Sommerabend im Garten

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ikarus-1975

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Eine Augenweide, das war sie ihm in ihrem gepunkteten Sommerkleid und den langen offenen Haaren. Zwischen zwei Zigarettenzügen sagte er ihr das auch ganz leise. „Gut siehst du aus.“ Dabei lächelte er sie kurz an und wollte sich schon abwenden, denn er fürchtete die Blicke der anderen. Sie aber warf den Kopf in den Nackten, griff sich an den Mund und lachte ihr helles, fröhliches Lachen. Dann nahm sie ihm die Zigarette aus der Hand, drückte sie aus und zog ihn mit sich, die Veranda hinab in den Garten. Dort begann sie zu tanzen, mit ihm, vor aller Augen. So leicht, so beschwingt, wie nur sie es konnte. Es störte sie nicht, dass die anderen innehielten, sie ansahen, ja sogar beobachteten. Sie beide. Er leicht errötend, sie sich an ihn schmiegend, so als habe sie nur darauf gewartet, ihm nah sein zu können. Er hätte nicht auf sie eingehen sollen und nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzutun und den anderen zu bedeuten, dass sie wohl schon ein wenig zu tief ins Sektglas geschaut hatte, um sich sogleich seiner Scham zu schämen. Doch nickten die anderen. Man kannte sie und ihr hervorbrechendes Temperament, das ihn für sie einnahm. So sehr, dass sein Herz schneller schlug und er, gänzlich der Röte auf ihren Wangen ergeben, ihr Gesicht in seine Hände nahm, sich zu ihr hinabneigte und ihr tief in die Augen sah. Das freilich nur einen Moment lang. Denn schon irrte sein Blick wieder zu den anderen hinüber, zu ihrem Sohn vor allem. Der wusste doch nicht, ja ahnte wohl noch nicht einmal, was hier gerade geschah. Was würde er nun denken, was tun, jetzt, da er seine Mutter so sah? So enthemmt mit ihm, seinem Freund. Seinem allerbesten, wie er ihn nannte. Seinem Lehrer, der ihn in die Kunst des Filmemachens einführen wollte. Was ging in ihm vor? Würde er aufspringen und zu toben beginnen? Doch nichts dergleichen. Er verhielt sich ruhig, schien kurz nachzudenken, klatschte dann, wie es seine Art war, in die Hände, wandte sich an Julia, sein Mädchen, kaum älter als er, und zog sie ebenfalls mit sich in den Garten. Das verwunderte Gelächter der Anderen – sollte es ihn stören? Denn worüber lachten sie? Darüber, dass ihr Sohn, mutiger, oder seiner Sache gewisser als er, seine Julia fest an sich drückte und küsste? Diese jungen Leute … Ihre Unbekümmertheit, ihre Frische. Ganz wunderbar. Er spürte ihr Feuer tief in sich selbst lodern. Darüber sollte er einen Film machen. Über dieses Temperament, die Ausgelassenheit, diese Freude, die Freude am Leben und diesen Moment des heraufziehenden Sommerabends, da die Sonne ihre letzten Strahlen orangerot durch das dichte Blätterdache schickte und die Amsel, auf dem höchsten Wipfel des Baumes sitzend, ihr Lied anstimmte.

Heute war sein Geburtstag. Er hatte geladen. Eine kleine Gruppe von Freunden, mit denen er sich sehr vertraut fühlte. Sie würden nicht reden. Nein, das würden sie ganz bestimmt nicht. Auch dann nicht, wenn er sich den Anschein gäbe, mit ihr allein zu sein. Mit ihr – er hatte sie darum gebeten, das Kleid zu tragen. „Zieh es an“, hatte er ihr noch am Telefon gesagt, als sie ihn fragte, was er sich wünsche. Und nun flüsterte er: „Zieh es aus.“
 
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Ubertas

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Hallo @ikarus-1975 ,

weißt du, was mir an deiner Geschichte am besten gefällt? Es wurde wirklich gefühlt und getanzt.
Nicht ausgedacht. Empfunden.

Es ist wichtig, das Kleid abzulegen. Du hast diesen Tanz so schön beschrieben, den der Entkleidung, sodass am Ende eines Sommerabends unendlich bleibt: das eine auf der Haut, das andere im Sinn.
Ich glaube, die Zeit ist reif, wieder mehr zu wollen, mehr zu spüren. Bereit dafür, sich nicht zu schämen, zu sein, wieder zu sein.
Du hast es ausgedrückt. Ohne Vorwand.

Lieben Gruß ubertas.
 

ikarus-1975

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Hallo Ubertas

Ich freue mich riesig über deinen Kommentar, der mir auf die Sprünge geholfen hat.
In der Tat hatte ich zuvor nicht dran gedacht, dass "sie" das Kleid ausziehen solle. Doch deine Interpretation ist richtig gut. Vielen, vielen Dank dafür. :)
Es fügt sich alles so wunderbr. Drum habe ichs einfach geändert. Richtig, am Ende muss da stehen: Zieh das Kleid aus!

Herzlichen Dank!
ikarus
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @ikarus-1975 ,
nichts ist näher am anderen, an sich selbst, als frei von 'Kleidern" zu sein. Das Ringen um die richtige, in Anführungszeichen, von Außen gewünschte Welt, die nochmal bestätigt, dort bin ich nicht, trifft nicht unser Herz. Deine Geschichte transportiert eine große Botschaft:
Hör auf dich zu verstecken, niemand hasst dich, weil du lebst. Hör auf, ein anderer Mensch zu sein. Wenn dich deine Freunde lieben, lieben sie dich. Nicht für eine Entscheidung, sondern für dich, durch dich ganz allein. So fängt auch die Liebe zu sich selbst an:
Alles, was du tust, ist Liebe. Nichts ist vergebens.
Sommerabend im Garten ist mehr als eine Erzählung und das feiere ich:)

Lieben Gruß
 



 
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