Sonett)

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Ich pflanze täglich und erhoff'
Mir Farben, leuchtend oder matt,
Ein unbeschrieben grünes Blatt -
Ich brauche diesen Sauerstoff,

Den Teil von mir, der nicht ersoff
Kann auch die kleinste Blüte erden,
Und dieser Teil und ich, wir werden
Tagtäglich pflanzen, denn ich hoff':

Ich habe keine Sollbruchstellen!
Ich weiß nur, wo ich leicht zerreiß',
Als wäre es nicht aufzuhalten,

Als seien's höhere Gewalten -
Doch mich entstellen keine Dellen,
Und ich entfalte mich aus Falten.
 

sufnus

Mitglied
Hey prewarmarklin! :)

Ich mag den Sound von diesem Sonett. Irgendwie ein "süffiges" Stöffsche (das hat Dein "ersoff" gemacht) und doch auch mit Hintergründigkeit. :)
Das - offensichtlich aus metrischen Gründen - sehr altertümlich verkürzte "unbeschrieben" ist aber m. E. noch keine ganz optimale Lösung. Ggf. ginge ja vielleicht auch so etwas:

Ich pflanze täglich und erhoff',
Mir knospen aus den bunten Trieben
Noch grüne Blätter - unbeschrieben:
Ich brauche ihren Sauerstoff,


Es gäbe aber natürlich auch viele andere Lösungen. :)

Und ein bisschen sperrig erscheint mir die ins Widersprüchliche spielende Gegenüberstellung von erhofften, fehlenden Sollbruchstellen und bekannter, leichter Zerreißbarkeit. Man kann das argumentativ auflösen, aber eine gewisse Stolperstelle ist das, finde ich, schon.

Nichtsdestotrotz: Schönes Sonett! :)

LG!

S.
 

Agnete

Mitglied
ich finde dieses Sonett sehr schön, weil es endet mit einem Resümee, das ein stetig Positives zurücknimmt. Ich entfalte mich aus Falten... Also das Beste aus dem leben machen...
was möglich ist.
lG von Agnete
 

mondnein

Mitglied
Und ein bisschen sperrig erscheint mir die ins Widersprüchliche spielende Gegenüberstellung von erhofften, fehlenden Sollbruchstellen und bekannter, leichter Zerreißbarkeit. Man kann das argumentativ auflösen, aber eine gewisse Stolperstelle ist das, finde ich, schon.
ging mir ähnlich:
das, wofür die Metapher "Sollbruchstelle" steht,
ist in meiner Sicht dasselbe wie
das, wofür die Metapher "leichte Zerreißbarkeit" steht
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
In meiner Sicht ist es anders.
Leichte Zerreißbarkeit ist nicht stellengebunden.
Und auch nicht an Bruch.
Sollbruchstellen sind Stellen, die eingerichtet sind, damit an anderen Stellen nichts kaputtgeht.
Beispielsweise sorgt ein abbrechender Eidechsenschwanz dafür, dass die Eidechse überlebt.
Bei einer Sollbruchstelle an einer Brücke würde sie deren Gesamtabsturz verhindern.

Manche Sollbruchstellen dienen geplantem vorzeitigen Kaputtgehen, um Profit zu erzielen.
 

sufnus

Mitglied
In meiner Sicht ist es anders.
Leichte Zerreißbarkeit ist nicht stellengebunden.
Und auch nicht an Bruch.
Sollbruchstellen sind Stellen, die eingerichtet sind, damit an anderen Stellen nichts kaputtgeht.
Beispielsweise sorgt ein abbrechender Eidechsenschwanz dafür, dass die Eidechse überlebt.
Bei einer Sollbruchstelle an einer Brücke würde sie deren Gesamtabsturz verhindern.

Manche Sollbruchstellen dienen geplantem vorzeitigen Kaputtgehen, um Profit zu erzielen.
Das obige meinte ich so ungefähr mit "es lässt sich argumentativ auflösen" ;) - aber es hilft mir nicht so ganz über das Lesestolpern hinweg. Wozu sind im vorliegenden Gedicht diese "Sollbruchstellen" gut (immerhin haben sie es sogar bis in den Titel geschafft)? Wir haben hier ein irgendwie pflanzenaffines lyr. Ich, das über Sollbruchstellen, Zerreißstellen, Dellenstellen und Entfaltungsfalten verfügt und das ergibt insgesamt für mich kein so ganz griffiges begriffliches Ensemble.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, sufnus, damit hast Du recht. Es passt nicht so recht, es sei denn, es soll Technik ins Gedicht bringen und verstören. Das erschien mir die Erklärung.
 

mondnein

Mitglied
Ich habe keine Sollbruchstellen!
Ich weiß nur, wo ich leicht zerreiß',
ich muss zugeben bzw. einräumen, dass ich (oben) bei der Identifizierung von "Sollbruchstelle" mit "Schwachstelle" falschgelegen habe, dass da nämlich wohl ein Unterschied zwischen "Sollbruchstellen" und "leicht zerreißen" in ersten Terzett zu finden ist:
syntaktisch eine Zwar-Negation, drauf sogleich antithetisch eine Nur-Limitation. Eine gewissermaßen kleine Antiklimax. Das Besondere der praktisch lokalisierten "Sollbruchstellen" innerhalb der umfassenderen Gattungsklasse der unspezifizierten "leichten Risse" wird für die "zwar aber"-Entgegensetzung durch das einschränkende "nur" dessen, was das Lyri weiß, logisch vorausgesetzt.

grusz, hansz
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sollbruchstelle ist immer Absicht (Metaphorisch bei Sicherungen), manchmal metaphorisch (z.B. bei Eidechsen, durch Evolution),
Schwachstelle ist fast immer ein Fehler.
 



 
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