Sprüche umdeuten – oder lieber etwas sinnvolles unternehmen?

Papiertiger

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Sprüche umdeuten – oder lieber etwas sinnvolles unternehmen?

Wieso bin ich der Geist, der stets verneint? Wieso will ich immer widersprechen, geradezu reflexartig?

Wer schreibt, der bleibt?

Wer schreibt, der bleibt sitzen und treibt keinen Sport, erlebt nichts und erhöht sich über andere statt diese besser zu verstehen.

Böse Menschen kennen keine Lieder?

Das Horst-Wessel-Lied etc.

Über die Toten nicht schlechtes sagen?

Stalin? Hitler? Charles Manson? Nein? Ernsthaft nicht? Ich denke: unbedingt schlechtes sagen!

Dummheit frisst, Intelligenz säuft?

Jede Droge, also auch Alkohol, verstärkt immer nur das, was in der Person ohnehin vorhanden ist. Keith Richards oder Ed Sheeran haben erfolgreiche Musik erschaffen, weil sie eine Leidenschaft für Musik und nicht weil sie Substanzen missbraucht haben.

Es gab mal „Knöllchen-Horst“, einen Frührenter, der zwanghaft Falschparker angezeigt hat. Dreißig Jahre später wurde der „Anzeigen-Hauptmeister“ zum Internet-Phänomen, ein junger Mann, der durch Deutschland reist, um ebenfalls Falschparker anzuschwärzen. Hier können geneigte Journalisten gerne noch die Frage klären, ob es hier zu einem Darth Vader- und Luke Skywalker-Twist kommen wird mit dem schönen Satz: „Hauptmeister, ich BIN dein Vater“

Lohnt es sich Redewendungen zu korrigieren, in Frage zu stellen und umzuformulieren? Eher nicht. Menschen wollen gerne etwas lernen, aber nicht belehrt werden. Man darf den Leuten die Wahrheit nicht wie einen nassen Lappen ins Gesicht klatschen, sondern man soll sie ihnen hinhalten wie einen warmen Mantel, in den sie hineinschlüpfen können.

Es ist albern auf ein freundliches „Grüß Gott“ in Süddeutschland ein vermeintlich cleveres „Wenn ich ihn sehe“ zu entgegnen. Das ist das Niveau eines wenig originellen 12-Jährigen. Es ist freundlich zu grüßen, es gehört sich ebenfalls höflich zu antworten und das darf auch mit einem „Guten Tag“ passieren.

Aber was tun bei wirklichem Blödsinn. Soll man die „Flache-Erde-Theorie“ und anderen Verschwörungsunfug dulden, ignorieren oder widersprechen? Der Witz ist, wer im Leben steht, mit sich selbst im Reinen ist, dankbar für das eigene Leben und viel zu erfüllt und mit sinnvollen Aufgaben beschäftigt ist, der bekommt von solchen Falschmeldungen kaum bis gar nichts mit. Wer ist denn permanent im Internet auf der Suche nach Unsinn? Journalisten und Humoristen auf der Suche nach Material für die Arbeit. Und sehr einsame, verwirrte Menschen, die lieber echte Zuneigung und einen fähigen Therapeuten bräuchten. Ich habe je nach Situation unterschiedliche Tipps dazu, aber mir erscheint das sinnvoll, was Stephen King uns am Ende des Romans „Es“ als Lösung anbietet. Achtung Spoiler! Ignorieren! Füttere die Trolle nicht, vergeude null Zeit und Energie mit ihren plumpen Versuchen Aufmerksamkeit zu erzeugen und Zwietracht zu säen.

Wenden wir das soeben gelernte in der Praxis an.

Beispiel 1: Kontakt mit einem empörten Wutbürger.

Wutbürger: „Das hier ist überhaupt keine Demokratie. Man darf seine Meinung gar nicht frei äußern!“
Besonnener Bürger: „Wieso nicht?“
Wutbürger: „Wenn ich zu meinem Chef sage „Du Arschloch“, dann fliege ich raus.“
Besonnener Bürger: „Freiheit hört da auf, wo sie die Rechte eines anderes verletzt. Beleidigungen sind unklug und der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant rät von so einem Verhalten ab.“
„Hä?“
„Was Du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“
„Joah.“
„Kennen Sie den Witz aus der DDR? Montags kein Brot, Freitags kein Bier – Erich, wir danken Dir. Dafür kam man in üble Schwierigkeiten, die über den Verlust des Jobs hinaus gingen.“
„Ach, ihr Wessis habt doch gar keine Ahnung.“
„Kennen Sie den? Was bekommt man, wenn man einen Wessi und einen Ossi kreuzt?“
„Nu?“
„Einen arroganten Arbeitslosen!“
Der besonnene Bürger muss an dieser Stelle rasch wegrennen, um nicht verletzt zu werden.

Merke: Humor ist nicht immer die Lösung.

Beispiel 2.

Alternder, eitler Fernsehstar: „Man darf ja gar nichts mehr sagen heute.“
Kluger, britischer Comedian: „Man darf alles sagen, aber man muss dann auch die Courage besitzen, um die Reaktion zu ertragen.“
Fernsehsternchen: „Aber ich wurde doch immer geliebt und gefiert für meine Spontanität!“
Comedian: „Wirklich? Von wem? Von deiner eigenen Dunstglocke? Ist nicht schwer von Menschen gelobt zu werden, die sich Vorteile davon versprechen.“
Empörter Fernsehstar verlässt wutschnaubend das Studio.

Fazit: Unterhaltung und Ruhm sind stark abhängig von Moden, Zeitgeist und die Zeiten überdauern können nur die wenigsten. Das kann eine sehr traurige Erkenntnis sein. Darüber sollte man besser mit guten, wohlwollenden Freunden sprechen statt sich öffentlich zur Witzfigur zu machen und dem Spott auszusetzen und den Beifall von Menschen zu erhalten, die man nicht ausstehen kann.

Beispiel 3:

„Wieso bin ich der Geist, der stets verneint? Wieso will ich immer widersprechen, geradezu reflexartig?“
Leserin: „Weil es eine naheliegende Inspiration für einen Text ist, der spannend und relevant sein kann..“
Superkritischer Leser: „Aber nur, wenn der Autor in der Lage ist statt Gelaber eine packende Geschichte zu schreiben.“
Unerwarteter Leser: „Anzeige ist raus! Unverschämtheit, diese Falschbehauptung über meinen angeblichen Vater!“
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Papiertiger,

für meinen Geschmack hättest Du es mit dem Stephen King Zitat enden lassen sollen - das hallt nämlich nach - und wenn man bedenkt, dass das von 1986 ist!
Man muss sich nur trauen, Trolle Trolle zu nennen, aber heute sind das ja Influencer oder Content Manager oder wie sie allem heißen.

Die Idee der Anwendung dieser Erkenntnis in der Praxis ist gut, aber mir stößt dabei sauer auf, wenn klischéehafte Zuordnungen vorgeführt werden. Für mich ist das kein Humor, aber es gibt sicher Leute, die darüber lachen können.

Liebe Grüße
Petra
 

Papiertiger

Mitglied
Lieber Papiertiger,

für meinen Geschmack hättest Du es mit dem Stephen King Zitat enden lassen sollen - das hallt nämlich nach - und wenn man bedenkt, dass das von 1986 ist!
Man muss sich nur trauen, Trolle Trolle zu nennen, aber heute sind das ja Influencer oder Content Manager oder wie sie allem heißen.

Die Idee der Anwendung dieser Erkenntnis in der Praxis ist gut, aber mir stößt dabei sauer auf, wenn klischéehafte Zuordnungen vorgeführt werden. Für mich ist das kein Humor, aber es gibt sicher Leute, die darüber lachen können.

Liebe Grüße
Petra
Liebe Petra,

frohen ersten Advent und vielen Dank für Deinen Kommentar!

Vermutlich hätte ich mich noch vor zehn Jahren vor allem darauf konzentriert, was Du an meinem Text bemängelst. Wahrscheinlich hätte ich die empfundene Ablehnung sofort als Ausrede genutzt, um nun sofort aufzuhören, Geschichten zu schreiben, weil ich dafür keinen Zuspruch erhalte :)

Mit zunehmender Erfahrung freue ich mich über jede konstruktive Kritik. Der Text oder Teile davon sind "kein Humor"? Ich bin mir nicht sicher, ich finde es ab und an auch schwierig, die passende Schublade zu finden, in die ich meine Texte einsortieren soll. Das Klischeehafte habe ich beim Schreiben gar nicht so empfunden. Das war eine Mischung aus persönlichen Erlebnissen und Gedanken, die sich mir öfter aufdrängen, wohl am häufigsten beim Fernsehen - wenn sehr polarisierende Positionen dargestellt werden und nicht der gesamte Mensch in seinem sonstigen Leben begleitet, sondern nur ganz kurz als engstirniger Unsympath vorgeführt wird. Du hast mich zum Überdenken gebracht - dafür und für Deinen gesamten Kommentar, nochmals: Dankeschön.

Liebe Grüße

aus dem Tigergehege
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Papiertiger,

Dir auch einen schönen Advent!
Ich freue mich sehr, dass Du das mittlerweile so sehen kannst.
Und vielen Dank für Deine Erläuterungen - die geben mir nämlich Gelegenheit, meinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Wenn man diese Bilder sieht - die vorgeführten Wutbürger oder die Aufmerksamkeits-Eintagsfliege - dann hat man tatsächlich teilweise auch vorproduzierte, reflexartige Gefühle im Bauch. Gerade im Hinblick auf die Wutbürger habe ich mich über diese Vorgehensweise besonders geärgert. Natürlich gibt es überall Dummbatzen, und man muss sich seiner spontanen Gefühle der Abscheu oder Belustigung nicht schämen. Natürlich haben wir dieselben Wörter auf der Zunge, wenn man jemanden im breitesten Sächschisch Undurchdachtes grölen hört, oder C- oder D-Promis das Vakuum zwischen ihren Ohren offenbaren. Aber wir bekommen solche Bilder auch gezeigt, damit wir so denken.

Wir sollen uns dem hohlen Sternchen überlegen fühlen - endlich mal - und wir sollen uns nicht mit dem Anlass des Protestes auseinandersetzen, sondern Popelinjacken tragende Honks, die sich nicht artikulieren können, verachten.
Ich habe mich lange mit diesem Thema - seit der Wiedervereinigung - beschäftigt, und auch zahlreiche Leserbriefe und Kommentare geschrieben, und vor allem die 'Stallorder' kritisiert, die mit der 'Unrechtsstaat-Debatte' seinerzeit einherging: Sie konnte niemand anderen treffen als die Menschen, denn der Staat und seine Verantwortlichen waren ja nicht mehr greifbar. Von Anfang an sollte der Sozialismus diskreditiert werden, die Leistungen und was im Osten besser funktionierte, kleingemacht und die in der deutschen Geschichte einmalige friedliche Revolution verniedlicht werden. Die wollten ja nur Bananen und die D-Mark. Der sogenannte Wutbürger war die erste Erscheinung eines Protestes gegen die bis heute andauernde Benachteiligung. Und daraus wurde dann Pegida, und jeder nachfolgende Protest mit der Aufforderung, die aktuelle Politik zu hinterfragen, hüben wie drüben, als Querdenker diffamiert. Mittlerweile wollen sich politische Akteure mit Demokratiestärkungsgesetzen den Unmut ihrer Bürger vom Halse halten, weil der rechts sei - und die im Osten noch ein bisschen rechter.

Aber zum Humor - ich bin da sehr empfindlich geworden, ob man über andere lacht und damit an der Ausgrenzungs- wenn nicht gar Diffamierungsschraube mitdreht, oder ob man lacht, weil etwas grotesk ist, obwohl man selbst betroffen ist: Volker Pispers sagte einmal, man solle seine Kabarett-Eintrittskarten gut aufheben, weil man damit beweisen könne, dass man im Widerstand gewesen sei. Denn natürlich geht es um die Frage, was tut man eigentlich selbst, um an den Missständen etwas zu ändern, die im Kabarett angeprangert werden.

Bitte nicht verunsichern lassen. Jede andere Meinung soll uns herausfordern und besser machen.

Liebe Grüße
Petra
 

Papiertiger

Mitglied
Liebe Petra,

vielen Dank für Deinen ausführlichen und gehaltvollen Kommentar. Ich habe viele Ideen wie ich darauf antworten möchte. Ich Versuche es in Form von Geschichten - gib mir gerne etwas Zeit, damit ich meine Gedanken zu geschliffenen Sätzen formen kann Sehr sympathisch und verständlich finde ich, dass Du keine plumpen Lacher und keine Vereinfachung magst. Ein richtig guter Autor nimmt einen Wutbürger als Figur, zeigt wie er an diesen Punkt kam und plappert nicht langweilige Bild-Zeitung-Gemeinplätze nach, die niemanden weiterbringen. Ich freue mich, dass Du eine anspruchsvolle Leserin bist, das gibt Deinen lobenden Kommentaren um so mehr Gewicht.

Dankeschön

Beste Grüße

Aus Tigerhausen
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo lieber Papiertiger

Wutbürger: „Das hier ist überhaupt keine Demokratie. Man darf seine Meinung gar nicht frei äußern!“
Besonnener Bürger: „Wieso nicht?“
Wutbürger: „Wenn ich zu meinem Chef sage „Du Arschloch“, dann fliege ich raus.“
Besonnener Bürger: „Freiheit hört da auf, wo sie die Rechte eines anderes verletzt. Beleidigungen sind unklug und der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant rät von so einem Verhalten ab.“
„Hä?“
„Was Du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“

„Joah.“
„Kennen Sie den Witz aus der DDR? Montags kein Brot, Freitags kein Bier – Erich, wir danken Dir. Dafür kam man in üble Schwierigkeiten, die über den Verlust des Jobs hinaus gingen.“
„Ach, ihr Wessis habt doch gar keine Ahnung.“
„Kennen Sie den? Was bekommt man, wenn man einen Wessi und einen Ossi kreuzt?“
„Nu?“
„Einen arroganten Arbeitslosen!“
Der besonnene Bürger muss an dieser Stelle rasch wegrennen, um nicht verletzt zu werden.

Merke: Humor ist nicht immer die Lösung.
Ich persönlich finde auch im Kontext des Humors Passagen wie diese gefährlich für den Autor.
Meinen Kommentar meine ich moralfrei, dh. ich will den Inhalt nicht moralisch bewerten, sondern ganz allgemein sprechen.

Wir alle kennen ja den wohl berühmtesten Aphorismus der Menschheitsgeschichte, keinen Konkreten, sondern eine wechselnde, mal besser, mal weniger gut formulierte Schablone. Gut ist er zb bei Lichtenberg formuliert:

"Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen, liegt es dann allemal am Buche?"

Schlechte Versionen davon erspare ich euch, auf Aphorismen.de findet ihr hunderte.

Ich meine den Satz: "Der Andere ist doof"

Es ist ja auch ab und an ziemlich gerechtfertigt, dass zu sagen, nur sagt es eben (fast) jeder.

Du auch. Und das stellt für den Autor keine kleine Gefahr dar, sich zu blamieren.

Der Rot markierte Teil ist ein Griff ins Klo.

Erstens hat der Anfang nichts mit dem kategorischem Imperativ zu tun und zweitens (typisch eigentlich für Deutschlehrer) hat er überhaupt nichts mit "was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem Andern zu" zu tun.

Im Gegenteil gerade. Kant hat ja versucht einen moralischen Imperativ aufzustellen, der für alle Menschen unter allen Bedingungen immer gilt. Das geht nur, wenn man den Imperativ auf Vernunft, nicht auf dem eigenen Willen, auf Emotionen gar gründet. Einer der Gründe, warum sich Schiller darüber lustig macht: "zwar lieb ich meinen Freund/ doch leider tu ichs aus Neigung".

Wenn es dem KI nach vernünftig ist, deinen eigenen Willen hinten anzustellen, dann stell deinen eigenen Willen hinten an. Mit anderen Worten: es läuft auf das exakte Gegenteil hinaus.

Macht man sich jetzt humorvoll über eine Bevölkerungsgruppe lustig, der per se nachgesagt wird, dass es mit Bildung und Verständnis etwas hapert, sollte es beim Autor nicht zu demselben Problem kommen, denke ich.

Ganz lieben Gruß
Patrick
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Papiertiger,

wenn Du etwas Sinnvolles unternehmen willst, verbessere erst einmal die Fehler in der Groß- und Kleinschreibung!

etwas sinnvolles unternehmen?
und

nicht schlechtes sagen?
und

unbedingt schlechtes sagen!
und

soeben gelernte in der Praxis an.
Zum Inhalt später!

Gruß DS
 



 
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